Julius Hübner                         1869

1806 – 1882

 

Jannuar                                                  Hoher Schwung

 

Hinauf! Und schöpf’ im Fluge frischen Odem,

Laß deiner Seele Sehnsucht freien Lauf!

Zu deines Gottes Himmel schwebe auf,

Er gab dir Flügel und du kriechst am Boden?

 

Hinab die Feigheit zu den Antipoden,

Es nimmt die Kraft das Wagnis in den Kauf,

Dem Ziel entgegen, muthig dran und drauf,

Laß hinter dir des Thales dumpfen Brodem!

 

Wo goldne Sterne Himmelskräfte hauchen,

Im reinsten Aether bade deinen Geist,

Kühn, wie ein Adler, schau’ ins Licht der Sonne!

 

Und was du schaues, was du ahnst und weißt,

Sollst du verklärt in wort und Farbe tauchen,

Der Dichtung und der Wahrheit heil’ge Wonne

 

 

 

Sündenfall

 

Zur schönen Eva sprach die bunte Schlange:

„Wie hold du bist! Nun wirst du auch so weise,

Wenn du gekostet von der Götterspeise,

Die nur der Neid verwehrte dir so lange.

 

Iß nur getrost davon und sei nicht bange,

was fürchtest du dich vor dem Gottesgreise?

Du wirst wie Er!“ so lockt sie sanft und leise,

Daß sie mit List die Unschuldreine fange.

 

Schon wirkt das Gift. Wie glühen Eva’s Wangen!

Nachdem der verbotnen Frucht wächst ihr Verlangen:

„Komm, adam, iß, sieh’ wie sie golden prangen!“

 

Freund Adam schaudert erst erschreckt zurück,

Doch von dem schönen Weib ein Bitteblick –

Da beißt er an! Wem war’s nicht so gegangen?

 

 

 

Vertreibung

 

Doch war der süße Apfel kaum verschlungen,

Da überfällt sie beide ängstlich Grauen,

Und sie erschrecken, daß sie nackt sich schauen,

Von Schuld und Scham zum erstenmal durchdrungen.

 

der Schlange Schmeichelworte sind verklungen;

Die Sonne sinkt am Himmelsdom dem blauen,

Und Abendschatten leise niederthauen,

Die Sünder flieh’n in tiefe Dämmerungen.

 

Aus Eden weisen sie des Herren Worte

Und ewig wehrt der Cherub seine Pforte.

Hinausgestoßen in des Lebens Noth

 

Verfällt der Mensch der Sünde und dem Tod.

Zur Schlange aber sprach der Herr: „Zum Lohn

Zertritt dir einst den Kopf des Weibes Sohn!“

 

 

 

 

 

Frau Sorge

Nach dem Talmud

 

Als Adam war und eva nun vertrieben

Vom Cherub aus dem schönen Edengarten,

Da saß am Thor, sie draußen zu erwarten,

Verhüllt ein weib; im Talmud steht’s geschrieben.

 

Das Weib ging mit, und treu ist sie geblieben

Den Beiden auf dem Lebensweg, dem harten,

Im Kampf mit all den tausend Widerparten

Ein ungebet’ner Gast, den sie nicht lieben.

 

Im Schlaf nur fühlten sie sich noch geborgen,

Im holden Traume einzig ihr entfloh’n;

Doch schwand die Nacht, so sah der nächste Morgen

 

Das dunkle Weib gebückt am Herde schon.

Frau Sorge ist’s, die alle Menschen erben

Vom ersten Paar und hegen bis sie sie sterben.

 

 

 

Ganymed

 

Noch auf des Ida sonnig hellen Höhen

Die Herde weidet Ganymed, der Knabe,

Und wie er reizend lehnt am Hirtenstabe,

Des Berges Nymphen süß entzückt ihn sehen.

 

Da rauschet nah’ gewaltger Schwingen Wehen,

In mächt’gen Fängen fühlt er sich gehoben,

Zeus’ Adler trägt ihn sänftiglich nach oben,

Hinauf, wo aller Götter Throne stehen.

