Johann Diederich Gries            Sei was du willst

1775 – 1842

Sei was du willst, auf dieser Welt gewesen:

Ein Kind der Phantasie, ein Sohn der Erde;

Starbst du als Held, erlagst du der Beschwerde,

Unfähig, dich vom eignen Fluch zu lösen:

 

Von allem Zufall bist du nun genesen;

Nur Ew’ges blieb. Ein schöpferisches Werde

Gab dir Gestalt und himmlische Gebärde

Und unveränderliches Sein dem Wesen.

 

Ein hoher Genius ruft aus deinem Grabe

Dich neu hervor; er schwebet dir zur Seiten,

Du mußt durch ihn Unsterblichkeit erwerben.

 

So stehst du da, durch seine Göttergabe

Ein ewiges Gesetz für alle Zeiten:

Wer liebt wie du, muß leiden so und sterben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Johann Diederich Gries            Sie sollte mir ein Andenken geben -

1775 – 1842                                        Die letzte Stunde war’s von schönen Jahren –

Nimm eine Rose dir aus meinen Haaren!

Sie sprach’s; der Ton wird ewig mich umschweben.

 

Vor Wonne fühlt ich meine Hand erbeben,

Und lange wählt ich in den bunten Scharen

Und konnte doch die schönste nicht gewahen;

Der schönste Reiz schien jede zu umweben.

 

O zürne nicht, du Königin der Rosen!

Daß ich gewagt, von Thron dich zu vertreiben,

Der über alle Schwestern dich erhöhet.

 

Der Blüte Reiz verweht wie Zephirs Kosen.

Wärst du gewelkt, sie hätte dich verschmähet;

Mir wirst du, auch verblüht, die schönste bleiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Johann Diederich Gries            An Goethe

1775 – 1842                                        zum 28. August 1820

 

Wenn heilsa ist, nur, was man kann, zu wollen,

Wie Leonardos tiefe Wort’ uns lehrten,

So hätte, wer zu Euch, dem Hochverehrten,

Im Namen vieler spricht, wohl schweigen sollen.

 

Jedoch es ist der Ruf an uns erschollen,

Und weigern läßt sich nicht, was sie begehrten,

Die für das höchste Sollen heut erklärten,

Dem Himmel Dank, Verehrung Euch zu zollen.

 

Wir sahn, geschützt von diesen alten Mauern,

Die Throne stürzen und erneu’n; der frommen

Vorfahren Bau blieb unerschüttert stehen.

 

Und hier, so lang als diese Steine dauern,

Wird Enkels Enkel noch den Tag begehen,

An welchem Deutschlands hellste Sonn entglommen.

 

 

 

 

 

 

Johann Diederich Gries           

1775 – 1842

Aus Wolken neigt ein holdes Bild sich nieder,

Wenn früh im Ost Aurorens Strahlen blinken;

Und wenn der Sonne letzte Schimmer sinken,

Seh ichs im Duft der Abendröte wieder.

 

Und schwingt die Nacht ihr trauriges Gefieder,

Dann seh ich’s leis im Mondenschimmer winken;

Ich könnt es fassen, will es mich bedünken,

Doch leicht entfliehn die wesenlosen Glieder.

 

Zu treues Bild! So schwand vor meinen Blicken

Sie, die mein Herz so ganz zu eigen hatte,

Die ach! so täuschend deine Züge malen.

 

Eh ich’s gewagt, sie an die Brust zu drücken,

Floh sie hinweg von mir, ein leichter Schatte,

Und ließ mir nur der Sehnsucht ewge Qualen.

 

 

 

 

 

 

Johann Diederich Gries            Ziel des Strebens

1775 – 1842

Ein Mensch zu sein, ward Wenigen gegeben.

Die Meisten sind zum Sterben nur geboren;

Sie sind sich selbst, sie sind der Welt verloren,

Ihr ganzes sein ein nichtiges Verschweben.

 

Dir aber flammt die Brust von höherm Streben,

Ein würdig Los hast du dir selbst erkoren.

Kühn dringst du zu des Lebens fernsten Thoren,

Willst von der Nacht das dunkle Siegel heben.

 

Geh’, forsche, kämpfe, fleug in steten Siegen

Dem Ziele nach, erob’re dir das Wahre;

Nichts sei, was dir geheim und ferne bliebe!

 

Doch kann ein Wissen auch dem Herzen g’nügen?

Ein Opfer sei’s auf würdigem Altare

Der, die da Alles nimmt und giebt – der Liebe.