Julius Hübner                         1866

1806 – 1882

 

Jannuar                                                  Das neue Jahr

 

Verhüllt entsteigt das neue Jahr den Fluten

Des Zeitenstromes aus der Ewigkeit,

Verhüllt in seinem Busen Freud’ und Leid,

Verhüllt die bösen Tage und die guten,

 

Die Lorbeerkränze und die Dornenruthen,

Der künft’ge Friede und der künft’ge Streit,

Des neuen Frühlings Wonneblütenzeit,

Des Winters Frost, des Sommers Sonnengluthen.

 

„O lüstet euch, ihr dunklen Schleierfalten,

Laßt mich voraus ershau’n, was meiner harrt,

Des Jahres Loos sei meinem Blicke klar!“

 

Schweig’, thöricht Herz, laß still die Zeiten walten,

Erfaß’ im Geist die ew’ge Gegenwart,

Und jeder Tag bringt dir ein neues Jahr.

 

 

 

Schöpfungstag

 

Ein holdes Ahnen webet wunderbar

Im Herzen mir in heil’ger Liebesfülle.

So schwebet Gottes geist auf Wasser stille –

Er ruft das Licht, da wird das Dunkel klar.

 

Die Welt erglänzt, mein Herz wird zum Altar,

Erfüllt ruht selig jeder Wunsch und Wille

Und jubelnd bricht aus stummer Sehnsucht Hülle

Ein Hallelujah, meiner Lieder Schaar.

 

Du Ewiger! dir schweben sie entgegen,

Zu dir hinauf zieht sie unendlich Sehnen,

Zu deinem Frieden, deinem ew’gen Licht.

 

Die Kinder fleh’n, gieb Vater deinen Segen,

Und über dieser Erde Glück und Thränen

Laß leuchten uns dein heilig Angesicht!

 

 

 

Wintersaat

 

Noch schlummern sie, die Millionen Keime,

In dunkler Erde ihren Winterschlaf,

bis sie der Frühlingsblick der Sonne traf,

Und sie erwachen aus dem Reich der Träume.

 

So ruht, versenkt in tiefste Herzensräume,

Ein Nest voll Frühlingslieder schon in mir;

Sie klopfen ungeduldig an die Thür,

Daß doch der Lenz nicht allzulange säume.

 

Geduld, ihr lieben Kleinen, nur Geduld!

Still, süßer Zukunftnachtigallenchor!

Wird euch im warmen Herzen schon zu heiß?

 

Traf mich ein Strahl der ew’gen Liebeshuld,

Dann, holde Liederstimmen, klingt empor,

„Der Lenz ist da,“ läg auch noch Schnee und Eis.

 

 

 

Februar                                                  Lebensschlacht

 

Das Leben ist ein tolles Schlachtgetümmel,

Die Hiebe werden rechts und links versetz,

Man wehrt sich tüchtig, fühlt man sich verletzt,

Und Püff’ und Wunden regnet’s wie vom Himmel.

 

Am besten weg kommt stets der gröbste Lümmel,

Der Zahmste wird zuerst zu Tod gehetzt,

Und wer am meisten trifft und andre fetzt,

Der kommt zu Haus auf stolzem Siegerschimmel.

 

Drum immer frisch und tüchtig zugeschlagen,

So kriegt ein Jeder doch sein richtig Theil;

Man nennt’s poetische Gerechtigkeit.

 

Am allerwenigsten hilft Heulen, Klagen;

„Halunke wehr’ dich,“ ist Soldatenheil,

Und morgen schlägt, wer heute ward gebläut.

 

 

 

Der erste Schmetterling

 

Du bist zu früh erwacht! Noch keine Blume

Erhob das Haupt in bunter Frühlingspracht,

Denn noch durchschläft des Winters öde Nacht

Der Lenz auf sel’ger Inseln Heiligthume.

 

Mit ihm kommt Flora, seine schöne Muhme,

Die ersten Kränze bringt sie ihm; erwacht

Und neu belebt von seiner schöpfermacht

Blüht Alles, jauchzt und jubelt seinem Ruhme.

