1871 – 1914
Nachdenklich nickt im Dämmer
die Pagode...
Daneben tritt aus ihres Hauses
Pforte
T’ang-ku-ei-i, die Hüterin der
Orte
vom krausen Leben und vom
grausen Tode.
Aus ihrem Munde hängt die
Mondschein-Ode
Tang-Wangs, des Kaisers, mit
geblümter Borte,
in ihren Händen trägt sie eine
Torte,
gekrönt von einer winzigen
Kommode.
So wandelt sie die sieben
ängstlich schmalen,
aus Flötenholz geschwungnen
Tempelbrücken
zum Grabe des vom Mond
erschlagnen Hundes –
und brockt den Kuchen in die
Opferschalen –
und lockt den Mond, sich auf
den Schrein zu bücken,
und reicht ihm ihr Gedicht
gespitzten Mundes...
1871 – 1914
In allen tiefen Stunden mußt
du`s empfinden:
Es gibt nur ein Mittel:
Gewalt.
Und würdest du tausend Jahre
alt, -
nie wird der Mensch allein
sich überwinden.
Du mußt ihn an das Rad der Zukunft
binden,
an deines Willens Rad, dafür’s
kein: halt!
als deines Willens: halt!
gibt; glühend-kalt
mußt du dein Volk zu seiner
Größe – schinden.
Befiehl! Nur daß du immer groß
befiehlst, -
sonst ist dein Reich auf einen
Schlag verloren
und dich verbrennt der Reif,
nach dem du schielst.
Befiehl! Laß sich erheben, was
geboren,
wag’s Gott zu sein, mach’s
wahr, wonach du zielst,
geliebt vom Edlen und
beknirscht vom Toren.
1871 – 1914
Die Nacht ist lind und lockt mich
auf die Warte
auf halber Höhe über meinem
Flecken;
ich schau ihn sich den Bach
hinauf erstrecken,
und diesen selber durch der
Mauer Scharte.
Durchs Laubwerk mir zu Häupten
spielt das harte
Geblink der Sternenschar mit
mir Verstecken;
indes von unten mich Laternen
necken,
wie Blitzer einer
transparenten Karte.
Vor allem aber ist die Bank da
droben
mir wert. Denn meine Freundin
kommt, die ferne,
so oft ich dort, mein
nächtlich Säumen teilen.
Gemeinsam hören wir die Wasser
toben.
Gemeinsam schaun wir Häuser,
Lichter, Sterne...
Und wünschen nichts als ewig
so zu weilen.
1871 – 1914
Die Nacht ist finster, ohne
Stern und Mond.
Jetzt schläfst du, Stadt, auf
tiefem Meeresgrund,
vom Trollenvolk Ertrunk’ner blos
bewohnt;
und ist in deinem Reich kein
andrer Mund,
als der dem Schrei der
Geisterstunde front,
dem Erzschrei, der Tor und
Pforte rund
die Toten wirbelt, blinden
Auges und
der Spanne durstig, die der
Schemen schont.
Hoch droben übern Spiegel
zieht ein Boot...
Das Ruder ruht. Und eine
Stimme bebt:
Horch, Herz, da drunten läutet
jetzt der Tod ...
Da fühl ich, wie mein Sinn dem
Graun entstrebt –
Ich reiße los mich von Vinetas
Not
und sage laut: Doch dein
Geliebter lebt!
1871 – 1914
So wie
das Fenster anfangs nur ein Schimmer
von
künstlichen, doch blinden Eiskristallen,
durch
die gedämpft ins winterliche Zimmer
der
Morgensonne liebe Strahlen fallen –
doch
mehr und mehr löst sich der Reif und Glimmer,
verästeln
sich die Blumen zu Korallen,
und
lang bevor die Mittagsglocken hallen,
bestehn
auch diese Taugebilde nimmer –
der
ganzen Sonne liegt der Raum nun offen,
das
Glas ward klar und läßt nun ohne Schleier
den
schöpferischen Segen einwärts fluten - -
so
wehrt, seit deine Liebe mich getroffen,
mein
Sinn, vom Eis der Abwehr täglich freier,
kaum
länger ihren unverwandten Gluten.
