Ludwig Pfau                               Flüchtlingssonette vom Jahr 1849

1821 -  1894                                                 (Auszüge)

 

I

 

Ich kenne eine Kön'gin, eine hohe,
Der Krone goldne Flamme ist entfacht
Auf ihrem Haupt, um ihrer Schultern Pracht,
Da schlägt des Purpurmantels stolze Lohe.

 

So schreitet sie dahin, die Opferfrohe,
Wie Lenzwind rauscht ihr Schleppkleid durch die Nacht,
Und Kön’ge halten unter Schrecken Wacht,
Ob sie mit ihren nackten Schwerte drohe.

 

Denn kommt sie, gilt kein altverjährter Raub,
Wie künstlich sich der Räuber auch entschuld’ge,
Und Kronen fallen ab wie welkes Laub.

 

Zum Löwen macht das Lamm sie, das geduld’ge,
Und Throne sinken vor ihr in den Staub -
Sie ist die einz’ge Fürstin, der ich huld’ge.

 

 

 

II

 

Wann weder Mond noch Stern am Himmel scheint,
Schleicht die verbannte Freiheit durch die Lande
Und setzt, verhüllten Haupts, im Leidgewande
Auf ihrer Kämpfer Hügel sich und weint.

 

"Ihr Helden, in der Kühle eingeschreint,
Daß euer Schlummer leicht sei unterm Sande,
Bis ich euch wecke mit dem Feuerbrande
Des Kampfs, der euch den Lebenden vereint.

 

Zu Bannerträgern hab’ ich euch erkoren,
Einst grünen eure Kränze neubelaubt:
Wer für die Freiheit starb, ging nicht verloren.

 

Geschenkt seid ihr dem Volke, nicht geraubt:
Ihr zieht im Kampf gleich blut’gen Meteoren
Ob deren Häuptern, die euch tot geglaubt."

 

 

III

 

Die Freiheit sprach: „Mich schickt ihr in den Tod,

Und meine Laken sind des Volkes Rechte;

So schlaf’ ich, doch dem menschlichen Geschlechte

Bleibt meine Mutter, die euch schwer bedroht,

 

Umsonst färbt ihr mit Blut die Feder rot:

Die geht aus dem verlorenen Gefechte

Als Siegerin, haucht Mut ins Herz dem Knechte

Und giebt dem Hunger Waffen anstatt Brot.

 

Zu euren Festen singt sie Schauerweisen;

Schaut euch nicht um, denn wie das Weib des Lot

Erstarrt ihr ob dem Schlangenhaupt, dem greisen.

 

Die Schreckliche, sie kennet kein Gebot;

Die bricht euch, Goldene, denn sie bricht Eisen:

Kennt ihr mein Mütterlein?  Ihr Nam’ ist Not.“

 

 

 

IV

 

So sprach der Herr: „Der Ofen meines Zornes

Ist schon geschürt, er glüht gleich einer Essen;

Euch alle wird der Rache Feuer fressen,

Die ihr verschwelgt die Füllen meines Bornes;

 

Die ihr verzehrt den Segen meines Kornes,

Das ich der ganzen Menschheit zugemessen;

Die ihr mit Gold und Lust euch krönt, indessen

Dem Volk aufs Haupt ihr drückt den Kranz des Dornes.

 

Ihr seid das Unkraut unter meinen Garben;

Doch schärf’ ich schon die Sicheln meinen Schnittern,

Und schon erglänzt mein Saatfeld erntefarben.

 

Weh euch! fahr’ ich hernieder in Gewittern,

Dann segn’ ich alle Herzen, die da darben,

Bei euch jedoch wird Heulen sein und Zittern.“

 

 

V

 

„Der ich den schnöden Karl von England schon

Um den gekrönten Kopf gemacht hab’ kleiner;

Der ich dem Ludwig dann, dem falschen Greiner,

Als Treppe ans Schaffot gestellt den Thron;

 

Der ich gefället den Napoleon,

Der frech war undgewaltig wienicht einer;

Der ich den Thoren Karl, und dem, der seiner

Als alle war, dem Philipp, gab den Lohn:

 

Glaubt ihr, mein Zornesarm sei worden schwächer,

Ihr Fürstlein, daß ihr also haust und tobt?

