1875 - 1926
Fremde Gesandte sahen, wie sie
geizten
mit ihm und allem was er tat;
während sie ihn zu seiner
Größe reizten,
umstellten sie das goldene Dogat
mit Spähern und Beschränkern
immer mehr,
bange, daß nicht die Macht sie
überfällt,
die sie in ihm, so wie man
einen Löwen hält,
vorsichtig näherten. Aber er,
im Schutze seiner halb
verhängten Sinne,
ward dessen nicht gewahr und
hielt nicht inne,
größer zu werden. Was die
Signori
in seinem Innern zu bezwingen
glaubten,
bezwang er selbst. In seinem
greisen Haupte
war es besiegt. Sein Antlitz
zeigte wie.
1875 - 1926
Einst, vor Zeiten, nannte man
sie alt.
Doch sie blieb und kam die
selbe Straße
täglich. Und man änderte die
Maße,
und man zählte sie wie einen
Wald
nach Jahrhunderten. Sie aber
stand
jeden Abend auf derselben
Stelle,
schwarz wie eine alte
Zitadelle
hoch und hohl und ausgebrannt;
von den Worten, die sich
unbewacht
wider ihren Willen in ihr
mehrten,
immerfort umschrien und
umflogen,
während die schon wieder
Heimgekehrten
dunkel unter ihren Augenbogen
saßen, fertig für die Nacht.
1875 - 1926
So wie der König auf der Jagd
ein Glas
ergreift, daraus zu trinken,
irgendeins,
und wie hernach der, welcher
es besaß
es fortstellt und verwahrt,
als wär es keins:
so hob vielleicht das
Schicksal, durstig auch,
bisweilen einer an den Mund und
trank,
die dann ein kleines Leben,
viel zu bang
sie zu zerbrechen, abseits vom
Gebrauch
hinstellte in die ängstliche
Vitrine,
in welcher seine Kostbarkeiten
sind,
oder die Dinge, die für
kostbar gelten.
Da stand sie fremd wie eine
Fortgeliehne
und wurde einfach alt und
wurde blind
und war nicht kostbar und war
niemals selten.
1875 - 1926
Einfach steht sie an der
Kathedrale
großem Aufstieg, nah der
Fensterrose,
mit dem Apfel in der
Apfelpose,
schuldlos schuldig ein für
alle Male
an dem Wachsenden, das sie
gebar,
seit sie aus dem Kreis der
Ewigkeiten
liebend fortging, um sich
durchzustreiten
durch die Erde, wie ein junges
Jahr.
Ach, sie hätte gern in jenem
Land
noch ein wenig weilen mögen,
achtend
auf der Tiere Eintracht und
Verstand.
Doch da sie den Mann
entschlossen fand,
ging sie mit ihm, nach dem
Tode trachtend;
und sie hatte Gott noch kaum
gekannt.
1875 - 1926
So wie der Staub, der
irgendwie beginnt
und nirgens ist, zu
unerklärtem Zwecke
an einem leeren Morgen in der
Ecke
in die man sieht, ganz rasch
zu Grau gerinnt,
so bildet sich, wer weiß aus
was,
im letzten Augenblick vor
deinen Schritten
und waren etwas Ungewisses
mitten
im nassen Niederschlag der
Gasse, das
nach dir verlangte. Oder nicht
nach dir.
Denn eine Stimme, wie vom
vorigen Jahr,
sang dich zwar an und blieb
doch ein Geweine;
und eine Hand, die wie
geliehen war,
kam zwar hervor und nahm doch
nicht die deine.
Wer kommt denn noch? Wen
meinen diese vier?
1875 - 1926
Wenn manches Mal durch das
noch unbelaubte
Gezweig ein Morgen durchsieht,
der schon ganz
im Frühling ist: so ist in
seinem Haupte
nichts was verhindern könnte,
daß der Glanz
aller Gedichte uns fast
tödlich träfe,
denn noch kein Schatten ist in
seinem Schaun,
zu kühl für Lorbeer ist noch
seine Schläfe
und erst später wird aus
Augenbraun
hoch stämmig sich der
Rosengarten heben,
aus welchem Blätter, einzeln, ausgelöst
hintreiben werden auf des
Mundes Beben,
der jetzt noch still ist, nie
gebraucht und blinkend
und nur mit seinem Lächeln
etwas trinkend
als würde ihm sein Singen
eingeflößt.
