Benno Radau             

1902 – 1931

Unzählig bist du in den Bildern, Welt,

gebildet; allem schlummert innen festlich

ein Sein von Sinn, in der Erweckung köstlich,

von hochbeglückten Händen hingestellt

 

in scheuer Schau, bis es vermodernd fällt,

das Ding, wie allen Kindern fielen

die Puppen mit den Jahren aus den Spielen,

und nur dem Wissen fernhin zugestellt

 

für alte Jahre, o, so steigen Wesen-

heiten ungetrübt hinauf in Heilighalten

gewisser Stunden, voll von überreifen

 

Heimlichkeiten, in ein lächelnd Schalten,

das nie im Tun mit Dingen sonst gewesen,

in stilles Staunen, reich noch im Begreifen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

Du tobst, o Gott, auf deiner Finsternisse

grausamen Orgel wilde Machtgesänge.

Vor deinen Toren nimmt sich kaum die Menge

vom Tonschwall etwas, echowärts zerrissen.

 

Da liegst du auf den Tasten hingerissen

und achtest nur auf deine Klanggedränge,

du siehst nicht Ton mehr, keine Klänge,

du türmst nur frühestes, nur letztes Wissen.

 

O, deine Großmut hat den Spalt gemacht

in Tore, die uns wehren deine Hallen.

Wir hören dich wie schrille Schreie fallen,

 

einbrechend uns, wolfsgleich, in unsre Nacht. –

„Die Tore auf! Die Tore aufgemacht!!“

- Da hat dein Echo uns nur ausgelacht.

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

Da ich dich Gott in meinen dunklen Stunden

mit wunden Fäusten blindlings niederschlug

und ich dich bat, es sei nun lang genug,

daß ich in Blut die Hände so zerschunden,

 

baut ich dich neu und wähnte dich gefunden,

doch war an jeder Wölbung ein Betrug,

der mich einwalmte, bis ich wieder schlug

und dich zerbröckelte durch meine Wunden.

 

Es brach mich Müdigkeit doch endlich los

von dem, daß ich dich immer gläubig heilte,

von diesem Tun und der Zerstörung Stoß.

 

Wie da das Staunen jäh mich speilte,

als müdverglühte Asche ich hinstreute,

aus der sich nun dein Bild von selbst erneute!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Der Heilige

1902 1931

Seitdem du flohst, muß jeder dich versuchen

aus dem Entlegnen süchtig anzuziehn.

Mit keinem Beten, keinem Niederknien

und keinem Schwenken mit den Seidentuchen

 

verlockt dich eine Menge, nicht mit Fluchen,

in das entleerte Haus von neuem einzuziehn,

wo nichts als Ende ist in Symetrien

der Lettern, die dich doch nicht buchen.

 

Vielleicht erfaßt dich einer still zu Hause

und wird entflammt und klein und ohne Pause

rinnt dieser hin in tollen Litaneien,

 

die dich umgarnen, weil du willig wirst,

und steigst gefesselt bis zum Stirnenfirst

und zeigst dich dort wie Sonnenlicht im Maien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

Drei Nächte über letzten Sternen breitet

(Wind dort die lose Locke nicht mehr dreht,

und Schweigen leer wie ausgeläutet steht)

sich weit die Sehnsucht, noch nicht zubereitet

 

(dreinächtig über Sterne ausgebreitet)

für jene Hand, die fern durch Sternglanz weht,

jetzt gelb, jetzt winkend und jetzt aufgebläht

und nun getragen, wie man siegreich schreitet.

 

Bist Hand du Ziel? Bist du mir nichts als Weiser

in noch Entfernteres, zu größrer Fülle?

Bist greifbar du, und bist du greifenswert?

 

Vielleicht am Kleid des einen nur die Knülle,

die – fortgestrichen – sich in das ausleert,

was wissend macht und stiller nur und greiser?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Pieta

1902 1931

“Tausend Tempel gedungen

darin zu beten.

Alles erflehten

hungernde Zungen.

 

Mein Herz ist zersprungen

und täppisch zertreten,

aber aus den Gebeten

der Klang nicht verklungen.

 

Leid überstieß

mich und drang siebenfach

immer durchs Brüstedach

 

ein in mein Liebesverließ.