Euch quetsch’ ich überm Haupt die goldnen Dächer.

 

Je höher ihr auf Leichen euch erhobt,

Je näher seid ihr dem gerechten Rächer.“

So sprach der Herr; sein Wille sei gelobt.

 

 

 

VI

 

„Gezählt hab ich die Tränen meiner Lieben,

Und all die Seufzer meiner Menschenherzen,

Und all die Hungerqualen, Kerkerschmerzen,

Und all den Blutschweiß, den ihr ausgetrieben.

 

Das alles hab ich in mein Buch geschrieben,

Und bin bereitet nun euch auszumerzen;

Ihr würdet schon, und wäret ihr auch erzen,

Vom Drucke eurer Sündenlast zerrieben.

 

Glaubt ihr, die Völkerherden, die verirrten,

Hätt’ ich euch anvertraut, mit ihren Vließen

Und ihrem Blut euch Schwelger zu bewirten?

 

Ihr habt als Ungetreue euch erwiesen,

Drum fresse jetzt das Lamm den schlechten Hirten!

So sprach der Herr; sein Name sei gepriesen.

 

 

VII

 

Still schleicht ihr euch vorbei, ihr schnöden Zwitter,

Die ihr im Dienst von Land und König stehet,

Wenn ihr das Volk am Wege liegen sehet,

Beraubt von dem gekrönten Faustrechtsritter.

 

Doch während ihr, als Priester und Leviter,

So taub und blind vorbei dem Elend gehet,

das, stumm obwohl, so laut um Hilfe flehet,

Da naht, als Mensch, der Freiheit Samariter.

 

Der gießt dem Armen Balsam in die Wunden

Und stärket ihn mit Wein und Spezereien –

Ihr Pharisäer waret schnell verschwunden.

 

Jetzt aber kommt ihr und beginnt zu schreien,

Daß jene Hände, die so treu verbunden

Den Hingestreckten, nicht ganz koscher seien.

 

 

VIII

 

Am Gnadenfeuer in des Königs Schlot,

Da stehen sie, die schmutz’gen Küchentöpfe,

Darin zum Menschenpfeffer ihre Knöpfe

Die Monarchie braut, als ihr täglich Brot.

 

Sie brodeln eifrigst auf des Herrn Gebot,

Er drückt die Deckel nur auf ihre Köpfe;

Sie kochen alles, diese feilen Tröpfe –

Das Fett für sie, und für das Volk die Not!

 

Der Freiheit Flamme ist ganz abgehärmt,

Doch wächst sie manchmal, trotz der Köche Rüstung,

Daß dran der arme Mann sein Süpplein wärmt.

 

Sieht das ein Hoftopf, schäumt er bis zur Brüstung,

Und quirlt und zischt und spritzt und speit und lärmt

Und überläuft von sittlicher Entrüstung.

 

 

 

IX

 

Wie gnädig sich die hohen Herrn erwiesen!
Sie ließen euch ein ganzes Jahr lang schwatzen
Und eure Herzen, weisheitsvoll zum Platzen,
In ungestörter Wollust sich ergießen.

 

Sie dachten: wässert nur die deutschen Wiesen,
Wir ziehn die Krallen ein bei euren Fratzen,
Doch kommt die Zeit schon, wo wir wieder kratzen,
Dann werden wir des frischen Triebs genießen.

 

Und eh’ ihr noch zu Ende mit Beschließen,
Sind wieder Tiger worden aus den Katzen,
Da wurdet ihr zu Zwergen, ihr Maulriesen.

