Rainer Maria Rilke                 Mohameds Berufung

1875 -  1926

Da aber als in sein Versteck der Hohe,
sofort Erkennbare: der Engel, trat,
aufrecht, der lautere und lichterlohe:
da tat er allen Anspruch ab und bat

bleiben zu dürfen der von seinen Reisen
innen verwirrte Kaufmann, der er war;
er hatte nie gelesen - und nun gar
ein solches Wort, zu viel für einen Weisen.

Der Engel aber, herrisch, wies und wies
ihm, was geschrieben stand auf seinem Blatte,
und gab nicht nach und wollte wieder: Lies.

Da las er: so, daß sich der Engel bog.
Und war schon einer, der gelesen hatte
und konnte und gehorchte und vollzog.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 Morgue

1875 -  1926

Da liegen sie bereit, als ob es gälte,

nachträglich eine Handlung zu erfinden,

die mit einander und mit dieser Kälte

sie zu versöhnen weiß und zu verbinden;

 

denn das ist alles noch wie ohne Schluß.

Was für ein Name hätte in den Taschen

sich finden sollen? An dem Überdruß

um ihren Mund hat man herumgewaschen,

 

er ging nicht ab; er wurde nur ganz rein.

Die Bärte stehen, noch ein wenig härter,

doch ordentlicher im Geschmack der Wärter,

 

nur um die Gaffenden nicht anzuwidern.

Die Augen haben hinter ihren Lidern

sich umgewandt und schauen jetzt hinein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 Papageienpark

1875 -  1926

                                                                            Unter türkischen Linden, die blühen, an Rasenrändern

in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern

atmen die Ara und wissen von ihren Ländern,

die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern.

 

Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade,

zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade,

und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und Jade

kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade.

 

Unten klauben die dullen Tauben, was sie nicht mögen,

während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen

zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen.

 

Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und äugen,

spielen mit dunklen Zungen, die gerne lögen,

zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf Zeugen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 Römische Campagne

1875 -  1926

Aus der vollgestellten Stadt, die lieber

schliefe, träumend von den hohen Thermen,

geht der grade Gräberweg ins Fieber;

und die Fenster in den letzten Fernen

 

sehn ihm nach mit einem bösen Blick.

Und er hat sie immer im Genick,

wenn er hingeht, rechts und links zerstörend,

bis er draußen atemlos beschwörend

 

seine Leere zu den Himmeln hebt,

hastig um sich schauend, ob ihn keine

Fenster treffen. Während er den weiten

 

Aquädukten zuwinkt, herzuschreiten,

geben ihm die Himmel für die seine

ihre Leere, die ihn überlebt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 Römische Fontäne

1875 -  1926

Zwei Becken, eins das andre übersteigend

aus einem alten runden Marmorrand

und aus dem obern Wasser leis sich neigend

zum Wasser, welches unten wartend stand,

 

dem leise Redenden entgegenschweigend

und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,

ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend

wie einen unbekannten Gegenstand;

 

sich selber ruhig in der schönen Schale

verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,

nur manchmal träumerisch und tropfenweis

 

sich niederlassend an den Moosbehängen

zum letzten Spiegel, der sein Becken leis

von unten lächeln macht mit Übergängen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 Römische Sarkophage

1875 -  1926

Was aber hindert uns zu glauben, daß

- so wie wir hingestellt sind und verteilt –

nicht eine kleine Zeit nur Drang und Hass

und dies Verwirrende in uns verweilt,

 

wie einst in dem verzierten Sarkophag

bei Ringen, Götterbildern, Gläsern, Bändern,

in langsam sich verzehrenden Gewändern

ein langsam Aufgelöstes lag,

 

bis es die unbekannten Münder schluckten,

die niemals reden. Wo besteht und denkt

ein Hirn, um ihrer einst sich zu bedienen?