Wann endlich, mein Kind,

ich Ruh um dich find! – "

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Max Klinger: Blaue Stunde

1902 1931

Auf einmal bist du doch darin,

eingerundet ohn Begehren.

Nichts Heißes kann von deiner Stunde zehren,

es hat dich eingehüllt in ruhen Sinn.

 

Doch plötzlich drehst du mir dein Antlitz hin.

Und von dem wilderen, näheren Flackern verzehren

sich haltende Augen. Die Achsen verqueren

und senken sich aus dir hinaus: Du, ich bin!

 

Dann kam der Ruf. Dem Labyrinthe

langsam stiegst du aus und tunkst hinauf

in lauer Nacht Befreiung.

 

Ganz köstlich strömst du ein in die Verleihung

geheimnisvoller Weite. Gleich einer Hyazinthe

steilst du hinüber und brichst dich leis auf.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau

1902 - 1931

Die frühen Spiele bauten eine Welt.
Ein märchenseltnes Kreisen überflammte
den zarten Leib in seinem dunkeln Samte,
in allen Falten Kinderaug erhellt.

 

Aus Rundem ward ich plötzlich hingestellt
in Dinge, denen ich nicht mehr entstammte.
Zerbrach mich fremd. Nie schlug mir das Gesamte
die Kreise bittrer auf, die nun zerschellt.

 

Da warf ich vor die Augen meine Hände
und nahm mit jedem Weinen ein Gesicht
aus meinem Antlitz, hängte sie an Wände,


die rings sich biegen von dem Ungewicht
weit über mich und meine Kindesspiele.
- Und biegen sich, als seien schon zu viele
.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

Erschrakst du wirklich, als du fühltest,

wie deine Glieder anders wurden, Knabe,

und deine heiße Stirne, so als habe

dich Feuer überflammt, mit scheuen Händen kühltest?

 

Das wars wohl nicht, daß du in Blumen wühltest

den trotzgen Fuß in jenes Frühlings Labe.

Es war auch nicht die Wut vor dem gehabe,

das du aus Wiesen in dich aufgehn fühltest.

 

Ein Wort tropft in dich ein und knüpfte Ketten,

und die Gedanken triebst du, und sie schweiften

fernab von deinen Spielen, wo sie reiften

 

zur ewig alten Form gleich edlen Früchten.

Nun willst du dich vor deinem Wachsen retten

und fliehst vor albernen Gerüchten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

In diesen Jahren seid ihr alle gleich,

ihr wunderlichen Mädchen. Diese Stirne

ist noch ein Segel selgem Kinderhirne

in jenes weit geheimnisvolle Reich.

 

Die harten Kanten werden plötzlich weich,

und in dem Schwung der Hüfte zuckt die Dirne.

Jetzt, wie das Reifen einer gelben Birne

quillt in den Blick das Kind und Weib zugleich.

 

Fort ist es wieder. In dem Spielgemenge

bist Kind du mit dem rätselvollen Blick;

nur lauert hinter jener Geste dein Geschick

 

und duftet schon aus goldner Pracht der Haare.

So treibst du alles hin in eine Enge

und bist vielleicht noch kaum erst vierzehn Jahre.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         An den Frühling

1902 1931

Dein helles Haupt die Himmel tief zerknallte

und stieß, ein Stern, mich heiß mit seiner Helle.

Ein jedes Glied an deinem Leib ist Schwelle

zu hohem Dom vor dem ich überwallte.

 

Unbändig jung des Leibes Schlankheit prallte

mit seiner Zucht und Reine, edlen Schnelle;

und leuchtet berstend noch aus jener Stelle,

in dem die Zeugung sich zusammenballte.

 

Ich wollt am Wege schon – fast irr – vergehn,

da kamst du Frühling, der mich zwingend greift.

Ich darf nicht, wo du schreitest, zögernd stehn:

 

zu deinen Spuren bin ich aufgeschweift.

Und nur dir nach, bevor die Stunde kühlt –

Mich hat dein strenger Leib wild aufgewühlt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

Vor dir werd’ ich nur kühner, werde barer

der kleinlichen Gebärden und Gefühle.

Schon steigen trunken auf die weiten Ziele,

durch deinen Blick wird alles näher, klarer.

 

Du machst mich stolz, verpönst in mir den Sparer;

Verschwendung aller Schönheit – und wie viele –

mit Rossen, ungebändigten, im Spiele

verlangest du von mir, dem selgen Fahrer.

