Eduard Paulus                        Europa

1837 – 1907

Europa, du bist alt und kindisch fast

An deinem Witz und Aberwitz geworden,

Dich hetzt dein Bücherskorpionenorden

Entgöttlicht fort in ahnungsloser Hast.

 

Ja du bist alt und blöd und kindisch fast,

Erst müssen wieder Völkerwandrungshorden

Mit Städtebränden und mit Massenmorden

Dir helfen von des Wissens Überlast.

 

Wenn Abgrund über Abgrund aufgewühlt,

Im Wirbelsturme rasend fortgespült

Fabriken, Schulen, Kirchen und Kanzleien,

 

Mit Schutt bedeckt der alte, kranke Grund,

Mag aus den Trümmern wieder kerngesund

In Gottesfurcht ein frischer Geist gedeihen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Paulus                        Der Freund

1837 – 1907

In dem Land der Professoren,

Präsidenten, Exzellenzen,

Seh ich dir im Auge glänzen

Eine Träne, traumverloren.

 

Wärst du fern im Süd geboren,

Wo bei Tarantellatänzen

Sich mit Rebenlaub umkränzen

Riesenhafte Weinamphoren!

 

Ach, in seinen Liedern findet

Man zuweilen Tropfen Blutes, -

Ob ein Genius erblindet

 

In Germanien, was tut es?

Und sich als Direktor schindet

Eines Töchterinstitutes!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Paulus                        Schwäbische Alb

1837 – 1907

In allen Tälern Obstbaumblütenduft,

aus den Gehängen Buchenwälder streben,

darüber hoch die Felskolosse schweben,

und Lerchen steigen jubelnd in die Luft.

 

Der Efeu schlingt sich dicht von Kluft zu Kluft,

um jede Klippe einen Kranz zu weben,

und in der Tiefe, welch geheimes Leben

in guelldurchrauschter Höhlen kühler Gruft!

 

Vor dem Gebirg die Einzelberge ragen,

das kahle Haupt verklärt vom Abendlichte

und schön umrauscht von alten Heldensagen.

 

Von ihren Burgen, jetzt in Staub zerschlagen,

ward einst im Sturmeslauf die Weltgeschichte

bis in das ferne Morgenland getragen.

 

 

 

 

Eduard Paulus                        Altgermanisches

1837 – 1907                                        VII.

 

Die Raben krächzen, Wodans Krone sinkt

Langsam zu Boden, alle Asen schreien,

Aus Feld und Meer die Drachen Flammen speien,

Und blutrot überm Pol das Nordlicht blinkt.

 

Zum letztenmale meine Harfe klingt:

„Nichts kann auf Erden fürderhin gedeihen,

Errichtet werden zahllose Pfarreien,

Womit man in das Joch die Völker zwingt!“

 

„Nicht mehr mit Run’ und Stäben wird geliedet,

Gesangbuchverse werden jetzt geschmiedet,

Und Helden gehn mit Kreuz und Skapulier“;

 

„Wohlan, du Zwerg, lass uns die Barke rüsten,

Wir stoßen ab von Nordlands Felsenküsten,

Noch heute nacht verbrenn’ ich mich mit dir!“

 

 

 

 

 

Eduard Paulus

1837 – 1907

Ich sehe schaudernd, über Blut und Leichen

Geht meines Volkes Weg ins bessre Licht,

Ihm ist’s verhängt noch manches Strafgericht

Von Hungersnot, von Kriegen und von Seuchen.

 

Dann aber werden alle Schatten weichen,

Und eines neuen Glaubens Sonne bricht

Durch manches gottverklärte Angesicht

Es kommt ein Geistesfrühling ohnegleichen.

 

Dann schüttert auch durch meine armen Knochen

Dann längst in Staub vermodert und zerbrochen,

Des neuen Leens Auferstehungshauch.

 

Mein Volk erinnert sich uralter Lieder,

Uralt vergessener – es blühet wieder

Auf meinem grab der wilde Rosenstrauch.