 

Am höchsten Throne läßt er sanft ihn nieder,

Zeus selbst empfängt den Mundschenk lächelnd mild

Und schaut bewundernd auf die schönen Glieder.

 

Sieh’, Hebe winkt dem lieblichen Genossen

Und reicht ihm den Pokal; o reizend Bild,

Wie holden Bund Schönheit und Jugend schlossen!

 

 

 

Der Kranz

 

Bleich scheint der Mond; ein Jüngling liegt im Nachen

und singt, das Haupt bekränzt mit buntem Kranze;

sein Kahn schießt pfeilschnell in der Wellen Tanze,

Die Ruder liegen müßig da, die flachen.

 

Er höret nicht des Kataraktes Krachen,

Er sieht die Felsen nicht im Mondenglanze,

Traumselig sinkt der Augenlider Franze,

Süß schläft er ein, um nimmer zu erwachen.

 

Schon donnert nahe der Caskade Brausen,

Im Traum umhaucht ihn kühl ein wonnig Grausen,

Da packen ihn gewaltig Riesenwogen –

 

Und unbewußt wird er hinabgezogen!

Tief unten weit im Thal, an stiller Stelle,

Spült sanft ans Ufer einen Kranz die Welle.

 

 

 

April                                                       Freiheitshauch

 

Wir wissen nicht, wenn wir ihn hören brausen,

Woher er kommt, der Sturm, wohin er geht!

Frei, wie der ew’ge Gottesodem weht,

Soll er von Pol zu Pol erfrischend sausen!

 

Ihn hemmen nicht der Alpen feste Klausen,

Sie, deren Stirn in kalter Majestät,

Von Sternenkronen bleich umschlungen steht,

An deren Fuß die winz’gen Menschlein hausen.

 

Da haucht der Lenz, sein Odem löst in Thränen

Das starre Eis der hohen Firnen auf,

Es schmilzt und strömt ein unaufhaltsam Sehnen

 

In jedes Baches neubelebten Lauf;

Die Wiese trinkt, der Wald will auferstehen,

Es fühlt der Mensch des Gottesodem’s Wehen.

 

 

 

Ostermorgen

 

Zieht aus ihr Erdensorgen Nachtgedanken!

Du Angst und Noth, du bittre Qual und Pein,

Ihr Herzenskümmernisse, groß und klein,

Du Zagen, Kranken, hin und wieder Schwanken!

 

Zieh’ ein du Gottesglaube ohne Wanken,

Du feste Himmelszuversicht zieh ein!

Geh’ auf, du heller Ostersonnenschein,

Steig’ aus den Nebeln, die zu Boden sanken!

 

Erwach’ o Seele, wie dein Heiland heut,

Zieh’ an das reine, weiße Himmelskleid,

Zur Auferstehung auf der Erde Gruft!

 

Sieh’ über dir die ew’ge Herrlichkeit,

Entgegen weht dir Paradiesesluft,

Der ew’gen Liebe stimme, horch, sie ruft!

 

 

 

Mai                                                        Lenzfülle

 

Tief in die Blüten will ich mich begraben,

Ins grünste Dunkel junger Büsche dringen,

Will wie die Nachtigall nur singen, singen,

Nur Lieder jauchzend meine Seele laben.

 

Und von der Wonnefülle deiner Gaben

Soll mir ein Echo-Lenz im Herzen klingen,

Aus frischen Quellen soll die Liebe springen,

Vergessen sei der Winter und begraben.

 

Die Weisheit dieser Welt will ich verlachen,

Geheimniß ew’ger Liebe dich ergründen,

Im reinen Blau des Aethers rein mich baden.

 

Zu ew’ger Seligkeit will ich erwachen,

Den ew’gen Frieden aller Welt verkünden,

Zur Auferstehung alle Seelen laden!

 

 

 

Frühlingseile

 

O Frühling, Frühling, mußt du denn so eilen?

Muß all die Pracht in einer Nacht entsteh’n?

Nicht Augen hab’ ich ja genug zu seh’n,

Nicht Zeit bei jedem Grashalm zu verweilen!

