Sonntag

 

Das soll ein Sonntag sein? Daß ich nicht lache.
Ich bin noch keinem Sonnenstrahl begegnet.
Die Wolken hängen dicht, es stürmt und regnet,
man könnte fast ertrinken. Nichts für Schwache.

An einen Ausflug ist da nicht zu denken,
ans Wandern in die wohlig warme Weite.
Die Luft ist kalt, als ob es bald schon schneite...
Ach was, ich will mir das Gejammer schenken.

Am besten ist es, ich verkriech mich wieder.
Erst noch der Braten und ein Gläschen Wein,
dann ab ins weiche Bett - ich leg mich nieder.

Schon gähne ich und döse friedlich ein.
Wie wohl wird mir - sind das nicht Vogellieder?
Was für ein traumhaft goldner Sonnenschein!

 

                                                          Oswald Köberl

 

 

Es summt und singt, die Luft ist herrlich mild;
Wie sich die ganze Welt so freudig regt,
sobald ich mich nur endlich hingelegt!
Mein Fensterblick taugt als Kalenderbild.

Nun gut: Als mich die Sonnenstrahlen trafen,
hab ich es mir noch einmal überlegt.
Mein alter Mißmut war wie weggefegt;
Das Wochenende ist ja nicht zum Schlafen!

Ich raff mich auf. Es kommt wie's kommen muß:
Kaum aufgestanden folgt der nächste Guß.
Ja, weiß das Wetter denn nicht was es will?

Und wieder mochte ich den Tag verdammen.
Ich sinke wieder schlaff in mich zusammen..
Und die Sonne lacht mich an: April, April!

 

                                                                             ZaunköniG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                             Das ganze Bild

                                                         (Tenzone)

 

I.

 

Nicht bergend ist der Raum der Nacht, nicht mild.
Die Dunkelheit, in der die Träume schwammen,
zerreißt und windet sich in jähen Flammen,
und nur das Lachen schützt uns noch als Schild.

Wir wissen, daß wir aus dem Nebel stammen,
und fragend folgen wir dem blauen Wild.
Bleibt wirres Stückwerk das zerbrochne Bild?
Doch endlich fügt sich Stein um Stein zusammen.

Und dann der Tag. In seinem grellen Licht
verwehen haltlos die geahnten Spuren.
Die Sonne raubt der Seele ihre Sicht.

Das ganze Bild - der Weg, den wir erfuhren,
der Flammentraum, der Ewigkeit verspricht –
all das zerbricht im Stundenschlag der Uhren.

 

                                                          Oswald Köberl

 

 

II.

 

So vieles bricht im Stundenschlag der Uhren:
Es wird vom Tag verschüttet, Schicht um Schicht,
und nur in Assoziationen spricht,
was wir im Unbewußten einst erfuhren.

Mit wachen Sinnen ahnen wir noch Spuren,
die dunkel in uns schlummern, fern dem Licht.
Die Kunst eröffnet eine neue Sicht
auf Archetypen, fremde Kreaturen.

Bunt glänzt, was bruchstückhaft dem Traum entstieg
und streut sich in den Tag als reife Saat.
Bald fügt sich Stück um Stück das Mosaik;

Es scheint zu passen, doch man sieht die Naht.
Die Kunst, vom Traum beseelt, bleibt hier Replik,
doch selbst in dieser schimmert manch Karat.

 

                                                          ZaunköniG

 

 

III. Schweigen

Der Schimmer trügt. Oft wiegst du in Karat,
was nur als eitler Talmi Strahlen bricht.
Schwer ist die Kunst, doch hat sie kein Gewicht,
wenn sie nicht aus der Tiefe steigt als Tat.

Am Anfang stehen Armut und Verzicht,
und wenn dein Lauschen in die Leere trat,
ergib dich und verschenk dich ihrem Rat,
denn Träume halten über dich Gericht.