 

Doch sieh, an meinem Fenster Tulpen prangen,

Gezeitigt durch des Gärtners Witz und Kunst,

Die treue Liebe mir zum Feste gab.

 

Sie sollen, Psyche, gastlich dich empfangen,

Aus ihrem Kelche schlürfe Göttergunst,

Und wenn du stirbst sei er dein duftend Grab.

 

 

 

Unverhofft

 

Wie bist du dießmal über Nacht gekommen,

Du süßer, sanfter Frühlingsschöpferhauch!

Des Winters trüber Dunst und Nebelhauch

Hat wieder Abschied für ein Jahr genommen.

 

Nun muß der Sonne Jugendkraft uns frommen,

Hell Hoonungsgrün umschimmert jeden Strauch,

Frühlieb Schneeglöckchen hat nach altem Brauch

Lenzblümchenführerschaft schon übernommen.

 

Im Garten schwatzen laut die muntern Staare

Und suchen sich das altbekannte Nest,

Die Lerche hebt zum Himmel ihren Gang,

 

Beginnt den Psalm zum Auferstehungsfest

Der alten Welt im neuen Sonnenjahre,

Und alles Leben jauchzt und jubelt Dank!

 

 

 

März                                                      Dolce far niente

 

Wenn erst der Kuckuk wieder uns den Lenz ruft,

Des Jahres buntes Blütenreich beginnt,

Befreit vom Eis die Quelle wieder rinnt,

Das Veilchen blüht, die Rose duftet Lenzduft;

 

Dann, Freund, entflieh der schwülen Residenzluft

Und bade dich in Frühlingsthau, ein Kind,

Das froh der dunklen Schule Zwang entrinnt,

Der Städte Moder, Fieberpestilenzduft.

 

Den Waldessängern leihe du dein Ohr,

Der Amsel und dem kecken Finkenschlage,

Der wehmuthweichen Nachtigallenklage.

 

Misch’ auch dein Lied in ihren vollen Chor,

Vergiß beherzt des Lebens Noth und Plage

Und süßes Nichtsthun kröne deine Tage!

 

 

 

April                                                       Preis dem Lenz

 

Auf! glättet frisch aus düst’rer Stirn die Falten,

Schaut wie der Himmel glänzt, die Erde lacht!

Der Frühling naht in voller Blütenpracht,

Laßt Hoffnung neu, laßt neu die Freude walten.

 

Hegt nicht das Eis im Herzen noch, dem kalten,

Wenn jedes Bächlein schon sich frei gemacht

Und Gras und Blumen, lieblich unbedacht,

Die Köpfchen hoch und triumphierend halten.

 

Jauchzt, jubelt laut und singt aus voller Kehle,

Mit allen Himmelssängern Lieb’ und Lust,

Preis sei dem Lenz nach ödem Winterleid!

 

Frei wie die Lerche fliege froh die Seele,

Ein Frühlingslied gen Himmel aus der Brust,

Zu ew’gem Lenz und ew’ger Herrlichkeit.

 

 

 

Taubenpost

 

Kommt ihr zurück, verliebte Turteltauben,

Und sucht im kaum ergrünten Baum das Nest?

Ihr Boten, daß die Sündfluth und verläßt,

Bringt uns den Lenz und Auferstehungsglauben!

 

Girrt Lieb’ um Lieb’ in dunklen Fieberlauben

Und feiert süßer Triebe Wonnezeit!

Weg, kalter Wahn, der mir das Herz gepreßt,

Nichts soll mir mehr das Himmelsfeuer rauben!

 

Wie wallt die Seele neu in junger Wonne,

Der Rührung Thräne perlt im Auge frisch,

Wie hold bist du, o Erd’, im Frühlingskleid!

 

Der Himmel ist’s, die alte gold’ne Sonne,

Die ew’ge Liebe deckt den Gottestisch,

Vergessen und vergeen Haß und Leid!

