Julius Hübner                         1864

1806 – 1882

 

Januar                                       König Frost

 

Eiskönig Frost wölbt die kristall’nen Brücken

Und schlägt den Rhein, den frei’sten Strom, in Ketten;

Das Leben muß sich in die Tiefe retten,

Weil Lasten Eis die mächt’ge Woge drücken.

 

Unwillig beugt der Riese seinen Rücken

Und wühlt sich tief in seine tiefsten Betten;

Da läutet Frühling seine Ostermetten,

Will Erde fei’n und mit dem Brautkranz schmücken.

 

Horcht wohl der Alte auf des Freier’s Klänge?

Er hebt das Haupt und bricht des Kerkers Enge,

Wälzt Riesenschollen schmetternd im Gedränge.

 

Frei wallt er hin und wirft das Eis zu Rande,

Wogt majestätisch groß durch seine Lande.

Und du, sein Volk, trügst Bande noch und Schande?

 

 

 

Februar                                                  Vorgefühl

 

Ein tiefes Sehnen geht durch die Natur

In dieser ersten Frühlingsstürme Schauern,

Nach langem starren öden Wintertrauern

Fühlt Freiheitsdürsten alle Creatur.

 

Der Thauwind haucht erlösend auf die Flur

Und Eis und Schnee kann länger nicht mehr dauern,

Die Menschen lockt er aus den dunklen Mauern

Und weckt vom neuen Grün die erste Spur.

 

Die Himmelsboten kehren singend wieder

Und Hoffnung, Glaube, Liebe wieder blüh’n,

Die Herzen ziehen aufwärts Lerchenlieder!

 

Lenz, laß uns Kinder, frohe Kinder werden,

Vergessen sei das thörichte Bemüh’n

Und Fried’ und Wohlgefallen nur auf Erden!

 

 

 

März                                                      Nachtfrost

 

Wie lieblich locken laue Frühlingswinde,

Bis rings vom langen Winterschlaf erwacht,

Allüberall bricht auf mit voller Macht

Der Blüten Heer, des Lenzen Ingesinde.

 

Der dürre Ast kränzt sich mit Laubgewinde

Aus hellem Grün glüht aller Farben Pracht,

Das hat des Frühlings Zaubermacht vollbracht,

So schmeichelnd süß, so lebenweckend linde.

 

Der Himmel schaut entzückt auf seine Erde

Und sendet Strahlenküsse liebevoll,

Da regt der Neid des Alten Winters Groll.

 

Sein Nachtfrost schleicht sich tückisch durch das „Werde“.

Die armen Blüten zittern und erbleichen,

Der Morgen schaut auf Millionen Leichen.

 

 

 

Mai                                                        Armer Mai

 

Du armer Mai, in rauhen Sturmeswettern,

Gleichst Romeo’s und Julia’s Geschick –

Ein einzig wonnevoller Augenblick,

Den Schicksalsstürme grauenvoll umschmettern.

 

Kaum kränzt der Baum mit Blüten sich und Blättern,

Kaum kündet milde Sonne Lenzesglück,

Kehrt schon des Winters Tyrannei zurück,

Die Sänger flieh’n mit allen Liebesgöttern.

 

Die Blüten sterben, ach zu früh erschlossen,

Ihr Duft verweht umsonst so süß ergossen,

Wie Liebe unerwiedert, ungenossen.

 

Lieblose Welt, soll dich denn nichts verschönen,

Verklären nicht mehr Blühen, Duften, Tönen,

Kann nur der Tod, grausame, dich versöhnen?

 

 

 

Moosrose

 

Von allen Rosen mir die liebste Rose,

Wie tausendfältig deine Art auch blüht,

Du, die mein Auge mit Entzücken sieht,

Geheimnißvolle du, im dunklen Moose.

 

Wenn du den Kelch erschließest, makellose,

Der tief im Purpur holder scham erglüht,

Allmächt’ger Zauber, der zu dir mich zieht,

Daß ich in deinem Duft mich trunken kose.

 

Du Herzenspfand zu süßem Liebeslohne,

Bräutlicher Wonne Hundertblätterkrone,

Der Blumen Königin auf grünem Throne.

 

Preis deinem ewig unerreichten Ruhme,

Du Weihrauchspenderin im Heiligthume,

Lenzhohepriesterin, der Liebe Blume!

 

 

 

Lilie

 

Du unschuldreine, hohe, weiße Lilie,

Nur deinen Schöpfer willst du heilig loben,

Den Blick zum Himmel gläubig aufgehoben,

Mondbleiche Nonne in der Lenzvigilie.

