Christian Morgenstern          Die Priesterin

1871 – 1914

Nachdenklich nickt im Dämmer die Pagode...

Daneben tritt aus ihres Hauses Pforte

T’ang-ku-ei-i, die Hüterin der Orte

vom krausen Leben und vom grausen Tode.

 

Aus ihrem Munde hängt die Mondschein-Ode

Tang-Wangs, des Kaisers, mit geblümter Borte,

in ihren Händen trägt sie eine Torte,

gekrönt von einer winzigen Kommode.

 

So wandelt sie die sieben ängstlich schmalen,

aus Flötenholz geschwungnen Tempelbrücken

zum Grabe des vom Mond erschlagnen Hundes –

 

und brockt den Kuchen in die Opferschalen –

und lockt den Mond, sich auf den Schrein zu bücken,

und reicht ihm ihr Gedicht gespitzten Mundes...

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Immer wieder

1871 – 1914

In allen tiefen Stunden mußt du`s empfinden:

Es gibt nur ein Mittel: Gewalt.

Und würdest du tausend Jahre alt, -

nie wird der Mensch allein sich überwinden.

 

Du mußt ihn an das Rad der Zukunft binden,

an deines Willens Rad, dafür’s kein: halt!

als deines Willens: halt! gibt; glühend-kalt

mußt du dein Volk zu seiner Größe – schinden.

 

Befiehl! Nur daß du immer groß befiehlst, -

sonst ist dein Reich auf einen Schlag verloren

und dich verbrennt der Reif, nach dem du schielst.

 

Befiehl! Laß sich erheben, was geboren,

wag’s Gott zu sein, mach’s wahr, wonach du zielst,

geliebt vom Edlen und beknirscht vom Toren.

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Die Bank

1871 – 1914

Die Nacht ist lind und lockt mich auf die Warte

auf halber Höhe über meinem Flecken;

ich schau ihn sich den Bach hinauf erstrecken,

und diesen selber durch der Mauer Scharte.

 

Durchs Laubwerk mir zu Häupten spielt das harte

Geblink der Sternenschar mit mir Verstecken;

indes von unten mich Laternen necken,

wie Blitzer einer transparenten Karte.

 

Vor allem aber ist die Bank da droben

mir wert. Denn meine Freundin kommt, die ferne,

so oft ich dort, mein nächtlich Säumen teilen.

 

Gemeinsam hören wir die Wasser toben.

Gemeinsam schaun wir Häuser, Lichter, Sterne...

Und wünschen nichts als ewig so zu weilen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Meran-Vineta

1871 – 1914

Die Nacht ist finster, ohne Stern und Mond.

Jetzt schläfst du, Stadt, auf tiefem Meeresgrund,

vom Trollenvolk Ertrunk’ner blos bewohnt;

und ist in deinem Reich kein andrer Mund,

 

als der dem Schrei der Geisterstunde front,

dem Erzschrei, der Tor und Pforte rund

die Toten wirbelt, blinden Auges und

der Spanne durstig, die der Schemen schont.

 

Hoch droben übern Spiegel zieht ein Boot...

Das Ruder ruht. Und eine Stimme bebt:

Horch, Herz, da drunten läutet jetzt der Tod ...

 

Da fühl ich, wie mein Sinn dem Graun entstrebt –

Ich reiße los mich von Vinetas Not

und sage laut: Doch dein Geliebter lebt!

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Ein Gleichnis

1871 – 1914

So wie das Fenster anfangs nur ein Schimmer

von künstlichen, doch blinden Eiskristallen,

durch die gedämpft ins winterliche Zimmer

der Morgensonne liebe Strahlen fallen –

 

doch mehr und mehr löst sich der Reif und Glimmer,

verästeln sich die Blumen zu Korallen,

und lang bevor die Mittagsglocken hallen,

bestehn auch diese Taugebilde nimmer –

 

der ganzen Sonne liegt der Raum nun offen,

das Glas ward klar und läßt nun ohne Schleier

den schöpferischen Segen einwärts fluten - -

 

so wehrt, seit deine Liebe mich getroffen,

mein Sinn, vom Eis der Abwehr täglich freier,

kaum länger ihren unverwandten Gluten.