1871 – 1914
Gleich wie ein Brand, im
Anfang kaum erspäht,
den sommerlichen Kiefernhain durchspringt
und Stamm um Stamm
inbrünstiglich umschlingt,
daß sturmgleich er sein
Innerstes entlädt –
Gleich wie, was einst bloß
Fünklein, stät und stät,
an Gras, Moos, Flechte, Reisig
aufwärts dringt,
bis es sich endlich in die
Kronen schwingt
und aus Legionen Nadeln Blitze
sät –
So fällt die Leidenschaft den
Menschen an,
als Spiel zuerst, doch
unversehens Ernst, -
nichts rettet mehr, nicht
Flucht, nicht Kraft, nicht Stolz.
Du mußt sie schaudernd dulden,
Weib wie Mann:
Daß du im Feuertod erkennen
lernst,
wie wild Holz Feuer liebt und
Feuer Holz.
1871 – 1914
Die Geisterstadt ... Als wie
ein Teppichbild,
daran ein Träumer jahrelang
gewebt,
so steht sie da im Mondenduft
und lebt,
ein ganz zu Traum verflüchtigt
Erdgefild.
Und drüber seidet Allblau
dämmermild,
von Sternen-Kinderaugen scheu
durchstrebt.
Und jetzo! Mitternacht! Der
Aether bebt,
als rührte Geistergruß an
einen Schild.
Ein Traqumbild, - leichtlich
tausenden gesellt
auf einer Göttin
Brünnenüberhang,
die schimmernd steht auf Speer
und Schild gelehnt...
Und eben war’s, daß dieser
zwölfmal klang:
Gott grüßt im Traume seine
Göttin Welt,
die sich nach Ihm, wie er nach
Ihr sich, sehnt.
1871 – 1914
Dem edlen Schach vergleich ich
das Sonett.
Eröffnung, Aufbau, Mittel-
Endspiel – traun,
das alles ist so hier wie dort
zu schaun,
und auch selbst hier sitzt oft
ein – Paar am Brett.
Vier Züge schon vorbei!
Gefährlich Baun!
Verwirrung trübt mich ...
Opfer und – Verlust! ...
Doch dieser Zug jetzt macht
den Fehler wett.
Und auch dem Endspiel darf ich
noch vertraun.
Jetzt brenn ich erst; und spür
mich Brust an Brust;
und greife nicht mehr fehl im
strengen Kriege;
und lege meisternd Hand auf
Brett und Blatt.
Noch einmal blitzt das
feindliche Florett –
doch ich parier’s – und nun
auch schon: Schachmatt!
(Ich muß erst immer fallen, eh
ich siege.)
1871 – 1914
Mir war Humor mein Lebtag
schier – Problem.
Ich frug mich: Tränenlächeln –
ist’s auch nicht
ein (letzten Ends) –
germanisch Leibgericht,
ein Rausch-Met, ein biderb
Trau-schau-nicht-wem?
Ist nicht Humor – bequem
(lies: unvornehm)?
Ein kirchweihkraus Gefährt,
Art und Gewicht
des >Bürgers<
angestimmt: - doch welches bricht,
entlenkst du drin der acht
Planeten Lehm?
Was für den Mars noch gilt,
gilt’s noch für das,
was unabsehbar wimmelt? Was
der Zeit
entspricht, entspricht’s dem
Ewigen noch? – Gott?
„Sprich, kann Humor je groß
sein!“ – Ja! Und baß! -:
Als Brecher, Einmensch, deiner
Wichtigkeit!
Als: wenn du
>Gott< sagst, - dieses >Gotts< noch: Spott!
1871 – 1914
Nun wollen wir uns still die
Hände geben
Und vorwärts gehen, fromm,
fast ohne Zagen,
Und dieses größte Lebenswagnis
wagen:
Zwei miteinander ganz
verschlungne Leben.
und wollen unermüdlich
weiterweben
An den für uns nun völlig
neuen Tagen
Und jeden Abend, jeden Morgen
fragen,
Ob wir auch ganz Ein Ringen
und Ein Streben.
Auch ganz Ein unersättlich
Langen, Dürsten
Im Maß des Körperlichen, das
uns eigen,
Uns immer geistiger
emporzufürsten:
Daß wir wie Eines Pfeiles
Schaft am Schlusse,
Ineinsverflochten und in einem
Schusse,
Ein neues Reich höhrer Geburt
ersteigen.