 

In Andacht ganz versunkene Cäcilie,

Fort von der Erde wüstem Kampf und Toben,

Ziehst du mein Herz sehnsüchtig mit nach oben,

Das nur zu eitle, ach, zu sündenwill’ge.

 

Dein weißes Kleid sinkt unbefleckt zur erde

Nach wenig Tagen kurzer Blüte nur,

Wenn Nachtsturm deine Blätter bald verweht.

 

Du siehst den Tod mit lächelnder Geberde,

Und fandest hier des ew’gen Lebens Spur,

Hast erdenlust für himmelsruh’ verschmäht!

 

 

 

Juni                                                        Mars

 

„Das ist der Mars, der jetzt am Himmel steht,

Ganz feuerroth in düstern Flammen funkelt

Und alle Sterne ringsumher verdunkelt,

Er ist’s, der Zwietracht in die Herzen sät!

 

Denn Krieg bedeutet’s, wie die Rede geht,

Von großer Fehde wird schon viel gemunkelt

Und alter Feindschaft Faden abgekunkelt,

Bewahr uns Gott in Gnaden eh’s zu spät!“

 

Ihr blöden Thoren! Nicht des Himmels Sterne,

Die friedlichen, erzeugen Haß und Streit

Und drängen Menschen je zum Brudermord!

 

Im Herzen sucht, nicht in des Himmels Ferne,

Die schönen Flammen, euch zum Fluch bereit;

Und wollt ihr Frieden, so verlöscht sie dort!

 

 

 

Juli                                                         Glück oder Unglück

 

Du wolltest mit gemütlichem Behagen

Am Rest der Tage harmlos dich erfreun,

In einem stillen Paradies, dich weih’n

Der Musen Gunst in holden Feiertagen.

 

Da hat ein Blitz das Felsenhaupt zerschlagen,

Wälzt in dein Eden dir den klotz’gen Stein,

Zerschmettert deiner Blumen bunten Schein,

Nichts hilft dein Jammern, dein verloren Klagen.

 

Ermanne dich und trotze dem Geschick;

Es will dein Gott dir neue Kraft erwecken

Und was du Unglück nanntest wird dein Glück!

 

Des Schicksals Tücke macht dein Muth zu Spott

Und höchster Preis wird in dem Steinblock stecken;

Auf! meißle flugs den plumpen Gast zum Gott!

 

 

 

Menschenfeind

 

Laßt mich allein, so bleib ich ungeschoren!

Mein Dasein wird sich nicht dadurch verschlimmern,

Mag sich auch Niemand mehr um mich bekümmern,

Am Ende ist an Keinem viel verloren!

 

Zusammenhalten können doch nur Thoren,

Die kaum von weitem seh’n die Wahrheit schimmern;

Wer Gold zu scheiden lernt von falschen Glimmern,

Der hat von selbst sich Einsamkeit erkoren.

 

Ich kenne sie, die hohen Sonnenziele,

Nach denen ihr mit so viel Pathos rennt,

Und jeder kennt sie, der euch selber kennt.

 

Schwatzt wie ihr wollt, betrügt wo möglich viele,

Zuletzt geht doch der Esel in die Mühle,

Und Kinder treiben doch nur Kinderspiele.

 

 

 

August                                                   Italia und Germania

 

Brünette Schwester mit dem vollen Tone,

Leih’ mir den Klang, der deiner Lipp’ entquillt,

Der Toga Schwung, die deinen Gang umhüllt

Zum Capitol, zur gold’nen Lorbeerkrone!

 

Die eig’ne Weise lehrst du deinem Sohne,

Die blendend strömt, von Melodie erfüllt,

Holdschmachtend wallt und majestätisch schwillt,

Zart im Sonett, stolz in der Prachtkanzone!

 

Petrarka, Dante, Ariost, Ihr Meister!

Und der zur Strenge höchsten Reiz gepaart,

Torquato Tasso, edelste der Geister!

 

Bescheiden folg’ ich euch in meiner Art,

Und such’ ich eure Weise wohl zu fassen,

Vom deutschen Wesen will ich doch nicht lassen!

 

 

 

Lessings Standbild

 

Die Heuchelei hat dich zu Tod’ gehetzt,

Weil du gestrebt die Wahrheit zu ergründen,

Gewagt, der Welt den wahren Gott zu künden,

An Götzen-Klötzen nimmer dich ergötzt.

 

ein ehern Bild hat man dir zwar gesetzt,

Von deinem Geist ist leider nichts zu finden,

Die Frommen führen heute noch die Blinden

Und lebtest du, dir ging es schlimmer jetzt.