Und nach und nach erfährst du, wie die Wände
der Zeit sich lösen, Fesseln fallen fort,
als ob die Welt zu ihrem Anfang fände.

Die Farben, spürst du, haben keinen Ort
und sind doch wie ein Leuchten ohne Ende.
Dann neigt sich aus dem Schweigen dir das Wort.

 

                                                          Oswald Köberl

 

 

IV. Natur und Kunst

Ist's denn ein Schweigen, das der Schöpfung Wort
Und das die sphärische Musik erfände?
Mag sein, doch wiedergeben unsre Hände
Musik als Ton, als Satz und als Akkord.

Kein Menschenwort pflanzt dieses Urwort fort
Und doch nimmt die Musik in uns kein Ende,
Hallt ungefügt und ohne enge Wände.
Nur als Idee hat sie in uns den Ort.

So gibt das Gold auch Talmi echten Glanz,
Doch Zinn und Kupfer geben ihm die Härte.
Das Mosaik ist Abbild - wie Musik.

Das Bild ist Stückwerk - die Idee bleibt ganz
Und unantastbar bleiben ihre Werte,
Doch Form erhielt, was ins Bewußtsein stieg.

 

                                                          ZaunköniG

 

 

Tanz der Zeit

Vielleicht bleibt das, was ins Bewußtsein stieg,
bewahrt in seiner Form, in seinem Werte.
Doch widersteht es auch dem scharfen Schwerte
veränderter Erkenntnis – reicht ein Sieg,

ein Lied zu fesseln, das so lange schwieg?
Das Wissen wankt, das man noch gestern lehrte,
das Denkmal stürzt, das man als ewig ehrte,
man weiht das neue Lied: Nun sing und flieg!

Und immerzu verwelkt und blüht ein Kranz
von Überzeugungen, um zu beweisen:
Nur in Verwandlung weilt das Leben ganz.

Wir lernen zu verlassen und zu reisen,
und manchmal faßt uns Schwindel an im Tanz
der Zeit, als könnten wir auch rückwärts kreisen.

 

                                                          Oswald Köberl

 

 

Dialektik nach Heisenberg:

 

Es schwindelt uns, daß wir auch rückwärts kreisen;

In der Idee sind alle Zeiten ganz

und die Verwandlung leiht dem Leben Glanz.

Wir unterscheiden Weilen oder Reisen,

 

doch eine stete Welle wird der Tanz,

will man ihn formend, manifest beweisen.

Erstarrt stehn stumm die unbewegten Weisen,

doch überschaut man so den ganzen Kranz.

 

Wie oft wir unseren Verstand befleißen;

veränderte Erkenntnis gibt uns schon

das Schwert zur Hand, daß alte Fäden reißen.

 

Erkennen wir die Fuge? Hör’n den Ton?

Mit welchen Vorstellungen wir kreißen;

Frag weiter: Unscharf bleibt die Relation.

 

                                                          ZaunköniG

 

 

Kosmos

Das ist es! Ja, du kannst die Relation
vom Wesen zur Erscheinung unscharf heißen.
Denn alles Denken wird betäubt vom Gleißen
der Wahrheit, wie berauscht von starkem Mohn.

Wer unterscheidet Weißeres vom Weißen?
Wem winkt das Weltenwissen denn als Lohn?
Wer sinkt nicht blind zu Boden vor dem Thron
des Ganzen, wenn die Dunkelheiten reißen?

Laß uns wie Kinder mit den Steinen spielen,
vertrauend, daß es für ein Ahnen reicht,
und ohne auf Erfüllungen zu zielen.

Vielleicht, daß einmal unser Dämmern weicht
und eine große Hand aus all den vielen
Versuchen einen Kosmos formt. Vielleicht.

 

                                                          Oswald Köberl

 

 

 

 

 

 

Oswald Köberl                           Akrostichon

© beim Autor                                               für den Sonettdichter Manfred Drewitz

 

Manch ein Sonett, das uns entgegenfällt,
Als hielte es im Fallen zögernd inne,
Nimmt uns und leitet alle unsre Sinne
Für kurze Zeit in eine andre Welt.

