1796 - 1835
(1824)
Dem deutschen Freunde, den die
Sterne lenken
Zu dieser Inselstadt vom Meer beschäumet,
Sei dieses kleine Buch ein Angedenken,
Wann er am Ufer der Lagune säumet,
Wann Lieb' und Kunst ihm schöne Stunden schenken,
Wann er, gestreckt in einer Gondel, träumet;
Und legt er's weg, so mag er leise sagen:
Hier hat vor mir ein fühlend Herz geschlagen!
Mein Auge liess das hohe Meer
zurücke,
Als aus der Flut Palladios
Tempel stiegen,
An deren Staffeln sich die
Wellen schmiegen,
Die uns getragen ohne Falsch
und Tücke.
Wir landen an, wir danken es
dem Glücke,
Und die Lagune scheint zurück
zu fliegen,
Der Dogen alte Säulengänge
liegen
Vor uns gigantisch mit der
Seufzerbrücke.
Venedigs Löwen, sonst Venedigs
Wonne,
Mit eh'rnen Flügeln sehen wir
ihn ragen
Auf seiner kolossalischen
Kolonne.
Ich steig ans Land, nicht ohne
Furcht und Zagen,
Da glänzt der Markusplatz im
Licht der Sonne:
Soll ich ihn wirklich zu
betreten wagen?
Dies Labyrinth von Brücken und
von Gassen,
Die tausendfach sich
ineinanderschlingen,
Wie wird hindurchzugehn mir je
gelingen?
Wie werd ich je dies grosse
Rätsel fassen?
Ersteigend erst des Markusturms
Terrassen,
Vermag ich vorwärts mit dem
Blick zu dringen,
Und aus den Wundern, welche
mich umringen,
Entsteht ein Bild, es teilen
sich die Massen.
Ich grüsse dort den Ozean, den
blauen,
Und hier die Alpen, die im
weiten Bogen
Auf die Laguneninseln niederschauen.
Und sieh! da kam ein mut'ges
Volk gezogen,
Paläste sich und Tempel sich
zu bauen
Auf Eichenpfähle mitten in die
Wogen.
Wie lieblich ist's, wenn sich
der Tag verkühlet,
Hinauszusehn, wo Schiff und
Gondel schweben,
Wenn die Lagune, ruhig,
spiegeleben,
In sich verfliesst, Venedig
sanft umspühlet!
Ins Innre wieder dann gezogen
fühlet
Das Auge sich, wo nach den
Wolken streben
Palast und Kirche, wo ein
lautes Leben
Auf allen Stufen des Rialto
wühlet.
Ein frohes Völkchen lieber
Müssiggänger,
Es schwärmt umher, es lässt
durch nichts sich stören,
Und stört auch niemals einen
Grillenfänger.
Des Abends sammelt sich's zu
ganzen Chören,
Denn auf dem Markusplatze
will's den Sänger
Und den Erzähler auf der Riva
hören.
IV
Nun hab ich diesen Taumel
überwunden,
Und irre nicht mehr hier und
dort ins Weite,
Mein Geist gewann ein sicheres
Geleite,
Seitdem er endlich einen
Freund gefunden.
Dir nun, o Freund, gehören
meine Stunden,
Du gabst ein Ziel mir nun,
wonach ich schreite,
Nach dieser eil ich oder jener
Seite,
Wo ich, dich anzutreffen, kann
erkunden.
Du winkst mir zu von manchem
Weihaltare,
Dein Geist ist ein
harmonisches Bestreben,
Und deine sanfte Seele liebt
das Wahre.
O welch ein Glück, sich ganz
dir hinzugeben,
Und, wenn es möglich wäre,
Jahr' um Jahre
Mit deinen Engeln, Gian
Bellin, zu leben!
Venedig liegt nur noch im Land
der Träume
Und wirft nur Schatten her aus
alten Tagen,
Es liegt der Leu der Republik
erschlagen,
Und öde feiern seines Kerkers
Räume.
Die eh'rnen Hengste, die durch
salz'ge Schäume
Dahergeschleppt, auf jener
Kirche ragen,
Nicht mehr dieselben sind sie,
ach! sie tragen
Des korsikan'schen Überwinders
Zäume.
Wo ist das Volk von Königen
geblieben,
Das diese Marmorhäuser durfte
bauen,
Die nun verfallen und gemach
zerstieben?
Nur selten finden auf des
Enkels Brauen
Der Ahnen grosse Züge sich
geschrieben,
An Dogengräbern in den Stein
gehauen.
VI
Erst hab ich weniger auf dich
geachtet,
O Tizian, du Mann voll Kraft
und Leben!
Jetzt siehst du mich vor
deiner Grösse beben,
Seit ich Mariä Himmelfahrt
betrachtet!
