Quirinus Kuhlmann               Der XXIX. Liebes-Kuss

1651 – 1689                                        Di Sulamithin

 

Ich suchte bei der Nacht im Bett aus Libes-brand,

Den meine Seele libt, ob er mir beigewand?

Ich suchte Flammen-vol, den ich doch (Ach!) nicht fand.

Drauff ward ich höchst-bestürtzt, mich schmertzte dise Schand:

 

Ich lauff und suche ihn in Gassen auff dem Land;

Und traff ihn doch nicht an. Als ich herum gerannt,

Siht mich das Wächter-volk. Nach dem der Mund genant,

Den Seel und Geist verehrt, (Ach!) ist er unbekand.

 

Wi ich von ihnen weg, ward mir mein Lib gesand;

Ich griff und faste ihm die Perlen-zarte Hand,

Ich küß und laß ihn nicht. So lang ein Diamant,

So lange Pfritsch und Pfeil ein Schütz und Jäger spant:

 

So lang erzilet auch im ewig-neuen Stand

Den Zukker-rosen-stokk mein Libes-aleband.

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Der XXXVIII. Liebeskuß

1651 – 1689                                        Das unbegreifliche Jesusgrab

 

O Grab! o Wundergrab! dem alle Gräber weichen!

O Grab! des Himmels Sitz! du Burg der Ewigkeit!

O Grab! das einst begrub die Leiche aller Leichen!

O Grab! du Gräbergrab! o Grab! du Grab der Zeit!

 

O Grab! als Gott im Grab vor Menschen wollt erbleichen!

O Grab! das von dem Grab uns auserwünscht befreit!

O Grab! ja Thron! und Thron, dem nie ein Thron wird gleichen!

O Grab! das stracks vergrub den Grab- und Todesstreit!

 

O Grab! das uns aufgrub ein Leben aller Leben!

O Grab! du Gräberruhm! O Lust! die Lust erhält!

O Grab! das ewig bleibt! und ewig Trost mag geben!

 

O Grab! das uns belebt, wann Sonn und Weltkreis fällt!

O Grab! wann mich ein Grab im Grabe wird begraben,

Werd ich von deinem Grab das schönste Grabmal haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Die Welt eine Folter der Himmelsliebe

1651 - 1689

Was bist du, schnödes Nichts, das man die Welt benennt ?
Ein Reich, da Torheit herrscht, die ihr Altäre bauet,
Ein Diamant, darein Unliebe sich aushauet,
Ein Bild, das man bei Nacht und nicht bei Tage kennt;

 

Ein Schloss, mit welchem noch manch Weltling sich verbrennt,
Ein teurer Perlentrank, der uns der Gruft vertrauet,
Ein Molch, den man verdeckt in Rosenkindern schauet,
Ein Schlund, in den man mehr als nach der Anfurt rennt.

 

Ein köstlich Marmelad, vermengt mit Colokynthen,
Ein Mondenstein, der noch nicht seinen Ursprung weist,
Ein Land der Höllischen, voll teufelreichen Finten,

 

Ein Lockschiff, voll Musik, bis nur der Mensch anbeißt,

Ein güldnes Gift-Napell, beschämend Anemonen:
Wer dieses Irrlicht hasst, erlangt die Liebeskronen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Die Weisheit-Jagd

1651 – 1689

Die Weisheit brannte nächst vor flammender Begier,

Als eine Jägerin sich auf die Jagd zu machen:

Sie griff nach Netzen, Garn und den bestellten Sachen,

Ja eh Aurore zeigt die rosengüldne Zier,

 

Blies sie das Jägerhorn, ganz prächtig, nach Gebühr.

Die Winde folgten nach. Es war umsonst ihr Wachen!

Sie klagte hoch betrübt, daß in der Torheit Rachen

Die meisten sich versteckt. Ich winkte freundlich ihr.

 

Ich rufte flammenheiß: Goldengel! mein Verlangen!

Ich will freiwillig mich in Netz und Garne fangen!

Mein Jesus sei der Wald, die Büsche seine Schoß!

 

In dessen Zweigen ich mich lebend halb begraben!

O triff! Schütz-Göttin triff! laß deinen Goldpfeil los!

