1806 – 1882
Jannuar Licht und Farbe
„Es werde Licht!“ erklang der
Almacht Wort
Wie Donner durch des Weltalls
dunkle Räume;
Und es ward Licht. Scheu
fliehn der Urnacht Träume
Und blendend quillt ein
Lichtstrom fort und fort.
Kein sterblich Aug’ erträgt
die Quelle dort;
Doch um der nächt’gen Wolken
gold’ne Säume
Schlägt lichte Brandung bunte
Wellenschäume,
Und Regenbogen glänzt, des
Friedens Hort.
Lichtdurstig trinkt das Auge Vollgenüge,
Die Schöpfung strahlt verklärt
in Farbentönen,
Ihr heilger Dreiklang hallt
durch die Natur.
Schon ahnt des Menschen Geist
zukünft’ge Siege
Der Engel, die den Erdenstamm
verschönen
Und selig wandeln auf des
Schöpfers Spur.
I.
Tief in dem dunkeln Wald, dem
immergrünen,
Springt eine wunderbare, klare
Quelle,
In Gras und Blumen ruht die
Spiegelwelle,
Zum Bade labend alle, die
erschienen.
Die Jugend steiget aus dem
Bad, an Mienen
Und Antlitz wunderbar
verschönt, zur Stelle,
Die Alten, krumm und lahm aus
düst’rer Zelle,
Geh’n heim vom Bad verjüngt
als kühne Hünen.
Ach, wer den Weg dahin
erkunden könnte,
Im Zauberbronn zu frischen
alte Glieder
Und Jugendkraft und Jugendlust
zu finden!
Ein Sagentraum, dem Wahrheit
nur vergönnte
Die schöne Göttin in dem Reich
der Lieder,
Wo Sehnsucht und Erfüllung
sich verbinden.
II.
Der Brunnen ist’s der Poesie,
der klare,
Dem solche Kraft in heil’ger
Welle lebt,
Daß Schönheit schöner noch
sich ihm enthebt,
Und Häßliches als schön sich
offenbare:
In seinem Rauschen klingt das
Ewigwahre
Mit allem Reiz des Irdischen
verwebt;
Wie hell sein Strahl zum
Himmel aufwärts strebt,
Ruh’n tief im Grunde Räthsel,
wunderbare.
Wer je in seinen Wellen
untertauchte,
Verjüngt für ewig wird er
auferstehen,
Unwandelbar in frischer
Jugendschöne.
Ein neuer Adam, den der Geist
durchhauchte,
Der über Wassern schwebt in
Schöpferwehen,
Im Reich des Worts, der
Formen, Farben, Töne.
Genossen auf! Nach Kolchis
laßt uns steuern,
Hin zu dem wunderbaren
Fabellande!
Orpheus, den Sänger, und dich,
Heldenbande,
Euch lad’ ich ein zu
Götterabenteuern.
hier lastet Alltagleben
tödtlich bleiern,
Dort strahlt das goldne Vließ
vom Zauberstrande,
Den Siegern ew’gen Ruhm,
Besiegten Schande;
Unsterblich wird uns Lied und
Sage feiern.
Dämonisch seh’ ich ferne
Schönheit glänzen,
Und sinnverwirrend
Höllenliebesgluten,
Medea’s dunkelaugig
Götterhaupt!
Ich greife kühn nach blut’gen
Lorberkränzen,
Argo, beseelter Kiel,
durchbrich die Fluten:
Kein Gott gewährt, was eig’ne Kraft
nicht raubt!
Hylas
„O komm herab, du schöner
Griechenknabe,
Sieh, wie sie locken,
dunkelklare Wellen,
Sieh, wie sie brünstig dir
entgegenschwellen,
Sie glüh’n, berührt von Amors
Zauberstabe.
O komm herab, daß frisches Naß
dich labe,
In dämmernd kühles Dunkel aus
dem Hellen,
Wir alle, Nymphen dieser
Felsenquellen,
Wir weihen dir die höchste
Liebesgabe!“
Ein hold Geflecht von
marmorweißen Armen
Legt schmeichelnd kühl sich um
des Knaben Glieder,
Im süßen Traum sinkt er
bezaubert nieder.
Noch einmal rauscht es
kreisend im Krystall,
Die Welle blitzt im
Sonnenstrahl, dem warmen –
Dann Grabesstille, Schweigen
überall.