 

Kann so viel Wonne sich denn nicht vertheilen,

Muß ich im Blütenmeere untergeh’n,

In deinem sanften Wehen selbst verweh’n,

Mein Herz von allem Winterweh zu heilen?

 

Und noch sind tausens Augen nicht erwacht,

Mit jedem Tag wächst deiner Wunder Pracht,

Mit jeder bräutlich süßen Liebesnacht.

 

Lenzselig muß ich jauchzen, weinen, klagen,

Muß jedes Blatt und jede Blüte fragen,

Herz, kannst du so viel Seligkeit ertragen?

 

 

 

 

Der schlafende Amor

 

„Wie süß er schläft! Nur sacht, ihr Mädchen, sacht!

Nehmt euch in Acht, den Herzensdieb zu wecken!

Wie reizend ruht er unter Rosenhecken –

Ob er auch schläft? Ich fürchte fast, er wacht!

 

Die Schelmenaugen halb nur zugemacht,

Blinzt er verstohlen heimlich durch die Decken,

Gleich springt er auf, euch neckend zu erschrecken,

Dann husch! davon, auf schnelle Flucht bedacht!“

 

Doch nein, er schläft! Sie deürfen näher gehen,

Und schleichen leise, leise auf den Zehen,

Dem schönen Knaben in’s Gesicht zu sehen.

 

Die jüngste Psyche bückt sich arglos nieder –

Rasch schlingt sein Arm sich um die zarten Glieder,

Die Schwestern flieh’n – und Psyche kommt nicht wieder!

 

 

 

Vorbei

 

Noch blüht die Rose nicht, noch ist es Mai,

Der holde Lenz regiert noch allerwegen,

Was sinnst du denn dem Herbste schon entgegen,

Mein Herz, und seufzest nur: Es ist vorbei!

 

„Vorbei“ klingt dir der Sänger Melodei,

„Vorbei“ schluchzt dir der Bach, weint still der Regen,

Rauscht dir, wenn seine Kronen sich bewegen,

Der Wald die feierliche Litanei.

 

Verwesung haucht geheim durch Blumendüfte,

Die müde Seele flattert über Grüfte,

Ihr banger Flügelschlag sucht rein’re Lüfte

 

Nun kann der Erdenlenz dich nicht mehr rühren,

Dein ewig Heil sollst du, o Herz, erküren,

Ein bleicher Engel kommt dich zu entführen!

 

 

 

Juni                                                        Unermessen Leid

 

Das Leid, das ich um deine Seele leide,

Um dein unsterblich Theil der bittre Schmerz,

Wie so viel tiefer treffen sie mein Herz,

Bei solcher Himmelsschönheit Augenweide!

 

Ach, wenn die Seel’ in solchem Engelkleide

Erliegt des höllischen Verführers List,

Daß sie des Götterursprungs selbst vergißt,

Weit besser wär’s, daß sie vom Leben scheide!

 

Ja, wenn der Blitz die Lilie zerschmettert,

Ein Himmelssturm die junge Ros’ entblättert,

Sie leben ewig doch im Lied vergöttert!

 

Doch wenn der gift’ge Wurm den Kelch durchfressen,

Die Krone welkt – o Jammer unermessen!

Herz, wenn du kannst, versuch es, zu vergessen!

 

 

 

Juli                                                         Unbestand

 

Die Sonne steigt empor! Der Erdenwahn

Fällt, wie die gift’gen Nebel niedersinken,

Die Seele jauchzt, die reine Lust zu trinken,

Unschuldbeschwingte Gottgedanken nah’n!

 

Und heller wird der ew’gen Liebe Plan,

Der Gottesweisheit weicht das eitle Dünken,

Von fern die ew’gen Seligkeiten winken,

Die Gnade hebt den Sünder himmelan!

 

Und jede Fiber strebt empor, hinauf!

Für dieser welt Sirenenlieder taub,

Zum Himmel will die müde Seele ziehen!

 

Da wacht das wilde Thier im Menschen auf,

Und lechzt nach Luft und brüllt nach Fraß und Raub,

Unreine Geister nah’n, die Engel fliehen!