So wirst du schon ein Wild zur ersten Losung haben

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Der XLVIII. Libes-Kuss

1651 – 1689                                        Di Sigprangende Jesus-Libe

 

Di Jesus-libe hat den Sigesreiß gewonnen:

Was schon sonder Jesus-libe, bleibet ewig in der Nacht,

Alles reinet Jesus-feuer: alles wird ans Licht gebracht,

Wer aus dem Qvelle schöpfft, schöpfft aus dem Lebens-bronnen.

 

Wi zartgeflochtnes Wachs am Feuer-heerd der Sonnen:

Also sind Xenophils Jahre,Platons Witzerfüllte Pracht,

Socrates mit seiner Tugend, des Philippens Demutts-macht

Nebst Numens Frömikeit vor Jesus-glutt zerronnen.

 

Tugenden werden vor Laster gehalten,

Welche in JEsus nicht alles verwalten.

Entweiche, erbleiche du törichte Schaar:

 

Verwandle di Freuden in Leiden zusammen,

Ich flüge und sige: Euch krönet di Baar:

Di Flammen in Jesus betammen und stammen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann              Der L. Libes-Kuss

1651 – 1689                                        An di Hochheilige Dreifaltikeit

 

O du ewig grosse Gottheit! in Personen zwar dreifächtig!

In dem Gottes wesen einig! alles allem allezeit!

O Gott Vater Sohn und Geiste! Gleich in allen! gleich allmächtig!

Schöpffer Himmels und der Erden! Heilig-heilge Heilikeit!

 

Jesus einig-eingeborner! Gott aus Gott mit Gott einträchtig!

Licht aus Lichte! Sohn des Höchsten! Wort von Anfang! Gottes Freud!

Reinster Geist der reinsten Geister! Gott aus Gott mit Gott gleich prächtig!

Heilger Lehrer der Propheten! nim dis an, was dir geweiht!

 

Ehre sei dir in der Höhe! Ehr in Tiffen! Ehr auff Erden!

Alle Ehren-ehren-ehre ehre dich ohn Untergang!

Ach, daß ich verengelt lebend dir schon dankbar möchte werden!

 

Jenes Heilig Heilig Heilig sei mit heilgen mein Gesang.

Himmels-libe! komm geschwinde! komm geschwinde! komm! versüsse

Meine Lippen! eile schneller! ich erwarte deiner Küsse!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Über den tränenwürdigen Tod des Sohnes Gottes, Jesus

1651 – 1689

Reiß Erde! reiß entzwei! der Prinzen Prinz erblaßt!

der uns erschaffen hat, ist ganz zerritzt mit Streichen!

Gott, welcher ewig ist, wird nun zu einer Leichen!

Es kleidet Purpur an des Leibes Alabast!

 

Den nichts umschlüssen mag, den hat ein Holz umfaßt!

Der Berg und Hügel wiegt, der will am Kreuz erbleichen!

Dem Erd und Himmel weicht, der will dem Kreis entweichen!

Des Vaters Lust, Gott selbst wird Salem eine Last.

 

Die Sonne fleucht vor uns! der Erdenmarmor zittert!

Die Himmelsburg erstarrt! die Felsen stehn zersplittert!

Die Nacht verjagt den Tag! die Luft zürnt ob der Welt!

 

Der schwefelgelbe Blitz entstecket sie mit Flammen!

Daß der am Kreuze hängt, der diesen Rund erhält,

Zeigt Sonn, Erd, Himmel, Fels, Nacht, Luft und Blitz zusammen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Jesus lebendigmachendes Kreuz

1651 – 1689

O heilig-heller Stamm! O großer Lebensbaum!

O Schutz der Fallenden! O Untergang der Plagen!

O Festung, darauf sich nicht Tod, nicht Teufel wagen!

O Zeichen, das nie läßt dem Würgen-Engel Raum!

 

O Schwert, durch das verdirbt des Höllenpfuhles Schaum!

O Schlang aus Erz gemacht, die Schlang und Gift mag jagen!

O Himmel, wo man sieht die Lebenssonne tagen!

O Leiter, die Gott wies dem Patriarch im Traum!

 

O wahres Horn des Heils! dadurch wir neu geboren!

O Garten, welcher trägt, was Adams Biß verloren!

O Schatz! O werter Schatz, dem nichts auf Erden gleicht!

 

O höchst-beglücktes Holz, an welchem Gott gehangen!

Du Kreuze, sei gegrüßt! mein größter Ruhm und Prangen!