 

Nur zu! Vom Wind laß deine Locken kämmen

und peitsch die Rosse an zum straffsten Gang,

mit erznen Becken wecke ich den Klang

 

im Blut, das in uns wirbelnd kreist.

Ich kann – du willst es nicht – die Fahrt kaum dämmen;

nur zu, nur zu, bevor die Zeit uns greist!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

Ich kenne dich und will dich nicht bekennen!

Ich hetze auf dich meiner Worte Hunde

und schlug nach dir, doch du gingst ohne Wunde

aus meinen Worten, die dich nicht benennen.

 

Du ließest ab, doch seh ichs dir am Kinn,

ich weiß, du kommst, wenn ich die Augen schließe,

und löst mir an der Brust die goldne Schließe

und suchst die Stelle, wo ich wundbar bin.

 

Ich wache, hör, und wenn ich mich besinne,

zertrümmre ich dich in der Schöpfung Glut

durch eine Stunde, wenn mein heißes Blut

 

- ich brauch nicht Erde so wie du – hinwallt.

Dann schaff ich mich, und alle meine Sinne

sind plötzlich ewig, ewig in Gestalt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

Oftmals am Tage, selbst in den Straßen,

fallen Gesichter, wie ungewünscht, vor die Füße.

Ihre hochaufgerichtete Süße

steht vor allen erklügelten Maßen.

 

Seltsame Blüten blähen zu Plätzen die Gassen.

Aufgeblättert siehst du in dich hinein,

horchst noch stiller dem plötzlichen Sein

andersgestalteter Dinge auf hohen Terassen.

 

Jemand schritt die Treppe langsam nieder,

und die Blüten schrumpften taub zusammen.

Diese Straßen, dieser Platz verklammen

 

nun zu kühlem Stein und Masken wieder.

Geh nur weiter, bis die Straßen blühen

wieder vor Gesichtern und verglühen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Die Fontäne

1902 1931

Hier erst empfangt der Wege Mündung Sinn

im lauten Park; durchsungene Alleen

verstummen an dem Becken und vergehen,

dem marmornen Gesetz sich beugend hin.

 

Hier, mitten vor dem Staunen steigt, durchsteht

den Tag die hochmutseinsame Fontäne,

wie ohn Bedarf nach sich, nicht als ersehne

sie ihresgleichen und das Rosenbeet.

 

Nur oben plötzlich zwischen Steigen, Fallen

ist etwas, das sie abbiegt aus dem Sein,

als fiele in den Stolz hier Sehnsucht, Schwäche

 

- doch noch im Stürzen gen die dunkle Fläche

verschwendet sich der Gischt und reißt im Fallen

des Regenbogens Purpurfeuer ein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Danzig, St. Marien

1902 1931

Das Uebervolle helle Tore bog

und hehre Hände himmelwärts zerreckte,

bis zu dem Höchsten steile Ziele steckte

und im Gewölbe sich zusammenzog.

 

Die Säule ragte, bis sie Schwindel trog

und sich in Weihrauchschwaden mild zerfleckte.

Ein wildes Beten alle Schwere schreckte

und im gewalt’gen Turme auswärtsflog.

 

Wir stehen nun an diesen steilen Säulen,

wir stehen, schauen, schauern, woll’n nicht fliehn.

In diesen toten Hallen an den Mauern

 

sehn wir ein brünstig Sehnen flehend kauern,

und stehen starr an diesen steilen Säulen

und möchten doch so gläubig niederknien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Danzig Rokokohaus

1902 - 1931

Die Seide an der Wand zerfällt in Stücken,
und Moderdüfte steigen aus dem Spinde.
Ans Fenster rütteln laute, frische Winde;
doch gibts von draußen hierher keine Brücken.

 

Ein dürrer Blumenstrauß läßt sich zerpflücken
und löst sich raschelnd aus dem Bandgewinde.
Im Spiegel selbst ich nichts mehr wiederfinde:
zu tief in ihm liegt lächelndes Entzücken.

 

Es zaubert auch kein Wunsch mehr alles das,
was ehmals war, vor meine Augen hin,
da’s nicht der Spiegel will, der alles sah.


Ein trüber Schleier legt sich auf das Glas
und auf die Porzellane, auf das Zinn,
auf alles das, was war und was geschah.