 

 

 

September                                              Goethe’s Hand im Gypsabguß

An C. G. Carus.

 

Das ist die Hand, die uns den Faust geschrieben,

In Flammenzügen ein Titanenbild!

Des Herzens Lust und Leid uns zart enthüllt

Im Egmont und in seines Clärchen Lieben.

 

Die uns im Götz mit frischen Freiheitstrieben

Noch immer neu das deutsche Herz erfüllt,

Die Iphigenia’s Heimweh groß gestillt,

Wenn Tasso’s Wähnen unerfüllt geblieben.

 

O wunderbar gegliedertes Gebilde!

Des Menschen ganz ausschließlich Eigenthum,

Der Geistesoffenbarung Mittlerin!

 

Mehr als des Helden Hand mit Speer und Schilde,

Schufst mit der Feder du des Dichters Ruhm

Und seinem Volke ew’gen Hochgewinn!

 

 

 

Reich der Freiheit

 

Ihr Glücklichen! die ihr die Zeit erlebt,

Wenn in der Friedensengel holdem Reigen,

Die Freiheit wird vom Himmel niedersteigen,

Daß sie die Erde auf zum Himmel hebt!

 

Dann wird der Menschengeist, auf Neu’ belebt,

Deß sanftem Wort sich alle Kräfte neigen,

Der Erde niegeseh’ne Wunder zeigen,

Von Macht und Schönheit königlich umschwebt!

 

Der Liebe Band umschlingt die Nationen,

Was nie gelang, gelingt vereinter Kraft

Der Geister, welche freie Völker leiten!

 

Ihr Diadem sind einzig Lorbeerkronen,

Und jeder Segen, den die Weisheit schafft,

Strahlt Licht und Wärme auf die fernsten Zeiten.

 

 

 

Schmeichelhauch

 

Dir biet’ ich Wang’ und Brust, geheimes Weben

Des sanften Wehens, das durch Büsche dringt

Und Blumenduft von blüh’nder Wiese bringt,

Wo sich die Halme neigen dir und heben.

 

Du Schmeichelhauch! du zehrst an meinem Leben,

So wie der Sonne Strahl das Bächlein trinkt,

Der glitzernd auf der Welle Säumen blinkt,

Und leises Grauen fühl’ ich mich durchbeben.

 

Du küßest sanft den Odem mir vom Munde,

Und wie die Flamme still den Stoff verzehrt,

Verzehrt dein Hauch mein Leben Stund’ um Stunde!

 

Bald hast du mich ins Reich des All’s verklärt,

Befreist vom Erdstoff, der mich noch beschwert,

Schweb’ ich empor mit dir vom Erdenrunde!

 

 

 

Oktober                                                 Politisch Lied

 

„Politisch Lied, pfui, ein abscheulich Lied!“

So heißt’s noch immer, ob die Zeit auch trüber,

Der Völker Pulsschlag kündet heißes Fieber

Und dumpf der Donner grollt in West und Süd!

 

Kann sein, daß And’res besser mir gerieth,

Ich sänge selbst von lenz und Liebe lieber,

Doch weß das Herz voll, geh’n die Lippen über,

Der Dichter ist der Zeitgedanken Schmied.

 

Wohl wähn’ ich nicht zu bessern diese Zeiten,

Nicht die Propheten hatten dazu Macht,

Doch ahnt mein Lied des Geistes Vorwärtsschreiten!

 

Die Lerche hat uns nicht den Lenz gebracht,

Es bringt der Lenz die Lerchen immer wieder

Und vor ihm her schon schmettern ihre Lieder!

 

 

 

An den Papst

 

Du forderst uns zu deiner großen Heerde,

Verlor’ne Schafe, die sich schlimm verirrt!

Bist du denn wohl des Herren rechter Hirt,

Giebst du dein Leben hin in der Gefährde?

 

Weißt du von deiner Christenheit Beschwerde,

Wie unerträglich ihr die Sklavensatzung wird,

Wie von der Jesuitenkett’ umklirrt,

Die Menschheit seufzt nach einem neuen Werde!

