Karl Lebrecht Immermann                 Wenn ich geliebte Lippen küßt und Wangen,

1796 – 1840                                                 Sucht ich die Seele, die gewesen mein

Und sich gesonnt mit an des Gottes Schein

Eh ich gelangt in dieses ird’sche Bangen.

 

Wenn meine aufgewühlten Saiten klangen,

Sucht ich hienieden der Gedanken Reihn,

So ich am ew’gen Stuhl von Elfenbein

Gleich goldnen Knäufen hatte sehen prangen.

 

Bin ich durch Feld und Dorf und Stadt geschritten,

Sucht ich mein Vaterland, den Herd der Ahnen,

Sucht ich mein Volk, vereint um würd’ge Fahnen.

 

So hab ich immerdar gesucht. – Ich suche,

Was uns versagt ist nach des Schicksals Fluche.

Und klagen sollt ich, daß ich viel gelitten?

 

 

 

 

 

 

 

Karl Lebrecht Immermann                 Im Traum erschien mein Genius. Er zeigte

1796 – 1840                                                 Ein großes Füllhorn mir und sprach: Darin

Ruht deiner Zukunft Schaden und Gewinn.

Nun wähle schwere Tage oder leichte!

 

Und aus dem Horne schüttete er seichte,

Bescheidne Freuden, muntern Tagessinn;

Dann schleudert’ er die strengsten Leiden hin,

Und Schmerzen sah ich, die kein Wort erreichte.

 

Und milde sprach mein Genius: So wähle!

Doch mich ergriff ein ungeheures Ängsten,

Und aus des Herzens Tiefen, aus den bängsten,

 

Rief laut, daß ich erwachte, meine Seele:

Gib andern, die sie mögen, solche Freuden!

Mir gib die heil’gen Schmerzen, gib die Leiden!

 

 

 

 

 

 

Karl Lebrecht Immermann                 Ich schau in unsre Nacht und seh den Stern,

1796 – 1840                                                 Nach dem die Zukunft wird ihr Steuer richten,

Bei dessen schönem Glanze sich die Pflichten

Besinnen werden auf den rechten Herrn.

 

Einst geht er auf, noch aber ist er fern.

Es sollen unsres jetz’gen Tags Geschichten

Zu Fabeln erst sich ganz und gar vernichten;

Dann wird gepflanzt der neuen Zeiten Kern.

 

Dann wird der König, den ich meine, kommen,

Und um den Thron, den ich erblicke, wird,

Wonach gestrebt das allgemeine Ringen

 

Und was die Größten einzeln unternommen,

Was wir erkannt, worin wir uns geirrt,

Als leichter Arabeskenkranz sich schlingen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karl Lebrecht Immermann                 Er wird als Held nicht kommen, kriegumweht;

1796 – 1840                                                 Ihn kümmern weder Franken, weder Slaven,

Da nur die Tröpfe westlich unsrer Strafen

Gefüllte Schale oder östlich steht.

 

Er wird auch nicht erscheinen als Prophet;

Er macht sie nicht zu eines Wortes Sklaven.

Vorüber gehn, so ihn zufällig trafen;

Er predigt nicht, er lehrt sie kein Gebet.

 

Er gibt den Augen nichts und nichts den Ohren;

Sein achten weder Reiche, weder Arme;

Ihm schallt ein Fluchen und ein Segen nie.

 

Doch wie er Speise nimmt und schlummert, wie

Er selig atmet in des Weibes Arme,

Fühlt alle Welt entzückt sich neugeboren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karl Lebeecht Immermann                Wie Wahnwitz müssen klingen euch die Worte.

1796 – 1840                                                 Denn nimmer ist der Ding’ urmächt’ges Prangen

In euren ganz verarmten Sinn gegangen;

Ihr rauft von grünen Wiesen das Verdorrte.

 

Ihr sitzt beständig in des Hauses Pforte

Und fühlt ein schmerzliches, ein sehnend Bangen,

Ins Innre der Gemächer zu gelangen,

Wollt aber euch nicht rühren von dem Orte.