Reflexe (wie ein Prisma Strahlen bricht)
Entflammen sich aus Finsternis und Schweigen,
Durch einen Sturm von Stimmen aber steigen
Die Wortfontänen auf wie jähes Licht.

Reicht nicht ein Augenblick wie dieser schon,
Erkenntnis zu gewinnen und der reinen
Wahrhaftigkeit das Innerste zu einen?

In diesem Wissen wohnt ein reicher Lohn:
Trotz Hindernissen hemmt nichts unser Schreiten
Zu einem Ziel in unbegrenzten Weiten.

 

 

 

Antwort von ZaunköniG:

 

Don liefert hier ein brauchbares Exempel
Aus Sprachkonzepten Poesie zu dichten.
So gibt er vor, von andern zu berichten;
Auch er gibt dieser Form den eignen Stempel!

Kann man es schöner, gar geschickter machen?
Reicht man denn an ein Vorbild je heran?
Oh nein, man tue, was man selber kann;
Schon wird dir deinj Geschick auch wieder lachen.

Talent ist eins, ein andres ist Genie
Im Anflug mal, mal fliegt es auch davon,
Changierend spielt mit dir die Poesie.

Hab ich mir auch viel vorgenommen, Don,
Ob's gut versucht, so bleibt es doch Kopie:
Nicht nur Sonett, nein auch Akrostichon.

 

 

 

 

 

 

Oswald Köberl                           Sonette nach aufgegebenem Endreim

© beim Autor                                              

 

(Aufgabe von Karin Rohner)

 

Ein Mann aus Innsbruck trachtet nach dem Enzian,
weshalb er mühsam ins Gebirge steigt.
Er weiß, im Norden irgendwo verneigt
man sich vor solcherlei alpinem Wahn.

Er steigt bergan, indes der Föhnsturm geigt.
So früh am Morgen gondelt keine Bahn.
So früh kräht nicht einmal der erste Hahn.
Das brave Durchschnittsvolk, es schläft und schweigt.

Erst Stunden später regt sichs in der Gasse
und auf den Plätzen, die die Sonne heizt.
Da sitzt der Mann verklärt auf der Terrasse

des Berghotels, das nicht mit Schnäpsen geizt.
Was hat er denn? Was soll nur die Grimasse?
Der Enzian ists, der den Gaumen reizt.

 

 

(Aufgabe von Ulrich Reinhardt)

 

Fernsehabend

Man sieht ihn – schemenhaft – den Umschlag reichen.
Der andre nickt, entfernt sich ohne Hast.
Im Finstern schleichen zwei mit einer Last.
Es schüttet. Ein Gewitter ohnegleichen.

Dann graut der Tag. Die letzten Nebel weichen.
Des Chefinspektors scharfer Blick erfaßt
den Tatort, eine kleine Autorast.
Soweit, so gut. Wo aber sind die Leichen?

Laut Zeugen sagte der mit Bart: „Ich droh
nicht gern, doch morgen wirst du nicht erwachen.“
Ja – zugegeben, das klang ziemlich roh.

Mir aber reichts. Ich höre lieber lachen
und schalte um. Es dudelt falsch und froh.
Der „Stadel“ ists. Wer liebt nicht solche Sachen?

 

 

(Aufgabe von ZaunköniG)

 

Moderne Oper

 

Stiletto – der vom Film – schrieb das Libretto.
Der erste Akt, in Frankreich, zeigt uns ein Chateau.
Dort hat der Börsenmulti sein Büro.
Was er verdient? Ich weiß nicht. Aber netto.

Der arme Reiche fühlt sich wie im Ghetto.
Dann Szenenwechsel. Ein Gebirgsplateau.
Da singt ein Bauerngirl mit Niveau
und wird begleitet von der Band Stiletto.