 

Gieb auf die eitle Krone dieser Welt,

Befrei die Deinen von dem Joch der Pfaffen,

Und von dem Wahne, den du selbst geschaffen!

 

Dann, wenn wir deine Kirche erst beneiden,

Dann nah’n wir wohl von selbst zu deinem Zelt,

Dann magst du die geeinte Heerde weiden!

 

 

 

Kein Pfaffenthum

 

Frei will die Seele auf zum Himmel schweben,

Vom Quell der ew’gen Liebe angezogen,

Aus dem sie ewig Leben eingesogen,

Und Geist und Gnade ihre Schwingen heben!

 

Nicht vor der Hölle Strafen soll sie beben,

Denn von der Hand des Ewigen gewogen,

Der nicht zerbricht das Rohr, geknickt, gebogen,

Winkt ihr ein neues ew’ges Liebeleben.

 

Der milde Heiland, höchster Demuth Bild,

Er will mit ihr sich vor den Richter stellen,

Er, der sich Zöllner, Sünder auserwählt!

 

Nicht euch, ihr Pfaffen, mit dem Heuchlerschild,

Die ihr euch mästet von des Himmels Zöllen,

Nur bitt’res Hassen sät und Liebe stehlt!

 

 

 

Auf der Warte

 

Des Lebens Rosengärten, die verblühten,

du hast sie längst schon hinter dir gelassen,

In der Erinn’rung Dämmerschein erblassen,

Die Freuden, die einst lebensfrisch erglühten.

 

Was wirklich war, entkörpert sich zu Mythen,

Die wechselnd bunte Nebelbilder fassen;

Still wird’s, seit schon so viele dich verlassen,

Die sonst mit dir sich freuten und sich müh’ten,

 

Der Zukunft Räthsel tritt dir nah und näher,

Die Gegenwart schrumpft immer enger ein,

Bald wird dein Erdensein vergangen sein.

 

Auf deiner Warte stehst du, Vorwärtsspäher,

Im Herzen kämpft geheimes Grau’n und Wonne:

„Geh’ auf, geh’ auf, des ew’gen Tages Sonne!“

 

 

 

Dezember                                              Himmel und Hölle

 

So wahr wie Tod, ist Himmel auch und Hölle

Des Guten und des Bösen sich’rer Lohn;

Nicht erst bei der Gerichtsposaune Ton,

Nicht außer dir, in dir ist ihre Stelle.

 

Tief in dem eignen Herzen quillt die Quelle

Von Engelsfrieden oder Teufelshohn,

Steht unerschütterlich des Richters Thron,

Fließt allbarmherz’ger Gnade Lethewelle.

 

Denn ew’ger Liebe Allmacht will erlösen

Dich nur im Heiligthume deiner Seele,

Dich nur durch dich erretten von dem Bösen.

 

Frei mußt du selbst zum ew’gen Licht dich wenden,

Soll es dir seiner Klarheit Frieden spenden,

Die du bereust, verlöschen deine Fehle!

 

 

 

Kerker

 

O Seele mein, von Ewigkeit erkoren,

Durch höchster Allmacht wunderbares Walten,

Zu suchen bis zu deines Leib’s Erkalten,

Den sel’gen Himmel, den du, ach, verloren!

 

Wie wohl ein Adler, auf dem Fels geboren,

Den sich ein Fürst im Käfig lang gehalten,

Sich sehnt die Schwingen einmal zu entfalten,

Das Gitter schlägt, das gegen ihn verschworen!

 

Und doch ist diese Erde reich und schön,

Wenn schon des Leibes Fessel uns bedrängt

Und unsern Geist in trübe Nebel bannt.

 

So stark ist Sehnsucht nach dem Wiedersehn

In unsres Herzens tiefsten Grund gesenkt,

Wie den Verbannten nach dem Vaterland.

 

 

 

Zu spät

 

Wie oft erfüllte dich ein heilig Weben

Und du bliebst auf dem Lotterbette liegen,

Du konntest deine Trägheit nicht besiegen,

Und nanntest das recht schön ein maßvoll Streben!