 

 

 

Schönheit

 

O schönheit, Schönheit, wunderbare Macht,

Der ew’gen Gottheit reinster Liebesstrahl,

Dich such ich sehnend wie den heil’gen Gral,

Und hab’ mein Leben suchend hingebracht.

 

Noch ahn’ ich nur die volle Götterpracht,

Ein Pilger hier im dunkeln Erdenthal,

das doch durch dich schon wie ein Himmelssaal

In tausend jungfräulichen Reizen lacht.

 

In schönen Augen hab’ ich dich gefunden,

In holden Mundes sang und Redefluß,

In Anmuth schwebend leichten Engelgang.

 

Doch immer warst du noch im Raum gebunden,

Gehemmt in Zeitlichkeit dein Vollerguß,

Und immer noch läßt du mich sehnsuchtkrank!

 

 

 

Gottesgabe

 

Wie lange ach! sah ich die Augen nicht,

Die Jugendgluth in meine Seele strahlen,

Die Wangen, die in Morgenroth sich malen,

Den süßen Mund, der schweigend dennoch spricht.

 

Wo weilst du, Schönheit, du des Lebens Licht,

wenn Macht und Weisheit nur vergebens prahlen,

Du, deren Reize mir das Herze stahlen,

Der ew’gen Liebe holdestes Gedicht.

 

Und Täuschung wäre dieser Flammen Glühen,

Die Himmelswonne nur ein leerer Wahn,

Der Sinne Irrthum, Wallung im Geblüt?

 

Wie dank’ ich dir, der mir dies Glück verliehen,

Mit Schöpferkraft den Blick mir aufgethan,

Entzückt zu schauen, wie kein Andrer sieht!

 

 

 

An eine Schöne

 

Wem diese Lippen sich zum Kuß erschließen,

Von süßer Scham erröthend diese Wangen,

wen diese Arme selig einst umfangen

Mehr als der Götter Wonne zu genießen,

 

Kein Leid der Erde kann ihn mehr verdrießen

Darf er an diesem Rosenmunde hangen,

In solchen Herzens sehnendes Verlangen

Des eignen Herzens Fülle ganz ergießen.

 

An dieser Augensterne Feuerflammen

Muß ewig neu sich Liebesglut entzünden

Zu unauslöschlich heil’gem Opferbrande.

 

Wer mag, woher die Himmelsstrahlen stammen

Aus welcher Kraft sie leuchten, je ergründen,

Leitsterne nach der Liebe sel’gem Lande!

 

 

 

Amor

 

Du Himmelskind, unüberwund’ner Held,

Dir sei der höchste Preis der Huldigungen!

Die träge Finsterniß hast du bezwungen

Nur deine Fackel hat das All erhellt.

 

Der Liebe Rosen blüh’n aus wüstem Feld,

Wo du den tödtlich süßen Pfeil geschwungen,

Dein Schöpfergruß löst tausend stumme Zungen,

Und selig jubelt Dank dir alle Welt.

 

Beim Klange ewig reiner Harmonieen

Eint glut und Flut, den Himmel und die Erde

Magnetisch deines Götterfunkens Schlag.

 

Und wie die Zeiten auch vorüberfliehen,

Unendlich herrscht durch dein allmächtig Werde

Allüberall ein ew’ger Schöpfungstag.

 

 

 

August                                                   Gewitter

 

Die Millionen Flüche, die in Blicken,

In stummen Seufzern, bittern Zähren nur,

Geknechtet auf der freien Väter Flur,

Ein Volk in Ketten muß zum Himmel schicken,

 

Sie werden erst zu Wolken sich verdicken,

Verdecken dann des Himmelslichtes Spur,

Bis donnerndes Verheeren niederfuhr

Und Racheblitze auf Tyrannen zücken.

 

Zerschmettert stürzt das Felsenhaupt zu Thal,

Es flammt der Wald, in Asche sinkt das Haus,

Und rasend reißt der Strom den Damm entzwei!

 

Da glänzt durch Wolken hell der Sonne Strahl

Ihr Siegerblick vernichtet Nacht und Graus,

Die Luft ist rein, es hebt die Brust sich frei!