Der Multi, börsenmüde, kommt nun taktisch
gerade recht und ist vom Girl betört.
Man steuert auf ein Happyend zu, faktisch.

Doch gibt’s Verwicklungen, wie sichs gehört.
Der Mann verarmt und lebt von Bier und Backfisch.
Das führt zu Streit - war alles nur ein Flirt?

 

 

(Aufgabe von Willi Schantel)

 

Späte Stunde

Der Herbst verglüht. Man sitzt beim dunklen Wein
und denkt: war ich nicht gestern noch ein Kind?
Wie fliegt das Jahr, wie fliegt die Zeit geschwind.
Schon morgen kann der Weg zu Ende sein.

Doch heute soll uns das nicht kümmern , nein.
Komm her und freu dich, daß wir beide sind.
Komm her und spüre auf der Haut den Wind
und letzte Wärme aus dem späten Schein.

Noch einmal heben wir das volle Glas
und schauen uns ins Auge, lang und tief.
Was ist? Was zitterst du? Was wirst du blaß?

War da die ferne Stimme, die uns rief?
Spielt da der Zeitenspieler schon sein Aß?
Singt uns zum Schlaf ein Gott, der lange schlief?

 

 

 

(Aufgabe von Karin Rohner)

 

Abendliche Floßfahrt

Die Lücke fällt ihm auf in einer Brücke,
dem Flößer, der auf flachem Flusse schifft.
Das reimt sich, denkt er lächelnd. Doch da trifft
ihn brennend heiß der Stich von einer Mücke.

„Ha!“ schreit er auf. „Ich reiße dich in Stücke!
Was impfst du voller Tücke mich mit Gift?
Bist du denn ganz bescheuert und bekifft?
Warum, sag, stichst du mich in die Perücke?“

Die Mücke kichert. „Weil ich eben dürste.
Und wenn du nicht imstand bist, mich zu fangen,
dann, lieber Freund, gehörst du in die Würste.“

Und wie ging’s weiter? Ja, das läßt uns bangen.
Der Flößer kratzt wohl fluchend seine Bürste,
in die noch viele, viele Stiche drangen...

 

 

 

(Aufgabe von Karin Rohner)

 

Traumwelt

 

Ich schrecke aus dem Schlaf und bin voll Kummer.
Mir träumte, daß ein Dieb durchs Fenster flitzt
und mir mein dichterisches Werk stibitzt -
er wird berühmt und eine große Nummer...

Erst gegen Morgen find ich endlich Schlummer.
Die Fenster alle dicht. Ich bin gewitzt.
Und dennoch fahr ich wieder hoch, erhitzt:
Nein, nein, kein Dieb. Den Kopf umschwirrt ein Brummer.

Kein Wunder, daß ein sonderbarer Vogel
wie ich dann auch am hellen Tage träumt.
Zum Beispiel stehe ich auf einem Kogel,

von dem ein heller Bach zu Tale schäumt.
Die Folge: über all dem Traum-Gemogel
hab ich den schönsten Sonnentag versäumt.

 

 

 

(Aufgabe von Karin Rohner)

 

Der arme Schuft

 

Da baumelt er, der Schuft, am Galgenbaum.
Sein letzter Atemzug ist längst verpufft
und bald verwahrt man ihn in einer Gruft.
Ob irgendwer noch um ihn trauert? Kaum.

Schon spähen Krähen her vom Waldessaum.
Die finden ja Geschmack an einem Schuft.
Und – horch – ein Bellen schallt aus schwarzer Kluft:
Die Bestie – sie hält sich kaum im Zaum!

Mit rotem Schlund lechzt dort der Höllenhund,
was andern Unheil bringt, das bringt ihm Heil,
ihm schmecken Mord und Totschlag, Schmutz und Schund.

Der Henker aber streichelt sanft sein Beil.
Er weiß, es fühlt sich ausgehöhlt und wund:
Den Vorzug gab man diesmal ja dem Seil.