1871 – 1914
Ich möcht es wohl noch einmal
mit dir wagen:
Springer: b/1 c/3 d/5 c/7!
Zumeist jedoch, es schlank
herauszusagen, -
um nämlich deine lieben,
lieben,
vor mir leicht auf den Tisch
gestützten,
nachdenklich, spielerernsthaft
– scherzhaft
(vom Spitzenärmel
ungeschützten)
gekreuzten Arme plötzlich
herzhaft –
zu küssen! Ja, just dies
vorzüglich!
Doch freilich dann, geküßt sie
habend,
auch sehr bereit, das Spiel
der Inder
(zum wenigstens mit jenem
füglich
vermischt – dem Spiel
verliebter Kinder)
weiterzutreiben einen
schönsten Abend.
1871 – 1914
Die Traurigkeit der Ewigkeit
erfaßt
mich Menschen, der ich außer
Zeit und Raum
nichts denken kann. Selbst
Gottes Bild verblaßt
im Unbeschränkten wie ein
grauer Traum.
Wie groß ist Gott gedacht als
ewiger Baum,
wie größer noch als Schöpfer
ohne Rast,
wie tiefer noch vielleicht als
Mann und Weib ...
Nun aber ist da wohl bloß
Meerurschaum
(dem unaufhörlich Leib entsteigt
auf Leib),
selbst formlos, ob auch aller
Formen Schoß,
personausströmend, selbst doch
nicht Person, -
nun aber wohl bloß Wille,
wesenlos,
un-endlich wie ein ewiger
Zyklon,
kein Ich, kein Selbst, -
Person-heit, Gott-heit bloß.
1871 – 1914
Darf sich die Bank heut noch
ein Liedchen loben, -
sie, die >mir wert?< ...
Gewaltig gehn die Wasser
des Passer-Bachs --- Was tost
sie so, die Passer?
Der Bergstrom tobt so, weil
die Gletscher droben,
daher er kommt, der Südwind
heut umschnoben,
so daß ihr Eisgefüge, naß und
nasser,
dem es Umfasser und dann rasch
Verlasser
sich doppelt willig ins Gefäll
geschoben.
Der Süd. Du kennst ihn. Der
Verwirrung bringet
in Mensch und Tier und Fels
und selbst in Gletscher –
und heut auch mich so süß zu
dir beschwinget - -
Daß ich hier träum, ein echter
Ober-Etscher,
d. h. ein Mensch, der voll von
Sonn und Weine,
sehr fern von Eurem >jedem
hübsch das Seine<.
1871 – 1914
Du
Tor, du Narr, du Frevler! Deine Rede
sei ja und nein und nichts
darüber. Meinst
du zu beherrschen schon das
dunkle Einst?
und liegst noch hier mit jedem
Tag in Fehde?
Doch! Ja! ich wag’s, ich
will’s! Mit tiefem Ernst
will ich bis übern Tod hinaus
Uns beide,
will, daß uns nichts mehr in
Äonen scheide ...
bis uns vielleicht (wie Buddha
meint) zufernst
Ein Himmel eint der
Ineinanderruhe –
nach tausend Leben, tausend
Leid und Lust,
verpilgert sind der Sehnsucht
Wanderschuhe –
sich endlich – dürfend – öffnet
Brust gen Brust –
und Zweier Herzen ineinander
quillen,
gleich Dürsten, die sich nun
auf ewig stillen.
1871 – 1914 So fallen Wanderschwalben
wohl zu Rast
Auf eines Seglers Topp und
Rahen ein
Und lassen säumig Reise Reise
sein
Und sitzen wandermüd auf Keep
und Mast...
Und doch ist ihre Säumigkeit
nur Schein,
Sie fühlens wohl: Wir sind
hier nur zu Gast,
Wir sind dir, Schifflein,
nicht gar lang zur Last
Und lassen dich bald abermals
allein...
Wie Liebe manchmal, ihrer
selber müd
Ein Weilchen ausruht, wo’s
gerade kommt,
Auf ihrem Flug nach ihrem
ewigen Süd...
Sie ahnt, daß ihr nur wenig
Rasten frommt.
Und dünkte sie sich schon
gestorben fast,
Sie weiß, daß ewig Leben in
ihr glüht.