Hermann Lingg                     Schranken

1820 – 1905

Wen mag es, wer es denkt, noch Wunder nehmen,

Daß einst sein Stolz den Engel so bethörte,

Daß Gott er gleichen wollte, sich empörte

Und aufgriff nach der Allmacht Diademen.

 

Denn nicht einmal zum Tod will sich bequemen,

Was einmal nur dem Dasein angehörte,

Im kleinsten Leben, das ein Feind zerstörte,

Ist dieses Grauen vor dem Reich der Schemen.

 

Wer wünscht nicht trauernd bei des Tages Scheiden

Daß alles, was entzückt, unsterblich bliebe,

Der Schönheit Macht, des Frühlings Augenweide.

 

Die Blume sproßte fort im ew’gen Triebe,

kein Leben würde je den Tod erleiden

Und keine Thränen weinte je die Liebe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Urzeit

1820 – 1905

Ein Dämmrungsfalter, kaum entschlüpft den Puppen

Des Stein-und Pflanzenreichs, sieh, da vertraute

Die junge Thierwelt, als ihr Morgen graute,

Den Flügeln sich, noch ganz in harten Schuppen.

 

Noch stoben Rauch der Berge nackte Kuppen,

Und wie die Wasserfluth allmählich staute,

So schwang es sich empor, gezähnt, und schaute

Begierig aus nach grünen Inselgruppen.

 

Da freute jedes Ungethüm, und kreischend

In aller Scheußlichkeit, sich seines Fanges,

Den gleich abscheulich wilden Feind zerfleischend.

 

In trüber Mondnacht heulte da sein Banges

Geschrei die Brut, den Beutetheil erheischend,

Im Ahnungsgraun des eignen Unterganges.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Gold und Eisen

1820 – 1905

Mit wem zuerst der Mensch sein Bündnis machte,

Das war der Berge starker Sohn, das Eisen,

Das half ihm treu auf Land- und Wasserreisen

Und als er unter’s Joch die Thiere brachte.

 

Darob erzürnte sich in seinem Schachte

Das eitle Gold und sprach: Seht mir die Weisen!

Bald werdet mich ihr über Götter preisen,

Doch wehe dem, den ich sodann verachte! –

 

Und wehe dem auch, den ich ganz entzücke,

Bald wird der Stolze unter euch gesendet,

Deß Haupt so sehr mit meinem Glanz ich schmücke.

 

Daß ihr von seinem Anblick wahnverblendet

Erlernet, wie das Joch des Goldes drücke,

Und daß ihr gegen euch das Eisen wendet!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Mumie

1820 – 1905

Zum Leichnam sprach der Priester: schlafend Leben!

Wir hüllen dich in Bissus ein und Düfte

Und mit dir wird hinunter in die Grüfte

Die Larve und das Saatenkorn gegeben.

 

Zum Zeichen, wie die Saat sich wird erheben

Und wie der Käfer einst sich schwingt in Lüfte,

So wird der Geist auch durch die Grabesklüfte

Zum Licht empor in neue Körper schweben.

 

Der Priester sprach’s, die Mumie sank, verklungen

Sind zwei Jahrtausend über seinem Worte.

Fragst du, ob Wahrheit uns sein Mund gesungen?

 

Schau hin! die Saat durchbrach die Hülsenpforte,

Der Käfer hat in Freiheit sich geschwungen,

Die Mumie nur schläft noch am alten Orte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Afrika

1820 – 1905

Im Innern Afrikas, von Sand umgeben,

Blühn große Städte, ganze Königreiche,

Wo nicht gesehn wird weder Rad noch Speiche,

Noch an der Schiffe Mast des Segels Schweben.

 

Das Lasttier ist dort Alles, und daneben

Der Brunnen, der es labt, der wundergleiche;

Dem Sklaven, dem Fakir, dem stolzen Scheiche,

Der Baum, der Schatten gibt, gibt Allem Leben.