In diesem Kreuze sei mein letzter Sieg erreicht!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Die ewige Lebenskrone

1651 – 1689

Den dort die Krone soll der Lebenskrone krönen,

Mit derer Kron umkrönt die gottgekrönte Schar,

Die hier die Kron umkrönt, so Kron- und Thronreich war,

Der muß die Kronen-Kron, die Beten krönt, entlehnen,

 

Der muß die Kronen-Kron der Kronenwelt verhöhnen:

Wann diese Kron ihn krönt, krönt ihn zur Kron die Bahr,

Die Kron entkrönt sein Haupt, und krönt mit Krongefahr,

Die Krontreu krönt, bekrönt; kann Thron und Kron beschönen.

 

Du krönst, o Kronenprinz, mit deiner Kronen-Kron,

Die Kron und Sonn entkrönt. Gekrönte Treu krönt Prangen,

Der Kronenpreis krönt sie mit Thron-und Kronenlohn.

 

Hier diese Kronsucht krönt. Dies Lebens Kronverlangen

Bekrönt entkrönte selbst: ja krönt mit Kron und Thron:

Hier krön einst Thron und Kron, den Kron und thron gefangen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Die Braut erwartet Jesum!

1651 – 1689

Auf! Seel-Ewig! Auf! Auf! mag sich ein Mensch mehr plagen?

Sucht man die Tugend nicht ganz aus der Welt zu jagen?

Was soll mir länger dann zu bleiben hier behagen?

Sollt ich vor jener Lust wohl achten dieses Klagen?

 

Es wird zwar, Seel-Ewig, dein Gliederhaus zerschlagen!

Schau wie die Nattern hier, dort Basilisken nagen!

Wie hier verfaultes Fleisch, dort Würme hervor ragen!

Doch ist das Grab der Wall, davor die Feind erlagen!

 

Welch Schiffmann würde wohl bei seinem Port verzagen?

Was will dein Himmelsgeist nach Welt und Erde fragen?

Aus! Auf! dein Jesu kömmt! die Engel sind die Pagen!

 

Auf! geh entgegen Ihm! der Himmel ist sein Wagen!

Er ruft! ich komme schon! O Lust! nie auszusagen!

Dein Jesus ist die Sonn! itzt fängt recht an zu tagen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Der Braut frohlockendes Gegenjauchzen

1651 – 1689

Wessen sind die Zuckerworte? meine Seele wird erfreut!

Ich erkenne meinen Liebsten, der mich hat im Kreuz geübet!

Alle Schmerzen sind entwichen! es vergeht, was mich betrübet!

Jesus! welche Wollustflüsse überschwemmen Erd und Leid?

 

Platz der heilig-lichten Wonne! Schloß der steten Ewigkeit!

Sonnenhäuser! seid begrüßet! seht wie Jesus mich umgibet!

Jesus! großer Seelentröster! Jesus! den ich wohlgeliebet!

Jesus! nimmt mich in die Armen! Jesus! was vor Freudenzeit?

 

Himmelsbürger! seid willkommen! Sterne flieht! ihr scheint hier nicht!

Selig sind wir, selge Geister! die wir selig überwunden!

In des Jesus Paradiesen haben wir den Lohn gefunden!

 

Aller Freuden-Freuden-Freude gibt uns Jesus Angesicht!

Aller Plagen-Plagen-Plage können uns nie so verletzen,

Daß sie Jesus Lustpalästen nur an etwas gleich zu schätzen.

 

 

 

 

 

 

 

Quirinus Kuhlmann               Die Geburts-Nacht des Herrn

1651 – 1689

O Nacht! du große Nacht! die heller als der Tag!

O Nacht! ja Licht! und Licht, das Sonnen übersteiget!

O Nacht! dergleichen nie der Kreis zu sehen pflag!

O Nacht! darinnen sich das gröste Wunder zeiget!

 

O Nacht! die schon dort pries der Patriarchen sag!

O Nacht! da alles spricht! da Berg und Fels nicht schweiget!

O Nacht! die den umschloß, den nichts umschließen mag!

O Nacht! vor dessen Kind di welt sich zitternd neiget!

 

O Nacht! der Himmel bebt ob dem gantz-neuen Lauf!

O Nacht! daß der sein Mond, der Mond und Sonne blümet!

O Nacht! daß der dir scheint, den Mond und Sonne rühmet!

O Nacht! die ganz durchsternt der Cherubinenhauf!

 

Hier will ich Tycho sein, und dies Gestirn erlernen,

Biß sich mein Geist gesellt zu solchen Himmels-sternen!