Julius Hübner                         1870

1806 – 1882

 

Jannuar                                                  Israel

                                                               Nach dem Talmud

 

Als Moses durch das rothe Meer gezogen

Und Israel hindurchgeführet war,

Ertrunken aber der Aegypter Schaar,

Wie Gott der Herr geboten Wind und Wogen,

 

Und alles Volk, die Kniee fromm gebogen,

Am Strand in Demuth pries Jehovah’s Macht,

Der ihnen Rettung vor dem Feint gebracht,

Kam auch der Engel Schaar herbeigeflogen.

 

Triumphgesang erscholl aus ihrem Munde:

„Heil Israel, verdammt sei Pharao,

Israel’s Feinden geh’ es allen so!“

 

„Schweigt,“ sprach der Herr, „sind sie nicht meine Kinder,

So gut wie Israel, nicht mehr noch minder,

Die dort ertrunken ruh’n im Meeresgrunde?“

 

 

 

April                                                       Frühlingsandacht

 

In tiefer Andacht wall’ ich durch die Auen,

Denn Millionen Wunder, Knospenhüllen,

Entfalten sich zur Blütenpracht im Stillen

Und Gottesthaten muß ich rings erschauen.

 

Die Vögel seh’ ich ihre Nester bauen,

In Liedern preisen ew’ger Weisheit Willen,

Mit Lobgesang und süßem Klang erfüllen,

Den Himmelsdom, den hochgewölbten, blauen.

 

Und unbewußt muß ich die Hände falten,

Die Zeit steht still und wird zu Ewigkeiten,

Wie mich durchbebt ein unaussprechlich sehnen.

 

Ich sehe klar der ew’gen Liebe Walten,

In mir, um mich, des Himmels Seligkeiten

Und Worte hab’ ich nicht, nur heiße Thränen!

 

 

 

Sulamith

 

Wer ist, die da heraufsteigt aus der Wüste

Und lehnt ihr schönes Haupt an ihren Freund?

Ach, endlich hat die Liebe sie vereint,

Wie war sie sehnsuchtskrank, bis er sie küßte.

 

Wie klang ihr Gang, wenn sie den Morgen grüßte,

Von Thränen schwer, die sie zu Nacht geweint;

Ach, ob es dunkelt, ob die Sonne scheint,

Wo weilt er, sang sie, ach, wenn ich es wüßte!

 

Heil Sulamith! Sie hat den Freund gefunden,

An seinem Herzen muß ihr Herz gesunden,

Es heilt sein Kuß der Liebe Rosenwunden.

 

Süß ist die Liebe, süßer als der Wein,

Und gold’ner, als der Sonne gold’ner Schein!

„Mein Freund ist mein, ist mein und ich bin sein!“

 

 

 

Mai                                                        Vielleicht

 

Vielleicht ist es das allerletzte Mal,

Daß ich euch seh’, ihr holden Blumen, blühen,

Dich, Rose, Königin, im Purpur glühen,

Euch Millionen Blüten ohne Zahl!

 

Vielleicht so bald, du schönes Erdenthal,

Bald, wie dein Frühling, werd’ ich dir entfliehen,

Mit seinen Sängern nach der Heimath ziehen,

In einer ew’gen Sonne warmen Strahl!

 

Doch wohin immer mich die Flügel heben,

Zu unaussprechlich hoher Seligkeit,

Dein denk ich, Erdenlenz, im ew’gen Leben!

 

Mit heilig unauslöschlich tiefen Trieben,

Bleibt deine wundervolle Erdenzeit

Von ew’ger Liebe mir ins Herz geschrieben!

 

 

 

Juni                                                        Küssen und Wissen

 

Ich soll mit dir von hohen Dingen sprechen,

Du süße kleine Einfalt, wie mit Andern?

Wie Sonne, Mond und Erd’ und Sterne wandern,

Statt küssen, Silben zierlich mit dir stechen?

 

Laß die Gelehrten sich den Kopf zerbrechen,

Ob höher waren Rom’s, ob Troja’s Mauern,

Wie lange noch die liebe Welt mag dauern,

Ob Veilchen besser, oder Rosen röchen!

 

Das Küssen, o Geliebte, sollst du wissen,

Das Höchste ist’s, was Menschen ward gegeben,

Ganz hingegeben, wecken neues Leben!

 

Laß ihnen alles Wissen, laß uns küssen!

Das Wissen muß im Schauen einst vergehen,

Die Liebe, Liebe, ewig bleibt bestehen!

 

 

 

Oktober                                                 Concil

 

Die ihr am neu’sten Thurm zu Babel baut,

Gegründet auf der Herrschsucht Höllengrund,

Der heil’ge Geist thut sich durch euch nicht kund,

Der Wahrheit Geist, vor dem euch allen graut!

 

Schon wird die Sprachverwirrung mählig laut,

Es bricht der Teufelslist und Dummheit Bund,

Gestiftet durch der Jesuiten Mund,

Daß Jeder deutlich Gottes Finger schaut.

