Heinrich Leuthold                 Das Genie

1827 – 1879                                        (Veranlaßt durch ein Sonett von Emil Deschamps)

 

Ich lese sinnend das Sonett zuweilen,

Mit dem an Camoes sich Tasso wendet

Und ihm vom Ruhm der Zeit die Hälfte spendet,

Wie in ein Reich zwei Könige sich teilen.

 

Doch beide hat das Los mit gift’gen Pfeilen

Verfolgt, da dieser sein Gedicht vollendet

Im Irrenhaus und jener ihm gesendet

Aus dem Spitale seine Antwortzeilen.

 

Wie mancher mißt sich heut mit diesen Riesen

Und will verkannt, wie Tasso unterdrückt sein,

Und elend gleich dem großen Portugiesen!

 

Doch scheint mir, daß die Ähnlichkeit mit diesen,

Daß der Beruf durch Hunger und Verrücktsein

Und Verseschreiben keineswegs bewiesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Genua (Auszug)

1827 – 1879

Gern mag ich, wenn sie abends sich beleben,

Die Strada Nova hin und Balbi schreiten,

Wo, wie ein Lenz der Kunst, auf beiden Seiten

Die schweigenden Paläste sich erheben.

 

Und träumend laß ich euch vorüberschweben

Im Glanze längst begrabner Herrlichkeiten,

Ihr stolzen Nobili der alten Zeiten,

Und euer üppig reichbewegtes Leben!

 

Hier wehten Pfauenfächer, goldne Schleppen

Durchrauschten diese pompgeschmückten Säle,

Und Fürsten harrten auf den Marmortreppen.

 

Indessen trugen keuchende Kamele

Euch Asiens Reichtum her durch ferne Steppen,

Und auf dem Mittelmeer gabt ihr Befehle.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Auf Heine

1827 – 1879

 

I.

 

Anmut’ge Märchen wunderbaren Klanges,

Naive Weisen dir vom Munde quellen,

Drin Liebe sich und Spott und Witz gesellen;

- Das sind die Seelen deines Zaubersanges.

 

Doch oft auch zuckt ein Weh, ein schrilles, banges,

Wie Möwenschrei ob dunkelblauen Wellen; -

Dazwischen blüht der Lotos, und Gazellen

Beschauen sich im stillen, heil’gen Ganges.

 

Den schlanken Nixen gleichen deine Lieder,

Den zauberhaften, die du oft besungen; -

Im Mondschein schimmern ihre weißen Glieder.

 

Wie mancher taucht, von ihrem Sang bezwungen,

Sich in die blaue Flut der Dichtung nieder!

Doch keiner außer dir hat sie umschlungen.

 

 

II.

 

Wer kennt sie nicht, die täglich abgeschmachter

Den sittlichen Verfall er Zeit beweinen! –

Sie wollen das Talent dir nicht verneinen,

Doch Würde und moralischen Charakter.

 

Sie finden es obszön, daß selbst in nackter

Schönheit die Götter des Olymps erscheinen; -

Apollo sollte Hosen tragen, meinen

All diese ethisch-kritischen Kalfakter.

 

Doch, eine schlanke, lose Bajadere,

Hat deine Muse spielend dies Gelichter

Vernichtet mit des Witzes scharfer Wehre.

 

Wann endlich ahnt dies Volk der Afterrichter,

Daß nur das Plumpe und Gedankenleere

Im Reich des Schönen Sünde sei dem Dichter?

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Dämmerung

1827 – 1879

Wie lieb ich jene Zeit, wenn schwach und schwächer

Der Tag verhallt mit seinen lauten Stimmen,

Und wenn im Grau der Dämmerung verschwimmen

Bastei und Aquädukt und flache Dächer!

 

Denn, wenn die Nacht ausspannt den dunklen Fächer,

Darin der Sterne Diamanten glimmen,

Wenn Nachtigallen weich zur Klage stimmen,

Dann, scheuen Schritts, verläßt du die Gemächer.

 

Ich aber harrer dein, wo unter düstern

Weinranken, die die laue Nachtluft würzen,

Mich Marmorsphinxe ansehn weiß und lüstern,

 

Bis du dich nahst, in meinen Arm zu stürzen,

Und fester nur mit deinem süßen Flüstern

Des eignen Lebens Rätsel mir zu schürzen.

 

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 An Karoline Trafford

1827 – 1879

Mein Streben war ein ewiges Verneinen,

Ich wußte nichts zu schaffen, nichts zu bauen;

Untätig schweift ich tagelang in rauhen

Pfadlosen Gegenden, in dunklen Hainen.

 

Und oftmals mußt ich weinen, bitter weinen,

Sah ich mit braunem Antlitz, buschgen Brauen

Vergnügt den Hölzer seine Tannen hauen:

Dem wurde ein Beruf, ich hatte keinen.

 

Da kamst du und du gabst mir eine Richtung,

Du wußtest meine Seele wach zu küssen,

aufschloßt du sie mit einem Mosesstabe –

 

Und hochauf sprudelte der Quell der Dichtung.

Drum leg ich diese Schöpfung dir zu Füßen:

Es ist nur Rückerstattung deiner Gabe.

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Die Kunst

1827 – 1879

Gesegnet bist du, Kunst! Du kannst das Sinnen,

Das schöpfrische, des Weltengeists belauschen,

Die großen Völkerströme hörst du rauschen

Und hörst den Quell in jedem Herzen rinnen.

 

Und wie des Menschen Dasein und Beginnen

Ein kurzes Träumen, Hoffen, Sichberauschen,

So muß in ewigem Vergehn und Tauschen

Das Größte selbst, das Herrlichste von hinnen.