Februar Schneiderseelen
Altmeister du, der
Menschenleib und Seele,
Als Meisterstück das schöne
Weib erschaffen,
Sie wollen dich verbessern,
schnöde Affen,
Der Nacktheit Zauber gilt für
sie als Fehle!
Daß ja der Schneider gänzlich
sie verhehle
Verlangen eifrig Mönch, Eunuch
und Pfaffen;
Des Teufels schlimmstes
Arsenal und Waffen,
So schelten sie den
Prachtpalast der Seele.
Wenn solches Pack dein Werk, o
Herr, darf schmähen,
So wolltest du’s in Gnaden
selbst erlauben;
Ich denke still dabei an saure
Trauben.
Doch wenn dich Künstler selber
nicht verstehen,
Den frommen Abscheu nicht
einmal verhehlen,
Dann heiß’ ich sie mit Recht
nur „Schneiderseelen!“
O komm doch, Lenz! Dein harren
meine Lieder,
Sie knospen dir entgegen lang’
im Stillen,
Schneeglöckchen, deinem Hauch
sich zu enthüllen,
Doch hält des Winters eis’ge
Hand sie nieder.
Im Traum umwebt mich Duft von
blauem Flieder,
O laß den Traum sich blühend
bald erfüllen,
Sie wie am Strauch die braunen
Knospen quillen,
Komm endlich zu der armen Erde
wieder!
Die Lerche will ich jubelnd
froh begrüßen
Und knieend ihren Engelgruß
empfangen,
Will Gras und Blumen mit den
Augen küssen,
Die laue Luft in meine Arme
schließen
Und selig lachen, Thränen auf
den Wangen:
„Der Lenz ist da, der Winter
ist vergangen!“
Mai Sonnenuntergang
Dort sinkt die Sonne hinter
blauen Höhen
Im Purpur, wie ein
Himmelsfürst und Held,
Mit sanftem Blick steigt sie
vom Himmelszelt
Ins Wolkengrab, nur um zu
auferstehen!
Ihr letzter Strahl verkündet
Wiedersehen,
Und wie sie tiefer in die
Schatten fällt,
Klingt Abendläuten durch die
stille Welt!
So, meine Seele, möchtest du
einst gehen!
Leer ist die Stelle, wo sie
stand, sie sank!
Vollendet ist ihr hehrer
Heldengang;
Es rauscht der Waldstrom tief
im dunklen Grunde,
Die Tannen rauschen ihr
Triumphgesang,
Bewegt vom Odem aus des Ew’gen
Munde,
Und unvergeßlich bleibt mir
diese Stunde!
Nichts will ich mehr, als
dich, o Liebe, singen,
Denn alles Andr’ ist eitel
Tand und Spreu,
Die Liebe nur ist ewig jung
und neu,
Das Höchste kann nur ihr
allein gelingen!
Mein flammend Herz will ich als
Opfer bringen,
Dir ew’ge Liebe und dir ew’ge
Treu!
Von meinem eignen engen Selbst
so frei
Mich in der Liebe reinen
Aether schwingen!
Mich ganz verlieren, um mich
ganz zu finden,
Mir selber sterben, um zu
auferstehen,
Vergehend erst zu finden ewig Leben!
Mag Kraft und Jugend,
Erdenlust verschwinden,
Der Schönheit Traum verwehen,
Ruhm vergehen,
Die Liebe wird mir Alles ewig
geben!
Juni Tristan und Isold
Die Alte hat den Liebestrank
gebraut!
Weh, auf der langen Fahrt im
öden Meere
Erliegen ihres Schicksals
Wonn’ und Schwere,
Tristan und Isold, König
Marke’s Braut.
Sündhafte Minne zeugt das
Zauberkraut;
Was hilft es ob das schwache
Herz sich wehre,
Wenn aller Sinnengluten wilde
Heere
Erfüllung stürmen, ob der
Seele graut?
Unseligstes, weh, Liebender
Geschicke!
Im Busen Hölle, Himmelswonn’
im Blicke,
Wer ist’s, er deine Schauer
singen kann?
Die wilde Glut sengt deiner
Sänger Schwingen,
Sie konnten nicht ihr Lied zu
Ende singen,
Conrad und, den ich kannte,
Immermann!
Verschieden blüh’n die Blumen
aus der Wiese
An Farb’ und Form; in blauer
Himmelsferne,
Verschieden glüh’n an Größ’
und Glanz die Sterne,
Verschieden sind die Menschen
so wie diese,
Von allen Größen zwischen
Zwerg und Riese;
Und wäre jeder auch ein
And’rer gerne,
Es hilft ihm nichts, damit er
gründlich lerne,
Verschiedenheit ist der Natur
Devise.