 

Fährt auch der Herr nicht nieder mehr in Wettern,

Den Bau des Hochmuths blitzend zu zerschmettern,

Vor seines Geistes Hauche wird er fallen!

 

Das Gotteswort wohnt nicht mehr in Concilen,

Frei strebt die Menschheit zu den ew’gen Zielen,

Frei will sie zu dem Quell der Wahrheit wallen!

 

 

 

Protestanten

 

Ihr Protestanten! auf und protestiert,

Daß man es bis im Vatikane höre,

Der Tyrannei zu wehren, greift zur Wehre,

Für Geisterfreiheit sei der Streit geführt.

 

Ihr Reformirten! auf und reformirt,

Tilgt Menschensatzung aus der Gotteslehre,

der ew’gen Wahrheit sei allein die Ehre,

Hinweg mit Allem, was den Geist verführt!

 

So seid unirt in rechter Union,

Daß Einer treulich für den Andern stehe,

Und wir den Feind vereint und kräftig fassen.

 

Dann ist der Sieg des Kampfes sich’rer Lohn,

Gott kämpft mit uns aus seines Himmels Höhe,

Denn Er verläßt nur die, die Ihn verlassen!

 

 

 

An die Spanier

 

Ihr Spanier! als ihr euch frei gemacht,

Wie jauchzten unsre Herzen euch entgegen!

So lange frecher Tyrannei erlegen,

Sah’n wir euch nun entfesselt über Nacht.

 

Die Freiheit habt ihr rasch zu Stand gebracht,

Nun seid ihr um das Regiment verlegen,

Um euren Thron zankt Feder sich mit Degen

Und eurer alten Schergen Tücke wacht.

 

Zu lange, Brüder, fügt ihr euch der Schmach!

Lauft nicht gesalbten Häuptern bettelnd nach,

Erfüllet fei, was eure That versprach!

 

Ihr habt Monarchen doch genug gesehen,

Mich dünkt, ihr fühlt noch heut davon die Wehen;

Regiert euch selbst, es kann nicht schlechter gehen!

 

 

 

Finis Poloniae

 

„Finis Poloniae,“ das bittre Wort!

Der große Pole hat es ausgesprochen,

Als von des Russen Lanze er durchstochen,

Und über Leichen schritt der Sieger fort.

 

Seitdem ist hin der Freiheit goldner Hort,

Des Polenvolkes Heldenkraft gebrochen;

Die Tyrannei hat leichtes Unterjochen

Und an der Sprache selber übt die Mord.

 

Jetzt streitet ihr um den Orakelspruch,

Und ob Kosciusko sprach den Schicksalsfluch?

Weh’, mag er ihn auch nie gesprochen haben,

 

In diamant’ne Felsen eingegraben

Hat ihn ein Dämon, den kein Name nennt!

Verlöscht den Spruch, verlöscht ihn, wenn ihr könnt!

 

 

 

Letztes Ziel

Nach Byron’s Briefen

 

Wozu noch Krieg? Wenn nicht fürs höchste Gut,

Für Bürgerfreiheit an dem eignen Herde!

Was düngt ihr noch mit Blut die reine Erde

Für eitler Herrscherlaunen Frevelmuth!

 

Weh! wenn das Schwert nicht in der Scheide ruht,

Nur daß die Welt noch mehr geknechtet werde;

Den Herren halft ihr wieder auf die Pferde,

Jetzt schmeckt ihr selbst, wie Sporn und Peitsche thut.

 

Hinweg mit allem, was die Menschheit stört

Zu wallen nach der heil’gen Freiheit Ziel!

Brecht morsche Dämme, Fluthen stolz empört!

 

Was kümmern sich die Völker weiter viel

Um Büttel und gesalbte Kerkermeister –

Es reift die Welt zur Republik der Geister!

 

 

 

Dezember                                              Sankt Joseph

 

Mir ist, wie einst Sankt Joseph’s durres Reis

In einer Nacht zu blühen angefangen,

In einem Lenz die Seele aufgegangen,

Daß ich noch heut woher und wie nicht weiß!

 

Und wie der sanfte, demuthvolle Greis

Die reinste Jungfrau hat zum Lohn empfangen,

Küßt mir die Muse ewig jung die Wangen

Und von den Lippen wallt der Gnade Preis!

 

Wie er bestimmt, das ew’ge Wort zu pflegen,

Vom heil’gen Geist empfangen wunderbar,

Der Gottheit allerhöchsten Liebessegen;

 

So muß ich hold im tiefsten Herzen hegen,

Der Liebe Gottgeheimnis wunderklar,

Der Welt verkünden auf allen Wegen!

 

 

 

Eigene Wahrheit

 

Was geht mich denn nur eure Wahrheit an!

Ich trage meine eig’ne tief im Herzen,

Errungen unter tausend bittern Schmerzen,

Sie tief, daß ich sie nie verlieren kann!

