Julius Hübner                         1865

1806 – 1882

 

Jannuar                                                  Adam und Eva

 

Sprach Gott der Herr: „Auf, laßt uns Menschen machen,

Ein Hochgeschöpf, das unserm Bilde gleiche

Und König sei im ganzen Erdenreiche!“

Das wurmte Satanas den alten Drachen.

 

Schuf Gott der Herr Adam zuerst aus Erde,

Dann nahm er ihm die Rippe aus der Weiche

Und formte Eva draus, die Seinesgleiche,

Daß sie ihm Gattin und Gefährtin werde.

 

drauf setzt’ er beide sie in’s Paradies,

Wo er nur einen Baum sie meiden hieß;

Der andern Früchte ließ er ihnen alle.

 

Doch dauerte die freude gar nicht lange,

Denn satanas, die alte Höllenschlange,

Trieb durch das Weib den Mann zum Sündenfalle.

 

 

Februar                                                  Venus Abendstern

 

Du leuchtest, Göttin, meinem späten Gange,

Wenn ich am Abend wandle durch die Flur,

Und Ruhe haucht die ruhende Natur

Ins Herz mir nach des Tages lautem Drange.

 

Da aus der Erdenschranken engem Zwange,

Folgt dir mein Geist auf lichter Himmelspur,

Und was mein Herz von Liebe je erfuhr,

Erweckt dein Strahl zu Memnonssäulenklange.

 

Du zeigst mir lächelnd die Vergangenheiten,

Wo mich statt Lorber deine blüh’nden Myrten

Bekränzten noch als treuverliebten Hirten;

 

Die Rosenzeit läßt du vorübergleiten,

Wo ich die Taube, deinem Schooß entflogen,

Dem Sonnenaar des Donn’rer’s vorgezogen.

 

 

 

April                                                       Flatterhaft

 

Sie schelten wahrlich dich mit Unrecht treulos!

Bist du schon flatterhaft und wetterwendig,

Du bleibst im Wechsel wenigstens beständig,

Sagst ohne Hehl „mich reizt einmal, was neu bloß!“

 

Für jeglichen Genuß hast du ein Freiloos,

Kannst aller Freuden Litanei auswendig,

Freu’st immer auf die nächste dich unbändig,

Was kümmert dich der Neidischen Geschrei groß!

 

Verzogen Kind! du folgst nur der Natur,

Sie leitet dich auf des Vergnügens Spur,

Beständigkeit und Sorge bleibt dem Alter!

 

Durch Gras und Blumen schlüpft die bunte Schlange,

Die träge Schnecke kriecht wer weiß wie lange,

Von Blatt zu Blüte flattert froh der Falter!

 

 

 

Wettgesang

 

Der Lenz erstieg des Winters weißen Wall,

Und wie er roth die Blütenfahne schwang

Jauchzt alles Leben froh und jubelt Dank,

Und Liebe schafft zum zweitenmal das All.

 

Komm Himmelslrche, komm, o Nachtigall,

Laßt uns beginnen holden Wettgesang

Und hell ertöne Tag’ und Nächte lang

Zum Preis der Liebe unser Liederschall!

 

Ihr holden Augen, die ihr Mond und Sonne

Verdunkelt, mir in eurem Zauberlicht

Das süßeste Geheimniß zu verkünden!

 

Euch flammt mein Herz in Lenz- und Liebeswonne,

Und alle meine Lieder reichen nicht

Zu künden, welche Gluten mich entzünden!

 

 

 

Süße Thorheit

 

O süße, süße, dreimal süße Thorheit,

Zu schmachten hold zu der Geliebten Füßen,

Mit tausend Schmeichelnamen sie zu grüßen,

Die, selbst entzückt, dir gern ein willig Ohr leiht.

 

O Selig, in der Erwartung Vorzeit,

Der Zukunft Wonne ahnend zu genießen,

Die Braut erröthend fest an’s Herz zu schließen,

Die, Knospe noch, bald vollen Duft emporstreut!

 

Vergangen sind sie längst, die Wonnetage,

Die erster Liebe Flamme angefacht,

Das Herrlichste, was Gott uns wollte schenken.

 

Doch in Erinnerung verstummt die Klage,

Ein Frühlingstraum in dunkler Winternacht,

Umfängt die Seele hell ihr Angedenken!

 

 

 

Liebeszauber

 

Wie klingt mein Name hold in deinem Munde!

So reinen Wohllauts Träger sollt’ ich sein?

Verwandelt durch der Liebe Sonnenschein

Hast du mein Selbst im tiefsten Herzensgrunde.