 

Er lockt vom Flug der Vögel Wanderschaaren

In seinen Schatten, schenkt in Felsenklüfte

Die Decke Moos, den Thau darin zu wahren.

 

Er ist Palast und Thron im Reich der Lüfte,

Sein Name lebt nach mehr als tausend Jahren

Und in die Wüste streut er Blütendüfte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Israel

1820 – 1905

„Erheb’, o Israel, dein Haupt vom Steine,

Dein Tag in Zion wird dir wieder kommen,

Das Schwert wird deiner Feinde Hand genommen,

Und wird vom Herrn gegeben in die deine.

 

Dann Babylon, dann sink’ ins Knie und weine,

Dann wird dein Himmel sein von Gluth erglommen,

In deinen Straßen, öd’ und blutdurchschwommen,

Wird ausgestreut so Gold wie Edelsteine!“

 

So sprach am Euphrat der Prophet und streckte

Die Hände zürnend gegen Babels Thore,

Wo Schlaf und Mondlicht schon die Zinnen deckte.

 

Zu seinen Füßen lag das Volk – im Rohre

Des Euphratufers sang der Wind und weckte

Ein Lied von Zions Glanz im Männerchore.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Völkerwanderung

1820 – 1905

Doch wenn ein Rom den Erdenkreis erschüttert,

Indem es stürzt, wenn durch die finstern Zeiten

Ein Bahrtuch über die Gefallnen breiten

Befreite Völker, deren Joch zersplittert:

 

Dann dröhnt der Boden und die Luft erzittert

Von kühnen Wanderungen; Riesen streiten,

Heroen sieht man und Giganten schreiten,

Und jenen Wärwolf, der das Weltend’ wittert.

 

Noch einmal stehn die Söhne großer Väter

Zu Thaten auf, noch einmal glüht im Aether

Der alten Götter Stern, dann bleich, dann nimmer.

 

Und ein Volk sieht man über alle wandern,

Bis zu des fernsten Tages Abendschimmer,

Verhöhnt, verhaßt, verfolgt von allen andern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Der Doge an das Meer

1820 – 1905

Wenn Morgen sih erhebt am Himmelsbogen

Die Sonne strahlend aus Venedigs Wiege,

Nimm hin den Ring zur Mitgift seiner Siege,

Das Pfand der Treue, das noch nie getrogen.

 

Weh! wenn es je dem Grunde deiner Wogen,

Dem Schooß der anvermählten Fluth entstiege,

Entankert von dem Eisenarm der Kriege,

Vom Netz des blinden Glücks emporgezogen.

 

Es sink’ daß uns die Wellen es versöhne,

Die tausendfach um dieses Eilands prallen,

Der Tugend reinstes Gold und alles Schöne

 

Kann so dem Abgrund, so der Nacht verfallen.

Hinab, ihr Nachtgedanken! übertöne

Die Furcht, o Meer, mit deinen Stürmen allen!

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Gegenmächte

1820 – 1905

Wer kühn empor des Lebens Höhen schreitet,

Auf jeden lauert endlich ein Bezwinger,

Der klarste Geist, der Wahrheit treuster Jünger

Dringt vorwärts, rastlos, bis er wankt und gleitet.

 

Der Held, erst von Besonnenheit geleitet,

Bald übersieht er’s, daß ihn warnt ihr Finger,

Er wird Erobrer, wird Verderbenbringer,

Bis alle Welt verbündet ihn bestreitet.

 

Und gab’s ein Volk, das, wenn es sich befreite,

Nachdem es kaum den Freiheitshauch gekostet,

Den Kelch, aus dem’s geschöpft, nicht auch entweihte?

 

Wo loht die Flamme, welche nie verglostet?

Wo blitzt ein Schwert, bewährt im scharfen Streite,

An dem nicht doch zuletzt ein Flecken rostet?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Shakespeare

1820 – 1905                                        zu seiner dreihundertjährigen Geburtsfeier

 

I.

 

Zwei Felsen stehn und werden stehn und ragen,

Der Zeit zum Trotz, und neben der Geschlechter

Und ihres Wegs Umwandlung in gerechter

Verehrung aller Welt, umblüht von Sagen.