 

 

 

Spätsommer

 

In Scheuren ruht das Korn, der goldne Weizen,

Die Felder liegen still erschöpft und kahl,

Rings dehnt sich Stoppel über Berg und Thal

Und müde ruht die Erde, welk an Reizen.

 

Ihr Alles gab die Mutter ohne Geizen,

All’ ihre Kinder schwelgen froh am Mahl,

Und Menschen, Thier’ und Vögel ohne Zahl

Durch Feld und Wald und Luft und Wasser kreuzen.

 

Die Blüte fiel, von Früchten schwillt der Kranz

Des Jahres und die goldne Traube reift,

Der Götter und der Menschen liebste Frucht.

 

Gedankenschwer belauscht den Horentanz

Des Menschen Geist, und ahnungsvoll ergreift

Den ernsten Sinn der Erdenzeiten Flucht.

 

 

 

Pause

 

Wie lang’ o Muse, bleibst du diesmal fern?

Wie sehn’ ich mich, dich endlich zu erblicken,

Des öden Treibens satt, ans Herz zu drücken

Dich, meiner Seele Morgen-Abendstern.

 

Wie kam’st du sonst so willig oft und gern,

Willst du den Alternden nicht mehr beglücken,

Nicht mehr mein Haupt mit duft’gem Kranze schmücken,

Mir lächelnd weisen aller Weisheit Kern?

 

Du nah’st! Ich fühl’s, der Trennung Zeit ist voll,

Schon klopft mein Herz in Hoherprieserglut,

Der erde Weh weicht sel’ger Himmelslust.

 

So selig rein, entsühnt durch dich, Apoll,

Befreit auf ewig von der Furien Wuth,

Erwacht Orest an seiner Schwester Brust!

 

 

 

Columbus

 

Nach Westen, immer nur nach Westen hin,

Lenk’ ich den Lauf des Kiels bei jedem Winde,

Ob ich das Land der Zukunft endlich finde,

Der heißen Müh’ ersehnten Siegsgewinn.

 

Weit, weit voraus, geflügelt strebt mein Sinn,

Das Aug’ ihm nach, ob es vor Schmerz erblinde,

Bis ich am Nebelhorizont ergründe

Das Diadem der Meereskönigin.

 

Steig’ endlich, Göttin, steige aus den Wogen! –

Täuscht mich mein Sinn, athm’ ich nicht Blütenduft,

Spielt nicht ein Zweig dort an des Schiffes Rand?

 

Ja! diesmal hat mich nicht mein Herz betrogen,

Dort seh’ ich Rauch! vom Mast der Bootsmann ruft,

Gelobt sei Gott! „Land!“ endlich, endlich „Land!“

 

 

 

September                                              Herbstblumen

 

Nur inniger noch ruht mein Auge jetzt

Auf euch, ihr Blumen, die sich leis entfärben,

Die Köpfchen hängen müde schon zum Sterben,

Vom Hauch, der über Stoppel weht, verletzt.

 

Die Thräne, ach, die euren Kelch benetzt,

Sie fließt dem Fluche, den wir alle erben,

Daß noch so hold Erblühtes muß verderben,

Verwesen muß, was uns entzückt, ergötzt.

 

Doch Auferstehung bringt euch jeder Mai,

Wenn wieder Feld und Auen sich begrünen,

Des Winters traurig Todtenreich vorbei.

 

Du unsres Daseins Fessel bricht entzwei,

Wenn Tod und Grab der Erde Schuld entsühnen,

Und neues Leben macht uns ewig frei.

 

 

 

Oktober                                                 Das Wort

 

Als höchste Macht ist uns das Wort gegeben

Und jede andre neben ihm geringe;

Es schafft der Geist im Worte erst die Dinge,

Im Wort empfängt sein Leben erst das Leben.

 

Bis zu der Gottheit darf es sich erheben,

Daß ihm ein unvergänglich Bild gelinge,

Wie es das Höchst’ und Tiefste sag’ und singe

In unbegrenztem schöpferischem Streben.

