1890-1928
Ich traf den Engel von der
Mondkohorte
Am Friedhofstor. Er führte
mich die Pfade.
Er badete in meinem Tränenbade
Die Trauerweide, die am Grabe
dorrte.
Ihr toter Leib ist noch wie
Sonnengnade.
Die Blumen sprießen hell in
seinem Horte.
Aus seiner weit
emporgerissenen Pforte
Treten Kamelie, Rose, Dahlie,
Rade.
Pflück eine Blume dir von
ihrem Haupte,
Das so voll blonder Sonne war
wie keines,
Das nur dem Licht und nur dem
Lichten glaubte,
Und flüchte in die Einsamkeit
des Haines,
Der euch so oft zu zweit dem
Werktag raubte.
Und auf die Blume hin dein
Herz verwein es...
Ich habe nichts als diesen
Wunsch: zu sterben
Und meinem Liebling ganz im
Tod zu gleichen.
Dem Fergen lächelnd beide
Hände reichen,
Dem Sanften hingegeben wie dem
Herben.
Ich will mit Demut um die
Seele werben,
Der keine noch so schönen
Seelen gleichen.
Steht sie an Wolken, Türmen
oder Teichen,
Will ich geduldig ihren
Schatten erben.
Ich war voll Bosheit,
Niederkeit und Schlangen,
Gewürm kroch durch des Hirnes
schwarze Windung,
In meinem Dom geschwänzte Teufel
sangen.
Verstoß mich nicht! Und prüfe
meine Bindung!
Sahst du den Mörder auch am
Galgen hangen:
Sein Herz ist rein von deiner
Glutempfindung.
III.
Und immer, wenn die Türe ging,
du lauschtest,
Ob ich nicht käme. Und ich war
so weit
Und wußte nichts von deinem
letzten Leid,
Und daß du mit dem Tod schon
Blicke tauschtest.
Wie eine Fledermaus im Dunkel
rauschtest
Du zaubrisch zwischen Zeit und
Ewigkeit.
Du schriest nach mir wie eine
Eule schreit,
Und immer, wenn die Türe ging,
du lauschtest...
Die Totenglocke hat um eins
gebimmelt.
Ich bin verschlafen aus dem
Traum geschreckt.
Ich sah mein Haupt wie einen
Pilz verschimmelt
Und meine Brust mit Messern
ganz besteckt.
Mir Sternen war die Nacht wie
nie behimmelt.
Ich schlief, bis mich ein
Donnerschlag geweckt.
Es war November. Draußen stob
der Föhn.
Das Lob der Heimat schien dich
zu beglücken.
Wir mußten näher
aneinanderrücken,
Um Donau, Inn und Oberhaus zu
sehn.
Und unsre Wangen streifen sich
und wehn.
Blut klopft an Blut. Wir sehn
in unsren Blicken
Erfüllung glänzen, lächeln,
jubeln, nicken.
Und Lippe sank auf Lippe
engelschön.
Nicht suchte Hand nach Hand.
Es klang kein Wort.
Die Uhr im Zimmer tickte
unverdrossen.
Und unsre Herzen schlugen fort
und fort
Wie Wellen, die ins große Meer
geflossen.
Du standest auf. Das Buch lag
noch am Ort.
Leis hast du hinter dir die
Tür geschlossen.
Der beste Vers ist noch zu
schlecht für sie.
Der reinste Wille unrein vor
dem ihren.
Sie schritt mit Wolken,
Winden, Sternen,Tieren
In ganz unwandelbarer
Harmonie.
Ich bin vor ihr ein Kehricht
oder Vieh,
Bestimmt im dumpfen Stalle zu
krepieren.
Wenn draußen sie zum
Freiheitskampf marschieren,
Vielleicht daß ich im Traum
nach ihnen schrie.
Beglänz mein dunkles Dasein
mit dem Licht
Aus deinen beiden Sonnen,
blonde Göttin!
Ich bin nicht schlecht, nur
kenne ich mich nicht.
Erheb den Tiefgestürzten und
verkett ihn
Dem strengen Kirchendienste
deiner Pflicht.