 

Da wurde von den alten Aquädukten

ewiges Wasser in sie eingelenkt:

das spiegelt jetzt und geht und glänzt in ihnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 San Marco

1875 -  1926

In diesem Innern, das wie ausgehöhlt

sich wölbt und wendet in den goldnen Falten,

rundkantig, glatt, mit Köstlichkeit geölt,

ward dieses Staates Dunkelheit gehalten

 

und heimlich aufgehäuft, als Gleichgewicht

des Lichtes, das in allen seinen Dingen

sich so vermehrte, daß sie fast vergingen.

Und plötzlich zweifelst du: Vergehn sie nicht?

 

Und drängst zurück die harte Galerie,

die, wie ein Gang im Bergwerk, nah am Glanz

der Wölbung hängt; und du erkennst die heile

 

Helle des Ausblicks: aber irgendwie

wehmütig messend ihre müde Weile

am nahen Überstehn des Viergespanns.

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 Spätherbst in Venedig

1875 -  1926

Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder,

der alle aufgetauchten Tage fängt.

Die gläsernen Paläste klingen spröder

an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt

 

der Sommer wie ein Haufen Marionetten

kopfüber, müde, umgebracht.

Aber vom Grund aus alten Waldskeletten

steigt Willen auf, als sollte über Nacht

 

der General des Meeres die Galeeren

verdoppeln in dem wachen Arsenal,

um schon die nächste Morgenluft zu teeren

 

mit einer Flotte, welche Ruder schlagend

sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend,

den großen Wind hat, strahlend und fatal.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 Vor dem Sommerregen

1875 -  1926

Auf einmal ist aus allem Grün im Park

man weiß nicht was, ein Etwas, fortgenommen;

man fühlt es näher an die Fenster kommen

und schweigsam sein. Inständig nur und stark

 

ertönt aus dem Gehölz der Regenpfeifer,

man denkt an einen Hieronymus:

so sehr steigt irgend Einsamkeit und Eifer

aus dieser einen Stimme, die der Guß

 

erhören wird. Des Saales Wände sind

mit ihren Bildern von uns fortgetreten,

als dürften sie nicht hören was wir sagen.

 

Es spiegeln die verblichenen Tapeten

das ungewisse Licht von Nachmittagen,

in denen man sich fürchtete als Kind.

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                

1875 -  1926                                                 Welche Stille um einen Gott! Wie hörst du in uhr

Jeden Wechsel im Auffall des Brunnenstrahls

Am weilenden Wasser des Marmorovals.

Und am Lorbeer vorüber ein Fühlen: drei oder vier

 

Blätter, die ein Falter gestreift hat. An dir

Taumelt er hin, im tragenden Atem des Tals.

Und du gedenkst eines anderen Mals,

da sie dir schon so vollkommen schien, hier,

 

Diese stille um einen Gott. Ward sie nicht mehr?

Nimmt sie nicht zu? Nimmt sie nicht überhand?

Drängt sie nicht fast wie ein Widerstand

 

An dein tönendes Herz? Irgendwo bricht sich sein Schlag

An einer lautlosen Pause im Tag...

Dort ist er.

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 Die Berufung

1875 -  1926

Da aber als sein Versteck der Hohe,

sofort Erkennbare: der Engel trat

aufrecht, der lautere und lichterlohe,

da tat er allen Anspruch ab und bat,

 

bleiben zu dürfen, der von seinen Reisen

innen verwirrte Kaufmann, der er war;

er hatte nie gelesen und nun gar

ein solches Wort, zuviel für einen Weisen.

 

Der Engel aber, herrisch, wies und wies

ihm, was geschrieben stand auf seinem Blatte,

und gab nicht nach und wolte wieder: lies.

 

Da las er: so, daß sich der Engel bog,

und war schon einer, der gelesen hatte

und konnte und gehorchte und vollzog.

 

 

 

 

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                 An Grete Gulbranssons

1875 -  1926


I


"Nicht als ein neues, äusserstens als eins,
Das hinter Bücherreihen sich wiederfände,
gerathe dieses Buch in Ihre Hände
Und leugne seines Fortgewesenseins


verstecktes Los. O Bücher, Gegenstände,
aus unsichtbarer und erwollter Welt
geglückt geformt und plötzlich hingestellt
Um Binnentage: Milderung der Wände.