 

So ist das Wort der Ursprung aller Wesen,

Wie es bei Gott im ersten Anfang war

Und zeugend wirkt es ewig fort und fort.

 

In ihm besteht was wird und was gewesen,

Und alles Sein umhüllt es geistig klar;

Wenn einst die Welt vergeht bleibt doch das Wort.

 

 

 

Nachteulen

 

Nachteulen ihr! so kauzt ihr immer noch

In eurer alten Kirche öden Mauern,

Und mitternächt’ger Todtenklage Trauern

Heult immer noch aus eurem Grabesloch?

 

Die alte Nacht, der Finsternisse Joch,

Ihr ließt sie gerne ganz und immer dauern;

Es naht der Tag in kalten Todesschauern

Euch, Nachtgesindel, das sich scheu verkroch.

 

Er kommt, er kommt! Trotzt eurem Wuthgeheule,

Der ew’ge Lenker aller Tage wacht,

Deß Geistersonne durch die Wolken bricht.

 

Vergebens kreischen Leichenkauz und Eule,

Vergebens kämpft Rom’s Jesuitenmacht,

Es triumphiert das ew’ge Gotteslicht!

 

 

 

November                                              Herbsttage

 

Herbsttage! o wie schließt ihr mild und stille

Des reichen Jahres müden Reigen ab,

Mit Fruchtgewinden schmückt ihr noch das Grab,

Empfangt den Tod in aller Gaben Fülle.

 

Die Sonne kämpft mit Morgennebelhülle

Doch siegend führt den Tag ihr Herrscherstab,

An allen Früchten, die sie reich uns gab,

Erglänzt verklärt der ew’gen Liebe Wille.

 

Ihr Scheidestrahl in sanfter Purpurgluth

Küßt noch die letzten Sommerblumen todt,

Und reift der Traube goldnes Götterblut.

 

Bald, bald verglimmt im tiefen Abendroth

Der holde Zauber dieser Erdenwelt,

Und stiller Nacht gesternter Vorhang fällt.

 

 

 

Das Herz

 

„Was mir am weh’sten jederzeit gethan?“

Wenn ich vergaß mein Herz zuerst zu fragen,

Und wo ichs laut und deutlich hörte schlagen,

Ihm nicht gefolgt aus manchem eitlen Wahn.

 

Ja, werd’ ich einst dem ew’gen Richter nah’n,

An dieser Schuld werd’ ich am schwersten tragen,

Die keine Reue tilgt, kein spätes Klagen,

Und seine Gnade ruf’ ich einzig an.

 

Quell aller Liebe, warmes Menschenherz,

Du großer Thaten, hoher Lieder Quelle,

So eng begrenzt und doch unendlich weit!

 

Du leite mich fortan durch Lust und Schmerz,

Und trage mich auf des Gefühles Welle

Sanft in den Ocean der Ewigkeit.

 

 

 

Traum und Wahrheit

 

Der Morgen graut! Die süßen Träume fliehen,

Durch blut’ge Wolken dringt der erste Strahl

und scheucht die Nebel in das düst’re Thal,

Die bleich wie Schemen hin und wieder ziehen.

 

Erwacht, erwachen auch des Lebens Mühen,

Erfaßt mich Wirklichkeit, der Geister Qual!

Wo bliebst du Traum der Seele, Ideal?

Willst du denn nie dem wachen Tag erblühen?

 

Und schließ’ ich auch die wunden Augen wieder,

Doch schlaf ich nimmer wieder selig ein,

Empfinde doch des Traumes Wonne nicht.

 

Der Morgenfrost durchschüttelt mir die Glieder,

Und bis ins Mark dringt mir durch das Gebein

Der Wahrheit Schwert, das unbarmherz’ge Licht!

 

 

 

Nachruhm

 

„Er hatte keinen Feind!“ ein Leichenstein

Von sehr verdächtig zweifelhaftem Ruhme,

Denn eigentlich heißt’s doch nur durch die Blume:

„Er hatte nicht den Muth, ein Mann zu sein!“

 

Wer Freiheit will, den wird man bald verschrei’n

Herr Vetter rümpft die Nase und Frau Muhme,

Sie wittern schon Verrath am Heiligthume

Von Staat und Kirche, nimmer zu verzeih’n.