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Freiburger Münster

1902 1931

Sie hatten dich. Du warst der so Gewisse,

daß sie am Kerker, den sie um dich schoben,

die Mauern lockerten (es war schon oben)

mit kühner Kurve, Strebung, hohem Risse.

 

Ganz oben aber ward man überkühn,

(so sicher war man deiner), schabte Kloben

zu dünnen Ranken, die sich aufwärts hoben,

ganz aufgebogen in verzücktes Blühn.

 

Du wurdest inne, daß sie nicht dir bauten,

daß man im Durchbruch all der Rosen, Rauten

zur leisen Flucht dich lockte und berührte.

 

Du hobst dich vom Altar, du der Verführte,

und bist aus späten bögen, kühnen Jochen

aus Poren hin für immer ausgebrochen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         An W. T.

1902 1931

Alle Wege sind wie aufgeweicht,

und die Füße schleppen schweren Gang,

Schritt für Schritt ohn rechter Lüste Drang

dorthin, wo ein kleines Ziel sich zeigt,

 

das sich nicht berührt und nicht erreicht,

da dein Haupt im Himmelsbläue Klang

lauscht dem tiefen Ton, dem hellen Sang,

der, hier rein verhallend, aus dir steigt.

 

Aber deine Augen liegen immer

ganz wo anders, als man sie wohl glaubt,

und auf Hals und Brust und auf das Haupt

 

tropft von Ton und Licht noch etwas Schimmer.

Deine Hände klagen im Verborgenen nun,

und des Weges Last liegt auf den Schuhn.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         An K. W.

1902 1931

Von einer langen Blutesreihe Pfründen

hast du genährt im Stillen stolzen Sinn;

nun trittst du hohen Hauptes vor mich hin,

umbaut von überreichen Hintergründen.

 

Nicht dies alleine könnte mich entzünden.

Ein edler Geist umschwebt die Stirn und Kinn,

und jede Stunde ist ein Weltgewinn,

wenn deine Ströme in die meinen münden.

 

Ich aber stehe rings vorm Bodenlosen,

mich hütet keines Reliefes Kreis,

in meinem Hirne glüht ein wildes Tosen,

 

das meine Träume brennend macht und heiß.

Ich hätte gern dich in die Gluten mitgenommen,

doch machte deine Kühle stets beklommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         An B. S.

1902 1931

Was nutzt gedämpfter Stunde Beisein bloß,

wenn dieser Schritt mit der markanten Spur,

weithin sich gabelnd, jagt durch die Natur

und immer stampft: Gott, du bist groß!

 

Du hast kaum etwas von dem starken Stoß,

den dieses Wort dir gibt, bevor die Schnur

dein Haupt befällt, und diese Frühlingsflur

mit dir hinsinkt in dein verbleichend Los.

 

Dann erst empfinde du die Hand, die hielt

in deiner sich, dann erst erkenn das Wort,

das wir zusammen probten und empfanden.

 

Hier sind nur Schwächen, bis wir uns entbanden

und lüstern, wie man in den Nächten stiehlt,

wir uns entwanden an den fernsten Ort.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Als E. S. sang

1902 1931

Du ließest dir nicht Zeit, den Wäldern

noch mühsam nachzulauschen

und Stunden stillen Daseins einzutauschen,

die überherstet stehn in fahlen Feldern.

 

Mit einer Hand greifst du in die Erfahrung

der ganzen Zeit, flockest die flauschen

Traumblumen aus der Empfindung Rauschen

in eine Stille voller Offenbarung.

 

Da fuhr ein Ton vom Rande deiner Seele,

der Wolken winkt, der Bitte und Befehle

und Tiere lockt und vor dem Lauten flieht.

 

Die Gärten harrten schon der Melodien

und ringsum warteten die Harmonien

auf das, was jetzt anstieg: das Lied.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         An J. S.

1902 1931

Vom Winter her sind noch die Schatten lang

und ungemessen; wenn der Tag verschwindet,

verliern sie alles Maß. Was noch verbindet,

macht bloß die Dämmerung verklärter im Gesang

 

uralter Strophen, die nach Ruhe rufen.

