Hermann Lingg                     Die Seestädte

1820 – 1905

Vor allen städten seid ihr Meeresbräute

Die herrlichsten. Der Tiefe Schätze quellen

Zu euch empor, des Glückes Segel schwellen

An euren Strand der fernsten Länder Beute.

 

Da, Tyrus, Indien dir Weihrauch streute,

Und da Korinth, zu deinen Marmorschwellen

Der Römer kam, da auf den hohen Wellen

Dein Leu, Venedig, allen Flaggen dräute;

 

Da war’s, da zog der Ruhm durch Siegestore,

Da schien die Mittagsglut von goldnen Dächern

Auf Heldenbilder längs der Korridore.

 

Müd lächelnd sahn die Herren der besiegten

Meerwelle zu, indes in Prunkgemächern

den Perlenfächer ihre Töchter wiegten

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Madeira

1820 – 1905

Madeira blaut, vom Ocean umschrieben,

Zuerst entdeckt von einem Liebespaare,

Das Vaterfluch vom heimischen Altare

Auf leichtem Kahn durch’s wilde Meer getrieben.

 

Hier starben sie, die schönen Leichen blieben

Bewacht von Elfen auf umblühter Bahre,

Bis neue Colonien spätrer Jahre

Den Hain der Liebenden in Trümmer hieben.

 

Erzürnt erhob ein Waldbrand seine Flügel,

Die ganze Insel ward zum Aschenhügel,

Und aus der Asche wieder sprossen Reben.

 

So ward ein Becher jetzt das Felsgesteine,

Madeira ward ein Becher edler Weine,

Worin noch jener Liebe Küsse beben.

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Neapel

1820 – 1905

Vom Golf Neapels bis zur Nordsee klaffen

Die Länder auf in Haß – hie Ghibellinen,

Hie Welfen, hie Verwüstung und Ruinen!

Hie Flammen, Sturmlauf, Rosse, Banner, Waffen!

 

Caossa läßt die Rache nicht erschlaffen,

Vom Gotthardt führt mit seinen Paladinen

Der Rothbart die gewaffneten Lawinen –

Wer wird der Welt Alleingewalt erraffen?

 

Nicht Friedrichs hohe Kraft und nicht sein zweiter

Nachkomme sieht den Krieg, die Feinde taufen

Mit neuer Gluth stets neu erglühte Streiter.

 

Kann deinen Frieden, Erde, nichts erkaufen,

Als rollend unter blutbespritzte Scheiter

Das blonde Haupt des letzten Hohenstaufen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Mexiko

1820 – 1905

Auf Tempeln Mexiko’s glüht im Versinken

Die Sonne noch, was zaudert sie so lange?

Sie lacht der Priester blutigem Gesange,

Zum Opferfest beim Schall der hellen Zinken.

 

Auf die Gefangnen scheint sie. Federn winken

Von ihrem Haupt, man hat mit goldner Spange,

Mit Blumen sie geschmückt zum letzten Gange;

Jetzt nah’n sie wo die Todesmesser blinken.

 

Wild jauchzt das Volk – des Opferaltars Kerzen

Glühn höher auf, man hält die blut’gen Herzen

Der Sonne hin, was zaudert sie noch immer?

 

Des Cortez Schiffe sieht sie längs der Hügel

Tabasco’s nah’n, der Waffen heller Schimmer

Blitzt durch der Segel weiße Racheflügel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     St. Jago in Chili

1820 – 1905

Bang ist der Tag, die Lüfte welk und trocken,

In allen Kirchen wogt’s von frommen Bittern

Um Regen – horch, was war das für ein Zittern?

Und wieder – wieder – alle Pulse stocken.

 

Die Erde bebt – ein Gott bewegt die Glocken,

Hinaus, hinaus, von tausend Ungewittern

Erbebt es unter uns, die Mauern splittern,

Die Erde gähnt, es regnet Feuerflocken.

 

Und Sturz auf Sturz – auf aus den dumpfen Kammern

Zerborstner Kirchen, Kerker, Hospitäler,

Stöhnt Hülferufen, Ächzen, Todesjammern.