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Ein anderes

1871 – 1914

Gleich wie ein Brand, im Anfang kaum erspäht,

den sommerlichen Kiefernhain durchspringt

und Stamm um Stamm inbrünstiglich umschlingt,

daß sturmgleich er sein Innerstes entlädt –

 

Gleich wie, was einst bloß Fünklein, stät und stät,

an Gras, Moos, Flechte, Reisig aufwärts dringt,

bis es sich endlich in die Kronen schwingt

und aus Legionen Nadeln Blitze sät –

 

So fällt die Leidenschaft den Menschen an,

als Spiel zuerst, doch unversehens Ernst, -

nichts rettet mehr, nicht Flucht, nicht Kraft, nicht Stolz.

 

Du mußt sie schaudernd dulden, Weib wie Mann:

Daß du im Feuertod erkennen lernst,

wie wild Holz Feuer liebt und Feuer Holz.

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Mondnacht über Meran

1871 – 1914

Die Geisterstadt ... Als wie ein Teppichbild,

daran ein Träumer jahrelang gewebt,

so steht sie da im Mondenduft und lebt,

ein ganz zu Traum verflüchtigt Erdgefild.

 

Und drüber seidet Allblau dämmermild,

von Sternen-Kinderaugen scheu durchstrebt.

Und jetzo! Mitternacht! Der Aether bebt,

als rührte Geistergruß an einen Schild.

 

Ein Traqumbild, - leichtlich tausenden gesellt

auf einer Göttin Brünnenüberhang,

die schimmernd steht auf Speer und Schild gelehnt...

 

Und eben war’s, daß dieser zwölfmal klang:

Gott grüßt im Traume seine Göttin Welt,

die sich nach Ihm, wie er nach Ihr sich, sehnt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Schachsonett

1871 – 1914

Dem edlen Schach vergleich ich das Sonett.

Eröffnung, Aufbau, Mittel- Endspiel – traun,

das alles ist so hier wie dort zu schaun,

und auch selbst hier sitzt oft ein – Paar am Brett.

 

Vier Züge schon vorbei! Gefährlich Baun!

Verwirrung trübt mich ... Opfer und – Verlust! ...

Doch dieser Zug jetzt macht den Fehler wett.

Und auch dem Endspiel darf ich noch vertraun.

 

Jetzt brenn ich erst; und spür mich Brust an Brust;

und greife nicht mehr fehl im strengen Kriege;

und lege meisternd Hand auf Brett und Blatt.

 

Noch einmal blitzt das feindliche Florett –

doch ich parier’s – und nun auch schon: Schachmatt!

(Ich muß erst immer fallen, eh ich siege.)

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Humor

1871 – 1914

Mir war Humor mein Lebtag schier – Problem.

Ich frug mich: Tränenlächeln – ist’s auch nicht

ein (letzten Ends) – germanisch Leibgericht,

ein Rausch-Met, ein biderb Trau-schau-nicht-wem?

 

Ist nicht Humor – bequem (lies: unvornehm)?

Ein kirchweihkraus Gefährt, Art und Gewicht

des >Bürgers< angestimmt: - doch welches bricht,

entlenkst du drin der acht Planeten Lehm?

 

Was für den Mars noch gilt, gilt’s noch für das,

was unabsehbar wimmelt? Was der Zeit

entspricht, entspricht’s dem Ewigen noch? – Gott?

 

„Sprich, kann Humor je groß sein!“ – Ja! Und baß! -:

Als Brecher, Einmensch, deiner Wichtigkeit!

Als: wenn du >Gott< sagst, - dieses >Gotts< noch: Spott!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern         

1871 – 1914

Nun wollen wir uns still die Hände geben

Und vorwärts gehen, fromm, fast ohne Zagen,

Und dieses größte Lebenswagnis wagen:

Zwei miteinander ganz verschlungne Leben.

 

und wollen unermüdlich weiterweben

An den für uns nun völlig neuen Tagen

Und jeden Abend, jeden Morgen fragen,

Ob wir auch ganz Ein Ringen und Ein Streben.

 

Auch ganz Ein unersättlich Langen, Dürsten

Im Maß des Körperlichen, das uns eigen,

Uns immer geistiger emporzufürsten:

 

Daß wir wie Eines Pfeiles Schaft am Schlusse,

Ineinsverflochten und in einem Schusse,

Ein neues Reich höhrer Geburt ersteigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Unerwartete Eröffnung

1871 – 1914

Ich möcht es wohl noch einmal mit dir wagen:

Springer: b/1 c/3 d/5 c/7!

