Ein
Sonettenkranz von
Friedrich
Kieteubl und ZaunköniG
I.
Azur - so lockt die See hoch
über mir,
Verebbt gedankenschwer in blasser Ferne,
Auf weißen Wolkenschiffen zög’ ich gerne,
Vom Wind getragen, weit, weit fort von hier.
Geräuschvoll wogt das Feld im Mittagslicht,
Ein Schritt nur, schaumgekrönte Meereswellen
Gepflügt am Bug zu wilder Gischt zerschellen,
In voller Fahrt das Oben mit dem Unten bricht.
Beglückend frei bereis’ ich Himmelssphären,
Der Kurs allein von meinem Selbst bestimmt.
Wer könnte da mich noch das Fürchten lehren?
Ein Glockenschlag mir jäh die Träume nimmt,
Die Zeit, sie ruft mich, schleunigst umzukehren -
Doch wenn mein Sinn schon längst die Rah erklimmt?
F. K.
II.
Doch wenn mein Sinn schon
längst die Rah erklimmt,
Wenn er nicht Wind, noch
Wetterleuchten scheut?
Die Wellen aufgepeitscht,
Das Sturmgeläut
Verhallt; Wenn mir kein
Richtungsfeuer glimmt.
Mein Blut kocht kabbelig
rauh wie die See,
Weil es die ferne
Meerverwandschaft fühlt,
Wird jeder Vorsatz vom
Gefühl verspült.
Die Sehnsucht wendet sich
von Luv auf Lee
Und umgekehrt. Nun gilt es
zu erleben.
Zweck und Ziele bleiben
unbestimmt.
Die Wogen die mein
Schiffchen tragen, heben
Auch den Himmel, der sich
wolkig dimmt.
In Visionen soll mein Sinnen
schweben,
Wenn Traum und Plan am
Horizont verschwimmt.
ZkG.
III.
Wenn Plan und Traum am Horizont verschwimmt
Und achteraus die Kimm noch letzte Pforten
Zum Rundum schließt und Sehnen allerorten
Dem Raum das Blau, der Zeit das Weiß entnimmt,
Genau ab diesem wahren Augenblick
Vollführt die Kompassnadel Kreiseltänze,
Das Steuerrad blockiert, es lenkt zur Gänze
Die inn’re Weite fortan mein Geschick -
Sie folgt den Albatrossen, deren Schwingen
Befreit von jeder Erdenschwere schier
Arkaden gleich den Raum umgreifen. Klingen
Die schrillen Rufe nicht vertraut in mir?
Ihr Klang verhallte nie, doch durch sein Singen
Erwacht am Meeresboden dieses Tier!
F.
K.
IV.
Erwacht am Meeresboden dieses
Tier
Und zieht die Schattenspur
am Grund entlang,
So muschelschwer und tintig
schwarz wie Tang,
Gebietend seiner
Meeresströme vier,
Vibriern die Wellen im
Sirenensang
Und in unendlich
sehnsüchtiger Bläue.
Die alte Sucht ist jeden Tag
die Neue,
Jeden Tag erwartest du den
Fang.
Ich kriege Dich! Ich weiß
es. Ja, ich kann’s!
Nur einen Splitter habe ich
erwischt
Des Meeresspiegels, dessen
Silberglanz
Durch meine Finger rinnt und
schnell verlischt.
Und wieder lädt mich dieses
Tier zum Tanz;
Die Wogen wölben sich, es
spritzt die Gischt...
ZkG.
V.
Die Wogen wölben sich, es spritzt die
Gischt,
Es stöhnt, es ächzt, es knarrt die Karavelle,
Wenn sie, am Bug das Spriet gezückt, der Welle
Frontal den Bauch durchsticht – als Aufschrei zischt
Die Wut Neptuns noch mittschiffs ins Gesicht,
Verbrennt mir Augen, raubt die Sicht, mein Frevel,
geentert tief in meiner Brust, wie Schwefel
Versprüht er blau als Mastenspitzenlicht.
Die Tarantella tost im Donnertakt,
Das Tier, mit ihm der Wolkenozean,
Umwirbeln mein fragiles Artefakt,
Bis mir die Sinne schwinden, momentan
Verlischt die Szene, löst sich der Kontakt…
Es dreht sich richtungslos mein schwanker Kahn. F. K.
VI.
Es dreht sich richtungslos
mein schwanker Kahn.
Wohin wohl all die wilden
Wolken wehen?
Darüber ungerührt die Zirren
stehen
unf Federwolken breiten sich
als Schwan...
Sie dümpeln lautlos in den
Wellentälern
Und ganz in sich gekehrt
ruht Tal in Tal.
Es prallen ab von ihnen
Strahl um Strahl,
Hell gleißend, daß sie mir die
Aussicht schmälern.
Der Horizont glänzt wie ein
Diadem,
Im Wasserspiegel schimmert
Peristan,
Gott Neptun übt sich fernhin
als Galan.
Ein Fingerzeig zurchzittert
die Membran
Und feierlich ergebe ich
mich dem
Was nun passiert, sei’s
Wille oder Wahn.
ZkG.
VII.
Was nun passiert, sei’s Wille oder Wahn,
Betäubt mein Denken, holt es Kiel, bis Sinnen
Vom Fühlen eingepackt, vernäht in Linnen,
Beschwert mit Staunen, jäh in steiler Bahn
Nach unten sinkt. Mein Selbst nun sundbefreit
Geht über Bord in einem Heer aus Funken
Das sich, vom Nereidentanz volltrunken,
Als Spur am Firmament verliert. Wie weit
Mich wohl die Wellenwesen weitertragen?