 

Und doch wozu war dir die Kraft gegeben?

Du solltest reden und du hast geschwiegen,

Du bist gekrochen und du solltest fliegen –

Jetzt ist die Zeit vorbei! Aus ist dein Leben!

 

Da stehen sie, die Kläger, am Gerichte

Der unerbittlichen Gerechtigkeit,

Wie grauenvolle Mitternachtsgesichte!

 

Auf deinem Scheitel sträuben sich die Haare,

Zu spät! zu spät! „O Herr, Barmherzigkeit!“

Noch heute liegst du auf der Todtenbahre!

 

 

 

Warum?

 

So nah, mein Herz, des Himmels Herrlichkeit,

So nahe deines Herren ew’ger Freuden,

Was drückt dich der Gedanke denn, zu scheiden,

Was faßt dich denn so tief ein schmerzlich Leid?

 

O warum bist du denn nicht froh bereit,

Sies enge, bange Erdenthal zu meiden,

Zu tauschen dieses Lebens Lust und Leiden,

Mit unaussprechlich reiner Seligkeit?

 

Wach’ auf, du träumst! Es naht der ew’ge Morgen,

Schon blitzt die Sonne an des Himmels Rand

Und scheu entfliehn die schweren Erdensorgen.

 

Schon wachsen dir die Schwingen, die dich heben,

Die Seele bricht des Leibes morsches Band,

Wach’ auf, o Herz, zu einem neuen Leben!

 

 

 

Geheimniß des Todes

 

Ich muß allein die düst’re Scene spielen,

Und wollt’ ich auch mein Innres offenbaren,

Das Tiefste würde keiner doch gewahren,

Denn was ich fühle, kann kein Andrer fühlen.

 

Am treu’sten Herzen möcht’ ich meines kühlen,

Verklärt mich schau’n im Freundesblick, dem klaren,

Doch was ich selbst nur einmal darf erfahren,

Nur in der eignen Seele fühl’ ich’s wühlen.

 

So tief Geheimniß birgt ein jedes Leben,

Denn seine Wurzeln ruhn im nächt’gen Grunde,

Und bis zur Hölle reichen sie hinab.

 

Frei will der Geist sich los vom Staube heben,

Des Daseins Preis ist Kampf um jede Stunde

Und die Erfüllung bringt uns nur das Grab!

 

 

 

Scheiden und Neiden

 

Die ihr voll Hoffnung blüht im Jugendlenze,

Ich blühte einst wie ihr im Maienglanze!

Die ihr bewundert tragt des Ruhmes Kränze,

Ich jagte auch nach eurem eitlen Kranze!

 

Die ihr erreicht des Lebens letzte Grenze

Und Jahr um Jahre schaut im Horentanze,

Ich neid’ euch nicht, und was da gleiß’ und glänze,

Ich schlag’ es Alles willig in die Schanze.

 

Fahrt wohl ihr Träume, Schäume, gold’nes Scheinen,

Ich kann euch scheidend neiden nicht und weinen,

In Einem einzig nur steht fest mein Meinen:

 

„Das Herz, was mehr geliebt, als meines, neid’ ich,

An diesem einen Leide einzig leid’ ich,

Mit diesem einen Neide einzig scheid’ ich!“

 

 

 

Das Eine

 

Allmächtiger, den laut die Schöpfung preist,

Gott, den wir sehen und doch nicht verstehen,

Nichts will ich mehr von deiner Huld erflehen,

Als nur das Eine: Gieb uns deinen Geist!

 

Du, den mein Herz in Jesu Vater heißt,

Laß, wie die Zeiten kommen und vergehen,

Und wir mit ihnen wachsen und verwehen,

Uns nur das Eine: deinen heil’gen Geist!

 

Sonst buhlt’ ich wohl um Glanz und Ruhm und Ehre,

Doch nun ich alt bin, sieh’ o Herr, ich kehre

Wie der verlor’ne Sohn zu dir zurück.

 

Nun kenn’ ich nur ein allereinzig Glück:

Wenn dieses Lebens morscher Faden reißt,

Nimm, Herr in Frieden meinen müden Geist!