Julius Hübner                         1868

1806 – 1882

 

Jannuar                                                  Licht und Farbe

 

„Es werde Licht!“ erklang der Almacht Wort

Wie Donner durch des Weltalls dunkle Räume;

Und es ward Licht. Scheu fliehn der Urnacht Träume

Und blendend quillt ein Lichtstrom fort und fort.

 

Kein sterblich Aug’ erträgt die Quelle dort;

Doch um der nächt’gen Wolken gold’ne Säume

Schlägt lichte Brandung bunte Wellenschäume,

Und Regenbogen glänzt, des Friedens Hort.

 

Lichtdurstig trinkt das Auge Vollgenüge,

Die Schöpfung strahlt verklärt in Farbentönen,

Ihr heilger Dreiklang hallt durch die Natur.

 

Schon ahnt des Menschen Geist zukünft’ge Siege

Der Engel, die den Erdenstamm verschönen

Und selig wandeln auf des Schöpfers Spur.

 

 

Jungbronnen

 

I.

 

Tief in dem dunkeln Wald, dem immergrünen,

Springt eine wunderbare, klare Quelle,

In Gras und Blumen ruht die Spiegelwelle,

Zum Bade labend alle, die erschienen.

 

Die Jugend steiget aus dem Bad, an Mienen

Und Antlitz wunderbar verschönt, zur Stelle,

Die Alten, krumm und lahm aus düst’rer Zelle,

Geh’n heim vom Bad verjüngt als kühne Hünen.

 

Ach, wer den Weg dahin erkunden könnte,

Im Zauberbronn zu frischen alte Glieder

Und Jugendkraft und Jugendlust zu finden!

 

Ein Sagentraum, dem Wahrheit nur vergönnte

Die schöne Göttin in dem Reich der Lieder,

Wo Sehnsucht und Erfüllung sich verbinden.

 

 

 

II.

 

Der Brunnen ist’s der Poesie, der klare,

Dem solche Kraft in heil’ger Welle lebt,

Daß Schönheit schöner noch sich ihm enthebt,

Und Häßliches als schön sich offenbare:

 

In seinem Rauschen klingt das Ewigwahre

Mit allem Reiz des Irdischen verwebt;

Wie hell sein Strahl zum Himmel aufwärts strebt,

Ruh’n tief im Grunde Räthsel, wunderbare.

 

Wer je in seinen Wellen untertauchte,

Verjüngt für ewig wird er auferstehen,

Unwandelbar in frischer Jugendschöne.

 

Ein neuer Adam, den der Geist durchhauchte,

Der über Wassern schwebt in Schöpferwehen,

Im Reich des Worts, der Formen, Farben, Töne.

 

 

 

Jason

 

Genossen auf! Nach Kolchis laßt uns steuern,

Hin zu dem wunderbaren Fabellande!

Orpheus, den Sänger, und dich, Heldenbande,

Euch lad’ ich ein zu Götterabenteuern.

 

hier lastet Alltagleben tödtlich bleiern,

Dort strahlt das goldne Vließ vom Zauberstrande,

Den Siegern ew’gen Ruhm, Besiegten Schande;

Unsterblich wird uns Lied und Sage feiern.

 

Dämonisch seh’ ich ferne Schönheit glänzen,

Und sinnverwirrend Höllenliebesgluten,

Medea’s dunkelaugig Götterhaupt!

 

Ich greife kühn nach blut’gen Lorberkränzen,

Argo, beseelter Kiel, durchbrich die Fluten:

Kein Gott gewährt, was eig’ne Kraft nicht raubt!

 

 

 

Hylas

 

„O komm herab, du schöner Griechenknabe,

Sieh, wie sie locken, dunkelklare Wellen,

Sieh, wie sie brünstig dir entgegenschwellen,

Sie glüh’n, berührt von Amors Zauberstabe.

 

O komm herab, daß frisches Naß dich labe,

In dämmernd kühles Dunkel aus dem Hellen,

Wir alle, Nymphen dieser Felsenquellen,

Wir weihen dir die höchste Liebesgabe!“

 

Ein hold Geflecht von marmorweißen Armen

Legt schmeichelnd kühl sich um des Knaben Glieder,

Im süßen Traum sinkt er bezaubert nieder.

 

Noch einmal rauscht es kreisend im Krystall,

Die Welle blitzt im Sonnenstrahl, dem warmen –

Dann Grabesstille, Schweigen überall.

 

 

 

Februar                                                  Schneiderseelen

 

Altmeister du, der Menschenleib und Seele,

Als Meisterstück das schöne Weib erschaffen,

Sie wollen dich verbessern, schnöde Affen,

Der Nacktheit Zauber gilt für sie als Fehle!