Betörend wirkt ihr Wirbeln. Angst erlischt.
Und eine Brise Wahn weckt weitres Wagen:
Das Tier, die Jagd, der Fang – Doch wer entwischt
Hier wem? Gejagter oder Jäger? Fragen …
Es hat die Wasserfarben neu gemischt!
F. K.
VIII.
Es hat die Wasserfarben neu
gemischt
Ja was? Ein Fisch? Ein Krake? Ein Klabauter?
Ein tolles wildes
Wellenwogen braut er.
Vom Bugspriet habe ich nach
ihm gefischt
Dies Fangenspielen macht ihm
sichtlich Spaß;
Wie eine Krone trägt er
silbrig, zackig
die Brecher vor mir her, bis
kalt und brackig
die Reeling überrollt das
trübe Nass.
Schon wogt ein neuer Berg
mit weißem Firnis,
verschäumt an Deck und
hinterläßt nur Wirrniss.
Ich saufe diesen
salzig-herben Sud.
Um meine Walnußschale tanzt
der Nöck,
Der Himmel schwärzt sich,
wie zu Ragnarök.
Zu Purpurrot verkocht die
Brecherflut.
ZkG
IX.
Zu Purpurrot verkocht die Brecherflut,
Spiralt in zeitverformten Traumgedanken
Den Schlund, wo einst Gestirn und Schiff versanken
Im Angesicht der Himmelsgöttin Nut.
Am Steigblock Átum-Ré, den Falkenblick
Entschlossen westwärts nach Manú gerichtet,
Mäát am Galion, im Sog verdichtet
Sie die Uräuskraft mit viel Geschick
Zum Ankh. Er wird die Sonne, die mit Wallen
Erstarkt im Meer versinkt, im goldnen Spalt.
Für einen Augenblick der Andacht ballen
Sich noch die Kräfte und infernal erschallt
Der Ibisruf des Thot - die Schleier fallen,
Fontänen zischen, sprühen feurig kalt.
F. K.
X.
Fontänen zischen, sprühen
feurig kalt
Die Klippen, ihren Grenzwall
zu verdammen,
Hinauf als irisierend blaue
Flammen
Und schleifen mit den Jahren
den Basalt
Zu feinem Sand; die
Wellenmuster stammen
Von dieser schöpferischen
Urgewalt,
Die bald im Meer lebt, bald
im Fels und bald
Zerstreiten sie sich, wirken
bald zusammen.
Und immer forschend was die
Regeln sind
Ruf ich in immer
stürmerische See
Hinaus: „Frisch auf! Ich
brauch zum Segeln Wind!“
Die Planken überschäumt der
bracke Sud,
Schon weiß ich nicht mehr ob
ich flieg, ob steh,
Es rast der Puls, das Blut,
es flieht der Mut.
ZkG.
F. K.
XII.
Tentakel züngeln, suchen,
finden Halt
und Sturm reiß unaufhörlich
in den Wanten.
Bedrohlich knarren unter
Deck die Spanten
wenn Menschenwerk auf
Urgewalten prallt.
Für jene Spiel, ein
Überlebenskampf
für mich; ich weiß, ich muß mich
neu besinnen
„Die wahre Kraft entfaltet
sich von innen“
uns schon sticht Sonne durch
den Wetterdampf.
Wie wir beherzt einander
aufgewiegelt,
das Tier und ich, wie wir
uns angestiert,
so lassen wir einander nun
der Flut.
Die späte Sonne seh ich wie
gespiegelt,
als ob dort fern ein
Mohnfeld explodiert.
Ich sinke, tauche ein in
pure Glut.
ZkG.
F. K.
XIV.
Verbrenne wesensgleich zur
Lichtgestalt.
Ein Mohn bin ich im Meer von
tausend Mohnen
und wie mein Rot, entsinkend
tausend Thronen
sich wiedergibt der
irdischen Gewalt
beginnen Korn um Korn in mir
zu reifen.
Der Funke, der mich in der
Tiefe traf
durchglüht ein Keimendes in
mir. Wie Schlaf
bemächtigt er sich mir und
will ergreifen
den Körper und die Seele,
den Verstand,
die Sinne: Haptik, Augenlicht,
Geruck
und finde doch nicht, was
ich ewig such.
In mir verwachsen ist mein
Wunderland.
Zum Himmel rankt ein
Rosenholzspalier.
Azur, so lockt die See hoch
über mir.
ZkG.
Azur, so lockt die See hoch über mir.
Doch wenn mein Sinn schon längst die Rah erklimmt,
Wenn Traum und Plan am Horizont verschwimmt
Erwacht am Meeresboden dieses Tier.
Die Wogen wölben sich, es spritzt die Gischt,
Es dreht sich richtungslos mein schwanker Kahn.
Was nun passiert, sei's Wille oder Wahn;
Es hat die Wasserfarben neu gemischt.
Zu Purpurrot verkocht die Brecherflut,
Fontänen zischen, sprühen feurig kalt,
Es rast der Puls, das Blut, es flieht der Mut,
Tentakel züngeln, suchen, finden Halt,
Ich sinke, tauche ein in pure Glut,
Verbrenne wesensgleich zur Lichtgestalt.
F. K. / ZkG