Von Wolken war mein trüber
Sinn umnachtet,
Wie deiner Heil'gen sie zu
Füssen schweben:
Nun seh ich selbst dich gegen
Himmel streben,
Wonach so brünstiglich Maria
trachtet!
Dir fast zur Seite zeigt sich
Pordenone:
Ihr wolltet lebend nicht
einander weichen,
Im Tode hat nun jeder seine
Krone!
Verbrüdert mögt ihr noch die
Hände reichen
Dem treuen, vaterländischen
Giorgione,
Und jenem Paul, dem wen'ge
Maler gleichen!
Der Canalazzo trägt auf
breitem Rücken
Die lange Gondel mit dem
fremden Gaste,
Den vor Grimanis, Pesaros
Palaste
Die Kraft, das Ebenmass, der
Prunk entzücken.
Doch mehr noch muss er sich
den Meisterstücken
Der frühern Kunst, die nie ein
Spott betaste,
Euch muss er sich und eurem
alten Glaste,
Pisani,
Vendramin, Ca Doro bücken.
Die got'schen Bogen, die sich
reich verweben,
Sind von Rosetten überblüht,
gehalten
Durch Marmorschäfte, vom
Balkon umgeben:
Welch eine reine Fülle von
Gestalten,
Wo, triefend an des
Augenblickes Leben,
Tiefsinn und Schönheit im
Vereine walten!
Es scheint ein langes, ew'ges
Ach zu wohnen
In diesen Lüften, die sich
leise regen,
Aus jenen Hallen weht es mir
entgegen,
Wo Scherz und Jubel sonst
gepflegt zu thronen.
Venedig fiel, wiewohl's
getrotzt 'Äonen,
Das Rad des Glücks kann nichts
zurückbewegen:
Öd ist der Hafen, wen'ge
Schiffe legen
Sich an die schöne Riva der
Sklavonen.
Wie hast du sonst, Venetia,
geprahlet
Als stolzes Weib mit goldenen
Gewändern,
So wie dich Paolo Veronese
malet!
Nun steht ein Dichter an den
Prachtgeländern
Der Riesentreppe staunend und
bezahlet
Den Tränenzoll, der nichts
vermag zu ändern!
IX
Ich fühle Woch' an Woche mir
verstreichen,
Und kann mich nicht von dir, Venedig,
trennen:
Hör ich Fusina, hör ich Mestre
nennen,
So scheint ein Frost mir durch
die Brust zu schleichen.
Stets mehr empfind ich dich
als ohne Gleichen,
Seit mir's gelingt, dich mehr
und mehr zu kennen:
Im tiefsten fühl ich meine
Seele brennen,
Die Grosses sieht und Grosses
will erreichen.
Welch eine Fülle wohnt von
Kraft und Milde
Sogar im Marmor hier, im
spröden, kalten,
Und in so manchem
tiefgefühlten Bilde!
Doch um noch mehr zu fesseln
mich, zu halten,
So mischt sich unter jene
Kunstgebilde
Die schönste Blüte lebender
Gestalten.
Hier wuchs die Kunst wie eine
Tulipane,
Mit ihrer Farbenpracht dem
Meer entstiegen,
Hier scheint auf bunten Wolken
sie zu fliegen,
Gleich einer zauberischen Fee
Morgane.
Wie seid ihr gross, ihr hohen Tiziane,
Wie zart Bellin, dal Piombo
wie gediegen,
Und o wie lernt sich ird'scher
Schmerz besiegen
Vor Paolos heiligem
Sebastiane!
Doch was auch Farb' und Pinsel
hier vollbrachte,
Der Meissel ist nicht
ungebraucht geblieben,
Und manchen Stein durchdringt
das Schöngedachte:
Ja, wen es je nach San Giulian
getrieben,
Damit er dort des Heilands
Schlaf betrachte,
Der muss den göttlichen
Campagna lieben!
Ihr Maler führt mich in das
ew'ge Leben,
Denn euch zu missen könnt' ich
nicht ertragen,
Noch dem Genuss auf ew'ge Zeit
entsagen,
Nach eurer Herrlichkeit
emporzustreben!
Um Gottes eigne Glorie zu
schweben
Vermag die Kunst allein und
darf es wagen,
Und wessen Herz Vollendetem
geschlagen,
Dem hat der Himmel weiter
nichts zu geben!
Wer wollte nicht den Glauben
aller Zeiten,
Durch alle Länder, alle
Kirchensprengel
Des Schönen Evangelium
verbreiten:
Wenn Palmas Heil'ge mit dem
Palmenstengel*
Und Paolos Alexander ihn
begleiten,
Und Tizians Tobias mit dem
Engel?
Zur Wüste fliehend vor dem
Menschenschwarme,
Steht hier Johannes, um zu
reinern Sphären
Durch Einsamkeit die Seele zu
verklären,
Die hohe, grossgestimmte,
gotteswarme.