 

Dort aber vor der Stadt durch Hain und Thäler

Fliehn Frauen, die ihr lachend Kind umklammern,

Und Schwarze, die gerettet ihre Quäler.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Weltumschau

1820 – 1905

Dort möcht’ ich weilen an des Ganges Bronnen

Auf Himalayas Höh’n, und ungeblendet

Schaun, wie den Bergaltären Feuer spendet

Das ewig neugeborne Licht der Sonnen.

 

Ich schaute, wie zum Thal, von Nacht umronnen,

Der Bergstrom sich beleuchtet niederwendet,

Wie hier im Fels die Pflanzenwelt verendet,

Und blühend dort die Gletscher hält umsponnen.

 

Wie Blitze hier, dort Wolken niederthauen,

Wie endlos Nebel um die Pole grauen,

Wie um den Gleicher die Vulkane rauchen.

 

Und wie in stetem Saugen und Verhauchen

Die Lebenskräfte sprudeln und verfließen,

Und Blumen gleich sich öffnen und sich schließen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Die großen Stämme

1820 – 1905

Mongole, deine Heerden sollst du grasen

Im Norden, wo der Steppe Nebel grauen,

Zu Rosse sollst du sein und Zelte bauen

Und oft wie Sturm durch alle Völker blasen.

 

Zum höchsten Leben gab ich euch, Kaukasen,

Ein buchtenreiches Meer und weite Gauen,

Mit Kunst und Muth und kühnem Weltvertrauen

Trotzt ihr der Sturmesflamme wildem Rasen.

 

Dir, Rothhaut, geb’ ich Urwald und Savanne,

Such’ deine Pfade längs den großen Flüssen,

Durchschwimm die See’n und deinen Bogen spanne.

 

Den Sand wirst du mit heißer Sohle küssen,

O Schwarzer, knieend vor dem weißen Manne,

Doch einst wird auch dein Elend enden müssen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Das Urlicht

1820 – 1905

Zur Münsterrose sprach die heil’ge Flamme:

Könnt ich, wie du, verglühn in Aetherwonne,

Mich sehnt zurück in’s Heimatland der Sonne,

Zum Born des reinen Lichts, von dem ich stamme.

 

Am Ganges war ich frommer Völker Amme,

Am Nil ein Wächter düstrer Grabcolonne,

Ich wachte beim Gebet der bleichen Nonne,

Ich ward vom Holzstoßbrand zur Kriegesflamme.

 

Bei meinem Glanz schrieb Brahma seine Weda’s

Mein Licht umfloß die Adlerburg Belleda’s

Und zuckte durch Egeria’s Felsengrotte.

 

Ich zog vor Moses, zog vor Mahoms Schaaren,

Ein Bild vom Bild bin ich, des ewig Wahren,

Vom Abglanz, der entströmt dem Einen Gotte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Ersatz der Natur

1820 – 1905

Hat jahrelanger Krieg ein Land durchwüthet

Und Noth verzehrt und Hagelschlag geschlagen,

Dann kommt doch einmal noch von Segenstagen

Ein Sonnenjahr, das jeden Schmerz vergütet.

 

Im März schon blüht’s, die frühe Schwalbe brütet,

Hoch steht das Gras, zehnfache Früchte tragen

Die Felder noch dem zweiten Erntewagen,

Auf Alpen wird im Spätjahr noch gehütet

 

Kaum will das Laub zu fallen sich entschließen,

Ob auch die Tenne dröhnt, ob auch die Bütten

Und Keller schon der Gährung Duft ergießen.

 

Nich segnet sich der Greis noch, Früchte schütten

Die ältsten Bäume noch, und Wein genießen

Und weißes Brod die Aermsten in den Hütten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Kürzeste Nacht

1820 – 1905

Noch sprüht des längsten Tages warme Quelle

Lebendig fort, es wagen sich verstohlen

Die Träume nur, und mit scheuen Sohlen

Die Sterne durch der Nacht saphirne Schwelle.

 

Kaum sank der Abend in die Dämmerwelle,

Da sucht ihn schon der Abend einzuholen,

Kaum öffnen ihren Kelch die Nachtviolen,

Da hebt die Sonnenblume sich zur Helle.