 

Die strengste Göttin, der du dich geweiht,

Wer frägt nach ihr, in dieser feilen Zeit,

Die Götzen wieder ihren Thron verleiht.

 

Du schlugst, Alcid’, dem Einen um die Ohren,

Die Hydra wuchs, heut wärest du verloren,

Statt einem giebt es tausend Hauptpastoren.

 

 

 

Bienenfleiß

 

Hoch über mir durch Millionen Blüten

In Lindenwipfeln, die im Spätroth loh’n,

Klingt Bienensummen dumpf wie Orgelton,

Noch sammeln emsig, die am Tag sich mühten.

 

Dem innern Triebe läßt sich nicht gebieten,

Sank auch die goldne Sonne tiefer schon

Und mag die Nacht mit tiefem Dunkel droh’n,

Den Morgen grüßt der Fleiß, den neu erglühten.

 

Ich will wie ihr nicht nach den Zeiten fragen

Und was mein Schicksal spät mir aufgetragen,

Erfüllen männlich, rastlos, ohne Zagen.

 

Der innre Trieb muß jede Müh’ versüßen,

Darf schaffend noch die Stunden ich begrüßen,

Wo Nacht und Morgen in einander fließen.

 

 

 

Zuflucht

 

Wie ekelt mich der Menschen schaales Treiben,

Die Jagt nach Geld und der gemeine Neid,

Das Laster in der Tugend Ehrenkleid,

Der Mode Wahnsinn, nimmer zu beschreiben.

 

O nimm mich auf und laß bei dir mich bleiben,

Natur, du einzig wahr zu jeder Zeit,

Du hast den Balsam für das tiefe Leid,

Das dieser Erde Güter nur betäuben.

 

An deinen Mutterbusen will ich sinken,

Mich betten tief in deinen Blumenschooß,

Und schlafen süß in seiner heil’gen Stille.

 

Dein müdes Kind, laß mich Vergessen trinken,

Und wach’ ich auf zu neuem Lebensloos,

In deiner Hand laß ich die morsche Hülle.

 

 

 

Fernblick

 

Ich stand auf hohem Berge; mir zu Füßen

Sah ich nur dämmernd noch das flache Land,

Den breiten Strom, ein schmales Silberband,

In Schlangenwindung nach dem Thale fließen.

 

Weit aus der Tiefe kam ein Glockengrüßen

So heimathlich und doch so unbekannt,

Ein Fremdling schien ich mir, von Haus verbannt,

Voll Sehnsucht nach der Heimath, nach der süßen!

 

Mein Auge irrte wie in wachem Traum

Aus Himmelsferne zu der Erde Raum,

Wie klein, wie eng schien Alles, kaum zu sehen.

 

So siehst du einst, mein Geist, von ew’gen Höhen,

Erfüllte Sehnsucht in verklärter Brust,

Tief unter dir der Erde Leid und Lust.

 

 

 

An der Nahe

 

Dort unter Weiden, an der dunkeln Stelle,

Wo wild die Nahe über Felsen schießt,

Und Well’ in Welle schäumend sich ergießt,

Da sitz’ ich oft in letzter Abendhelle.

 

Ich seh’ den Strom, doch kenn’ ich nicht die Quelle!

Das Leben ist’s, das so vorüberfließt,

Durch Ufer bald, wo Blumenfülle sprießt,

Durch öde Felsen dann, als ging’s zur Hölle!

 

Wo ist das Meer, in das wir uns ergießen,

Den letzten Sonnenaufgang zu begrüßen?

Führt uns der Zufall oder ew’ger Wille?

 

Mein Geist versinkt in unaussprechlich Sinnen,

Der Wasser Tosen wird zur Grabesstille,

Und Well’ und Leben fliehen stumm von hinnen.

 

 

 

Die Nacht des Michelangelo

 

Noch schläfst du, Riesin, prachtvoll hingestreckt

Auf des Tyrannen Sarge, Marmornacht!

Wie dir bestimmt, versteinert, unerwacht,

So lang der Knechtschaft Schach dein Land befleckt.

 

Du hast dich wohl im tiefen Schlaf gereckt,

Noch unbewußt gefühlt der Glieder Macht,

Gar an den Morgen träumend schon gedacht,

Der einst dich doch zu heller Freiheit weckt.

 

Dein Vaterland! wird es sich endlich finden?

Der Morgen graut, des Wächters Stimme ruft,

Rom und Venedig soll dein Volk befreien!