 

Mein ist die Welt mit dir im Liebesbunde,

Die reinste Seligkeit des Himmels mein,

Ein Laut von dir scheucht jede Erdenpein,

Dein „Lebewohl“ süßt selbst die Trennungsstunde!

 

So viele Wonne, hilf sie mir ertragen,

Du Born der Liebe, ew’ge Schöpfermacht!

Laß gold’ne Frucht dem Blütenlenz entsprießen!

 

Ein Seelenbund in diesen Erdentagen,

Unlöslich fest noch in der Todesnacht,

Jenseits erneut, wenn sich die Augen schließen!

 

 

 

Liebesglut

 

O wunderbar verzehrend heilig Feuer,

Der Schöpfung unergründlich Räthsel du,

Streitvoller Friede, ruhelose Ruh,

Kleinod des Lebens, über Alles theuer!

 

Du stimmst harmonisch erst der Seelen Leier,

Führst du zwei Herzen selbst einander zu,

Auf ihrem Altar dann entflammt im Nu

Dein Blitz, das Opfer höchster Wonnefeier.

 

Auflodert kühn, allmächt’ge Liebesflammen,

Schlagt über unserm Haupte hoch zusammen,

Den Stoff verklärt verzehrend Opferglut.

 

Zum Himmel steigt der Strahl, die Asche sinkt,

Die Seele taucht in Lethe’s dunkle Flut

Und neues Leben sich ins Dasein ringt.

 

 

 

Mai                                                        Maigruß

 

Sei mir gegrüßt in reiner Blütenfrische

Im bunten Blumenkranze, holder Mai!

Wach auf mein herz! Der Winter ist vorbei

Und Auferstehung feir’ an Gottes Tische!

 

Daß sie die Thräne dir vom Auge wische

Mit sanfter Hand, naht Lieb’ und fromme Treu,

Im Blumenkelch beut Hoffnung dir aufs Neu

Ihr wunderselig Leid und Lustgemische!

 

„Nimm hin und trink,“ zu heil’gem Angedenken,

Daß reine Liebe nun und ewig lebt,

An Dornenkronen Himmelsblüten glänzen!

 

Ins Aetherblau laß sich den Blick versenken,

Bis auch die Seele betend aufwärts schwebt,

Zu ewig ungetrübten Himmelslenzen.

 

 

 

Liebeslied

 

Wie weckt ein Wort von dir, ein einz’ger Blick

Die Seele mir zu holderneutem Beben;

Mein wallend herz muß Liebesantwort geben,

Und Echo klingt mein Sang zu dir zurück.

 

Ja, wie ein Vogel singt der Liebe Glück,

Die Töne bald sich triumphierend heben,

Bald leise klagend durch die Kehle beben,

Sing ich der Liebe Lust und Leidgeschick.

 

Nach Reimen sucht ihr? Wie ich euch beklage!

Harmonisch zittert in mir Lust und Plage,

Seit Liebe mir die Lippen hat geweiht.

 

Und wenn ich kunstlos, was ich fühle, sage,

Nehm’, ich das Maaß von meines herzens Schlage,

Ausströmend meiner Seele Seligkeit.

 

 

 

Leben und Tod

 

„Ich liebe dich!“ Drei Worte nur, drei kleine,

Doch schließen sie den ganzen Himmel ein!

Sprichst du sie aus, ist Alles, Alles mein,

Bist du Geliebte doch, bist du die Meine!

 

Wie glänzt die Welt im Frühlingssonnenscheine,

Wie strahlt der himmel wolkenlos und rein!

O Uebermaß der Seligkeit halt ein,

Ist’s Leid, ist’s Wonne, daß ich lach’ und weine?

 

Willst du, o Seele, in den Himmel schweben?

Ihr Aug’ ist Himmel, Paradies ihr Mund

Und wo sie naht, weicht alle Erdennoth!

 

In ihrem Herzen leben, ewig Leben,

Versunken in der Wonne tiefsten Grund,

In ihren Armen sterben, süßer Tod!

 

 

 

Verständniß

 

Wie lieblich sich die schlanken Zweige neigen,

Wenn sie der lose Westwind kosend küßt,

So Mädchenanmuth den Geliebten grüßt,

Dem Blick der Augen folgt verschämtes Beugen.

 

Sie lieben sich und wollen’s doch nicht zeigen,

Ihr hold Geheimniß süßer Lenzesfrist,

Doch wie verbirgt sich’s, wenn man glücklich ist,

Und mehr als Worte sagt beredtes Schweigen?