„Und wozu ist sie denn so
mannigfalt?“
Damit ein jedes seinen Platz
erfülle
Und eigenthümlich brauche Art
und Kraft.
Daß anders sei und lebe Jung
wie Alt,
Mit stets erneuter Kraft in
aller Stille
Ein ander Kleid sich jede Zeit
erschafft!
Juli Geisterturnier
Sei’s denn! Ich trete mit euch in die Schranken,
Ob dreifach edler meines
Wappens Zier!
Kämpft doch der Löwe mit dem
plumpen Stier,
Und mit dem Monde darf der
Mops sich zanken.
Ja, löwenkraft fühl’ ich in
mächt’gen Pranken,
Seh’ ich gerüstet, Schächer,
euch vor mir!
Wohlan, mein Herold ladet zum
Turnier,
Weßt euch mit mir in ewigen
Gedanken!
Habt ihr, wie ich, das All ins
Herz geschlossen,
Vor Lust und Leid ein
Thränenmeer vergossen
Und des Entzückens tiefstes
Weh genossen,
Ist euer Blut ein Wonnestrom
geflossen,
Als euer Herz vom Liebespfeil
durchschossen –
Dann streitet mit mir um des
Lorbeers Sprossen!
August Hochsommer
Schon glänzet Ceres’ voller
Scheitel golden,
Im Purpurmohn und im
Cyanenkranz,
Des Jahres Gipfel weiht der
Horentanz,
Der Holderstrauch schmückt
sich mit Silberdolden.
Die höchsten Sommertage
sind’s, die holden,
Noch nimmt die Sonne zu an
Kraft und Glanz,
Die Farben leuchten strahlend
voll und ganz,
Der Garben Fülle soll den
Schnitter solden.
Des Jünglings Herz in
Liebesglut erglüht,
Wenn er, der Sehnsucht Ziel,
die Jungfrau sieht,
Die purpurschmachtend wie die
Rose blüht!
Die mächt’ge Trieb, der Herz zu
Herzen zieht,
Er wiederholt der Schöpfung
heilig „Werde“
Und gibt ein neu Geschlecht
der alten Erde!
In diesem Sommer, wo es ewig
blitzt,
Nur wenig donnert, aber gar
nicht regnet,
Da ist es Manchem wörtlich
wohl begegnet,
Daß er sich unvermerkt ganz
fortgeschwitzt!
Wer sich im nächsten Herbst
noch selbst besitzt,
Ist ganz gewiß absonderlich
gesegnet!
Ich hoffe nicht, daß Jemand
mir entgegnet,
Wie solch’ ein Schwitzbad
wenig ihm genützt.
Denn nur das Feste, Beste
konnte bleiben,
Und fort ging Alles, was
verdunsten konnte,
Die Quintessenz des Wesens
auszuklären.
So seh’n wir uns im Strom des
Werdens treiben,
Verflüchtigt, was im
Erdenlicht sich sonnte,
Und destilliert Extrakt für
Himmels Sphären!
Wohl, dem sein Glück ein Eigenthum
gewährt
An Grund und Boden, die ihm
sicher bleiben!
Unselig heißt’s unstät umher
zu treiben,
Und eigen Haus und Hof ist
Goldes werth!
Mein Schicksal hat mir nichts
davon bescheert,
Ich werde nie mich
Hausbesitzer schreiben
Und immer nur ein simpler
Miethsmann bleiben,
Nun meinethalb! was hab’ ich
denn entbehrt?
Leicht wie der Vogel fliegt
von Ast zu Ast
Konnt ich mich frei von Ort zu
Ort bewegen,
Die Schwingen frisch durch
Wald und Felder regen.
Ein eigen Haus zu stiller Ruh’
und Rast,
Am letzten Ende werd’ auch ich
es haben,
Das enge Haus, darin sie mich
begraben!
September Süßer Schlaf
Hast mit der Armuth du
getheilt dein Mahl,
Ein thätig Mitleid bleicher
Noth geschenket,
Verirrte auf den rechten Pfad
gelenket,
Gelindert dieser Erde Last und
Qual,
Und hast du auch nur einen
Freudenstrahl
In ein bekümmert Menschenherz
gesenket,
Ja nur ein Thier gefüttert und
getränket –
Schlaf ruhig ein! ein Engel
schwebt zu Thal,
Dir von der w’gen Liebe
zugewendet,
Der süße Rast und sel’gen
Traum dir spendet
Und fröhliches erwachen aus der Nacht!
