1890-1928
Das erste Spiel
Wir liegen in der Welt. Das
erste Spiel
Treibt wohl die Mutter mit den
Brüsten leis.
Dann tritt die Amme in den
krausen Kreis,
Sie weiß sehr wenig und sie
lehrt uns viel.
Der Bleisoldat schießt nun
nach seinem Ziel.
Beim Murmelschieben winkt
manch schöner Preis.
Mit Reifen rennen freut den
Buben. Sei’s
Für sich, sei’s mit dem
zärtlichen Gespiel.
Dem Mädchen, dem die erste
Andacht gilt.
Bald spielt sie mit dem Knaben
ganz allein.
Sie streichelt ihn. Sie
schmollt. Sie lacht. Sie schilt.
Er flieht zu Würfel,
Dirnenscherz und Wein.
Sie wendet schaudernd sich von
seinem Bild
Und stößt unwissend ihn in
Nacht hinein.
Ich bin kein Mensch, aus dem
man Staaten macht,
Und keiner machte jemals Staat
mit mir.
Ich bin von jedem Höckerweib
verlacht,
Und man rangiert mich unter
Stein und Tier.
Ich bin mit keinem Elternpaar
bedacht.
Ich saufe als Assessor nicht
mein Bier;
Ich ruf der Soldateska nicht:
Habt Acht!
Und schlafe klein im
dunkelsten Revier.
Oft aber schieß ich strahlend
wie eine Blüte
Der Sonnenblume über Nacht ins
Blau,
Und Sonne steht mir himmlisch
im Gemüte.
Ich schlag die Volte wie sein
Rad der Pfau
Und schwebe übersinnlich in
die Mythe
Am Arm der engelgleichen
Carofrau.
Wem je die Muse sich
vervierfacht bot,
Der wandelt trunken über diese
Auen.
Was dünken ihn die Haus- und
Straßenfrauen
Und was Narzissenwind im
Abendrot.
Er schlägt drei Könige
bedeutsam tot.
Selbst eine volle Hand darf er
beschauen.
Er schüttet in den Abgrund
jenen lauen
Kübel voll Jammertum und
Menschennot.
Melpomene, du mit der Maske
Pik,
Thalia, Sterngelächter hell im
Herzen,
Du Klio, trefflich, mit dem
Zeichen Sieg –
Oft stand ich sumpfversunken
tief in Schmerzen
Da winkte, daß die Seele
mondwärts stieg,
Kalliope mit goldnen
Hochzeitskerzen.
Mir träumte einst von einer
zarten Neun.
Ich hielt sie sicher gegen
fünf und sieben.
Millionen waren in der Bank
geblieben,
Nun durft ich sie in alle
Winde streu’n
Ich schenkte einem Mädchen
sich beim Heu’n.
Ich ließ das Gold in goldnen
Sieben sieben.
Ich wagte tausend Frau’n zugleich zu lieben,
Und brauchte keinen schlimmen
Schutzmann scheu’n
Ich kaufte mir die blanken
Feldherrntressen,
Die Horizonte, die mein Auge
sah,
Ließ meine Verse nur in Silber
pressen.
Ich badete mich in Lavendel –
ah –
Und kaufte für den Rest mir
das Vergessen –
Doch dich vergaß ich nimmer,
Bakkarat!
Wenn Gold wie reifes Korn das
Schicksal mäht:
O selig durch die späte Nacht
zu streichen
Und einen Hunderter der ersten
reichen
Die mir verhärmt und grau
entgegenweht.
Ihr Dankesseufzer gilt mehr
als Gebet.
Vor meinem Glücke muß ein
jeder weichen.
Vor meinem Angesicht sind
Menschen Leichen,
Um die, noch lebend, Hauch des
Aases steht.
Ich stolpre funkelnd weiter
auf der Wacht
Zum liebsten Mädchen, das am
Fenster lauscht.
Ich hör sie huschen. Eine
Lippe lacht.
Ich seh sie hinterm Vorhang, der
sich bauscht,
Ich steig durchs Fenster,
schüttle ihr die Pracht
Des Reichtums in den Schoß,
der golden rauscht.
Sie hocken, ihre Socken
schweißgetränkt,
Den Leib bedeckt mit braven
Jägerhemden.
Sie dulden keinen zugereisten
Fremden,
Und jeder Groschen wird
verschämt gesenkt.
Der Blick am Blatt steil wie
am Galgen hängt.
Man teilt. Ein scheuer Jude
flüstert: „Wemm denn?“
Ein Turnvereinler preist den
Kreuzer Emden,
Indem er feurig seine Röllchen
schwenkt.
Zwei Herrn erbleichen, weil
sie stark verlieren
(So zwei Mark achtzig, wenn
ich richtig sah.
Mir geht das Spiel
beträchtlich an die Nieren,
Beziehungsweise die es
spielen...) „Tja“,
Strahlt der Herr Apotheker,
„Grand mit Vieren“
Und fühlt als Sohn sich der
Germania.
Es spielen dreie mit
verdeckten Karten.
Ein dummer Vierter findet sich
zumeist,
Der ihre Heuchelei als Tugend
preist
Und den sie mit erhab’nen
Reden narrten.
Dieweil er sinnend in den
Höhen reist
Und seine Sinne der Erfüllung
harrten,
Lächeln die andern hönisch,
und die karrten
Schutt auf sein Veilchenbeet,
das Wehmut heißt.
Er nennt die Wahrheit Spiegel,
Spiel und Pflicht.
Und offen will er seine Pfeile
senden.
Sein Gegenspieler ist auf Mord
erpicht.
Umsonst: er kann das Schicksal
nicht mehr wenden.
Den andren demaskiert das
Morgenlicht,
Und dreizehn Trümpfe hält er
schwarz in Händen.
Ich habe, Jahr, dein Sinnbild
bald erbeutet:
Du Cœur
bist Frühlingsblut – und Blütenfarbe.
Du Caro bindest Sonnenschein
zur Garbe,
Du Pik bist Glocke, die zum
Herbste läutet.
Wenn Hund und Mensch sich dann
im Winter häutet,
Und man begreift, daß man um
alles darbe:
Fühlt man in seiner Brust die
alte Narbe
Und sieht das schwarze Kreuz,
das Treff bedeutet.
Ein kurzer Weg vom Herz voll
Lenz und Blut
Zum schwarzen Kreuze, das man
ächzend schleppt.
Einst war man Kind und spielte
Kindheit gut.
Nun steht auf leichter Bühne
man und steppt
In gelbem Frack und violettem
Hut.
Man glaubt zu neppen – und man
wird geneppt.
Es geht wohl immer einer neben
dir,
Er sieht dir in das
aufgeschlagne Blatt,
Er läuft am Wagen als das
fünfte Rad
Und trinkt mit dir aus einem
Glase Bier.
Er ist dein Schatten, und du
bist sein Tier.
Was du auch schlingst, er sagt
sich niemals satt.
Dein ganzes Dasein scheint ihm
schal und matt,
Und verlangt sein Leben, ach,
von dir.
Wohin du auch die müden
Schritte lenkst,
Wie eine Bremse schwirrt er
stets um dich.
Und was du tust und was du
auch bedenkst
Er zehrt von deinem Ansehn
brüderlich.
Wenn du dich in des Todes Masse
mengst:
Er bleibt am Leben: geil und
lüderlich.