Otto Heinrich                        Das Mittelalter

Graf von Loeben

1786 – 1825

Es träumte mir, ein Greis mit Silberhaaren

Entführte mich auf eines Schlosses Zinnen;

Mit Wonne noch bewegt es meine Sinnen,

Wie mir geschah, als wir da oben waren.

 

Ich sah die Schiff’ und Wimpel unten fahren,

Durch offne Gauen edle Ströme rinnen;

Ich sah den Wäldern Jägernez’ entspinnen.

Ich sah am Quell die Hirsche bei den Aaren.

 

Viel Städte schaut’ ich, hoch’ und niedre Thürme,

Den Blick umfing ein stolzes Wohlbehagen

Bei diesen Märkten, Straßen, Gärten, Thoren.

 

Mit einmal tönt es hohl, als ob man stürme;

Der Greis verschwand, ich hört’ ihn nur noch sagen:

„Dies war das Paradies, das ihr verloren.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Otto Heinrich                        Hohe Demut

Graf von Loeben

1786 – 1825                                        Willst du der wahren Demut Preis empfangen,

So sei des höhern Zieles unvergessen,

So meide stets, mit denen dich zu messen,

Die, kürzern Arms, dir selbst nicht nachgelangen.

 

Nur höh’re Palmen strebe zu erlangen,

Und fühlst du dich vom Druck zu Boden pressen,

Dann übe dich, die Fernen auszumessen,

Die zwischen dir, der Palm’ und dem Verlangen.

 

Wo mit Bescheidenheit die Kraft sich gattet,

Für solche Stirn allein ist sie erwerblich,

Die hohe Demut, die uns grün umschattet.

 

Doch Stolz ist jedem, der ihn nährt verderblich:

Doch Kleinmut, der schon vor dem Flug ermattet,

Erzittert vor den Werken, die unsterblich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Otto Heinrich                        Das Sonett

Graf von Loeben

1786 – 1825                                        O Zaubernetz aus vierzehn goldnen Schlingen!

Woselbst, von Lust gelockt und von Verlangen,

Im seidnen Kerker Fantasie befangen,

So zarte Tön’ und hohe pflegt zu singen!

 

Wie gern verwirr ich mich mit diesen Schwingen

In deiner Fäden farbeglänzend Prangen,

Die, wie sie mich im leichten Spiel umschlangen,

Mich anmutsvoll, von selbst dem Netz entringen:

 

Laß immerhin vom Pöbel dich verhöhnen

Laß immerhin die große Schar der Affen

Ihr geistlos Spiel mit deinen Knoten treiben;

 

Mir wirst du stets ein Sitz voll Schattens bleiben,

Und jene Welt, die sich der Geist geschaffen,

Vertrau ich dir in meinen deutschen Tönen.

 

 

 

 

 

 

Otto Heinrich                        Claude Lorrain

Graf von Loeben

1786 – 1825                                        Aus stillem Grün, das kräftigend beschränket,

Bin ich ins leichte Blau hineingekommen,

Hat das Unendliche mich hingenommen,

Als sanftes Meer mich in sich selbst versenket.

 

Vom heitern Licht ist diese Flut getränket,

Ein Sonnenstrom kommt linde hergeschwommen,

Als wären sie zu luftger Flamm entglommen,

Glühn Wipfelsäulen, tempelgleich verschränket.

 

Doch ist der Seele selger Traum erfüllet?

Nimmt oder gibt ihr Wehmut diese Bläue,

Die weit ins Grenzenlose sich verlieret?

 

Nie wird hier ganz von Flor die Fern enthüllet,

Doch dieser Duft um well und Bergesreihe

Wird Flamme, die zum Flug die Schwinge rühret.

 

 

 

 

 

 

Otto Heinrich                        An Novalis

Graf von Loeben

1786 – 1825                                        Wer, von der höchsten Liebe angeglommen,

Im Sehnen nach dem Drüben sich verzehret,

Wer hier schon jenen Welten angehöret;

Der wird alsbald der Schmerzlichkeit entnommen.

 

Der Ruf von oben ist zu ihm gekommen,

Verweht die Stimm’, die unser Herz gehöret,

Die letzten Töne klangen schon verkläret,

Aus lichten Glorien schienen sie zu kommen.

 

Ein heilig Hochamt war dein innres Leben,

Gestirne, Blumen, Kreatur, Gebirge,

All kamen sie zur Wallfahrt hergezogen.

 

Da mußte sich des Münsters Decke heben,

Die Engel stiegen betend in die Kirche,

Musik erklang, du warst zu Gott entflogen.

 

 

 

 

 

 

Otto Heinrich                        An Florenz

Graf von Loeben

1786 – 1825                                        Unruh’ge Wünsche sind geheime Kunden

Von gleichem Sehnen, zarter Gegenliebe,

Daß sich der Himmel auch um uns betrübe

Und Schmerz nach uns, der Heimat fern, empfunden.

 

Laß immerhin dich durch und durch verwunden,

Erkranke recht im namenlosen Triebe,

Und wenn das Herz süßblutend offen bliebe,

Senkt Himmel wurzelnd sich in deine Wunden.

 

Die Wurzeln wachsen tief ins durst’ge Herze;

Drängend auflodern sie die leichte Erde

Und ziehn sie mit sich fort zum Ätherreiche.

 

Verdüftend stirbt der Wunsch im glühnsten Schmerze,

Weiß, daß er auch geliebt, gefunden werde,

Das Waldhorn sagt ihm, wo er Lieb erreiche.

 

 

 

 

Otto Heinrich                        Blühen

Graf von Loeben

1786 – 1825

Entfalten sich im Abendstrom die Blüten,

Da läuft zuerst ein Schaudern durch die Schäfte,

Zusammendrängend sprudeln alle Säfte,

Es will sich keiner vor dem andern hüten.

 

Bis sie zur Einigung sich sanft geschieden,

Ziehn durcheinander die geweckten Kräfte,

Ein jedes ringt, wie es den Feind entkräfte,

Eh’ sie versöhnt ein sehnsuchtsvolles Brüten.

 

Wenn sich vor ihnen Abendröt’ entschleiert,

Da fühlen alle nur das eine Streben:

Daß in die Süße dort ihr Leben flüchte.

 

Es rauscht die Knospe voll in sich, und feiert,

Das Chaos schweigt, wie Eros Flügel beben,

Der Blumengeist verströmt im Abendlichte.

 

 

 

 

 

 

 

 

Otto Heinrich                        An die Griechen

Graf von Loeben

1786 – 1825                                        Das Recht verjährt, das Unrecht nimmermehr.

Drum schlägt’s die Wurzeln grimmig in die Erde,

Und mit des Drachen lauernder Geberde

Bewachts die goldne Frucht, von Flüchen schwer.

 

Drum kämpfet für des Rechten Wiederkehr,

Ihr Griechen, lang’ vom Wolf zerfleischte Heerde,

Lang fortgeschleift vom schnöden Siegespferde

Des Türken, schafft euch freies Land und Meer.

 

Das tiefste Leben fragt nicht nach der Zeit,

Jahrhunderte habt ihr wie todt gelegen,

Und werdet nun an Einem Tag befreit.

 

Der Himmel weiß noch Kräfte zu bewegen,

Nie unterliegt Sein Engel in dem Streit,

Ob Tausende der Seinen unterlägen.