 

Daß ja der Schneider gänzlich sie verhehle

Verlangen eifrig Mönch, Eunuch und Pfaffen;

Des Teufels schlimmstes Arsenal und Waffen,

So schelten sie den Prachtpalast der Seele.

 

Wenn solches Pack dein Werk, o Herr, darf schmähen,

So wolltest du’s in Gnaden selbst erlauben;

Ich denke still dabei an saure Trauben.

 

Doch wenn dich Künstler selber nicht verstehen,

Den frommen Abscheu nicht einmal verhehlen,

Dann heiß’ ich sie mit Recht nur „Schneiderseelen!“

 

 

 

Ungeduld

 

O komm doch, Lenz! Dein harren meine Lieder,

Sie knospen dir entgegen lang’ im Stillen,

Schneeglöckchen, deinem Hauch sich zu enthüllen,

Doch hält des Winters eis’ge Hand sie nieder.

 

Im Traum umwebt mich Duft von blauem Flieder,

O laß den Traum sich blühend bald erfüllen,

Sie wie am Strauch die braunen Knospen quillen,

Komm endlich zu der armen Erde wieder!

 

Die Lerche will ich jubelnd froh begrüßen

Und knieend ihren Engelgruß empfangen,

Will Gras und Blumen mit den Augen küssen,

 

Die laue Luft in meine Arme schließen

Und selig lachen, Thränen auf den Wangen:

„Der Lenz ist da, der Winter ist vergangen!“

 

 

 

Mai                                                        Sonnenuntergang

 

Dort sinkt die Sonne hinter blauen Höhen

Im Purpur, wie ein Himmelsfürst und Held,

Mit sanftem Blick steigt sie vom Himmelszelt

Ins Wolkengrab, nur um zu auferstehen!

 

Ihr letzter Strahl verkündet Wiedersehen,

Und wie sie tiefer in die Schatten fällt,

Klingt Abendläuten durch die stille Welt!

So, meine Seele, möchtest du einst gehen!

 

Leer ist die Stelle, wo sie stand, sie sank!

Vollendet ist ihr hehrer Heldengang;

Es rauscht der Waldstrom tief im dunklen Grunde,

 

Die Tannen rauschen ihr Triumphgesang,

Bewegt vom Odem aus des Ew’gen Munde,

Und unvergeßlich bleibt mir diese Stunde!

 

 

 

Einzig Thema

 

Nichts will ich mehr, als dich, o Liebe, singen,

Denn alles Andr’ ist eitel Tand und Spreu,

Die Liebe nur ist ewig jung und neu,

Das Höchste kann nur ihr allein gelingen!

 

Mein flammend Herz will ich als Opfer bringen,

Dir ew’ge Liebe und dir ew’ge Treu!

Von meinem eignen engen Selbst so frei

Mich in der Liebe reinen Aether schwingen!

 

Mich ganz verlieren, um mich ganz zu finden,

Mir selber sterben, um zu auferstehen,

Vergehend erst zu finden ewig Leben!

 

Mag Kraft und Jugend, Erdenlust verschwinden,

Der Schönheit Traum verwehen, Ruhm vergehen,

Die Liebe wird mir Alles ewig geben!

 

 

 

Juni                                                        Tristan und Isold

 

Die Alte hat den Liebestrank gebraut!

Weh, auf der langen Fahrt im öden Meere

Erliegen ihres Schicksals Wonn’ und Schwere,

Tristan und Isold, König Marke’s Braut.

 

Sündhafte Minne zeugt das Zauberkraut;

Was hilft es ob das schwache Herz sich wehre,

Wenn aller Sinnengluten wilde Heere

Erfüllung stürmen, ob der Seele graut?

 

Unseligstes, weh, Liebender Geschicke!

Im Busen Hölle, Himmelswonn’ im Blicke,

Wer ist’s, er deine Schauer singen kann?

 

Die wilde Glut sengt deiner Sänger Schwingen,

Sie konnten nicht ihr Lied zu Ende singen,

Conrad und, den ich kannte, Immermann!

 

 

 

Verschieden

 

Verschieden blüh’n die Blumen aus der Wiese

An Farb’ und Form; in blauer Himmelsferne,

Verschieden glüh’n an Größ’ und Glanz die Sterne,

Verschieden sind die Menschen so wie diese,

 

Von allen Größen zwischen Zwerg und Riese;

Und wäre jeder auch ein And’rer gerne,

Es hilft ihm nichts, damit er gründlich lerne,

Verschiedenheit ist der Natur Devise.