Aus Trübsal und Verzweiflung:
o errett ihn!
O Eitelkeit, wenn Schmerz zum
Dichter wird,
Und Verse tropfend aus den
Wimpern fließen.
Ich will ja nur dein
Blumengrab begießen,
Auf dem der Falter meiner
Hoffnung irrt.
Er regt die schwarzen Flügel,
bebt und schwirrt
Und seine Flüge auf und nieder
schießen.
Die Blumen schwankend ihn
willkommen hießen,
Er ist ihr milder Herr, ihr
Heil und Hirt.
Wenn dann die Sonne sinkt, die
Blüten sich
Der Nacht verschließen,
schwebt in edler Trauer
Er durch das Dunkel, schwarz
und königlich.
Er spürt den Wind im hohen
Wipfelschauer,
Vor dem er segelnd untern
Grabstein wich.
Da liegt er zitternd auf des
Tages Lauer.
Schon sieben Tag und Nächte
muß ich weinen.
Und immer wieder fließt der
Fluß der Tränen.
Und immer wieder will das Herz
sich dehnen,
Sich flügelnd mit dem Ewigen
zu vereinen.
Entflög es doch und fänd sich
bei der Einen
Als Kissen ihrem Fuß, darauf
zu lehnen,
Wenn die Schalmein der schönen
Engel tönen,
Zum Lob gestimmt der Einen
ganz All-Einen.
O wär mein Herz ihr Schemel,
drauf zu ruhn,
Wenn sich das Haupt in
Wolkenkissen schmiegt.
Ich will nichts wissen, wollen
oder tun.
Ich will nur bei ihr sein, und
leicht gewiegt
Von ihren himmlisch zarten
Silberschuhn
Erbebt mein Herz, das ihr zu
Füßen liegt.
Kämst du doch eine Nacht, wie
ich dich kannte,
Im leichten Hemd zu mir ins
Bett geschlüpft!
Die goldne Schnur der Küsse
war geknüpft
Aus Sternenfäden, die Urania
sandte.
Der Mond sein Licht auf unser
Spiel verwandte,
Das er mit kleinem
Heiligenschein getüpft.
Er zitterte, wenn ich das Hemd
gelüpft
Und deine Brüste rot mit
Küssen brannte.
In einer Nacht wie dieser ward
das Kind.
Du weißt es noch und fühltest,
daß es werde.
Im Schneewald sang des
Februares Wind.
An Schlitten klang Geläut der
Nebel-Pferde.
Du sprachst: Weil wir nun eins
geworden sind,
So steigt im Kind der Himmel
auf die Erde.
IX.
Der Regen regnet tausend Tag
und Nächte,
Die Fenster sind von
Graugespinnst verhangen.
Im See das letzte Licht die
Fische fangen.
Das Gute stirbt. Es
triumphiert das Schlechte.
Wo ist der Heiland, der
Erlösung brächte?
ich höre Mordgelächter. Räuber
rangen
um Hunger, Geilheit, Goldgier,
Pöbelprangen.
Der Edle schweigt. Im Sumpf
schwärt das Geschwächte.
Ich geh von dannen, schließe
Aug und Ohren
Und heb die Schale meiner
Einsamkeit
Zu dir, Irene, Sternbild
unverloren!
Wie rauh die Rotte tobt, die
Meute schreit:
Werd ich in deinem Dienste
neugeboren,
So bin ich gegen diese Zeit
gefeit.
X
Stets sah ich nur den Tod am
Horizont
Im Jägermantel übern Acker
schreiten,
Die braunen Rüden an der Leine
leiten,
Die breite Stirn vom Abendrot
besonnt.
Ich sah ein Kind ihn auf dem
Arm im Mond
Auf einem weißen Pferd
vorüberreiten,
Ich sah ihn still im Kahn
vorübergleiten,
In dem ein junges Mädchen
weinend wohnt.
Mein Weib und ich: wir
lauschten früh der Mette,
Da riß die Türe jäh wie
Spinngeweb.
Er hob mein Liebstes lächelnd
aus dem Bette
Und sprach zu ihr: Mein
goldner Vogel, schweb!