 

In Furcht, daß sich schon hell die Berge schmücken,

Singt schöner jetzt aus thaugenetzter Kehle

Die Nachtigall ihr klagendes Entzücken;

 

In Furcht, daß bald das süße Dunkel fehle,

Eilt Liebe heißer Brust an Brust zu drücken,

Und tauscht im Kusse lechzend Seel’ um Seele.

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Nachtgedanken

1820 – 1905

 

I.

 

Am lang verschleierten Gemälde bleichen

Die Farben endlich ab, welk wird die Blüthe,

Die sich sonst nach Licht und Sonne mühte,

Die Kraft versiegt, kann sie nicht Ruhm erreichen.

 

Trug waren die verhängnißvollen Zeichen!

Verzehrt vom Feuer, das mich einst durchglühte,

Vom Grab der Hoffnung, das ich thatlos hüte,

Holt bald der Tod mich weg wie andre Leichen.

 

Oft Nachts, wenn alle Pulse heißer kochen,

Naht mir ein Geist und flüstert voll Verhöhnung:

Titanen nur sind nicht zu unterjochen.

 

Du hast die Wahl, ergieb dich in Versöhnung

Dem Allgemeinlos oder ungebrochen

Erhebe selbst die Hand zu deiner Krönung!

 

 

 

II.

 

Kein Schutzgeist unterband mir Goldsandalen,

an meiner Wiege stand mein Widerstreiter,

Zu Thaten schritt nicht einen Schritt ich weiter,

Wo nicht Zufälle den Erfolg mir stahlen.

 

Zum freudelosen Sieg nach tausend Qualen

Macht’ ich die Bahn mit meinem Blut nur breiter,

Nie, nie beging ich unumschränkt und heiter

Die großen, meines Lebens Kaiserwahlen.

 

Mein Streben alles blieb ein fruchtlos rauhes

Bestürmen ewig neuer Widerstände,

Ein Kampf mit Säulen eines Felsenbaues.

 

Für meinen Durst, für meine Fieberbrände

Fiel nie das Manna jenes Seelenthaues,

Des Trostes, daß ein Herz mit mir empfände.

 

 

 

III.

 

Wie lang durchblätterst noch du diese Rolle,

Drauf jedes Unrecht steht, das du erlitten,

Das deiner Brust mit Haß ward eingeschnitten,

Und eingeätzt mit langgenährtem Grolle?

 

Es kommt die Zeit noch, die erfüllungsvolle,

Sie kommt, wo du emporgerichtet mitten

Durch deine Feinde gehst mit freien Schritten

Und fragest, wer dich noch mißachten wolle?

 

Dann wirst du jedes Denkmal der Entweihung,

Wirst Grimm und Staub aus deinem Leben merzen,

Und deine Seele tränken mit Befreiung.

 

Erlöst von einem großen Menschenherzen

Wirst du die Thränen glühender Verzeihung

Ausweinen und die lange Nacht verschmerzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Urweltfabel

1820 – 1905

 

I.

 

Geblüht hat einst der Pol im Tropenlichte;

Die Wüste trug den Schooß voll Sommerblüthen,

Die Steppe sang; die Heidequellen sprühten;

Wo jetzt das Meer, stand einst die Bernsteinfichte.

 

Erinn’rung lebt noch; oft wie Traumgesichte

Malt seiner Vorzeit Bild das Mittagsbrüten

Der Wüstenluft, die Blumen der verglühten

Polsonne stehn auf dunkler Kohlenschichte.

 

Auch lebt ein Baum seit frühen Erdenaltern,

Der oft, umrankt von lauschenden Lianen,

Dem Urwald noch erzählt von seinen Ahnen.

 

Dann lauscht um ihn ein Kreis von blauen Faltern,

Dann horcht der Papagei mit offnem Schnabel,

Und dieses ist des Baums uralte Fabel:

 

 

 

II.

 

Vernehmet denn, Mimosen und Bananen!

Einst flog die Erde noch im Sphärentanze,

Umschlungen ganz vom reichsten Blütenkranze,

Voll Jugendlust in wilden Feuerbahnen.