 

An Chios’ rebumrankten Sarkophagen,

Dem Fels Homers, der Mythen grauem Wächter,

Tönt mit des Meers unendlichem Gelächter

Sein Lied, gleich unerschöpft, von Tag zu Tagen.

 

Ein andrer, nicht so sonnig, ragt im Norden,

Und wie der düstrer scheint hinabzuschauen

Zum Grund der See, aus dem er einst geworden;

 

So blickt auch Shakespeare’s Geist durch Nacht und Grauen

Zum Grund des Seins; der Vorzeit Schatten gleiten

Um ihn im Morgenlicht der neuen Zeiten.

 

 

 

II.

 

Es sind Planeten wohl und Siriusse

Bevölkert mit Geschöpfen, welche reiner,

Von höhrer Kraft als wir und welche feiner

Befähigt sind zum geistigen Genusse.

 

Von solchen Genien im Aetherkusse

Scheinst du gezeugt und jener höhern einer,

Von Seelen eine Welt entstund aus deiner,

Vollendet ganz, aus einem Flammengusse.

 

Da sieh die Helden! Träumer sind die einen,

Und Teufel die; hier Thoren, Sonderlinge,

Dort Wesen, die wie Luftgebilde scheinen.

 

Erschreckt euch Caliban? ist’s nicht, als bringe

Das Meer hervor wie Tang und Muschelsteine,

Auch eine Art ihm eigner Menschendinge.

 

 

 

III.

 

Wie Wille, Schuld und Sühne sind verbunden,

Lag vor dem Blick des allgewalt’gen Dichters,

Der mit dem Scharfblick eines seelenrichters

Der Menschheit Herz gekannt und mitempfunen.

 

Wer hat, wie er, geschaut die tiefsten Wunden,

Den Wahn und Dünkel des Alltagsgelichters

Zerschmettert mit dem Spotte des Vernichters,

Für’s Höchste, wie für’s Zart’ste Wort gefunden?

 

Zum Dasein rief voll schöpfungsreicher Fülle

Sein Genius die mächtigsten Gestalten,

Und – selbst ein Ariel im Sturmgebrülle,

 

Gebot er Höllennacht und Lichtgewalten.

Es schien, der Weltgeist ließ in dieser Hülle

Das Räthsel seines Schaffens sich entfalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Fasching

1820 – 1905

Ich saß am Fenster im erhellten Saale

Und sah hinunter in des Tanzes Reigen,

Sah heißes Roth in jnge Wangen steigen

Und goldnen Wein im funkelnden Pokale;

 

Doch wenn ich rückwärts sah, da war nur kahle

Schneelandschaft drauß’ und düstres Winterschweigen,

Die Bäume stunden mit entlaubten Zweigen

Und Nebel flog im schwachen Mondenstrahle.

 

O daß die Stunden so geschwind entschweben!

Wie mancher Händedruck wünscht in der Stille

Recht lang zu dauern, um noch mehr zu geben!

 

Dem Wunsch sich fügen sollte jeder Wille!

bis Blüthen draus am Baume sich erheben,

So lang’ stürm’ fort, berauschende Quadrille!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Trauerweide und Reben

1820 – 1905

Die Heimath hatte mich beschenkt mit Reben,

Die pflanzt’ ich ein an meine Gartenmauer,

Und bat den Himmel, ihnen Schutz vor Schauer

Und ihrer Blüthe Sonnenschein zu geben.

 

Da stieß ich mit der Schaufel hart daneben

Auf Wurzeln eines Baums von trotz’ger Dauer,

O Thränenweide, du bist’s, Bild der Trauer,

Soll ich dich dulden hier, den Tod beim Leben?

 

Umwinde nur, ich muß es dir gestatten,

Die Wurzeln, denen Lust entsprießt, mit deinen,

Die Nahrung saugen für der Schwermuth Schatten.