 

Ist Leben Leben, setzt es nirgends aus
Wie geht es zu, dass man Euch dennoch brauche
Im vollen, wirkenden, beherzten Haus?


Gesicht, Gehör, Gefühl: sie reichen nicht
mehr Dasein aufzufassen: doch da spricht
Die starke Stimme im entbrannten Strauche.

 

 

II


Stimme im Dornbusch. Streife wem sie gilt
Die Schuhe ab und krümme sich und schlage
Den ganzen Mantel vors Gesicht und sage
In seinen Mantel: Herr ich bin gewillt.


Auch wer das nicht begreift, was ihn beruft
Der sei bereit. Es wird ihm in das grade
ungangbare Geheiss aus voller Gnade
Ein Schmaler Pfad hineingestuft.

 

MARIA schritt, es schritten Kinder so
dem Anruf nach, und Mädchen traten leise
Ans Unerkannte, aus der Kammertür.


Der Held ertrotzt es sich auf seine Weise,
doch andre folgen nur und gehen froh,
als giengen sie durch Lüfte, durch Porphyr.

 

 

III


Der Held ist eins. Im Helden ist Gewalt.
Er neigt die Welt: die Zeit stürzt ihm entgegen.
(Aus einem roten Thon voll Erzgehalt
und aufgefangenem Gewitterregen


hat ihm der Herr die Faust geballt.

Da steht er, weithin sichtbar, und verschiebt
Schicksale rund um eine neue Mitte;
Und tritt zu den Entzweiten als der Dritte


Der ungehässig zürnt. Und wenn er liebt:
Wo ist ein Herz , das er nicht überschritte?
So nimmt er unaufhaltsam zu. Zuletzt
Wirft ihn sein Schwung zu den gestürmten Bildern


Dass er, in ihre Maasse hinversetzt
Nachgebe, sich am Kreisenden zu mildern.

 

 

IV


Ausser dem Helden ist noch eins: der Kreis
Ein Strom stürzt hin durch Zeigen und Verbluten.
Abschiede biegen sich wie grüne Ruten.
Wo gibt es eins, das nicht vom andern weiss?


Wie Teil und Gegenteil sich zart vermuthen.
Derselbe Bau hält seine Pfeiler streng
und lässt, des Ganzen immer eingedenk
Sich gehen in den schimmernden Voluten.


Kann sein, wir Ordnende, wir heissen nicht
Das Strahlende so nahe an das Bange
(erfahren, wie wir sind, im Untergange.)
Doch Frauen, denen es an Kraft gebricht


Die Kühnsten -, sieh: sie nehmen beides lange
Und bieten's uns im wirksamen Gesicht.

 

 

V


Der Liebende wird selber nie genug
Euch überschauen, unbegrenzte Wesen;
Denn wer vermag ein Angesicht zu lesen
An dem sein Blick sich schimmernd überschlug


Der Dichter hofft, mit der und der Gestalt
Euch gleichnishaft, vorsichtig zu beweisen
Er steigt auf Eurer Spur von Kreis zu Kreisen
Und macht erschrocken in den Himmeln halt.

 

Am Ende ist er Euch am Nächsten dann
Wenn er sich plötzlich, wie in süsser Trauer
Von einem Gartenweg nicht trennen kann:
Eidechse hat sich eilig weggeregt,


Während er an die warme Weinbergmauer
Fast feierlich die leeren Hände legt.

 

 

 

 

Rainer Maria Rilke                

1875 -  1926

O das Neue, Freunde, ist nicht dies,

daß Maschinen uns die Hand verdrängen.

Laßt euch nicht beirrn von Übergängen,

bald wird schweigen, wer das „Neue“ pries,

 

Denn das Ganze ist unendlich neuer,

als ein Kabel und ein Hohes Haus.

Seht, die Sterne sind ein altes Feuer,

und die neuern Feuer löschen aus.

 

Glaubt nicht, daß die längsten Transmissionen

schon des Künftgen Räder drehn.

Denn Aeonen reden mit Aeonen.

 

Mehr, als wir erfuhren, ist geschehn.

Und die Zukunft faßt das Allerfernste

rein in eins mit unserm innern Ernste.