 

„Und wozu ist sie denn so mannigfalt?“

Damit ein jedes seinen Platz erfülle

Und eigenthümlich brauche Art und Kraft.

 

Daß anders sei und lebe Jung wie Alt,

Mit stets erneuter Kraft in aller Stille

Ein ander Kleid sich jede Zeit erschafft!

 

 

 

Juli                                                         Geisterturnier

 

Sei’s denn!  Ich trete mit euch in die Schranken,

Ob dreifach edler meines Wappens Zier!

Kämpft doch der Löwe mit dem plumpen Stier,

Und mit dem Monde darf der Mops sich zanken.

 

Ja, löwenkraft fühl’ ich in mächt’gen Pranken,

Seh’ ich gerüstet, Schächer, euch vor mir!

Wohlan, mein Herold ladet zum Turnier,

Weßt euch mit mir in ewigen Gedanken!

 

Habt ihr, wie ich, das All ins Herz geschlossen,

Vor Lust und Leid ein Thränenmeer vergossen

Und des Entzückens tiefstes Weh genossen,

 

Ist euer Blut ein Wonnestrom geflossen,

Als euer Herz vom Liebespfeil durchschossen –

Dann streitet mit mir um des Lorbeers Sprossen!

 

 

 

August                                                   Hochsommer

 

Schon glänzet Ceres’ voller Scheitel golden,

Im Purpurmohn und im Cyanenkranz,

Des Jahres Gipfel weiht der Horentanz,

Der Holderstrauch schmückt sich mit Silberdolden.

 

Die höchsten Sommertage sind’s, die holden,

Noch nimmt die Sonne zu an Kraft und Glanz,

Die Farben leuchten strahlend voll und ganz,

Der Garben Fülle soll den Schnitter solden.

 

Des Jünglings Herz in Liebesglut erglüht,

Wenn er, der Sehnsucht Ziel, die Jungfrau sieht,

Die purpurschmachtend wie die Rose blüht!

 

Die mächt’ge Trieb, der Herz zu Herzen zieht,

Er wiederholt der Schöpfung heilig „Werde“

Und gibt ein neu Geschlecht der alten Erde!

 

 

 

Spiritus

 

In diesem Sommer, wo es ewig blitzt,

Nur wenig donnert, aber gar nicht regnet,

Da ist es Manchem wörtlich wohl begegnet,

Daß er sich unvermerkt ganz fortgeschwitzt!

 

Wer sich im nächsten Herbst noch selbst besitzt,

Ist ganz gewiß absonderlich gesegnet!

Ich hoffe nicht, daß Jemand mir entgegnet,

Wie solch’ ein Schwitzbad wenig ihm genützt.

 

Denn nur das Feste, Beste konnte bleiben,

Und fort ging Alles, was verdunsten konnte,

Die Quintessenz des Wesens auszuklären.

 

So seh’n wir uns im Strom des Werdens treiben,

Verflüchtigt, was im Erdenlicht sich sonnte,

Und destilliert Extrakt für Himmels Sphären!

 

 

 

Eigen Haus

 

Wohl, dem sein Glück ein Eigenthum gewährt

An Grund und Boden, die ihm sicher bleiben!

Unselig heißt’s unstät umher zu treiben,

Und eigen Haus und Hof ist Goldes werth!

 

Mein Schicksal hat mir nichts davon bescheert,

Ich werde nie mich Hausbesitzer schreiben

Und immer nur ein simpler Miethsmann bleiben,

Nun meinethalb! was hab’ ich denn entbehrt?

 

Leicht wie der Vogel fliegt von Ast zu Ast

Konnt ich mich frei von Ort zu Ort bewegen,

Die Schwingen frisch durch Wald und Felder regen.

 

Ein eigen Haus zu stiller Ruh’ und Rast,

Am letzten Ende werd’ auch ich es haben,

Das enge Haus, darin sie mich begraben!

 

 

 

September                                              Süßer Schlaf

 

Hast mit der Armuth du getheilt dein Mahl,

Ein thätig Mitleid bleicher Noth geschenket,

Verirrte auf den rechten Pfad gelenket,

Gelindert dieser Erde Last und Qual,

 

Und hast du auch nur einen Freudenstrahl

In ein bekümmert Menschenherz gesenket,

Ja nur ein Thier gefüttert und getränket –

Schlaf ruhig ein! ein Engel schwebt zu Thal,

 

Dir von der w’gen Liebe zugewendet,

Der süße Rast und sel’gen Traum dir spendet

 Und fröhliches erwachen aus der Nacht!