 

O fürchtet nicht des Dichters frommen Blick,

Ihr Liebenden, die er geheim belauscht,

Waldheiligthum ist rings um uns ergossen.

 

Die schönsten Zeiten ruft ihr mir zurück!

Westwind und Zweige, wie ihr Küsse tauscht,

So hab’ ich Lippen, süßeste, genossen!

 

 

 

Juni                                                        Wiesenblüten

 

Oft steh’ ich an der blüh’nden Wiese stille!

Man sieht das Gras vor lauter Blumen nicht,

Und alle wenden sie das Haupt zum Licht,

Der Sonne folgt ihr stummer Blumenwille.

 

Aus all des bunten Lebens reicher Fülle

Ein Gotteswort aus Blumenmunde spricht,

Aus jeder Knospe auf zum Lichte bricht

Ein einz’ger Trieb in tausendfacher Hülle!

 

Sind wir nicht auch von Gott gepflanzt wie diese,

Ein Sprießen, Blühen, Welken zu durchwandern

Das mit den Jahreszeiten kommt und endet?

 

O stünden wir doch auf des Lebens Wiese

Bescheiden blühend Einer bei dem Andern,

Zum ew’gen Licht die Blicke nur gewendet!

 

 

 

Juli                                                         Italien

 

Glückselig Land, das Raphael geboren,

Und Leonardo, Angelo genährt,

Von Dante, Tasso, Ariost verklärt,

Zu aller Götter Kleinod auserkoren!

 

Dein denk’ ich in Erinnerung verloren

Seit ich den Rücken deinem Reiz gekehrt,

All deiner Wunder Becher ausgeleert,

Gefangen hinter ew’gen Eises Thoren!

 

Wie Myrt’ und Lorber silberhell erblühen,

Granat und Goldorange dunkel glühen,

Durch weiche Lüfte süße Düfte ziehen!

 

Die Küste küßt des dunkelblaue Meer,

Schwanweiße Segel schweben hin und her,

Und mir – mir ist das Herz von Sehnsucht schwer!

 

 

 

Raphael

 

O Raphael, von allen Himmelsgaben

Die holdeste hast du uns doch gebracht,

Der Schönheit Licht, in dunkler Erdennacht,

Ein Engel Gottes, unser Herz zu laben.

 

Wie einst als Schutzgeist den Tobiasknaben,

Führ’st du die Menschheit nun an sanfter Hand

Durch Blumenau’n zum sel’gen Heimatland,

Und deutest lächelnd aufwärts, mild erhaben.

 

O unaussprechlich himmlisches Entzücken,

Werd’ ich dich einst im Engelchor erblicken,

An deiner Huld mein zagend Herz erquicken!

 

Dann führe mich, ein Kind, demüthig klein,

Durch deiner Schönheit Thor zum Himmel ein,

Durch holden Schein zu ewig hohem Sein!

 

 

 

Michael Angelo

 

Du Engel Michael mit Flammenschwert

Und goldnem Schild, mit der Vergeltung Wage,

Zu wägen einst am Ende aller Tage

Was ewig Heil, was ewig Qualen werth.

 

Wenn die Posaune des Gerichtes hört

Der Schäfer Schaar in dunkler Gräber Lage,

Gewissen aufwacht, daß es sie verklage,

Und Sünde bis zum Himmel sich empört.

 

Den Tag des Zorns, du hast ihn vorgeschaffen,

Furchtbar im Bild auf der Capellenwand,

Ein „Mene Tekel“ groß in Flammenzügen.

 

Die Hölle glüht, die offnen Gräber klaffen,

Du läßt, die Wage fest in sich’rer Hand,

Verdammte stürzen, Sel’ge aufwärts fliegen.

 

 

 

Corneliustoast

 

Es war ein Mann, der hieß Cornelius,

Ein Hauptmann war’s, ja wohl ein Haupt, ein Mann!

Was man mit einem Worte sagen kann,

Es war ein Mann so recht aus einem Guß!

 

Ein ganzer Mann vom Scheitel bis zum Fuß!

Trägt Er das Banner vor dem Heeresbann,

Führt Er die Schaar, da heißt es drauf und dran,

Sein Haupt umschwebt des Sieges Genius!

 

Sankt Petrus selber thät ihn weih’n und taufen,

Bis Cäsarea muß der Alte laufen,

Vom heil’gen Geiste hin zu ihm geführt.

 

So Ehre denn, dem alle Ehr’ gebührt,

Dem Hauptmann gilt der alten Krieger Gruß,

Stoßt an und hoch! Petrus Cornelius!

