Karl Wilhelm Justi                 Das Schmerzlichste

 

Schmerzlich ist’s, wenn Stürme, kalt und trocken,

Tödten, was der lange Fleiß erziehlt,

Wenn im Mai ein Wirbel niederwühlt,

Statt der Blüthen, Hagelsaat und Flocken;

 

Schmerzlich, wenn bei jugendlichen Locken,

Und bei Wangen, welche Zephyr kühlt,

Einer Schönen kaltes Herz nicht fühlt,

Und des Geistes edle Triebe stocken;

 

Schmerzlich, wenn der schöne Lenzbeginn

Unsers Erdenlebens ungenossen,

Seine Wonnen ungeschmeckt verflossen: -

 

Aber tiefer wühlt der Schmerz im Sinn,

Wenn ein Freund, mit Honig in dem Munde,

Uns bereitet eine Todeswunde! –

 

 

 

 

 

 

 

Karl Wilhelm Justi                 Das Unvergängliche

                                               An Daura

 

Bald verstummen auf dem Maigefilde

Philomelens Lieder, süß und hold,

Bald erfalbt der Sonne reines Gold,

Und Gewölke trübt des Aethers Milde;

 

Unmuth, und im düstern Blick wie wilde

Seele zeugen, daß der Minne Gold

Unsre Wünsche täuschet: Schatten zollt

Uns die Hoffnung, und erstirbt im Bilde;

 

Bald verlöscht des Auges Feuergluth,

Auf den Wangen bleicht die Rosenhülle

Von den Lippen fliehen Reiz und Fülle;

 

Aber Eines trotzt des Schicksals Wuth:

Sinn für Wahrheit, Tugendhuldigungen,

In der Edlen Wechselband geschlungen.

 

 

 

 

 

 

Karl Wilhelm Justi                 Die Höchste Wonne

                                                               An Hrn. Rath Casparson in Cassel

 

Lieblich tönen der Geweihten Lieder,

Deren Sachläfe Efeu längst umwand,

Denn im holden Fantasienland

Blüht den Sterblichen ein Eden wieder; -

 

Wonnezähren fließen still hernieder,

Wann ihr Genius mit Zauberhand

Unbelauscht den Weg zum Herzen fand

Eines Jünglings, tugendwarm und bieder;

 

Lieblicher, als Abend-Purpurgluth,

Lockender, als zarter Hoffnung Blüthe,

Ist der Liebe süße Schmeichelgüte;

 

Labender, der Güter erstes Gut,

Wenn das Herz, dem sich ein Freund verkündet,

Unvermuthet den Erwählten findet!

 

 

è Antwort von Casparson

 

 

 

 

 

 

 

Karl Wilhelm Justi                 Menschenfreuden

                                                               An Hrn Regierungsrath von Wildungen

 

Wenn ein edler Freund in goldnen Stunden

Der Entzückung in die Arme sinkt,

Und in Zügen Seligkeiten trinkt,

Dann ist meine Seele neu entbunden;

 

Menschenfreuden hab’ ich oft empfunden,

wenn verwandten Seelen Liebe winkt,

Und ein Schein von froher Hoffnung blinkt,

Der durch Wolken mühsam sich gewunden;

 

Menschenfreude regt den Ton der Leier,

Wenn ein seltner Geist sich hoch erhebt,

Und verjährtem Wahne kühn entschwebt;

 

Doch der Menschenfreude höchste Feier

Klärt mein Auge, wenn in Mitgefühl

Sich ergießt des Holden Saitenspiel! –

 

 

 

 

 

 

 

Karl Wilhelm Justi