Ich schrie in Martern: Wo ist
meine Stätte?
Er sprach: Sie ist erlöst. Du,
büße! Leb!
Ich will mein einsam künftig
Leben leben,
Als atmetest du neben mir im
Lichte.
Wie früher lese ich dir die
Gedichte,
Wenn deine Augen um die Lampe
schweben.
Du bittest mich, dem armen Mann
zu geben.
Du sitzest über Hochmut zu
Gerichte.
Du wendest deinen Rücken, wenn
die Wichte
Nach Wichtigkeit und nach
Bedeutung streben.
Hier ist am Tisch ein Sessel
für dich frei.
Du ißt mit mir. Das Kind
spielt mit den Horen.
Du flüsterst ihm von Königssohn
und Fei.
Mir jagt der Winterwind durch
alle Poren.
Er schlägt mit Hagel schier
das Glas entzwei.
So hart sind meine Tränen
schon gefroren-...
Die Zeit wird niemals meine
Wunden heilen:
Sie ist verfault. Sie kann sie
nur vereitern.
noch mehr das Herz zerreißen,
und verbreitern
Die vielen Messerstiche; dran
sie feilen
Die Genien der Verzweiflung.
Hüpfen, eilen
Von Herz zu Hirn, von Hirn zu
Herz auf Leitern
Aus Blutgefaser. Und gleich
kleinen Reitern
Sitzen auf Blick sie und Gehör
und peilen.
Die Zeit ist überreif wie eine
Feige
Vom vorigen Herbst. Sie stinkt
in der Verwesung,
Daß sie wie eine alte Hure
zeige
Die eingefallne Brust zur
letzten Äsung.
Erscheine uns, Irene, neige,
neige
Dein schönes Haupt und lächle
uns Erlösung!
XIII
Ich war dein Tod. Ich habe
dich gemordet.
Schuld bin ich, daß das Chaos
wie ein Krater
Aufbricht und Feuer speit. Ich
bin der Vater
Der Anarchie, die rot uns
überbordet.
Ich war dein Tod. Ich habe
dich gemordet.
Vergebens warnte mich der
brave Pater,
Ich schändete dich, dolorosa
mater...
Ich habe dich mit meinem Kind
gemordet.
Die Herrschaft, die du mit der
Lilie übtest,
Ich stürzte sie im Fieber
meiner Kaste.
Du lächeltest. Du segnetest.
Du liebtest.
Ich blickte finster. Drohte.
Fluchte. Haßte.
Und während du das Gold vom
Staube siebtest,
Lief ich zur Wollust, grölte,
soff und praßte.
Ich stehe an den Teichen von
Losone,
Wo wir so oft die schönen
Schlangen fingen
Und Arm in Arm in aller
Nacktheit gingen
Durch Knieholz, Ginsterbusch
und wilde Bohne.
Du spieltest mit den Fröschen.
Gabst zum Sohne
Dem großen Frosch den kleinen.
Und in Ringen
Mußten die Schlangen um die
Hand sich schlingen.
Ich dachte an ein Mädchen des
Padrone:
Es war einmal ein Mädchen
tugendhaft,
Die lebte nur in Fröschen,
Schlangen, Kröten.
Hingab sie ihre Liebe, ihre
Kraft.
Sie wußte nur von ihren Freud'
und Nöten.
Da zwang ein Jüngling ihre
Leidenschaft.
Und sie ertrug ihn nicht und
ließ sich töten...
Es schaukelt unser Boot zu
jenen Inseln,
Die deine großen Blicke stets
ersehnten.
Vom Fenster unsres hohen
Zimmers dehnten
Sie sich im See, umspült von
Goldgerinseln.
Tunesiens Bäume glichen grünen
Pinseln.
Die Eukalyptuszweige Düfte
tränten.
An dicken Säulen lasteten und
lehnten
Steinerne Löwen im versteinten
Winseln.
Das Boot legt an. Ein alter
Diener schreit.
Die Fürstin steht gebückt auf
der Estrade.
Sie hilft dir aus dem Boot.
Ich höre Leid
Aus der Begrüßung sanfter
Serenade.
