Luise Otto Sonette
1819 – 1895
I.
Du weißt, wie ich in meiner
Kindheit Tagen,
Die wie ein Märchen
traumdurchwebt verronnen,
Ein hohes Bild den Dichtern
abgewonnen,
Die mich erquickt mit ihren
Heldensagen.
Ein Ritter, der die Laute bald
geschlagen,
Und bald das Schwert geführt,
kühn und besonnen,
Mit goldnem Haar und blauer Augen
Bronnen -
Es war Dein Bild, das ich in mir
getragen!
Wie ich Dich sah - da stand es
vor mir wieder
Verwirklicht waren die Heroen-Lieder,
Die ich als Spiel der Phantasie
verklagt.
Fast sank die stolze Jungfrau vor
Dir nieder,
Und daß Du selbst ihr Deine Lieb'
gesagt,
Das hatte sie zu denken nie
gewagt!
II.
Entsetzt lag ich vor Deinen
Eisengittern,
Weil ich umsonst gestrebt Dich zu
erretten,
Indes sie Dich auf hartem Pfühle
betten.
Trank ich den Kelch der Leiden
still, den bittern.
Doch hört ich auf zu bangen und
zu zittern,
Wallfahrend zog ich zu den
Kerkerstätten,
Und Liebes-Rosen wandt ich in die
Ketten,
Und Sonnenaufgang folgte den
Gewittern.
Ein neuer Himmelsruf war mir
ergangen:
Den Heldenkämpfer, der so lang
gefangen.
Empor ob allem irdschen Leid zu
heben,
Ich durft ihn aus dem Kerker
nicht befreien,
Ich durfte mehr: den Kerker
selber weihen,
Dem Dichtergeiste neue Schwingen
geben.
III.
Mir ist so froh, mir ist so
leicht zu Sinnen,
Und doch trennt uns des strengen
Kerkers Gitter,
Und zeigt mir ganz, wie das
Geschick so bitter,
Das mich nach kurzem Gruße treibt
von hinnen.
Das ist die Macht im selig süßem
Minnen,
Wie es mit Dir mich eint, mein
holder Ritter!
Da wird der Schmerz zum
fliehenden Gewitter
Von dem die Fluren Segen nur
gewinnen!
Der Himmel über uns er bleibt uns
offen,
Die Sonne bleibt in ihrem Glanze
thronen,
Und Märzenluft, die kündet
Frühlingszeit!
Drum laß nicht ab vom
Gottvertraun und Hoffen
Der Liebe schönste
Paradieseszonen
Erwarten uns noch so viel Qual
und Leid!
IV.
O sage nicht, daß draußen Lenz
und Leben
Und Glück und Freiheit ihr Panier
entfalten,
Ich sah die Welt sich anders ganz
gestalten
Seit diese Kerkermauern Dich
umgeben!
Laß mich auf Flügeln an Dein
Gitter schweben -
Die Menschheit ist was wir von
ihr gehalten;
Hoch ob uns allen herrscht des
Schöpfers Walten,
Der heute stürzt und morgen kann
erheben!
Doch über allen Hader unermessen,
Der noch die Welt zerwühlt mit
spitzen Waffen
Vom Sonnenaufgang bis zum
Niedergange:
Ward doch das ew'ge Werde nicht
vergessen,
Das jedem Herzen seine Welt
erschaffen.
"Ich liebe Dich!" spricht
es im Jubelklange.