 

 

 

Der Eichenbaum

 

Wie stand er stolz noch vor so wenig Tagen

Des Waldes König da, der Eichenbaum!

Sein Gipfel streift der Wetterwolke Saum

Da hat ein Blitz zu Boden ihn geschlagen!

 

Er sank dahin! Die Abendlüfte klagen

Und flüstern schaurig durch den Waldesraum,

Ein hohes Dasein ward zum flücht’gen Traum,

Wer wird nach seiner Stätte morgen fragen?

 

So theilt den Riesenleichnam denn in Stücke,

Zu mächtig groß für eine erdengruft;

Erhebt das Haupt und laßt ein thöricht Härmen!

 

Was euch zum Leid, der Welt wird es zum Glücke,

Flammt Scheit um Scheit vom Herde in die Luft,

Ein ganzes Volk wird sich daran erwärmen!

 

 

 

Froschkantate

 

Wie quaken, quarren in dem warmen Sumpf

Die Frösche wonnig Chorus vor Behagen,

Sie möchten Unerhörtes singen, sagen,

Und sprengen sich beinahe Hals und Rumpf.

 

Laut bieten sie den Nachtigallen Trumpf

Und spotten ihrer weibisch weichen Klagen,

Solch Flöten, langgehaltner Töne Tragen,

Verdirbt den echten Sang mit Stiel und Stumpf.

 

Ihr lacht dazu und machts doch ebenso,

Ihr Zukunftsmusiker, bit herben Noten,

Vor Dissonanzen gar nicht zu errathen.

 

Die Melodie ist euch nur leeres Stroh,

Verächtlich sprecht ihr von den großen Todten,

Doch was ihr schafft, klingt fast wie Froschkantaten.

 

 

 

Farbe

 

Ihr Maler, die ihr doch nicht malen könnt,

Nur Schwarz auf Weiß als euer Bestes gebt,

Weil nie der Farbe Reiz in euch gelebt,

Wie kommt’s nur, daß ihr euch noch Maler nennt?

 

Ein Malerherz, was nie in Glut entbrennt,

Auf Purpurwolken nie begeistert schwebt,

Der Nacktheit Zauber nie entzückt erlebt,

Kennt nicht das höchste, tiefste element.

 

Die schönste Form, wie ist sie greifbar grob,

Rohsinnlich gegen jenen Geisterhauch,

Den nur das Licht vom Körper strahlt zurück!

 

Wie sich am Himmel Iris Bogen wob,

In sieben Tönen klingt durch Wolkenrauch,

So leuchtet Farbenharmonie dem Blick!

 

 

 

August                                                   Abendbild

 

Rings wallt ein Duft von blühendem Getreide,

Und neigend, beugend wogt das Aehrenfeld,

Erfrischend fällt der Thau vom Himmelszelt,

Die Sonne sinkt im Gold- und Purburkleide.

 

Laut blökend zieh’n die Herden von der Weide

Den Hütten zu, die Feuerschein erhellt,

In Dunkel hüllt allmälig sich die Welt

Und nur der Himmel glänzt im Sterngeschmeide.

 

Schon blickt im Osten über wald’ge Hügel

Der volle Mond mit sanftem Silberglanz,

Und Abendglocken klingen durch das Thal.

 

Glatt, ohne Welle, ruht des Seees Spiegel

In seiner alten Linden dunklem Kranz,

Und Ruhe herrscht nach Tages Last und Qual.

 

 

 

Scheveningen

 

Nacht deckt den Strand und schwarze Wolken lasten

Wie schwere Träume auf dem Ocean,

Durch wilde Wellenbrandung schwankt ein Kahn,

Es reißt der Sturm die Segel von den Masten.

 

Wie Leidenschaften, die das Herz erfaßten,

Drängt Wind und Woge ihn von seiner Bahn,

Bald höllentief, bald wieder himmelan,

Wie auf der Sündflut wogte Noah’s Kasten.

 

Und immer stürzen Wellen sich auf Wellen,

Wie die Geschlechter wälzt der Menschheit Meer,

Stets wieder neu wogt’s aus der dunklen Ferne.

 

Und jede muß am Ufersand zerschellen

In steter Flucht rastloser Wiederkehr –

Doch über Wolken glänzen still die Sterne.

 

 

 

Reise

 

Was dir gelingt in Liebe zu erfassen,

Das ist des Lebens eigenster Gewinn,

Ja, du verstehst des Daseins wahren Sinn,

Je mehr du lieben lernst, je wen’ger hassen.