Voll von Begeisterung, von
heil'gem Harme
Erglänzt sein ew'ger, ernster
Blick von Zähren,
Nach jenem, den Maria soll
gebären,
Scheint er zu deuten mit
erhobnem Arme.
Wer kann sich weg von diesem
Bilde kehren,
Und möchte nicht, mit
brünstigen Gebärden,
Den Gott im Busen Tizians
verehren?
O goldne Zeit, die nicht mehr
ist im Werden,
Als noch die Kunst vermocht
die Welt zu lehren,
Und nur das Schöne heilig war
auf Erden!
Hier seht ihr freilich keine
grünen Auen,
Und könnt euch nicht im Duft
der Rose baden;
Doch was ihr saht an blumigern
Gestaden,
Vergesst ihr hier und wünscht
es kaum zu schauen.
Die stern'ge Nacht beginnt
gemach zu tauen,
Um auf den Markus alles
einzuladen:
Da sitzen unter herrlichen
Arkaden,
In langen Reih'n, Venedigs
schönste Frauen.
Doch auf des Platzes Mitte
treibt geschwinde,
Wie Canaletto das versucht zu
malen,
Sich Schar an Schar, Musik
verhallt gelinde.
Indessen wehn, auf eh'rnen
Piedestalen,
Die Flaggen dreier Monarchien
im Winde,
Die von Venedigs altem Ruhme
strahlen.
Weil da, wo Schönheit waltet, Liebe
waltet,
So dürfte keiner sich
verwundert zeigen,
Wenn ich nicht ganz vermöchte
zu verschweigen,
Wie deine Liebe mir die Seele
spaltet.
Ich weiss, dass nie mir dies
Gefühl veraltet,
Denn mit Venedig wird sich's
eng verzweigen:
Stets wird ein Seufzer meiner
Brust entsteigen
Nach einem Lenz, der sich nur
halb entfaltet.
Wie soll der Fremdling eine
Gunst dir danken,
Selbst wenn dein Herz ihn zu
beglücken dächte,
Begegnend ihm in zärtlichen
Gedanken?
Kein Mittel gibt's, das mich
dir näher brächte,
Und einsam siehst du meine
Tritte wanken
Den Markus auf und nieder alle
Nächte.
XIV
Ich liebe dich, wie jener
Formen eine,
Die hier in Bildern uns
Venedig zeiget:
Wie sehr das Herz sich auch
nach ihnen neiget,
Wir ziehn davon, und wir
besitzen keine.
Wohl bist du gleich dem
schöngeformten Steine,
Der aber nie dem Piedestal
entsteiget,
Der selbst Pygmalions
Begierden schweiget,
Doch sei's darum, ich bleibe
stets der Deine.
Dich aber hat Venedig
auferzogen,
Du bleibst zurück in diesem
Himmelreiche,
Von allen Engeln Gian Bellins
umflogen:
Ich fühle mich, indem ich
weiterschleiche,
Um eine Welt von Herrlichkeit
betrogen,
Die ich den Träumen einer
Nacht vergleiche.
Was lässt im Leben sich
zuletzt gewinnen?
Was sichern wir von seinen
Schätzen allen?
Das goldne Glück, das süsse
Wohlgefallen,
Sie eilen - treu ist nur der
Schmerz - von hinnen.
Eh' mir ins Nichts die letzten
Stunden rinnen,
Will noch einmal ich auf und
nieder wallen,
Venedigs Meer, Venedigs
Marmorhallen
Beschaun mit sehnsuchtsvoll
erstaunten Sinnen.
Das Auge schweift mit emsigem
Bestreben,
Als ob zurück in seinem
Spiegel bliebe,
Was länger nicht vor ihm
vermag zu schweben:
Zuletzt, entziehend sich dem
letzten Triebe,
Fällt ach! zum letztenmal im
kurzen Leben,
Auf jenes Angesicht ein Blick
der Liebe.
XVI
Wenn tiefe Schwermut meine
Seele wieget,
Mag's um die Buden am Rialto
flittern:
Um nicht den Geist im Tande zu
zersplittern,
Such ich die Stille, die den
Tag besieget.
Dann blick ich oft, an Brücken
angeschmieget,
In öde Wellen, die nur leise
zittern,
Wo über Mauern, welche halb
verwittern,
Ein wilder Lorbeerbusch die
Zweige bieget.
Und wann ich, stehend auf
versteinten Pfählen,
Den Blick hinaus ins dunkle
Meer verliere,
Dem fürder keine Dogen sich
vermählen:
Dann stört mich kaum im
schweigenden Reviere,
Herschallend aus entlegenen
Kanälen,
Von Zeit zu Zeit ein Ruf der
Gondoliere.
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