 

So pflegt im Leben auch, entsproßt dem einen,

Verborgnen Grund, sich Lust und Leid zu gatten,

Und Lächeln ist so nah verwandt dem Weinen.

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Genius und Satyr

1820 – 1905

Komm mit mir, rief, zum Himmel sich erhebend,

Ein Genius dem Satyr, der im Tanze

Sich drehend schwang mit einem Epheukranze,

Komm mit mir, denn auch du bist aufwärts strebend.

 

Gut! lächelte der Faun, wenn du mich lebend

Hinaufbringst, aber lehre mich das Ganze

Der Flugkunst, sieh, schon nah’ ich deinem Glanze;

Er sprach es, keck empor den Schwung sich gebend.

 

Dein Flug ist schwer, du machst mir viel Beschwerde!

Rief bald der Genius, wir gehn zu Grunde –

Und seine Lichtgestalt sank bleich zur Erde.

 

Ha! rief der Faun, so gleichst du mir, dem Hunde?

Und der im Tod noch lächelnden Geberde

Versetzt’ er mit dem Fuß noch eine Wunde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Nordlandsfee

1820 – 1905

Im Norden liegt ein Se, gebirgsumschlossen

Und fast das ganze Jahr bedeckt vom Eise,

Der Frühling, wenn er kommt, geht hier so leise,

Daß nur die kleinsten Blumen ihm entsprossen.

 

Dann kommt wohl auch ein Quell vom Berg ergossen,

Die Birke grünt, die leicht beschwingte Meise

Singt im Vorüberflug auf ihrer Reise;

Doch diese Sommerzeit ist bald verflossen.

 

Die Welle, noch vom Wind gekräuselt eben,

Erstarrt urplötzlich, vom Gestad’ verschwindet

Das zarte Grün, die letzte Spur vom Leben.

 

Die Ruhe, die nun Alles wieder bindet,

Ist ohne Glück, und keinen Trost mag geben

Die Einsamkeit, die hier das herz empfindet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Smaragd

1820 – 1905

Der Schönheit dient gar oft die Nacht zur Stütze,

Ein Trauerkleid dem Reize holder Wangen.

So seh’ ich schwarzgefaßt, Smaragd, dich prangen,

Was wäre dir auch Glanz des Goldes nütze?

 

die Alten glaubten, daß dein Strahl beschütze

Vor böser Geister Macht und Gift der Schlangen,

Dich trug der Kaiser Roms in Ring und Spangen

Und Dschingis Chan im Pelzwerk seiner Mütze.

 

Spricht auch aus dir nichts stolzes erdenfernes,

Doch um so sanfter ist dein Licht zu schauen;

Es ragt hervor das Leuchten deines Kernes

 

Im Regenbogen und im Schmuck des Pfauen,

Und gleicht’s auch nicht dem Funkeln eines Sternes,

Doch lacht daraus das Grün der Frühlingsauen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Der Gütigen

1820 – 1905

In deinem Herzen, liebe Treu’, verbanden

Geduld und sanftmuth sich in eine Blüthe,

Die heilig ich, als wie den Labquell hüte,

Den in der Wüstenei die Pilger fanden.

 

Schwer müßte meine Schuld der Himmel ahnden,

Wenn ich betrüben würde deine Güte,

Allein vor deinem sonnigen Gemüthe

Fliehen alle Schatten die mein Herz umwanden.

 

O Engel, der du mich durch’s Leben leitest,

Wie du den blick zu mir hast aufgeschlagen,

Ist mir’s, als ob du Flügel um mich breitest.

 

Wenn du mir hilfst mein herbes Loos ertragen,

Wenn du für mich der Hölle Trotz bestreitest,

Du darfst wohl stark sein, um nicht zu verzagen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Seelenwege

1820 – 1905

Wer unter Qualen seinen Tod gefunden,

Deß Seele wird wie Gold im Feuertiegel,

Doch weil gewaltsam sind gesprengt die Riegel,

die Bande, die sie mit dem Leib verbunden,

 

So trägt sie dort von ihren Erdenwunden

Die Narben noch als wie in einem Spiegel,

Und dann erst wird ihr der Vollendung Siegel,

Wenn jener Schatten ist von ihr geschwunden.