 

Jetzt fühlt auch ihr die allerhöchsten Tatzen
Der Herrn, die ihr geschont habt und gepriesen -
Nur schad’: es frißt der Tiger keine Ratzen.

 

 

X

 

O deutsche Eiche, wiebist du gespalten!

Dein Herz geborsten, wie von innerm Jammer;

Es haust das Beil und der Gewaltthat Hammer

In deines Blätterkleides grünen Falten.

 

An deinem wunden Leibe, wie sie schalten

Mit ehrnem Keile und mit stählner Klammer!

Doch tief in deines Lebens Wurzelkammer,

Da brauen die verjüngenden Gewalten.

 

Ein Lenzsturm noch, der saust in deinen Zweigen,

Und all die mürben Haften werden springen,

Die morschen Wipfel sich zu Boden neigen.

 

Und siegreich werden aus den Wurzeln dringen

Viel junge Stämme, die zum Himmel steigen

Und brüderlich mit Armen sich umschlingen.

 

 

 

XI

 

O Vaterland! Wer kann in dir noch wohnen?
Wenn ich ein Berg wär’ auf den deutschen Auen,
Wenn ich ein Strom wär’ in den deutschen Gauen,
Auswandern würd’ ich schnell nach andern Zonen.

 

Wenn ich ein Eichbaum wär’, nicht länger fronen
Würd’ ich den deutschen Männern und den Frauen,
Nach einer neuen Heimat würd’ ich schauen,
Die würdig wäre meiner grünen Kronen.

 

Doch ach! der Mensch liebt seine Heimatsterne,
Sei seines Volkes Schicksal noch so herbe,
Er zieht gebrochnen Herzens in die Ferne.

 

Ihm gab ein Gott dies Liebesteil zum Erbe,
Daß er sein Vaterland befreien lerne
Und in ihm lebe oder in ihm sterbe.

 

 

 

XII

 

Wie lang, o Volk! wie lang wirst du es dulden,
Daß man dich schlag’ und trete gleich dem Hunde?
Wie lang wirst du empfangen Wund’ um Wunde
In deinen Leib von königlichen Hulden?

 

Bei deiner Henker gräßlichem Verschulden
Schreit die Natur mit ihrem stummen Munde,
Der Berg erbebt vor Schreck in seinem Grunde,
Der Strom erbraust vor Wut in seinen Mulden.

 

Die Lüfte, wenn sie deinen Wehruf hören,
Stehn heulend auf, mit dir sich zu verbinden;
Die Sterne glühn, mit dir sich zu verschwören.

 

Ha! Sehend werden müßten selbst die Blinden,
Und selbst die Lahmen müßten sich empören -
Und du allein willst wie ein Wurm dich winden?

 

 

XIII

 

Fort mit der Schonung, wirf sie weg, die Scheiden,

Du Manneszorn, den schon Homer besungen!

Achilleus, als den Hektor er bezwungen,

War blöd nicht im Vergelten, noch bescheiden.

 

Odysseus, heimgekehrt zu seinen Weiden,

Hat schnell die Freier in den Sand gerungen,

Die ihm des Hauses Ehre schier verschlungen

Und Hab und Gut – das waren freilich Heiden.

 

Doch unsre Fürsten, das sind Christen freilich,

Und wenn sie sich im Blut der Freiheit baden,

So finden Papst und Pastor das verzeihlich.

 

Was sie auch thun, sie thun’s von Gottes Gnaden,

Und gegen solche Heil’ge wär’s gedeihlich,

Das alte Heidentum zu Gast zu laden.

 

 

 

XIV

 

Ihr Toten auf und brechet aus der Truhe!

Im blut’gen Leilach schleichet durchs Gegläste

Der Königshäuser und der Prunkpaläste,

An euren Füßen leise Geisterschuhe.