1875 - 1926
Sieh, wie sich alles auftut,
so sind wir;
denn wir sind nichts als
solche Seligkeit.
Was Blut und Dunkel war in
einem Tier,
das wuchs in uns zur Seele an
und schreit
als Seele weiter. Und es
schreit nach dir.
Du freilich nimmst es nur in
dein Gesicht
als sei es Landschaft, sanft
und ohne Gier.
Und darum meinen wir, du bist
es nicht,
nach dem es schreit. Und doch,
bist du nicht der,
an den wir uns ganz ohne Rest
verlören?
Und werden wir in irgend einem
mehr?
Mit uns geht das Unendliche
vorbei.
Du aber sei, du Mund, daß wir
es hören,
du aber, du uns Sagender, du
sei.
1875 - 1926
Und sie hatten Ihn in sich
erspart
und sie wollten, daß er sei und richte,
und sie hängten schließlich wie Gewichte
(zu verhindern seine Himmelfahrt)
an ihn ihrer großen Kathedralen
Last und Masse. Und er sollte nur
über seine grenzenlosen Zahlen
zeigend kreisen und wie eine Uhr
Zeichen geben ihrem Tun und Tagwerk.
Aber plötzlich kam er ganz in Gang,
und die Leute der entsetzten Stadt
ließen ihn, vor seiner Stimme bang,
weitergehn mit ausgehängtem Schlagwerk
und entflohn vor seinem Zifferblatt.
1875 - 1926
Wind der Vorgebirge: war nicht
ihre
Stirne wie ein lichter Gegenstand?
Glatter Gegenwind der leichten Tiere,
formtest du sie: ihr Gewand
bildend an die unbewußten Brüste
wie ein wechselvolles Vorgefühl?
Während sie, als ob sie alles wüßte,
auf das Fernste zu, geschürzt und kühl,
stürmte mit den Nymphen und den Hunden,
ihren Bogen probend, eingebunden
in den harten hohen Gurt;
manchmal nur aus fremden Siedelungen
angerufen und erzürnt bezwungen
von dem Schreien um Geburt.
1875 - 1926
Im Sturm, der um die starke
Kathedrale
wie ein Verneiner stürzt, der
denkt und denkt,
fühlt man sich zärtlicher mit
einem Male
von deinem Lächeln zu dir
hingelenkt,
lächelnder Engel, fühlende
Figur,
mit einem Mund, gemacht aus
hundert Munden,
gewahrst du gar nicht, wie dir
unsre Stunden
abgleiten von der vollen
Sonnenuhr,
auf der des Tages ganze Zahl
zugleich,
gleich wirklich, steht in
tiefem Gleichgewichte,
als wären alle Stunden reif
und reich.
Was weißt du, Steinerner, von
unserm Sein?
und hältst du mit noch
seligerm Gesichte
vielleicht die Tafel in die
Nacht hinein?
1875 - 1926
Als ihn der Gott in seiner Not
betrat,
erschrak er fast, den Schwan
so schön zu finden;
er ließ sich ganz verwirrt in
ihm verschwinden.
Schon aber trug ihn sein
Betrug zur Tat,
bevor er noch des unerprobten
Seins
Gefühle prüfte. Und die
Aufgetane
erkannte schon den Mommenden
im Schwane
und wußte schon: er bat um
eins,
das sie, verwirrt in ihrem
Widerstand,
nicht mehr verbergen konnte. Er
kam nieder
und halsend durch die immer
schwächre Hand
ließ sich der Gott in die
Geliebte los.
Dann erst empfand er glücklich
sein Gefieder
und wurde wirklich Schwan in
ihrem Schoß.
1875 - 1926
Und Nacht und fernes Fahren;
denn der Train
des ganzen Heeres zog am Park
vorüber.
Er aber hob den Blick vom
Clavecin
und spielte noch und sah zu
ihr hinüber
beinah wie man in einen
Spiegel schaut,
so sehr erfüllt von seinen
jungen Zügen
und wissend, wie sie seine
Trauer trügen,
schön und verführerischer bei
jedem Laut.
Doch plötzlich wars, als ob
sich das verwische,
sie stand wie mühsam in der
Fensternische
und hielt des Herzens
drängendes Geklopf.
Sein Spiel gab nach. Von
draußen wehte Frische.
Und seltsam fremd stand auf
dem Spiegeltische
der schwarze Tschako mit dem
Totenkopf.