 

Bedenk’ wie wenig Zeit dir noch gelassen,

Wie schnell des Lebens Augenblick dahin,

Den deine Seele, eine Schülerin

Der Ewigkeit, nicht träge darf verpassen.

 

Will sie wohl vorbereitet dort erscheinen,

Muß sie des Erdendaseins Fülle kennen,

Eh’ Himmelswunder staunend sie erfüllen.

 

Denn hier entfalten sich im irdisch Kleinen

Die Kräfte auch, die wir wohl himmlisch nennen;

Und Endliches muß Ewiges umhüllen.

 

 

 

Meine Werkstatt

 

Umfange mich mit heil’ger Tempelstille,

Du süße Zuflucht vor dem Lärm der Welt,

Du, treu bestellt, fruchtspendend Ackerfeld,

Erfülle mich mit der Gestalten Fülle!

 

Hier hebt der Geist die dunkle Schleierhülle

Vom Auge, das ein ewig Licht erhellt,

Der Wirklichkeiten enge Schranke fällt

Und herrschend thront ein freier Schöpferwille.

 

Fern liegt die Gegenwart vor deiner Thür,

Drin webt Vergangenheit in Zukunftsnähe

Und formt ihr Bild nach ewigen Gesetzen.

 

So wirke, ew’ge Schöpferkraft, in mir,

Laß wirklich werden, was im Geist ich sehe,

Und dem Gelingen folge das Ergötzen.

 

 

 

Umkehr

 

Lauf’ nicht so jach! in dunkler Ecke kauert

Ein armes Weib, des Auge zu dir fleht,

So rührend fragt, ob’s wohl dein Herz versteht,

Hat deine Seel’ ihr Angstblick nicht durchschauert?

 

Was hat die Brust dir so mit Eis ummauert,

Daß solch’ ein Blick dir nicht zu Herzen geht?

Was rennst du denn, ist es denn schon so spät?

Kehr’ um, dein guter Engel trauert!

 

Du kehrest um! O nimm zum Lohn die Zähre,

Die von der Wimper fällt, die Wange netzt,

Die Perle in der Armen Dankesblick!

 

Du kehrtest um; ein Engel sah’s, der Hehre,

Zum Hüter an der Himmelsthür gesetzt,

Wenn du einst kommst, er weist dich nicht zurück!

 

 

 

Mannestrost

 

Du thöricht Herz, was soll die alte Klage,

Um unerfüllte Träume all die Noth!

Zum Ziele führt dich jedes Morgenroth,

Zu Ende geh’n ja täglich deine Tage!

 

Schließ’ fest die Zähne, trage stumm die Plage,

Des Lebens unabänderlich Gebot,

Mit raschem Schritte naht der Sieger Tod,

Halt aus bis dahin, Herz, halt aus und trage!

 

Vergeblich Müh’n, zum Orkus sei’s beschieden,

Faß ohne Boden füllt, ihr Danaiden!

Und ewig wälze Sisyphus den Stein!

 

Hier laß uns kämpfen, das allein schafft Frieden,

Nur tapf’re Mannesthat erreicht hienieden

Ein ernst Genügen, einzig Glücklichsein!

 

 

 

Neuer Zopf

 

Das können und das Wissen thut es nicht,

Sind beide wahrlich auch nicht zu verachten,

Dem klar Erfaßten und dem groß Gedachten,

Giebt doch das Herz erst Wärme, Kraft und Licht.

 

Nur was urkräftig aus dem Herzen spricht,

Trifft auch das Herz mit schlichtem Dichten, Trachten;

Kalt läßt bei tadellosem Prangen, Prachten,

Manch’ klassisch Bild, manch’ regelrecht Gedicht.

 

Ihr kalten Herzen mit dem klugen Kopf

Berechnet schlau die Wirkung eurer Werke

Und klügelt’s aus bis in die kleinsten Theile!

 

Den ihr so stolz verachtet, schaut, den Zopf,

Ihr tragt ihn selbst in neuerstand’ner Stärke,

Den Zopf der klasisch reinen Langeweile!

 

 

 

Unrecht

 

„Ich habe Unrecht,“ scheint so schwer zu sagen,

Kaum Einer sagt es, wenn er nicht gemußt;

Ist Recht zu haben denn so große Lust,

Des Unrechts Schmach so schwer denn zu ertragen?

 

Wer hat denn Recht? Laßt an die Brust uns schlagen,

Vor Gottes Recht sind alle schuldbewußt,

Das zeugt Gewissen in der eignen Brust

Und die  Gedanken, die sich selbst verklagen.

