1806 – 1882 aus
„Helldunkel“
Juni Liebesbrunnen
Zu
einer Zeichnung des Giorgione
Im Wald an einem kühlen
Bronnen saßen
Drei hold umarmte traute
Liebespaare,
Zusammen flossen braun’ und
blonde Haare,
Wie sie in süßem Traum der
Welt vergaßen.
Einsam allein stand Eine nur,
verlassen,
Das Antlitz tief gesenkt, das
sonst so klare,
Und Thränen fielen aus dem
Augenpaare,
Den sie geliebt, sie kann ihn
noch nicht hassen!
Sie drückt das Herz, ach, an
den kalten Stamm,
Der Thränenweide, die im Quell
sich spiegelt,
Wo blieb Er, der es sonst so
warm umstrickt?
Weh’ arme Seele,
Liebesopferlamm,
Hast du vergessen, Amor ist
geflügelt,
Auf und davon! hat er dich erst
berückt!
Im dunklen Haine einsam klagt
die Schöne,
Ihr trauter Ritter weilt in
weiter Ferne,
Vergebens suchen ihn der Augen
Sterne,
Vergebens rufen ihn der Laute
Töne.
Beneidenswerthester der
Erdensöhne,
Den sie an ihrem Herzen säh’
so gerne,
Welch Schicksal hält vom
höchsten Glück dich ferne,
Lockt dich umsonst die
lieblichste Sirene?
Horch, wie die liebeskranke
Nachtigall
Den Hain erfüllt mit weichen
Wonneklagen,
Die selbst der Liebe Leid
entzückt vergolden!
Giorgone, Zaub’rer! aus
vergang’nen Tagen
Nachklingt in deinem Bild ein
Widerhall
Von Liebeszauberträumen,
wunderholden!
September Zions Klage
O bleibt und seht, die ihr
vorübergeht,
Ist wo ein Jammer größer, als der
meine?
Ich seufze Tag und Nacht und
heul’ und weine,
Und Keiner ist, der bei mir
stille steht!
Die ihr vorübergeht, o bleibt
und seht,
Seht meiner Kinder bleichende
Gebeine;
Sie ließen mir von Allen nicht
das eine,
Das Neugeborne, wie ich auch
gefleht!
Vernichte mich, o Herr, was
soll ich leben,
Zertritt mich ganz, was
achtest du den Wurm,
Erfüll’ dein Wort, gieß aus
den vollen Zorn!
Du hast den Heiden mich ja
übergeben,
Dein Tempel sank vor ihrer
Speere Sturm,
Versiegt auf ewig ist dein
Gnadenborn.
Ich sah mein Volk erschlagen
und gefangen!
Ich sah, o Herr, dein
furchtbar Strafgericht;
Erloschen, Zion, deines Heiles
Licht,
Gebrochen deines Tempels
stolzes Prangen.
Ihr Thränenströme furcht die
alten Wangen,
Mein Herr, mein Gott, warum
erblind ich nicht?
Das ich nicht sähe, was das
Herz mir bricht:
Die Herrlichkeit von Israel
vergangen.
Wie liegt die Stadt so öde nun
und wüst,
Die einst des Höchsten
auserwählte Braut,
Auf ihren leeren Gassen ruht
das Trauern.
Kein Brautlied mehr den
Abendstern begrüßt,
Nur Wölfe schleichen, wenn der
Morgen graut,
Und Eulen klagen in
verfall’nen Mauern!
Wie ist, o Herr, dein
Heiligthum geschändet,
Die Säulen, die so stolz und
schön gereiht,
Zerbrochen, und die Steine
weit verstreut,
Seit deine Gnade sich von uns
gewendet.
Ach, Israel! dein Reich, es
hat geendet,
So groß noch gestern, und
vernichtet heut,
Dem Tode ist dein ganzes Volk
geweiht,
Von seiner schweren Missethat
verblendet.
Die Fürsten sind gehenkt, die
Helden todt,
Gefangen die noch übrig sind
von Allen,
Und die Erschlagnen liegen
unbegraben.
Ja, unsre Sünde stürzt uns so
in Noth,
Thut Buße, lasset laut die
Klage schallen:
O wehe, daß wir so gesündigt
haben!
Gedenk, o Herr, wie ich so
ganz verlassen,
Mit Galle und mit Wermuth bin
getränkt,
Denn meine Seele ist zum Tod
gekränkt,
Ich bin ein Spott den Heiden,
die mich hassen.
O laß mich neue Hoffnung zu
dir fassen,
Den Strahl, den du mir in das
Herz gesenkt!
Ja, meine Seele sagt mir, es
gedenkt
Der Herr zu bauen neu die öden
Gassen.
Denn deine Güte ist es doch
und Treu’,
Die uns erhält, daß wir nicht
gar vergehen,
Dein Vaterauge stehet ruhig
offen!
Ja deine Gnad’ ist jeden
Morgen neu,
Weit über unser Wissen und
Verstehen,
Du bist mein Theil, auf dich,
Herr, will ich hoffen!
Ach, an den Wasserbächen
Babylon,
Da saßen wir und weinten unser
Leiden,
Und hingen unsre Harfen an die
Weiden,
Verstummt, wie lange unsrer Lieder
Ton!
Jerusalem! und dein vergäß’
ich schon,
Stadt meiner Väter, die ich
nun muß meiden?
Nein, nimmermehr, müßt’ ich
auch von dir scheiden,
Du Gottesbraut, jetzt deiner
Feinde Hohn!
„Auf, singe uns von Zion doch
ein Lied!“
So spotten sie, die Heiden,
die uns hassen,
Und weiden sich an unserm
bittern Gram.
Herr, dessen Auge unsern
Jammer sieht,
Jehovah, wenn dein Zorn uns
Alles nahm,
Willst du uns denn auf ewig
ganz verlassen!