Du gehst zum Schloß. Der Saal
ist dunkel. Breit
Liegt eine Wachshand auf der
Bücherlade.
Um eine Stunde nur bei dir zu
sein.
Ich ließ mich heuchelnd in
Intrigen ein;
Ich gab dahin Ruf, Ruhm und
türmte Schulden.
Ich wälzte mich im Dreck und
lag in Mulden
Von Schlamm und war Genoß von
Ratt und Schwein.
Gras fraß ich, und ich lachte
meiner Pein.
Ich sah den Weg zu dir: durch
Schutt und Sulden.
Ich log und trog und log mich
hin zu dir
Und einen Berg von Ekel
überwand ich.
Ich war bei dir. Du warst bei
mir.
Fühlte nur deine zarte
Kinderhand ich,
War ich ein Kind wie du im
Waldrevier.
Und in der Hand: Licht, Luft
und Land umspannt ich...
Nachts steige ich mit Lampe,
Hammer, Schippe
In Sturm und Regen übern
Friedhofszaun.
Ich taste glücklich mich und
ohne Graun
Durch alle Gräber zu der
heiligen Krippe.
Ich schaufle und zerbrech den
Sarg. Die Lippe
Seh ich im Scheine der Laterne
blaun.
Und deine halbgeschlossnen
Augen schaun
Nach innen auf den Tanz der
Engelsippe.
Und meine Lippen küssen dein
Skelett.
Sie neiden dem Gewürm die
schönsten Brüste.
Der faule Sarg dünkt mich ein
Himmelsbett.
Umarmung deines Todes:
frömmste Lüste!
Ich schließe schluchzend das
gekreuzte Brett,
Und regnend spült’s mich an
die irdsche Küste.
XVIII
Nie wieder wird ein Sommer
sein wie dieser,
Den wir gemeinsam Hand in Hand
durchschritten.
Kein leises Leid und keinen
Streit erlitten
Wir im Genuß des Glückes.
Immer süßer
Erweckte uns der Tag noch ganz
inmitten
Der Lust der Nacht. Als heitre
Liebesbüßer
Bestiegen wir den Berg, des
Frührots Grüßer,
Und sind wie Vögel durch die
Luft geglitten.
Nie schien so jung der graue
Greis von siebzig,
Nie haben junge Herzen so
gebebt,
Nie hat die Sonne so in Glanz
zerstiebt sich,
Nie sind so Kinder durch den
Tag geschwebt,
Nie haben je die Menschen so
geliebt sich,
Nie ward das liebe Leben so
gelebt.
XIX
Wenn ich den Dornenkranz der
Stunden binde,
Ist’s nur, weil ich im
Jenseits dir vereinigt.
Ich bin gestäupt, gefoltert
und gepeinigt,
Damit ich der Verstrickung
mich entwinde.
Ich geißle blutig mich. Ich
stech und schinde.
Ich geh mit bloßem Fuß durchs
spitze Steinigt,
Bis ich beseelt, geläutert und
gereinigt
In deinem Himmel meine Heimat
finde.
Die Dornenkrone thront mir auf
der Stirn.
Die magren Knochen klappern
dumpf und klirrn.
Das Blut tropft rot aus
Achsel, Aug und Munde.
Du rufst zum Dienst das
heilige Gesind.
Du bettest mich und wäscht
mich wie ein Kind
Und beugst die Lippe sanft auf
jede Wunde.
Ich breite nachts im
Halbschlaf meine Hände,
Daß sie von deinem Geist
ergriffen werden.
Ich atme schwer. Und taumle
nach Gebärden.
Es schwebt ein rosa Hauch
durch das Gelände.
Und plötzlich seh ich Stern-
und Fackelbrände.
Apostel auch mit kleinen
Engelherden.
Es steigen Heilige von
Flügelpferden,
Und Weihrauch schlägt sich
dämmrig an die Wände.
Die Orgel dröhnt. In Sänfte naht
getragen
Verschleiert eine edle
Dulderin.
Und alle knien und singen oder
sagen:
Maria, hohe Himmelskönigin!
Und Mönche schleppen einen
leeren Schragen.