 

Laßt ab vom Hader!  Hebt den Blick nach oben

Und senkt ihn reuig tief in’s eigne Herz;

Vergebt den Brüdern, soll euch Gott vergeben.

 

Seit das Gesetz durch Liebe aufgehoben,

Erlischt durch sie der Selbstsucht eitler Schmerz,

Kommt Fried’ auf Erden und das ew’ge Leben!

 

 

 

September                                              Der Ueberschwengliche

 

Wenn ich hinauf zum Firmamente schaue

Ganz von der niedern Erde abgewandt,

Voll Sehnsucht nach dem ew’gen Heimatland,

Verliert mein Blick sich ahnungsvoll ins Blaue.

 

Mein Aug’ erglänzt in heil’gem Thränentaue,

Dem Höchsten fühl’ ich mich so nah verwandt

Und doch so fern, so weit vom Ziel gebannt,

Ach, daß ich kaum der schwachen Kraft vertraue!

 

Dann raff’ ich mich empor zu großen Thaten,

Mein Auge flammt, heiß’ wallt das kühne Herz

Und Siegeslieder hör’ ich schon erschallen.

 

Doch langsam reisen nur die goldnen Saaten

Und lange noch muß ich durch Lust und Schmerz

Durch Tag und Nacht, zum hohen Ziele wallen!

 

 

 

Der Genügsame

 

Ich lobe mir ein gut Stück Schweinebraten

Und ein vernünftig tüchtig Sauerkraut,

Ich wüßte nicht was je mich mehr erbaut

Und dürste nicht nach großen Heldenthaten.

 

Ist nur das Mittagessen gut gerathen

Und hat man dann so recht normal verdaut,

Bei einem Täßchen Kaffee sag’ ich’s laut,

Ich tausche nicht mit allen Potentaten.

 

Das Leben ist so kurz, die Arbeit schwer,

Wer wollte sich noch mehr als nöthig plagen

Mit Geist und Bildung, eitel leerem Schnack!

 

Ein paar vernünft’ge Freunde lieb’ ich sehr,

Dazu ein Kartenspiel an Feiertagen,

Zum Glase Bier ein Pfeifchen mit Taback!

 

 

 

Der Praktische

 

Ich merke mir die alte weise Lehre:

„Man muß die Menschen nehmen wie sie sind!“

Dabei bin ich nicht etwa schlecht gesinnt,

Nicht doch! zu machen gilt es nur „Carriere!“

 

Was hilft mir unbezahlt so Ruhm wie Ehre?

Gar feine Worte, aber eitel Wind,

Einst schwärmt ich auch dafür, ich war ein Kind,

Jetzt kenn’ ich etwas besser die Affaire!

 

Zuerst und immer wend’ ich mich nach oben,

Wer etwas gilt, dem wird die Cour gemacht,

Bald heißt man dann verständig, klug und fein.

 

Die Mächt’gen gilt’s unausgesetzt zu loben,

Wenn man sie hinterm Rücken auch verlacht:

„Die Welt will nun einmal betrogen sein!“

 

 

 

Vergißmeinnicht

 

Vergißmeinnicht auf steiler Höh’ gefunden,

Wie blauer Mädchenaugen sanfter Schein,

Ich pflanze dich an meinem Herzen ein,

Du sonst an stiller Bäche Lauf gebunden.

 

Holdsel’ge Mahnung an die schönsten Stunden,

Vergang’ne Seligkeit, ich denke dein!

Erinnerung, wie bleibst du voll und rein,

Wenn uns die Wirklichkeit so lang’ entschwunden!

 

Weit war der Weg! Nun stehen wir am Strande,

Die Sonne sinkt, der Erdentraum verweht

Und nah’ und näher strahlt ein ewig Licht.

 

Der alte Fährmann ruft, er stößt vom Lande!

Euch, die ihr weinend noch am Ufer steht

Ein einzig letztes Wort: „Vergißmeinnicht!“

 

 

 

Oktober                                                 Saul

 

Du Erstlingsopfer heil’ger Priesterwuth!

Vom Thron gestürzt ob deiner Menschlichkeit,

Weil einmal du geübt Barmherzigkeit

Und nicht vergossen der Besiegten Blut.

 

Der Erste du, der ihn besaß, den Muth,

Zu brechen eines Priesters Widerstreit,

Hätt’st du gesiegt, die Erde blieb befreit

Von allem Greuel herschsücht’ger Pfaffenbrut.