 

Wie liebend du der Brüder Leid ermessen,

Im eignen Glück nicht and’rer Schmerz vergessen,

So hat die ew’ge Liebe dein gedacht!

 

 

 

Oktober                                                 Dichteramt

 

Dem Dichter gab die Göttin Poesie

Die Palme und die Geißel in die Hand,

Zu ihrem Schirmvogt hat sie ihn ernannt,

Daß unverzagt er ihren Spruch vollzieh’!

 

Die Palme reicht er nach des Kampfes Müh’

Dem edlen Streiter, den die Welt verkannt,

Die Geißel aber schwingt er zornentbrannt,

Daß Unrecht straflos bleibe nun und nie!

 

Geschichte tritt vor seinen Stuhl als Kläger

Und zeiht Vergangenheit und Gegenwart,

Die sein Verdikt verherrlicht und verdammt.

 

Er lohnt den Bettler, schont nicht Kronenträger,

Wie ihm von seiner Herrin Auftrag ward:

So heilig Richteramt ist Dichteramt!

 

 

 

Sonst und jetzt

 

Sankt Peter fand den Pfennig einst im Hecht,

Sonst hatt’ er nichts, den Zöllner abzulohnen,

Jetzt bringt der Peterspfennig Millionen,

Dem Papst, der noch sich nennt der Knechte Knecht!

 

Sonst stützte Rom sich auf kanonisch Recht,

Jetzt gilt das Recht gezogener Kanonen,

Und wo die Liebe einzig sollte thronen,

Führt Herrschsucht fremde Söldner ins Gefecht.

 

Und doch befahl dem Petrus, wie wir wissen,

Der Herr nur, „daß er seine Schafe weide,“

Und als er gar  vom Eifer hingerissen,

 

Die Waffe zog „dein Schwert steck’ in die Scheide!“

Weh’ Sonst und Jetzt! Mag bald die Zeit nun kommen,

Wo dir, o Papst, das Schwert wird abgenommen! 

 

 

 

November                                              Alter

 

O bitterste und schwerste Pein des Lebens,

Wenn uns das Alter schleichend übermannt,

Das Auge trüb’, unsicher wird die Hand

Und alle Kraft des Wollens, ach! vergebens!

 

So nah’ am Ziele langen, ernsten Strebens

Erliegt, von unsichtbarer Macht gebannt,

Der Mensch, der himmelstürmende Gigant,

Dem schnöden Spotte des sich Ueberlebens.

 

Nein, spottet nicht! Beweint die engen Schranken,

Die jedes Menschengeistes Kraft gesteckt,

Wenn irgend etwas, ist’s der Thräne werth!

 

Und du, gieb, ew’ger Vater der Gedanken,

Deß Geisteshauch zu Thaten sie erweckt:

„Nicht bis zur Hefe sei der Kelch geleert!“

 

 

 

Dezember                                              Glaubens-Resultat

 

Im Streite waren jüngst zwei Theologen,

Und heftig ward von beiden disputiert,

Beweis von Jedem für sein Recht geführt,

Ganz unumstößlich Schlüsse draus gezogen.

 

Und Keiner hat den Andern doch bewogen

Zum Glauben, den er selber sich erkürt,

Zuletzt hat man den Streit damit sistiert,

Daß Jeder schrieb auf einen weißen Bogen:

 

„Es giebt nur einen Glauben, dieser Eine,

Der einzig wahre, christlich echte, reine,

Das, um es kurz zu sagen, ist der Meine!

 

Der Falsche aber, der nur noch zum Scheine

Sich gläubig stellt und keine Stütze, keine,

Kein Recht auf Duldung hat, das ist der Deine!

 

 

 

Orkan

 

Kam ein Orkan von Westen her geschnaubt,

In voller Wuth die Wälder zu zerfegen,

Zahllose Stämme sind vor ihm erlegen,

So viele, die man noch kernfest geglaubt.

 

Wie manche Krone hat er da geraubt,

Den Stolzen half kein Ringen und kein Regen,

Zu Boden liegen sie nun allerwegen,

Zusammt der Krone nahm er auch das Haupt.

 

Von verne hört man noch die Windsbraut brausen,

Es strotzt der Wald von eitel Riesenleichen,

Von Birken, Buchen, Tannen, Königseichen!

 

Nur Bäume sind’s, doch fühlt das Herz ein Grausen!

Ihr Kronenträger, laßt euch wohl bedünken,

Im nächsten Sturm könnt ihr zu Boden sinken!