Zumeist jedoch, es schlank herauszusagen, -

um nämlich deine lieben, lieben,

 

vor mir leicht auf den Tisch gestützten,

nachdenklich, spielerernsthaft – scherzhaft

(vom Spitzenärmel ungeschützten)

gekreuzten Arme plötzlich herzhaft –

 

zu küssen! Ja, just dies vorzüglich!

Doch freilich dann, geküßt sie habend,

auch sehr bereit, das Spiel der Inder

 

(zum wenigstens mit jenem füglich

vermischt – dem Spiel verliebter Kinder)

weiterzutreiben einen schönsten Abend.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Der Gottsucher

1871 – 1914

Die Traurigkeit der Ewigkeit erfaßt

mich Menschen, der ich außer Zeit und Raum

nichts denken kann. Selbst Gottes Bild verblaßt

im Unbeschränkten wie ein grauer Traum.

 

Wie groß ist Gott gedacht als ewiger Baum,

wie größer noch als Schöpfer ohne Rast,

wie tiefer noch vielleicht als Mann und Weib ...

Nun aber ist da wohl bloß Meerurschaum

 

(dem unaufhörlich Leib entsteigt auf Leib),

selbst formlos, ob auch aller Formen Schoß,

personausströmend, selbst doch nicht Person, -

 

nun aber wohl bloß Wille, wesenlos,

un-endlich wie ein ewiger Zyklon,

kein Ich, kein Selbst, - Person-heit, Gott-heit bloß.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Meraner Nachtliedchen

1871 – 1914

Darf sich die Bank heut noch ein Liedchen loben, -

sie, die >mir wert?< ... Gewaltig gehn die Wasser

des Passer-Bachs --- Was tost sie so, die Passer?

Der Bergstrom tobt so, weil die Gletscher droben,

 

daher er kommt, der Südwind heut umschnoben,

so daß ihr Eisgefüge, naß und nasser,

dem es Umfasser und dann rasch Verlasser

sich doppelt willig ins Gefäll geschoben.

 

Der Süd. Du kennst ihn. Der Verwirrung bringet

in Mensch und Tier und Fels und selbst in Gletscher –

und heut auch mich so süß zu dir beschwinget - -

 

Daß ich hier träum, ein echter Ober-Etscher,

d. h. ein Mensch, der voll von Sonn und Weine,

sehr fern von Eurem >jedem hübsch das Seine<.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern          Kodizill

1871 – 1914

Du Tor, du Narr, du Frevler! Deine Rede

sei ja und nein und nichts darüber. Meinst

du zu beherrschen schon das dunkle Einst?

und liegst noch hier mit jedem Tag in Fehde?

 

Doch! Ja! ich wag’s, ich will’s! Mit tiefem Ernst

will ich bis übern Tod hinaus Uns beide,

will, daß uns nichts mehr in Äonen scheide ...

bis uns vielleicht (wie Buddha meint) zufernst

 

Ein Himmel eint der Ineinanderruhe –

nach tausend Leben, tausend Leid und Lust,

verpilgert sind der Sehnsucht Wanderschuhe –

 

sich endlich – dürfend – öffnet Brust gen Brust –

und Zweier Herzen ineinander quillen,

gleich Dürsten, die sich nun auf ewig stillen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Christian Morgenstern         

1871 – 1914                                        So fallen Wanderschwalben wohl zu Rast

Auf eines Seglers Topp und Rahen ein

Und lassen säumig Reise Reise sein

Und sitzen wandermüd auf Keep und Mast...

 

Und doch ist ihre Säumigkeit nur Schein,

Sie fühlens wohl: Wir sind hier nur zu Gast,

Wir sind dir, Schifflein, nicht gar lang zur Last

Und lassen dich bald abermals allein...

 

 

Wie Liebe manchmal, ihrer selber müd

Ein Weilchen ausruht, wo’s gerade kommt,

Auf ihrem Flug nach ihrem ewigen Süd...

 

Sie ahnt, daß ihr nur wenig Rasten frommt.

Und dünkte sie sich schon gestorben fast,

Sie weiß, daß ewig Leben in ihr glüht.