 

Ihr seid so ferne jeglichem Genusse,

Daß mir die Zähre kommt, euch zu beweinen,

Wiewohl ihr mich verlacht, wenn ich euch frage,

 

Ob ihr den gott genoßt im Brot am Tage,

Ob Engel mochten eurer Nacht erscheinen,

Ob Andacht euch durchschauert hat im Kusse?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karl Lebrecht Immermann                 Wenn auf des Königs Einzug harrt die Menge,

1796 – 1840                                                 Und er zu lang ausbleibt der Neubegier,

So treibet in den Gruppen da und hier

Zu manchem Possenspiel der Stunden Länge.

 

Dann springt ein Knabe wohl durch das Gedränge

Und ruft: Ich bin’s! in nachgemachter Zier,

Die Krone auf dem Haupt von Goldpapier,

Und ihn begrüßen lachende Gesänge

 

Dies Gleichnis setz ich euch, daß niemand wähne,

Als ob mein Sehnen auf dem Flügelrosse

In niedre Dienste sich begeben habe.

 

Denn wo der Tand zu Hause, an der Seine,

Wird jetzt gespielet meines Königs Posse,

Und Saint-Simon heißt der gezierte Knabe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karl Lebrecht

Immermann                                           Wenn sich, mein Fürst, vor Deiner Sohlen Spangen

1796 – 1840                                                 Dereinst vom Weg empor ein Stäubchen stiehlt

Und jubelnd vor Dir her im Lichte spielt,

So ist’s der Staub des Menschen, der vergangen.

 

Und wenn zu Deinen schönen Götterwangen

Sehnsüchtig wehend sich ein Lüftchen hielt,

So ist’s mein Seufzer, der nach Dir gezielt,

Eh Du erschienest, hinter Kerkerstangen.

 

Ich trug mich an der Zeiten Joche matt.

Nur das Gemeine lebt und ist beständig,

Im Handwerksschmutz verwaltet von den Zünft’gen.

 

Ach, die Verachtung macht so bald uns satt!

Ich bin’s. Du kommst: dem Jetzt entronnen, send ich

Des Untertanen Eide dem Zukünft’gen.

 

 

 

 

 

Karl Lebrecht                            Die Schönheit und der Dichter

Immermann   

1796 – 1840                                                 Die Schönheit ruht, wie eine Braut, im Saale

Der Götter, ganz von Himmelsglanz umflossen.

In nackter Unschuld, fragt sie, hingegossen:

Wann kommt der Bräutigam zum Liebesmahle?

 

Der Dichter naht, entflammt vom mächt’gen Strahle

Der Sehnsucht, ach! und fliegt zu Brust und Munde;

Gefällig lächelt Hebe ihrem Bunde,

Sie reicht den Liebenden die vollste Schaale.

 

O Schwelgerei der süßesten Vereinung,

Bald nach der Blüthe läßt die Frucht sich blicken:

Ein herrlich Kind, das aller Welt Entzücken.

 

Den Dichter nur erfreut nicht die Erscheinung,

Er spricht: Es trägt des Vaters rohe Zuge,

O daß es die der holden Mutter trüge!

 

 

 

 

 

 

Karl Lebrecht                            Die zertrümmerte Säule

Immermann

1796 – 1840                                                 Im tiefen Thal, benetzt von Waldesbächen,

Liegt, halb zertrümmert, eine Riesensäule.

Der Stein verwittert, grau von Näss und Fäule,

Und oft verletzt durch bübisches Erfrechen.

 

Und sagenhaft erklungen geht ein Sprechen:

Die Säule rühre von dem großen Dome,

Der prächtig einst in aller Zeiten Strome

Hoch überschauet aller Länder Flächen.

 

Mit Runenschrift ist durchaus beschrieben,

Die räthselhaft den Weitesten geblieben,

Vom Eispol bis zum glüh’nden Lusitanien.

 

Will nun die Bosheit gänzlich sie zertrümmern,

Dann flammen zornig alle Runen, schimmern

Ein klares Wort dem Feind, das Wort: Germanien!