Wie liebend du der Brüder Leid
ermessen,
Im eignen Glück nicht and’rer
Schmerz vergessen,
So hat die ew’ge Liebe dein
gedacht!
Oktober Dichteramt
Dem Dichter gab die Göttin Poesie
Die Palme und die Geißel in
die Hand,
Zu ihrem Schirmvogt hat sie
ihn ernannt,
Daß unverzagt er ihren Spruch
vollzieh’!
Die Palme reicht er nach des
Kampfes Müh’
Dem edlen Streiter, den die
Welt verkannt,
Die Geißel aber schwingt er
zornentbrannt,
Daß Unrecht straflos bleibe
nun und nie!
Geschichte tritt vor seinen
Stuhl als Kläger
Und zeiht Vergangenheit und
Gegenwart,
Die sein Verdikt verherrlicht
und verdammt.
Er lohnt den Bettler, schont
nicht Kronenträger,
Wie ihm von seiner Herrin
Auftrag ward:
So heilig Richteramt ist
Dichteramt!
Sankt Peter fand den Pfennig
einst im Hecht,
Sonst hatt’ er nichts, den
Zöllner abzulohnen,
Jetzt bringt der Peterspfennig
Millionen,
Dem Papst, der noch sich nennt
der Knechte Knecht!
Sonst stützte Rom sich auf
kanonisch Recht,
Jetzt gilt das Recht gezogener
Kanonen,
Und wo die Liebe einzig sollte
thronen,
Führt Herrschsucht fremde
Söldner ins Gefecht.
Und doch befahl dem Petrus,
wie wir wissen,
Der Herr nur, „daß er seine
Schafe weide,“
Und als er gar vom Eifer hingerissen,
Die Waffe zog „dein Schwert
steck’ in die Scheide!“
Weh’ Sonst und Jetzt! Mag bald
die Zeit nun kommen,
Wo dir, o Papst, das Schwert
wird abgenommen!
November Alter
O bitterste und schwerste Pein
des Lebens,
Wenn uns das Alter schleichend
übermannt,
Das Auge trüb’, unsicher wird
die Hand
Und alle Kraft des Wollens,
ach! vergebens!
So nah’ am Ziele langen,
ernsten Strebens
Erliegt, von unsichtbarer
Macht gebannt,
Der Mensch, der
himmelstürmende Gigant,
Dem schnöden Spotte des sich
Ueberlebens.
Nein, spottet nicht! Beweint
die engen Schranken,
Die jedes Menschengeistes
Kraft gesteckt,
Wenn irgend etwas, ist’s der
Thräne werth!
Und du, gieb, ew’ger Vater der
Gedanken,
Deß Geisteshauch zu Thaten sie
erweckt:
„Nicht bis zur Hefe sei der
Kelch geleert!“
Dezember Glaubens-Resultat
Im Streite waren jüngst zwei
Theologen,
Und heftig ward von beiden
disputiert,
Beweis von Jedem für sein
Recht geführt,
Ganz unumstößlich Schlüsse
draus gezogen.
Und Keiner hat den Andern doch
bewogen
Zum Glauben, den er selber
sich erkürt,
Zuletzt hat man den Streit
damit sistiert,
Daß Jeder schrieb auf einen
weißen Bogen:
„Es giebt nur einen Glauben,
dieser Eine,
Der einzig wahre, christlich
echte, reine,
Das, um es kurz zu sagen, ist
der Meine!
Der Falsche aber, der nur noch
zum Scheine
Sich gläubig stellt und keine
Stütze, keine,
Kein Recht auf Duldung hat,
das ist der Deine!
Kam ein Orkan von Westen her
geschnaubt,
In voller Wuth die Wälder zu
zerfegen,
Zahllose Stämme sind vor ihm
erlegen,
So viele, die man noch
kernfest geglaubt.
Wie manche Krone hat er da
geraubt,
Den Stolzen half kein Ringen
und kein Regen,
Zu Boden liegen sie nun
allerwegen,
Zusammt der Krone nahm er auch
das Haupt.
Von verne hört man noch die
Windsbraut brausen,
Es strotzt der Wald von eitel
Riesenleichen,
Von Birken, Buchen, Tannen,
Königseichen!
Nur Bäume sind’s, doch fühlt
das Herz ein Grausen!
Ihr Kronenträger, laßt euch
wohl bedünken,
Im nächsten Sturm könnt ihr zu
Boden sinken!