 

Du aber mit melodischen Gewalten

Vermagst in Maß und Wort, in Farb und Tönen

Vergangnes neu und dauernd zu gestalten.

 

Gesegnet bist du, Priesterin des Schönen!

Dir gab ein Gott, das Flüchtige festzuhalten

Und mit dem Tod das Leben zu versöhnen.

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Aus dem Süden

1827 – 1879

Zwar winkt hier der Genuß gleich Marmorbüsten,

Die lüstern weiß aus dunklen Hainen lauschen,

Und beut in ewig wechselndem Berauschen

Befriedigung den leisesten Gelüsten.

 

Doch laß ich täglich längs den reichen Küsten

Vom leichten Winde meine Segel bauschen,

Den offnen Arm der Wollust zu vertauschen

- O Einsamkeit! mit deinen reinen Brüsten.

 

Erst jetzt begreif ich, wie hier an der Sonne

Der Mensch mit souveränem Hochvergnügen

Sich dehnt, ein Diogen selbst ohne Tonne.

 

Fast wähnt der Einzelmensch mit seinen Flügen

In diesem Land, auf das Gott alle Wonne

Bachantisch ausgoß, selbst sich zu genügen.

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Von der Tragik des Genies

1827 – 1879

...Und doch ward das Genie von jenem Greisen

Bettler von Chios bis zu unsern Tagen

verkannt, gehetzt von Hunger, Not und Plagen,

wie die Annalen jedes Volks beweisen.

 

Vielleicht die größten Dichter sind’s und Weisen,

die ungekannt dem Elend unterlagen

und unerforscht wie die erhabnen Fragen

der goldnen Sterne, die am Himmel kreisen.

 

Doch sind’s nicht jene lärmenden Genossen,

die ihre Schmerzen aus beredtem Munde

auf Markt und Gassen vor der Welt ergossen.

 

Nicht kokettierend mit der eignen Wunde,

nein, stolz und trotzig in sich selbst verschlossen

und lautlos gehn die Besten oft zugrunde.

 

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Im Süden

1827 – 1879

Was Großes hier dem Geist gelang zu bauen,

Und was dem Fleiße, Dauerndes zu stiften,

Füllt mehr als alle Weisheit trockner Schriften

Die Seele mir mit Mut und Selbstvertrauen.

 

Doch dies gewaltige Meer, die goldnen Auen,

Die Kunst mit Meißel und mit Farbenstiften,

Nichts stillt mein Heimweh nach den Alpentriften,

Nach all den teuren, wohlbekannten Gauen.

 

Im Hochland siehst du dort noch stets die derben

Urenkel Tells; das reiche Land der Tiefe

Bewohnt ein Vol mit blühenden Gewerben,

 

Ein Volk, wenn heut das Horn von Uri riefe,

Noch fähig, mit dem Herzblut aufzufärben

Die blasse Schrift der alten Freiheitsbriefe.

 

 

 

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Dem Schweizervolke

1827 – 1879

Nicht, daß ich dies Bestreben nicht erfasse,

Des Stoffs sich, der Materie zu bedienen;

Schon brach der Geist mit Dampf und Eisenschienen

Der Bildung und der Freiheit eine Gasse.

 

Nur das Extrem der Zeit ist’s, das ich hasse. –

Die Menschheit ward, so hat mir oft geschienen,

Zu einem ungeheuern Schwarm von Bienen. –

Utilität! das ist der Ruf der Masse.

 

Durch solch ein Leben, das den Tieren eigen,

Erwerb, Krieg, Kinderzeugen und so weiter,

Bringt ihr das Edelste in euch zum Schweigen.

 

Wenn nicht, wie uns die heitern Griechen zeigen,

Auch euch das Schöne wird zur Himmelsleiter,

Drauf Götter zu den Menschen niedersteigen.

 

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Auf Lenau

1827 – 1879

Die Nacht ist still, die Lüfte wehen linde; -

Rings auf der Welt liegt ein elegisch Träumen.

Die Blätter lispeln leis nur an den Bäumen

Wie Seufzerhauch von einem kranken Kinde.

 

Ein leuchtender Gedanke, pfeilgeschwinde

Aufzuckt der Blitz; - empörte Wogen schäumen;

Hinjagt das Roß des Sturms, wer will es zäumen? –

Der Himmel weint, als ob er Schmerz empfinde.

 

So gilt das stete Klagen deiner Zither

Der Kreatur, die um Erlösung fleht

Und Freiheit heischend, pocht am Kerkergitter.

 

Es ist der Schmerz, der durch die Schöpfung geht

Im Windessäuseln, wie im Ungewitter,

Vom milden Hauch der Poesie umweht. -

 

 

 

 

 

 

Heinrich Leuthold                 Frühling

1827 – 1879

Wenn Tränen aus dem Aug’, dem blauen, tauen,

An üpp’gen Lippen mit Verlangen hangen,

Das bleicht der jugendlichen Wangen Prangen; -

Drum wollt’ ich nie mehr schöne Frauen schauen.

 

Mein Haus wollt’ ich auf luft’gen Auen bauen; -

Da ließ ich mich von Liederschlangen fangen,

Die mich zu zärtlichem Umfangen zwangen,

Doch nie mehr wollt’ ich diesen Schlauen trauen.

 

Nun ist der Frühling über Nacht erwacht,

Es lassen sich auf duft’gem Flieder nieder

Waldvöglein, die von Wunderdingen singen!

 

Nun fürcht ich fast, daß auch die Pracht, entfacht

In meiner Brust – daß mich die Lieder wieder

Und auch die Fraun in ihren Schlingen fingen.