Gottfried Keller                     Eitles Leben

1819 – 1890

 

I

 

"Geh auf, o Sonn'! und öffne mir die weiten
Kristallnen Tore dieser weiten Welt!
Mein Sinn ist auf den goldnen Ruhm gestellt,
Zu ihm sollst du mich unaufhaltsam leiten!

 

Nicht kann uns Hebe reinern Trank bereiten,
Der lieblicher uns in die Seele quellt
Und froher, als der Ruhm, die Adern schwellt
Und sichrer hilft den Abgrund überschreiten!

 

Der Frauen Gunst vermag er zuzuwenden
Und macht uns leicht dereinst das letzte Scheiden,
Da wir zur Hälfte nur das Dasein enden.

 

Er läutert besser, als die Glut der Leiden:
Wer wird, bekränzt, mit ungewaschnen Händen,
Mit Lorbeer und mit Staub zugleich sich kleiden?"

 

 

II

 

"Seid mir gesegnet, meiner Heimat Gründe,
Die in des Niederganges Röte strahlen!
Glimmt mir die Liebe noch in diesen Talen,
An der sich neu mein kaltes Herz entzünde?

 

Nun schliess' ich mit dir ewig feste Bünde!
Kann ich mit einem grössern Ruhme prahlen,
Der Nachwelt schöner alle Schulden zahlen,
Als wenn ich deine Treue laut verkünde?

 

Du wandelst still auf trauten Schattenwegen
Mit keines Schirms bedürft'gem Schritt, du Reine!
O führe mich Ermüdeten und Trägen!

 

Und meinen Kranz sollst du in deinem Schreine
Zu abgelegtem Zeug und Bändern legen,
Dass nimmer er vor Augen mir erscheine!"

 

 

 

III

 

Seht da den Vogel mit gerupften Schwingen!
Halb flattert er, halb läuft er hin zum Neste,
Sich einzubaun in weicher Arme Feste,
Wohin kein rauhes Lüftchen mehr soll dringen!

 

Doch war er frech und mochte Ruhm erringen;
Sein Reisig grünt' und blühte schon aufs beste,
In seinen Schatten lud er stolz die Gäste
Und war so recht ein Thema zum Besingen.

 

Nur als den Zweig dem freien Feld er raubte,
Aus Luft und Licht, darin er aufgeschossen,
Und sachte mit sich zu salvieren glaubte:

 

Da war der Traum bald wie ein Schaum zerflossen;
Das Reis verdorrt', das schon so nett belaubte -
Nun zieht er ab, unfertig und verdrossen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Erkenntnis

1819 – 1890

Willst du, o Herz! ein gutes Ziel erreichen,
Musst du in eigner Angel schwebend ruhn;
Ein Tor versucht zu gehn in fremden Schuhn,
Nur mit sich selbst kann sich der Mann vergleichen!

 

Ein Tor, der aus des Nachbars Kinderstreichen
Sich Trost nimmt für das eigne schwache Tun,
Der immer um sich späht und lauscht und nun
Sich seinen Wert bestimmt nach falschen Zeichen!

 

Tu frei und offen, was du nicht willst lassen,
Doch wandle streng auf selbstbeschränkten Wegen
Und lerne früh nur deine Fehler hassen!

 

Und ruhig geh den anderen entgegen;
Kannst du dein Ich nun fest zusammenfassen,
Wird deine Kraft die fremde Kraft erregen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Herwegh

1819 – 1890

Schäum' brausend auf! Wir haben lang gedürstet,
Du Goldpokal, nach einem jungen Wein,
Da traf in dir ein guter Jahrgang ein,
Wir haben was getrunken, was gebürstet!

 

Noch immer ragt Zwing-Uri hoch gefirstet,
Noch ist die Zeit ein stummer Totenschrein,
Der Schläfer harrt auf seinen Osterschein -
Zum Wecker bist vor vielen du gefürstet!

 

Doch wenn nach Sturm der Friedensbogen lacht,
Wenn der Dämonen finstre Schar bezwungen,
Zurückgescheucht in ihres Ursprungs Nacht:

 

Dann soll dein Lied, das uns nur Sturm gesungen,
Erst voll erblühn in reicher Frühlingspracht:
Nur durch den Winter wird der Lenz errungen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     In der Stadt

1819 – 1890

 

I

 

Wo sich drei Gassen kreuzen, krumm und enge,
Drei Züge wallen plötzlich sich entgegen
Und schlingen sich, gehemmt auf ihren Wegen,
Zu einem Knäu'l und lärmenden Gedränge.

 

Die Wachtparad' mit gellen Trommelschlägen,
Ein Brautzug kommt mit Geigen und Gepränge,
Ein Leichenzug klagt seine Grabgesänge;
Das alles stockt, es kann kein Glied sich regen.

 

Verstummt sind Geiger, Pfaff' und Trommelschläger;
Der dicke Hauptmann flucht, dass niemand weiche,
Gelächter schallet aus dem Freudenzug.