 

Dann wird der Schlaf von deinen Wimpern schwinden,

Dann steigst du, Nacht, aus dunkler Fürstengruft,

Der Freiheit Tag dem Volke zu verleihen.

 

 

 

September                                              Deutsches Sonett

 

Sonett, ich liebe deine vierzehn Zeilen!

Ein Rahmen nicht zu schmal und nicht zu weit,

Ein zierlich knapp gefaßt Gedankenkleid,

Sie einzukleiden, eh sie nackt enteilen!

 

Wer Glanz und Schmuck liebt, mag dich tändelnd feilen

Und glätten bis zur Ueberzierlichkeit;

Dem Haß zu dienen bist du auch bereit,

Ein Nessuskleid mit giftgetränkten Pfeilen.

 

Zwar hat mein Volk nicht deine Form erfunden,

So wenig wie Homer’s Heroenschritt,

Erobert beide hat der deutsche Geist.

 

Nie hat er an die Scholle sich gebunden,

Wo immer Schönes, er empfindet’s mit,

Deutsch ist ihm Alles, was vortrefflich heißt.

 

 

 

November                                              Eitelkeit

 

Du nennst mich eitel – und hast Recht, mein Kind!

Wer ist’s denn nicht? Doch die am allermeisten,

Die’s gar nicht sein zu wollen sich erdreisten,

So eitel, eitel nicht zu scheinen, sind.

 

Den Tüchtigen macht Eitelkeit nicht blind,

Und weiß er auch, was er vermag zu leisten,

Er kritisirt sich selber doch am frei’sten

Und echten Tadel schlägt er nicht in Wind.

 

Doch immer nur und ewig Demuth heucheln,

Bescheid’ne Selbstvergessenheit erlügen,

Gesenkten Auges, händefaltend ruhn –

 

Damit mag einer wohl dem andern schmeicheln

Und den gemeinen Haufen schlau betrügen –

Ein braver Kerl wird’s nun und nimmer thun!

 

 

 

Dezember                                              Schlesische Schule

 

Opitz und Logau! Deutsche Dichterahne!

Des Schlesiersanges Dioskurenpaar,

Gemüthlich mannhaft, unbefangen wahr,

Ich schlage mich zu eurer Landesfahne!

 

Dem deutschen Wesen bracht ihr frische Bahne,

Was ihr gedacht, das sangt ihr rein und klar;

Von fränk’schem Schnörkelputze baar,

Befreit ihr Volk und Wort vom fremden Wahne!

 

Landsleute ihr! euch bin ich stammverwandt!

Da wo die Oder wallt, ein Silberband,

Das Masten trägt bis an der Ostsee Strand,

 

Und Riesen stehn in Berge starr gebannt,

Wo ich zuerst des Lebens Reiz empfand,

Du Schlesien, bist auch mein Vaterland.

 

 

 

Der alte Rock

 

Ihr meint, mein Rock sei ein zu abgeschabter,

Ich könne ihn nicht mehr mit Anstand tragen!

Bin ich nicht selber alt und so zu sagen

Ein Kittel, so ein allzulang gehabter?

 

Einst war ich auch ein Jüngling, ein begabter,

Mit Jedem durft’ ich’s aufzunehmen wagen,

Ein junges Roß, bereit wie weit zu jagen,

Nun alter Gaul, ein lahmer, übertrabter!

 

So laßt mir auch den alten, treuen Flaus!

Den Rock nicht nur, den Leib zieh’ bald ich aus

Und walle kleidlos in des Vaters Haus.

 

Dort find’ ich sie, die mir vorangegangen,

Sie küssen mir die Thränen von den Wangen

Und ewig Feierkleid werd ich empfangen!

 

 

 

Weisheitsumme

 

Das wirre Räthsel, was wir Leben nennen,

Wie unauflöslich scheint es ganz und gar!

Zu lernen nur, was recht und gut und wahr,

Wie schwer ist’s eh’ sich Leib und Seele trennen.

 

Und zum Vollbringen ach! ist vom Erkennen

Der Schritt noch schwerer, als die Einsicht war,

Die Kräfte nehmen ab von Jahr zu Jahr,

Es flieht das Ziel, je mehr wir danach rennen.

 

Die hohe Meinung, die wir sonst wohl hegten,

Die Eitelkeit, die wir so gerne pflegten

Sie weicht der Demuth und der echten Kunde.

 

Ja, wir bekennen tief aus Herzensgrunde,

Der Gottesspruch trifft doch allein das Rechte:

„Wir sind und bleiben nur unnütze Knechte!“