Jens Koch                               Bitte eines Bombenopfers

*1937

© alle Rechte beim Autoren                zum Gedenktag, an dem des Bombenangriffs auf

                                                               Schwabmünchen im 2. Weltkrieg gedacht wird.

 

Bin ich denn schuldlos, weil ich Opfer war?

Ich ließ mich leider auch ganz gern betrügen,

ich blieb so stumm wie ihr und hoffte gar,

es könne irgendwie Verstand noch siegen.

 

Ich habe doch gewußt: Das Vaterland,

das bös zertretene, fordert keine Morde.

Es trauert um erstorbnen Widerstand

und schaudert vor dem Brüllen dieser Horde.

 

Doch wer, wer durfte mir den Henker schicken,

der uns zertrümmert ohne umzublicken! –

Ein Richter, der sich weigert, das gesicht

 

zu sehen, dessen Zittern er beendet –

von diesem richter steh ich abgewendet.

Doch schuldlos ... schuldlos nennt mich bitte nicht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jens Koch                               Der herrische Gondoliere

*1937

© alle Rechte beim Autoren                Im Dezember 1998 zu dem Acrylbild VENEZIA

                                                               von Kersten Thieler-Küchle, Schwabmünchen

 

Entronnen unsren mütterlichen Stuben

erträumten wir in den Gebeinen einer Nacht

das ferne Ende und – zum Tag entfacht –

ein Leben vor dem Herrn der Grube.

 

Der stäubte uns in das Kaleidoskop

der stürzenden Kalender das Licht, das wir erbaten,

und würzte unsren Puls mit rotem Atem.

bis er die Maske heute hob:

 

„Ihr Spiegelfechter fürchtet euch zu wissen,

was auch dem Bucentaurus widerfuhr,

und glaubt, ich sei euch ewig gnädig.

 

Wenn ich die Gondeln eurer Düsternisse

ertränke, bleibt nur eine nasse Spur

im Marmor auf dem Fischmarkt von Venedig.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jens Koch                               Ein Kundengruß zum Umzug

*1937

© alle Rechte beim Autoren                Dem Buchhändler Albert Schmid in Schwabmünchen

 

Ja, da schau her, wie sich das dehnt und dehnt,

das Buchgeschäft mit bunten Reiseführern,

mit scharfen Krimis und der Kunst von Dürern,

wo keiner lässig an der Theke lehnt,

 

wenn man den Fuß ins Bücherbergwerk setzt. –

Respekt, wie der da Fundament gelegt hat,

der, der da x Romane schon bewegt hat,

der Chef, bei dem man friedlich handyhetzt.

 

Doch woher kommt der Stoff? Ist’s wahr, er gründet

sein Wohl auf andrer Leute Grips, behext

den Weltgeist, den er an sein Konto bindet?

 

Man wünscht ihm gern, daß sein Vermögen wächst,

solange er pro Woche sieben Kluge findet,

die sich vertiefen im erworbnen text.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jens Koch                               Marlene Wagner zum 65. Geburtstag

*1937

© alle Rechte beim Autoren                Meiner Mitstreiterin im Bund Naturschutz aus Schwabmünchen.

 

Spitzbergen ist zum Beispiel eine Reise wert,

das kühlste Cola gibt’s im Land der Maya,

den besten Wein auf Samos und in Baia.

So fliegt man hin und her, damit man Gläser leert.

 

Und an den sitz gefesselt glaubt man, man erfährt,

nach Rinderweiden spähend und den abgemähten

Getreidefeldern unsres würdigen Planeten,

wie uns der ausgenutzte Stern ernährt.

 

Doch will die Erde dem sich nicht erschließen,

der um ihr Erbe spielt und es verwettet.

Sie will geachtet sein und es genießen,

 

wenn wir mir ihrem Wohl uns selber retten.

So soll sie zum Geburtstag Sie begrüßen

mit Buchs und Hasel in den Hügeln von Scherstetten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jens Koch                               Michael Ulshöfer zum Vierzigsten

*1937

© alle Rechte beim Autoren                Meinem Nachbarn, gelerntem Metzger

                                                               und Betreiber eines Party-Dienstes

 

Ein Festzelt zwischen glänzenden Novemberpflanzen

umfasst für eine Weile den Bestand

von bunten Gästen, die Hava Nagila tanzen,

von Gästen aus der Jugend abgesunknem Land.

 

Hier schließen vier Jahrzehnte blitzschnell sich zum ganzen

und öffnen wieder sich zum flatternd langen Band,

als ob die sensen schon einmal ur Probe tanzten,

zur lächelnden Verbeugung vor des Lebens Rand.

 

Da könnte mancher denn beklommen fragend schweigen

und könnte grübel-grabeln, doch er tut das nicht.

Er zieht es vor, durch eine Welt zu steigen,

 

die Leben heißt und Neugier, Mond- und Sonnenlicht.

Den Schlemmern liebt er auf der Pfanne vorzuzeigen,

zwei Messerspitzen Anarchie im Fleischgericht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jens Koch                               1993, nach einem Besuch in Freiburg

*1937

© alle Rechte beim Autoren

               Steh unerschüttert herrlich im Gemüte,

Du großer Beter glaubensmächtiger Zeit!

Wie dich verklärt des Tages Herrlichkeit,

Wenn längst des Tages Herrlichkeit verglühte.

 

So will ich bitten, daß ich treulich hüte

das Heilige, das du ausstrahlst in den Streit,

und will ein Turm sein in der Dunkelheit,

Des Lichtes Träger, das der Welt erblühte.

 

Und sollt’ ich fallen in dem großen Sturm,

So sei’s zum Opfer, daß noch Türme ragen

Und daß mein Volk der Wahrheit Fackel werde.

 

du wirst nicht fallen, mein geliebter Turm.

Doch wen des Richters Blitze dich zerschlagen,

steig’ in Gebeten kühner aus der Erde!

 

                                               Reinhold Schneider

 

Reinhold Schneiders Blick auf den Turm des Freiburger

Münsters während des zweiten Weltkriegs. –

Ein vom Erzbischof von Freiburg, Hermann Schäufele,

erbetenes Hoffnungszeichen für die Studenten an der Front.

 

 

 

Er steht noch ungeschändet in der Mitte

des Marktgeschiebes wie ein hohes Mal

und spendet Kühle, wenn die große Zahl

von Gästen ihn durchpflügt mit trägen Schritten.

 

Er durfte bleiben, so als ob er die Bitte,

der Hoffnungsschrei aus gramgetränkter Qual,

ihn rettete. – die Söhne fraß der Stahl,

die fieberheiß an Opferschauern litten.

 

von Bombenblitzen blieb er unerschüttert

und steht, von fremden Freunden wohl bewahrt,

die ihre Türme, nicht die Beter schonen.

 

Die Waise, die noch im Erinnern zittert,

ruft matt nach überlebter Todesfahrt:

„Wer schont das Haus, in dem die Menschen wohnen?“