 

Doch oben, auf den Schultern schwarzer Träger
Starrt in der Mitte kalt und still die Leiche
Mit blinden Augen in den Wolkenflug.

 

 

 

II

 

Was ist das für ein Schrein und Peitschenknallen?
Die Fenster zittern von der Hufe Klang,
Zwölf Rosse keuchen an dem straffen Strang,
Und Fuhrmannsflüche durch die Gasse schallen.

 

Der auf den freien Bergen ist gefallen,
Dem toten Waldeskönig gilt der Drang;
Da schleifen sie, wohl dreissig Ellen lang,
Die Rieseneiche durch die dumpfen Hallen.

 

Der Zug hält unter meinem Fenster an,
Denn es gebricht zum Wenden ihm an Raum;
Verwundert drängt sich alles Volk heran.

 

Sie weiden sich an der gebrochnen Kraft;
Da liegt entkrönt der tausendjähr'ge Baum,
Aus allen Wunden quillt der edle Saft.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Jeder Schein trügt

1819 – 1890

Ich weiss ein Haus, das ragt mit stolzen Zinnen,
Frei spielt das Licht in allen seinen Sälen,
Sein Giebel schimmert frei von allen Fehlen,
Kein Neider schilt's, nicht aussen und nicht innen.

 

Nur wer es weiss mit Klugheit zu beginnen,
In seine Grundgewölbe sich zu stehlen,
Sieht üppig feuchten Moder dort verhehlen
Von dicken Schlangen wahre Königinnen.

 

Doch würde der sich auch betrogen haben,
Der rasch empor die Treppe wollte steigen,
Die Feinde mit der Kunde zu erlaben:

 

Denn tiefer noch, im allertiefsten Schweigen,
Da liegt ein ungehobner Schatz begraben,
Der niemals wird dem Tage wohl sich zeigen.

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Kriege der Unfreien

1819 - 1890

Du tapfres Volk in deinem Löwenzorn,
Wie kühn du schwingst dich über Zaun und Planken,
Voll Wut die Feinde greifst in deinen Flanken
Begeistert aus der Freiheit Feuerborn;

 

Ein Sankt Georg mit eingedrücktem Sporn
Sie all' zurückwirfst über ihre Schranken,
In grosser Heldeneintracht sonder Wanken
Doch tief im Herzen lässest deinen Dorn:

 

Wie hoch wir um dein Heldenblut dich ehren,
Doch mahnst du uns an jenen närr'schen Tropf,
- Lass dir's gesagt sein lachend und mit Zähren –

 

Der, als die Laus ihn biss in seinem Schopf,
Sich gegen solche Plackerei zu wehren,
Mit Ingrimm kratzte auf des Nachbars Kopf.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Nach dem Siege

1819 – 1890

Lasst rot vor Scham erglühen eure Wangen,
Die ihr mit eurer Reime leerem Beten
Euch anschickt, vor ein tapfres Volk zu treten,
Das eben kommt von Tat und Sieg gegangen!

 

Des Trommlers Schlegel, die im Wirbel sprangen,
Der rauhste Tagruf gellender Trompeten,
Sie gelten jetzo mehr, ihr NachPropheten!
Als all eu'r unnütz eitles Versefangen!

 

Der letzte schlichte Wächter vor dem Heere,
Der, Treu' und Pflicht im Herzen, hat getragen
In kalter Sternennacht die blanke Wehre,

 

Und jeder, der nur einen Streich geschlagen,
Ist nun ein König von lebend'ger Ehre -
Was soll ihm unser Singen noch und Sagen?

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Nationalität

1819 – 1890

Volkstum und Sprache sind das Jugendland,
Darin die Völker wachsen und gedeihen,
Das Mutterhaus, nach dem sie sehnend schreien,
Wenn sie verschlagen sind auf fremden Strand.

 

Doch manchmal werden sie zum Gängelband,
Sogar zur Kette um den Hals der Freien;
Dann treiben Längsterwachsne Spielereien,
Genarrt von der Tyrannen schlauer Hand.

 

Hier trenne sich der lang vereinte Strom!
Versiegend schwinde der im alten Staube,
Der andre breche sich ein neues Bette!

 

Denn einen Pontifex nur fasst der Dom,
Das ist die Freiheit, der polit'sche Glaube,
Der löst und bindet jede Seelenkette!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gottfried Keller                     Reformation

1819 – 1890

Im Bauch der Pyramide tief begraben
In einer Mumie schwarzer Totenhand
War's, dass man alte Weizenkörner fand,
Die dort Jahrtausende geschlummert haben.

 

Und prüfend nahm man diese seltnen Gaben
Und warf sie in lebendig Ackerland,
Und siehe da! Die goldne Saat erstand,
Des Volkes Herz und Auge zu erlaben!

 

So blüht die Frucht dem späten Nachweltskinde,
Die mit den Ahnen schlief in Grabes Schoss;
Das Sterben ist ein endlos Auferstehn.

 

Wer hindert nun, dass wieder man entwinde
Der Kirche Mumienhand, was sie verschloss,
Das Korn des Wortes, neu es auszusä'n?