 

Doch du erlagst dem Hohenpriestergott,

Der in Jerusalem erwürgt das Lamm,

In Rom zertrat der Hohenstaufen Stamm.

 

Er herrscht noch heut dem echten Gott zum Spott;

Und wird die Menschheit endlich sich ermannen

Auch dies Gespenst in’s leere Nichts zu bannen?

 

 

 

Letzter Strauß

 

Dreimal, mein Volk, hast du dein Joch zerbrochen!

Im Teutoburger Wald das erste Mal,

Als du die Römer schlugst in Sumpf und Thal

Und Varus sich verzweifelnd selbst erstochen.

 

Dann als dein Luther kühn es ausgesprochen,

Daß Rom und Papst und aller Heil’gen Zahl

Nur Menschensatzung und Gewissensqual,

Machtstolzer Priester schlauem Hirn entkrochen.

 

Zum Dritten, als du jenes Korsen Macht,

Der halb die Welt schon unter sich gebracht,

Gebrochen hast in Leipzigs Völkerschlacht.

 

Noch einen Strauß gilt’s jetzo auszufechten,

Fürst, Pfaff’ und Junker droht der Freiheit Rechten.

Steh’ fest, mein Volk, laß dich auch jetzt nicht knechten!

 

 

 

Bekenntnißtreue

 

Die alten Formeln mögt ihr wohl erwecken,

Doch glaubt nur nicht, daß ihr den Geist gebannt,

Der hat sich längst zu neuer Form bekannt,

Ihr könnt sie blöden Blicks nur nicht entdecken.

 

Nur eure eigne Leere zu verdecken

Erhebt zum Wesen ihr den eitlen Tand,

Streut euch und Andern in die Augen Sand

Und spielt wie Kinder kindisches Verstecken.

 

Was scheltet ihr die Menschheit und die Welt

Und lästert so das allerhöchste Wesen,

Als gälte nicht wie sonst sein Machtgebot?

 

Die ihr die Bibel über alles stellt,

Habt ihr in Gottes Worte nicht gelesen:

„Der Geist schafft Leben, der Buchstabe Tod?“

 

 

 

Margarete

Goethe und Gounod

 

Dein Himmelsbild, in reinste Form ergossen,

Mit jeder jungfräulichen Huld geschmückt,

Die unser deutsches Herz so ganz entzückt,

Hat man entweiht durch wälsche Liederpossen.

 

Und daß man deutsche Bühnen ihm erschlossen,

Dem Bänkelsänger, der solch Werk zerpflückt,

Daß Deutsche gar ihm Beifall zugenickt,

Das hat in tiefster Seele mich verdrossen.

 

Weh über uns! Giebt’s noch ein Volk der Erde,

Das so sich läßt von fremder Gecken Flausen,

Den eignen Kranz der Ehren frech zerzausen?

 

So süßes Antlitz leiht der Schandgeberde,

Den größten Dichter auf den eignen Brettern,

Sein größtes Werk, verhunzen läßt von Spöttern?

 

 

 

Liebeszorn

 

Wenn ich manch zornig Lied euch auch gelungen

So scheltet mich nicht heißer Liebe baar,

Er, der die ew’ge Liebe selber war,

Die Geißel hat er zornig auch geschwungen.

 

War er von Liebeseifer nicht durchdrungen,

Als er vertrieb der Krämer feile Schaar,

Und seines Tempels Vorhof machte klar

Von eitel Trug und schnöden Lästerungen?

 

Die hassen euch, die „Friede, Friede“ rufen

Die schlauen Teufel, so berechnet kalt,

Die mit der Macht den schnöden Bund geschlossen.

 

Sie sind es, die von Thron- und Altarstufen

Die Wahrheit ferne halten mit Gewalt –

Den Dichter nimmt sie sich zum Bund’sgenossen!

 

 

 

November                                              Allerseelen

 

Die Thränen alle um geliebte Seelen,

Der Himmel giebt sie heute uns zurück,

Die Sonne hüllt in Trauerflor den Blick,

Und Tropfen fallen, ach, wer kann sie zählen.

 

Sie stiegen auf aus dunkler Armuth Höhlen

Und der Paläste gleichem Nothgeschick;

Das tiefste Elend, höchstes Erdenglück,

Sie müssen auf dem Friedhof sich vermählen.

 

So kommt zur Friedensstätte, ihr Betrübten,

Vergeßt des Lebens eitlen Rang und Stand,

Reicht über Gräbern euch die Bruderhand!