 

Nun schwirrt das Heer der gift’gen Eintagsfliegen,

Die mit Millionen stichen dich bekriegen,

Des Tadels Wespen und die Neidhornissen.

 

Wehrst du dich gar, so bist du schon verdammt,

Verlaß dich drauf, stehst du in Brot und Amt,

Man wird mit Hunger dich zu zähmen wissen.

 

 

 

Dezember                                              Andromeda

 

Gefesselt klagt Andromeda am Meere,

Der kühne Perseus, auf dem Flügelroß

Der Poesie, löst ihre Bande los,

Vom Ungethüm befreit, freit er die Hehre.

 

So starrt die Seele trostlos in die Leere,

Und aus dem Zweifelmeere bodenlos,

Sperrt ihren Drachenrachen riesengroß,

Verzweiflung, daß die Arme sie verzehre.

 

Doch siegreich naht der Wahrheit Heldengeist,

Getragen von der Dichtung Adlerschwingen,

Mit Göttermacht das scheusal zu bezwingen.

 

Da wird es hell!  Der kalte Nebel reißt

Und zu der Seele bräutlich hoher Feier

Erklingt von ew’gen Heil Apollon’s Leier.

 

 

 

Tod und Leben

 

Dem Leben ist das Sterben unerläßlich,

Denn was da ist, muß in der Zeit vergehen,

Die Liebe nur bleibt ewiglich bestehen

Und was sie hält, behält sie unvergeßlich.

 

Ihr ist der Tod kein Dämon, wild und gräßlich,

Ein Engel winkt ihr sanft zum Schlafengehen,

Sein Schlummerlied klingt „ewig Wiedersehen!“

Nur wer ihn fürchtet, dem erscheint er häßlich.

 

Das Weizenkorn ruht in der schwarzen Erde,

da sprengt der Keim die bald verweste Hülle,

Und dringt empor zum Lichte, das er sucht.

 

Die Seel’ entsteigt dem Grab zu neuem Werde,

Und wie sie reiste in der Zeiten Fülle,

Bringt sie der Liebe tausendfält’ge Frucht.

 

 

 

Amor Holzträger

Zu einer Zeichnung

 

Auf daß du nie magst über Kälte klagen,

Ob auch vor Frost im Forst die Füchse bellen,

Und läg’ der Schnee im Garten sieben Ellen,

Soll Amor selbst, der Schelm, dir Brennholz tragen.

 

Sieh’ wie er lacht und schlau scheint er zu fragen:

„Braucht ihr noch mehr so hübsche Reisigwellen?

Wie? oder soll ich gar noch Klafterholz bestellen?

Nicht doch! statt holz laß ich die Herzen schlagen!“

 

Nackt patscht er durch den Schnee, in Locken Flocken;

Wie schmilzt das Eis vor seinem Tritt geschwind,

Von seinem Hauch am Fenster Blumen sprießen!

 

das Land durchstreift er auf zerrissnen Socken,

So kommt zu dir das Vagabundenkind,

Von deinem Freund, dem Maler, dich zu grüßen!

 

 

 

Todesbote

 

Ich seh’ ihn öfter jetzt vorübergehen,

An meiner Nachbarn Hütten klopft er an,

Von ew’gen Mächten wird ihm aufgethan

Und Manchen muß ich mit ihm gehen sehen.

 

Bald wird er so vor meiner Thüre stehen,

Weiß ich auch nicht gewiß, wie bald und wann!

Zeit ist es, daß ich ernstlich denke dran,

Bald werd’ auch ich mit ihm von hinnen gehen!

 

Du Herr des Lebens, wirst auch mir ihn senden

Zur rechten Zeit, ich frage weiter nicht,

Mein Leben ruht in deinen Vaterhänden.

 

Erhalte mir nur fest die Zuversicht,

Daß du mich führst durch Todesnacht und Sterben,

Dein ewig Leben, ewig Licht zu erben!