Es ist dein Sarg. Und selig
knie ich hin.
XXI
Das Auge sucht nach Brüdern
und nach Schwestern.
Die hohe Stirn glänzt wie die
ewige Leuchte.
Der Mund ist halb geöffnet.
Und mich deuchte,
Er spräche: Liebster, heute so
wie gestern!
Das dichte Blondhaar ringelt
sich in Nestern
Von Kolibris, die dein
Gespräch nicht scheuchte.
Die Hände sind mit Tau
besprengte feuchte
Lotos, die ewig der Vergängnis
lästern.
An diesem goldnen Halsband
hielt ich mich,
Wenn ich in Liebe zu ertrinken
drohte.
In dieses Ohr sprach mein
Gelübde ich.
An dieser Aprikosenwange lohte
ich fiebernd. Diesen Nacken
küsste ich
Und wußt es nicht: ich küßte
eine Tote...
Ich danke Gott mit Macht aus
tiefstem Herzen,
Daß er dich mir geschenkt ein
göttlich Jahr.
Der Mutter dank ich, welche
dich gebar.
Den Schwestern im Spital, die
mit den Kerzen
Am Sarge gingen. Und die mir
dein Haar
Mit kleiner Schere abgetrennt.
Den Schmerzen
Des Hundes Ri. Dem
Priestergreis, der erzen
An deinem offnen Grab
errichtet war.
Und sollt' ich hundert Jahre
Qual erleiden,
In denen stündlich ich dich
neu verlöre:
Einmal war doch das Paradies
uns beiden!
Einmal erbrausten Harf- und
Zymbelchöre!
Und muß ich einst von dieser
Erde scheiden,
Spring lachend ich in Charons
Fährenföhre.
Dich kannte niemand außer Gott
und mir.
Dein wahres Wesen war der Welt
verborgen.
Sie gehn ja nur nach
Guldenglück und sorgen
Sich nicht um Wolke, Nelke,
Mond und Tier.
Du warst Geschwisterwesen diesen
vier:
Wind, Sonne, Schmetterling und
Frühlingsmorgen.
Du sahst ins finstre Antlitz
aller Gorgen,
Daß sie zu Stein verendeten
vor dir.
Weit schweifend wie der Wind,
und wie das Licht
Der Erde Fruchtbarkeit und
Wärme lehend.
So wie der Falter Strahl an
Strahlen flicht.
Ein Frühlingsmorgen,
Pfirsichblüten schneend,
Und hell getönt wie Dantesches
Gedicht.
So warst du: gehend, stehend,
wehend, sehend.
Wie Schmetterlinge zahllos
sind die Küsse,
Die wir versunken ineinander
tauschten.
So wie des Ozeanes Wogen
rauschten
Die Wogen unsres Blutes. Unsre
Küsse
Waren wie Grillen, die
einander lauschten
Und wechselseitig zirpten.
Unsre Küsse
Lagen wie Wolk an Wolke. Unsre
Küsse
Sich wie die Pfauen bunt im
Dunkel bauschten.
Und keiner von den Küssen ist
vergangen.
Sie sind lebendig, wo ein
Knabe lächelt.
Und wo sich Lerchen in die
Lüfte schwangen.
Und wo ein Mädchen Sehnsucht
strickt und hechelt.
Und wo zwei Welten feurig sich
umschlangen.
Und wo der Wind auf deinem
Grabe fächelt.
Damit ich diese brachen
Strophen schriebe -
War's nötig, daß du starbst?
Sie sind's nicht wert.
Ich schwanke ohne Heimat, ohne
Herd
Von neuem in das
Wanderschaftsgetriebe.
Wo soll ich hin? Wo wünscht'
ich, daß ich bliebe?
Ich bin mit einem Marmorstein beschwert,
Den muß ich mit mir tragen,
denn er ehrt
Mit goldnen Lettern deine
goldne Liebe.
Der Stein mein Herz. Es
zittern meine Füße.
Der Wind pfeift durch das
hohle Hosenbein.
Die Raben senden ihre ersten
Grüße,
Bald wird es Winter und Verzweiflung
sein.