 

Zum Wiedersehen eurer Heißgeliebten,

In der Verheißung heil’gem Wunderland,

Giebt Liebe euch das einzig sichre Pfand.

 

 

 

Berühmte Todte

 

Als wir noch lebten, habt ihr uns vergessen,

Und mit der Ungunst kämpften wir vergebens,

Wir trugen schwer an jeder Noth des Lebens,

Viel fehlte uns, was andre viel besessen.

 

Nun habt ihr Ruhm uns reichlich zugemessen,

Der Lorbeer lohnt ein streng entsagend Streben,

Und zu den Sternen möchtet ihr erheben

Uns, die auf Erden sich nicht satt gegessen!

 

Wohl! wollt ihr das an uns Versäumte sühnen,

Häuft nicht auf unfruchtbare Todtenhügel

In Stein und Erz den leeren Prunk der Leichen!

 

Schau’t um euch! auf des Lebens vollen Bühnen

Seht ihr uns wieder in der Mittwelt Spiegel,

Ehrt uns in Lebenden, die unsres Gleichen!

 

 

 

Kraft und Einsicht

 

Kraft ohne Einsicht ist der Jugend Erbe,

In blinder Macht der eingebornen Triebe,

Die Sucht nach Ruhm, die Glut von Haß und Liebe,

Daß froh und frei sie um das Höchste werbe.

 

Die Einsicht ist des Alters Frucht, die herbe,

Daß, ob des Leibes Kraftgefühl zerstiebe,

Der höchste Trost dem Alter doch verbliebe,

Daß auch im Tod der Seele Kraft nicht sterbe.

 

So wächst die Einsicht und die Kraft nimmt ab,

Nie hält die eine mit der andern Schritt,

Den Geist beschränkt des Leibes Endlichkeit.

 

Des Todes Keim bringt alles Leben mit,

Gefangen hält den Menschen Zeitlichkeit,

Wenn er am meisten weiß, sinkt er ins Grab!

 

 

 

Schlaglicht

 

Wie Körper Schatten, wirft der Geist ein Licht

Von sich, in seiner Geistersonne Schein,

Ein Abbild ist’s von seinem eignen Sein,

Wie Form des Körpers aus dem Schatten spricht.

 

Das ew’ge Licht im Geist sich farbig bricht,

Wie farbig funkelt im durchsicht’gen Stein

Der Sonnenstrahl, an sich nur weiß und rein,

Wie Wahrheit blickt durch Schönheit im Gedicht.

 

Der Körper nur ist’s, der dem Lichte wehrt,

Den Strom der ew’gen Klarheit hemmt und stört,

Bis er sich selbst am Licht verklärt, verzehrt.

 

Einst kommt der Siegestag des ew’gen Lichts,

Der große Tag des ewigen Gerichts,

Wo lichter Brand die Körper löst in Nichts!

 

 

 

Geheimnis des Schaffens

 

Fühlst du des Geistes heil’ge Schöpfergluthen,

Dann mußt du fest in dich zurück sie stemmen,

Der Gottesflamme jeden Ausgang hemmen,

Bis reif zum Guß die Erze flüßig ruh’ten.

 

Soll dir ein Strom voll, majestätisch fluthen,

Mußt du ihn fest in seine Ufer dämmen,

Denn sonst versumpft er elend in Maremmen,

Verliert im Schlamm sich unter Weidenruthen.

 

So sollst den Geist du streng zusammen halten,

All seine Kraft nur auf das Eine richten,

Bis reif die Frucht, von selbst die Hüllen platzen.

 

Geheimnisvoll st aller Zeugung Walten,

Auch lebenschaffend Bilden, Denken, Dichten

Will heilig Schweigen, nicht vorlautes Schwatzen.

 

 

 

Germania

 

Wie ich um dich im tiefsten Schmerz gerungen,

Vergebens such’ ich dafür nach dem Wort!

Das Rad der Seit rollt unerbittlich fort

In düstrer Zukunft Götterdämmerungen.

 

Den Hoffnungsanker hat die Fluth verschlungen,

Es wankt des Glaubens fester Felsenhort,

Vergebens späht das Auge nach dem Port,

nur noch die Lieb’ ist nicht vom Leid bezwungen.

 

Was soll noch kommen, was kann noch geschehen,

Wie tief muß noch der Wage Schale sinken,

Bis uns erlöst ein göttliches Erbarmen?

 

Wirst, müdes Auge, du den Tag noch sehen,

Der Einheit, Freiheit, Morgenlüste trinken,

Am Sonnenaufgang, du mein Herz, erwarmen?