 

Ich weiß, was wissen sollte jeder Mann,

Daß Falsches doch nicht gänzlich auszumerzen,

Das Hohes sich verbirgt in Kinderscherzen

Und daß die Wahrheit nicht erst heut begann.

 

So laßt uns denn gemüthlich Frieden schließen,

Bleibt bei der euren, laßt mich bei der meinen,

Genug hat Jeder einzig an der Seinen.

 

Die volle Wahrheit wohnt nur bei dem Einen,

Kein Menschengeist vermag sie zu umschließen,

Mag’s auch die Weisen dieser Welt verdrießen!

 

 

 

Schnitter und Sämann

 

Durchs Erntefeld hin geht der Schnitter Tod,

Die Sense schwirrt, die schwachen Halme sinken,

Zu seiner Rechten nieder und zu seiner Linken,

Er mäht vom Morgen- bis zum Abendroth.

 

Er mäht zu Nacht und nimmer hat er Noth,

Zu stärken sich durch Essen oder Trinken,

Er mäht bei Mondschein und bei Sternenblinken

Nach des allmächt’gen Ernteherrn Gebot.

 

Doch hinter ihm schon schimmert grün das Land

Und neues Leben dringt durch Modergraus,

In frischem Trieb verjüngt sich Mutter Erde.

 

Ein Sämann sät mit nimmermüder Hand,

Wie jener mäht, den neuen Samen aus,

Und ohne Ende wechselt „Stirb und Werde!“

 

 

 

An die Meinen

 

Verwelkt ein Halm im Gras, was will das sagen!

und fällt ein Blatt vom Baum, wer merkt darauf!

Das ist der ew’gen Weltgesetze Lauf,

Von Anbeginn bis heut zu unsern Tagen.

 

Und ihr, ihr wollet meinen Tod beklagen?

Was bin ich anders denn, als Blatt und Gras,

Und was ich bess’res hab’, als dies und das,

Die Seele wird doch nicht zu grab getragen?

 

Sie lebt in meinen Werken zeugend fort,

In euren Herzen als mein Angedenken,

Und an des Lichtes ew’gem Urquell, dort!

 

So laßt uns frei dem Tod entgegengehen,

Die Blicke aufwärts zu dem Jenseit lenken,

Wo dunkles Ahnen wird zu klarem Sehen!

 

 

 

Jahresschluß

 

Die letzten Stufen poltert dumpf hinunter,

Zum dunklen Abgrund der Urewigkeit,

Das alte Jahr; das neue ist bereit

Und reibt sich schon vom Schlaf die Augen munter.

 

Nun färbt des Horizontes Saum sich bunter,

Die Neujahrssonne streckt die strahlen weit,

Fühlhörnergleich, in die Unendlichkeit

Und steigt bergauf, so lang’ sank sie bergunter!

 

Die Lerche singt des Zukunftreichs Idee

Als hellen Sangesgruß dem nahen Morgen,

Der Freiheit schmetternd Lied in Himmelshöh’!

 

Die Hoffnung zeigt ihr lachend Angesicht,

Verscheucht ins Dunkel tief die Eulensorgen,

Und hoch von oben klingt: „Es werde Licht!“

 

 

 

Gebet

Für das Vaterland

 

Ach, daß ich tausend, tausend Zungen hätte,

Und jede Zung’ ein schneidig schmetternd Schwert,

Ein Blitz, der nieder feurig wetternd fährt,

Zu sprengen, Deutschland, deine letzte Kette!

 

Du riefst uns, Gott, von unserm Todtenbette,

Du machtest uns der hohen Ahnen werth,

Du hast in jeder Schlacht uns Sieg gewährt,

Mach’ uns im Frieden, Herr, nicht zum Gespötte!

 

Daß nie die alte Zwietracht wiederkehre,

Und nicht durch freche Diplomatenlist

Verkümmert sei des deutschen Blutes Preis!

 

Daß mit des frischen Lorbeer’s Ruhm und Ehre,

Geeint der Oelzweig sei für ew’ge Frist

Der alten Kaiser-Eiche jungem Reis!

 

 

 

Deutsches Reich

Schlußstein

 

Nun werde wahr, du reichstes aller Reiche!

Das nur als Traum im deutschen Herzen lebt,

Bis frei und groß zu gottes Himmel strebt,

Die neuverjüngte deutsche Kaisereiche.

 

Wo ist ein Volk, das dann sich dir vergleiche,

Das höher, als dein stolzer Flug sich hebt,

Kühn, wie dein Aar, zum ew’gen Lichte schwebt,

Germania, du Ehrenkronenreiche!

 

Mein deutsches Volk! du herrlichstes von Allen,

Sieh’ deiner Einheit altes Banner wallen,

Und deiner Feinde Tücke wird zu Spott!

 

Zu wagen gilt’s! Nicht zagen nur und hoffen,

Dem Tapfern steh’n des Sieges Thore offen,

Sei einig, groß und frei! dich führt dein Gott!