Ach schlief' ich, überhaucht
durch eine süße
Sternnacht, am nächsten
Straßenrande ein.
Dein Name sei als Turm
gesetzt, Irene!
Ich taufte dich am Quell in
unsrem Garten.
Du mußtest niederknien und
lächelnd warten,
Bis ich die Stirne dir
genetzt, Irene.
Du hast das Banner Krieg
zerfetzt, Irene.
Wie Bauern wir in Frieden Erde
karrten.
Wir lachten derer, die uns
meckernd narrten.
Den Hund hab ich auf sie
gehetzt, Irene.
Durch alle Spären jubilier
dein Name!
Er seufze süß aus jeder
Kantilene.
An seinem Klange krücke sich
der Lahme.
Der Taube selbst in seinem Ohr
ihn wähne.
Aus jedem Acker sprieße er als
Same.
Und jedes holde Echo singt:
Irene!
Nur dir soll künftig meine
Flöte klingen,
Und jedes Wort soll lieb- dich
und lob-preisen.
Ich will in zarten und in
wilden Weisen
Ein Echo deiner in die Reime
zwingen.
Ich will dir kniend meine
Bücher bringen,
Und mit dem Vogel Bülbül zu
dir reisen.
Er soll an deinem Grab mit
holdem leisen
Gezwitscher deines Todes Anmut
singen.
Ich bin nur selig, weil es du
ja bist.
Ich bin nur glücklich, weil in
meinem Arm
Du's warst. In der Erinnerung
hock und nist
Ich wie ein armer Kauz,
verweht und warm,
Und warte bis zur
Auferstehungsfrist,
Wo du mich rufst zum süßesten
Alarm.
Und immer wieder graut durch
blasse Scheiben
Ein trüber Morgen. Immer
wieder pfeifen
Fabriken. Und die armen
Menschen schweifen
Und lassen sich zu Frohn und
Elend treiben.
Und wieder muß ich meine
Wimpern reiben,
Dran noch der Nacht verträumte
Tränen träufen.
Und immer wieder geht’s zu
Kram und Käufen.
Und Feuer muß ich zünden.
Tränke seiben.
Wozu dies alles? Daß mein
müdes Herz
Ein Dutzend Jahre länger
Steine pocht,
Ein dutzend Jahre mehr ich
meinen Schmerz
Die myrthenkränze der
Erinnrung flocht?
Die Flamme lodert höll- und
himmelwärts.
Nur rußig brennt mein
angeschwelter Docht.
Ich möchte sterben mittags in
der Sonne.
Die Spatzen werden krähn. Die
Pferde blinken.
Am Brunnen wird ein armer
Ziehhund trinken.
Ein Kind geht tändelnd an der
Hand der Bonne.
Ein Käfer schwirrt in
Auferstehungswonne.
Zwei Liebende seh ich einander
winken.
Es zacken trotzig sich des
Domturms Zinken;
Im blauen Äther lächelt die
Madonne.
Das Leben lebt. Ich hör es,
seh es, fühl es!
Ob ich dabei, was schiert
sich's drum? Es lebt.
Im leichten Tanz des ewigen
Gewühles
Die Brust der Erde auf und
nieder bebt.
Ich fühle an der Stirn ein
klares kühles
Gewölk -: Irene, die mich
aufwärts hebt.
Der erste Monat, seit du
starbst ist um.
Ich schrieb an jedem Tag dir
ein Sonett,
Und bracht es abends an dein
Himmelbett.
Du lauschtest ihm, die Augen
zu und stumm.
Und glaubt ich, daß es dich ermüdet
hätt,
Verscheuchte ich des
Bienenvolks Gesumm.
Du schliefst. Dein Schlaf war
mein Martyrium.
Und dein Erwachen wird mein
Amulett.
Und wen sein Mensch verließ am
Wanderstab,
Dem reich ich ein Sonett zum
kargen Trost.
Den tausend Tränen, die er
weinte, gab
Die Schale ich. Die Gottheit
wägt uns lost.
Das höchste Glück sinkt in das
tiefste Grab.
Der Strom der Ewigkeiten
stürmt und tost.