 

Als Träume tretet an das Bett der Ruhe,

Zu Tisch setzt euch als ungebetne Gäste,

Als Schatten stellt euch an die Lichteräste,

Bis euch der Hahnshrei heimruft in der Fruhe.

 

Wie Banko schüttelt euer Haupt mit Grollen:

Da hält der Fürst sich zitternd an den Wänden;

„Blut!“ schreit er, „Blut!“ und seine Augen rollen.

 

Doch säß’ er ewig an des Weltmeers Ränden

Und wüsch’ sich in dem Becken, in dem vollen,

Nicht wüsch’ er je das Blut von seinen Händen.

 

 

XV

 

Zum Kön’ge kam der Teufel jüngst gegangen

Und sprach: „Mir fehlt ein würdig Herrscherzeichen,

Das einzig sei in meinen Höllenreichen,

Denn Hörner tragen alle meine Rangen.

 

Nach deiner Krone stehet mein Verlangen,

Gewälzt von dir in Thränen, Blut und Leichen,

Ist sie ein fürstlich Kleinod sondergleichen

Und völlig wert, auf meinem Haupt zu prangen.

 

Gevatter König! meinem Herzen teuer,

Ich werde diesen Liebesdienst erkennen,

Kommst du hernieder in mein höllisch Feuer.

 

Zum Vizeteufel will ich dich ernennen,

Ich finde doch kein bessres Ungeheuer,

Mein Höllenvolk zu schinden und zu brennen.“

 

 

 

XVI  

 

Ich weiß ein Heer von unbesiegten Streitern,

Die nimmer weichen und die nimmer wanken;

Sie stehn im Glied, die Waffen hoch, die blanken,

Und trotzten euren Schützen, euern Reitern.

 

Sie stürmen eure Wälle ohne Leitern

Und auferstehn, so viel auch ihrer sanken,

Weil sie vom Born des ew’gen Lebens tranken –

An diesem Heer wird euer Heer zerscheitern.

 

Schon gehn sie unsichtbar um eure Hallen

Und hauen euern Löwen ab die Pranken

Und hauen euern Adlern ab die Krallen.

 

Ihr Heerschild blitzet, und die Tempel schwanken,

Ihr Schlachtruf donnert, und die Throne fallen –

Kennt ihr die Streiter? – Das sind die Gedanken.

 

 

 

XVII

 

Ein Tag wird kommen, der wird euch verbittern
Die Henkerfeste und die Mordgedanken:
Da wird der Boden, wie des Schiffes Planken
Vom Meer geschlagen, rings um euch erzittern.

 

Der Tag wird kommen, wo die Ketten splittern,
Wo unter euch die goldnen Sessel wanken,
Und über euch die stolzen Giebel schwanken
Wie Wipfel sturmgeschüttelt von Gewittern.

 

Ein Tag wird kommen, wo die Städte gären,
Und eure Kronen gehn in tausend Scherben,
Und euch die Sense fällt wie taube Ähren.

 

Dann wird mein Volk ein Vaterland erwerben,
Am Hauch der Freiheit trocknen seine Zähren -
O den Tag möcht ich sehen und dann sterben!

 

 

 

XVIII

 

Der Freiheit Werk, getrost! es muß gelingen;
Dem Strome gleicht es, der dem Berg entsprossen:
Wie klein und hilflos hat er sich ergossen!
Die Erde, meint man, sollte ihn verschlingen.

 

Doch wie er fließt, da kommen ihm mit Klingen
Viel junge Bruderquellen nachgeschossen;
Er wächst, im Arm die schwellenden Genossen,
Und stolz entfaltet er die feuchten Schwingen.

 

So der Gedanke: ist er erst verkündet,
Wälzt er sich fort im eigenen Gewichte,
Und tausend Kräfte sind ihm bald verbündet.

 

Er gräbt sein Bett und macht den Damm zunichte,
Es braust und strebt, bis er, ein Gott, sich mündet
Mit Jubelschall ins Meer der Weltgeschichte.