Und diese auch – wer wohl die Gründe findet –

ziehn schwer wie Frauen nach dem Kindbett

ins Haus, ein wenig zögernd an den Stufen

 

zu einem Innen, das sich nicht ergibt,

und das verweint in sich zusammengezogen

wartet, wartet, daß einer kommt, der liebt,

 

der keine Schritte kennt, der nicht verzogen

nur immer Dingen nachschaut, die den Tag bestehn,

und müde sieht, wie sie zur Nacht vergehn.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Für F.   I.

1902 1931

Nicht der Nächte Fläche zieht mich hinan,

nicht das Rasen der Stadt in die flammende Tiefe.

So als ob ich qualdurchwälzten Traum durchschliefe,

liege ich über der Stadt, von dem Bann

 

unten taumelnder Menschen festgehalten.

Glühes Hirn denkt den leisen Ruf,

der, dem Mund entsprungen, unten schuf

schulterschüttelndes Lachen in den Asphalten.

 

Einem vielleicht fuhr der Schrei in den Blick,

und er bebt vom Ton, wacher denn je,

dunkler Wimper, lächelnder Lippe, als sehe

 

er irgendwoher einen Stern, Kopf im Genick,

leuchten in seinem Jammer, und ein Neigen

will aus des Blickes Kammer zu mir auf steigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Für F.   II.

1902 1931

Du Rufer in den grauen Wintermorgen,

wenn noch in sparem Schlaf die Stadt erhascht,

was sie an Schlaf im Lachen hat vernascht,

was beim Erwachen qualvoll sie an Sorgen

 

vergessen will, das scheuchst du lächelnd fort

mit einer starken Handbewegung, so –

und machst sie reich und machst die Straßen froh

mit einem lautgerufnen Wort.

 

das aus den hellen Zähnen blitzend blinkt,

an allen Türen, allen Riegeln klingt,

daß weit sie für den breiten Tagesstrom

 

auffliegen, für die Sonnenufer,

rings überkuppelt von des Lichtes Dom.

Das tatest du, du starker Morgenrufer!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Selbstbildnis

1902 1931

Die Stirne steigt und übersteigt sich scheu

in Haares Dunkel und zerflügelt

von jäher Brauen Flucht, die ungezügelt

mit jedem Zucken, jeden Beben neu

 

sich biegen, sinkt von ihr in die Pupillen

ein still Verschwiegenes, das selten leuchtet,

das schon vertaubt. Da sind nur jene Rillen,

in denen Stummheit Schmerz und Tränen feuchtet.

 

O, diese Furchen, die der Kummer grub

um das Verstummte, die verstohlen, zag

weiterwühlen bis zum Rand der Lippe

 

und jedes Wort jäh überstoßen mit dem Schub

Verheimlichens und Starre, bis die Hippe

das Dürre mäht mit (hörst du’s?) erznem Schlag.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau                         Kind und Mutter

1902 1931

“Als Spielfeld hatt’ ich mir die Welt erkoren,

und du hast hin aus hoffnungspraller Truhe

dies winzigkleine Ich aus seiner Ruhe

in diese viel zu weite Welt hinausgeboren.

 

Nun hab’ ich auch das Kindsein schon verloren,

und größer, schwerer wurden meine Schuhe,

und nach dem ganzen törichten Getue

sind müde all der Worte meine Ohren.

 

Nimm mich zu dir noch einmal bloß

und wärme und behüte mich, dein Kind.

Ach, wüßtest du, wie schwer die Leben sind,

 

du bärgest wieder mich in deinem Schoß.

Ich ward ja viel zu groß! – Nun gehts nicht mehr.

Ich bin des Lebens voll und du bist leer.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Benno Radau             

1902 1931

Mein letztes Lied, wann wird’s verklungen sein,

wann füllte sich der Vers mit hoher Reife,

daß er den Himmel faß’, die erde greife

und sagen darf: Vollbracht, ich schloß sie ein!

 

Du hebst mich hin zu deines Mundes Nähe

und läßt mich deinen leisen Worten lauschen

und heißest mich, sie singend einzutauschen

in solche, die sehr schwer und lebenswehe.

 

O, lehre mich ein Lied, das nie verklinge;

und was sich zwängte in die kleinen Reime,

mach’ offenbar, das Stille und Geheime,

 

damit es noch im fernsten Menschen singe!

Nimm mich an deine Brust, o Gott, und tränke

mir jedes Lied, daß niemals es versänke.