 

Da blühten wir der Pflanzenwelt Titanen;

Da hob sich mächtig bis zum Wolkenglanze

Der Pinie Schirm, der Aloe Blätterlanze;

Hoch über Berge flatterten Lianen.

 

Aus unsrer Kelche duft’gem Abgrund tauchten

Aromawolken, Wetterleuchten blitzte,

Wenn wir in stiller Nacht uns Küsse hauchten.

 

Ein goldner Wasserfall von Thau bespritzte

Den Lebenskeim der Thiere, die noch schliefen

Als Blütenstaub in unsern Blättertiefen.

 

 

 

III.

 

Da plötzlich kam ein Sturm – Schneeflocken schwangen

In unsre Blüthen sich; mit kalter Schneide

Zerriß ein Eisstrom unser Krongeschmeide,

Und unser Jugendtraum, er war vergangen!

 

Seit jener Nacht sind bleich der Lilie Wangen;

Seit jener Nacht senkt sich die Trauerweide

Und stehn Cypressen ernst im dunklen Kleide,

Und bebt im Eppich stets ein leises Bangen.

 

Der Duft, um den die Rose wird gepriesen,

Ist ihrer Sehnsucht ausgehauchte Klage

Nach jenen untergangnen Paradiesen.

 

Auf Libanons verbranntem Felsengipfel

Durchrauscht von jener Welt noch eine Sage

Der letzten Cedern schon gebeugte Wipfel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Loose der Dauer

1820 – 1905

Im Gletschereis wird kein Atom verwesen,

Im dürren Sand bleibt unversehrt die Leiche

Der rauhe Stein bleibt ewig sich der gleiche,

und nur die Blüthe wird vom Tod gelesen.

 

Ein Griechenland ist flücht’ger Traum gewesen,

Zum schönsten Glauben sprach die Zeit: Erbleiche!

Doch wandellos aus Trümmern größ’rer Reiche

Starrt jene Mumienherrschaft der Sinesen.

 

Ein Nachen schwankt, wo Flotten einst gelandet;

Sein Bett vergißt der Strom, die Spur vom Zuge

Der früh’sten Völkerheere liegt versandet.

 

Nur Wind und Wolken stets im alten Fluge

Ziehn hin und her, und Flut und Ebbe brandet,

Und nur der Wechsel kommt nicht aus der Fuge.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Kreuz und Halbmond

1820 – 1905

Kalife, von des Euphrat Palmenthälern

Bisübers Ophirs Goldland siegreich führe

Dein zahllos Heer, dir folgen die Wessire,

Du neigst dein Ohr den Weisen und Erzählern.

 

Niemals wird dein Ruhm der Franke schmälern;

Zwar groß ist Karl, er führt die Kreuzpaniere

Vor seinem Volk und ordnet die Turniere;

Sein Schwert ist eisern, aber deins ist stählern.

 

Der Streitaxt gleicht er, du dem Damascener;

Er ist der Mond, du bist Aldebaran;

Du bist der Palmbaum! Ist die Eiche schöner?

 

Ihr beide leuchtet eurer Welt voran;

Er vor dem Blick des Herrn der Nazarener,

Du als ein Flammenwort im Alkoran!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Friedensbild

1820 – 1905

Wenn über Eichen Sturm und Donner schnauben,

Singt unter Blumen ungestört die Grille,

Im Bergthal lebt und webt noch die Idylle,

Wenn rings die Länder Krieg und Pest durchrauben.

 

O sieh, da herrscht noch Sitte, Treu und Glauben,

Die Kinder führt ein Patriarchenwille;

Der Tag ist Arbeit und die Nacht ist Stille;

Am Hausdach nisten Storch und weise Tauben.

 

Die Wanduhr pickt, und Alles schläft – doch näher

Und näher tönt schon Echo von Geschützen,

Und durch die Schlachten steigt herauf der Späher.

 

Der Morgen graut – der Greis auf seinen Stützen,

Die Mutter mit dem Kind, der Hirt und Mäher

Knie’n im Gebet: „Herr, du wirst uns beschützen!“