 

Zu sanftern Seelen, welche kampflos schieden,

Weht sie wie Ton zu Ton in einer Fuge

Und läutert sich an deren reinem Frieden.

 

Für die nur wächst im letzten Athemzuge,

Im Schau’n der Seele, die einst nicht gemieden

Den härt’sten Todeskampf, dr Muth zum Fluge.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Grableuchte

1820 – 1905

Es hat mir jüngst geträumt, als ob ich stünde

Auf einem Kirchhof hinter einem Kloster,

Und neben mir ein Grabstein, ein bemooster;

Wer schläft darunter, welcher Menschensünde?

 

Je tiefer ein der Stein sinkt in die Gründe,

Um so geringer wird die Schuld, getroster

Das Herz im Staub, es fühlt, daß ein beroster

Erlösungstag sein Nahen bald verkünde.

 

Wenn eingesunken ist der Stein im Hügel

Und auch die Schrift auf ihm nicht mehr zu lesen,

Dann streift sie vollends ab ein Seraphsflügel.

 

Und aus dem Sarg, aus Moder und Verwesen,

Befreit vom Makel irdischer Vergehung,

Erhebt die Seele sich zur Auferstehung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Bestimmung

1820 – 1905

Hier ist der Frühling, den ich dir versprochen,

Hier ist der Kranz, der kühl die Stirn umwindet,

Trag’ ihn mit Stolz, mit lautem Jubelpochen,

Es naht die Zeit, die dich auch beugt und binet.

 

Zünd’ an ein Morgenroth, und dann erblindet

Im eignen Licht, vom eignen Schwert durchstochen,

Besiegt auf Bahnen, die du selbst gebrochen,

Erfahre, wie des Ruhmes Glanz verschwindet!

 

Es gilt, komm’ über mich mein heißes streben,

Komm’ über mich die that als Schuld und Strafe

Das Ringen nach Unsterblichkeit am Leben.

 

Doch eines ist mein Trost, eh’ ich entschlafe,

Hoch über’m Nachtgebirg verlorner Mühen

Wird unverwelkt ein Edelweiß mir blühen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Nacht und Morgen

1820 – 1905

Auf ihrem Erdenumflug hielt noch immer

Die stolze Nacht den Flammenblick erhoben,

Noch unbekümmert um des Meeres Toben,

Und um den Hilfruf hoffnungsloser Schwimmer.

 

vom Schlachtfeld drang der Sterbenden Gewimmer,

Des irren Wandrers Leuchte war zerstoben;

Sie aber stand allein im Aether oben,

Und freute sich an ihrer Sterne Schimmer.

 

Wie mußte sie bestürzt sein, als sie schaute

Den schönsten sich, den Stern der Liebe neigen,

Zu Erde sinkend, die auf ihn vertraute.

 

Erblassend folgt sie ihm, in tiefes Schweigen

Verlieren sich die letzten Schmerzenslaute,

Und schon den Tag sieht man der Fluth entsteigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hermann Lingg                     Einziges

1820 – 1905

Ein eigner Schauer hält mich stets beklommen,

Wenn ich an jene denk’, die das gesehen,

Was Niemand mehr, so lang die Welt wird stehen,

In der Vollendung mag zu schau’n bekommen.

 

Ein Stern – nur einmal war sein Licht entglommen,

Man sah für alle Zeit ihn untergehen,

Ein Kunstwerk – das der Zeit Verwüstungswehen,

Für immer unserm Blick hinweggenommen.

 

Beglückt, wer Sapphos Lieder noch als Ganzes,

Wer Phidias’ Werke sah, als unzerstückte,

Da Vinci’s Bild in vollem Farbenglanze!

 

und glücklicher, wem einst zu schauen glückte

Die Helena im Schmuck des Hochzeitkranzes,

Und wen ein Blick Cleopatra’s entzücke!