Martin Greif                          Auf ein Bildnis Shakespears

(Hermann Frey)

1839 – 1911                                        Wie er, der Große, irdisch war gestaltet,

Dem in der Menschenbrust geheimes Leben

Ein rätseltiefer Einblick war gegeben,

Das glauben wir in diesem Bild entfaltet.

 

Doch sei’s, daß Zufall oder Plan gewaltet,

Dem es gelang, in selbstvergess’nem Streben

Dem Traume gleich, Gestalten zu verweben,

Er straft die Deutung, die zu sicher schaltet.

 

Wohl läßt der Stirne königlicher Hügel

Als Thron sich deuten schaffender Gedanken,

Die trug von Pol zu Pol der Ahnung Flügel –

 

Die Züge sonst in edler Schwermut kranken,

Dagegen von des Auges klarem Spiegel

Erkenntnis ausstrahlt, rein und ohne Schranken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Martin Greif                          Mexikos schwimmende Inseln

(Hermann Frey)

1839 – 1911                                        Chinampas treiben hin im Spiel der Wellen,

In Blumen prangend, grüne Lustgefilde,

Der Menschenhand entstiegen als Gebilde,

Die neben der Natur sich üppig schwellen.

 

Einst saßen Pflanzer drauf, sie zu bestellen,

Als Mexiko verheert der Krieg, der wilde,

Dem Hunger wehrten sie mit goldnem Schilde,

Jetzt scheinen sie des Überflusses Quellen.

 

Jetzt schwärmt, verdeckt vom Blütenbaldachine,

Sobald des Frührots erste Schimmer tagen,

Auf ew’gen Rosenteppichen die Biene.

 

Und nachts ertönt zu süßen Liebesklagen

Die eingeweihte Brust der Mandoline,

Daß See und Ufer kaum zu atmen wagen.

 

 

 

 

 

Martin Greif                          Leo von Klenze

(Hermann Frey)

1839 – 1911                                        Als sich sein Geist im letzten Hauch entschwungen

Der ird’schen Bahn, daß er zum Licht entwalle,

Geschah, was staunend wir vernommen alle,

Da das Gerücht davon zu uns gedrungen:

 

Wo sich auf freier Kuppe, waldumschlungen,

Am Strand der Donau hebt die Marmorhalle,

War jene Nacht mit donnermäß’gem Schalle

Das Flügeltor, das eh’rne, aufgesprungen.

 

Die Wächter konnten sich den Fall nicht deuten,

Doch ahnen sie ein ungemein Geschehen,

Bis sich begann die Kunde zu verbreiten.

 

Da mochten sie das Zeichen wohl verstehen:

Die Helden, die das Vaterland befreiten,

Erkürten ihn, bei ihnen einzugehen.

 

 

 

 

 

Martin Greif                          An Sophie Schröders Grab

(Hermann Frey)

1839 – 1911                                        Wie du geblüht in deiner Jugend Tagen,

Den Lorbeer um dein reiches Haupt geschlungen,

Den du in hundert Siegen dir errungen,

So strahlt dein Bild, wo du zu Grab getragen.

 

An deinem Hügel wird man niemals fragen,

wer drinnen ruht. Du hast den Tod bezwungen

Durch Ruhm, der fort erklingt in allen Zungen

Zu allen Herzen, die noch künftig schlagen.

 

O Bildnerin vollendeter Gestalt,

Daß heut ein goldner Zweig dir niederglitte

Auf deine Stirn’, die hehr uns immer galt,

 

Statt daß dir einer naht mit zagem Schritte,

Der dir zur Gruft bescheiden nachgewallt

Als Unbekannter in Berühmter Mitte.

 

 

 

 

Martin Greif                          Raffaels Madonnen

(Hermann Frey)

1839 – 1911                                        Das erste Glück, das alle wir genossen

Im holden Stand der unschuldvollen Triebe,

Das Lächeln und den Blick der Mutterliebe,

Ihm lag es vor der Seele aufgeschlossen.

 

Und Bild ward ihm, was uns als Traum zerflossen:

Erinnrung an dies Alter ohne Trübe,

Die, daß sie Macht auf andre Herzen übe,

In Wunderfülle seiner Hand entsprossen.

 

So hat er unerschöpflich neugestaltet

Das Freundlichste, das je Gestalt gewonnen,

Und sein Gefühl an sanfter Glut entfaltet.

 

Wie uns die eine Sonne wächst zu Sonnen,

Da Tag für Tag sie neu erschaffen waltet,

So schenkte uns die Mutter die Madonnen.