1788-1866
I.
Nun aber will ich sehn, ob man mit Armen
Der Poesie kann in die Wolken reichen,
Und niederholen aus des Lichtes Reichen
Trostschätze für ein Herz, das will verarmen;
Sehn will ich, ob Begeistrung mit den warmen
Gluthauchen kann des Grabes Tür erweichen,
Daß lebensfrisch daraus hervorgehn Leichen,
Die eingesargt der Tod hat ohn’ Erbarmen;
Sehn, ob aus Liebesrosen, Trauernesseln,
Noch Kränze flechten können die Kamönen,
Damit ein fliehend Schattenbild zu fesseln;
Ob man erbauen kann aus Zaubertönen
Ein Demantschloß, darin auf Saphirsesseln
Sitz’ engelgleich die Schönste aller Schönen.
II.
Wenn es noch gibt in Himmeln Sonnenstrahlen,
Noch Blumen in des Lenzes grüner Halle,
Noch gibt in fluten spiegelnde Krystalle,
Und Farben in des Regenbogens Schalen;
So bitt’ ich sie, daß sie zu meinen Wahlen
Gehorsam sich um mich versammeln alle,
Auf daß ich nehmen könn’ aus ihrem Schwalle,
Was nötig ist, ein Himmelsbild zu malen.
Und euch, ihr Musen von dem Helikone,
Ruf’ ich zu meiner Arbeit Dienerinnen,
Euch zu vereinen mit Cytheres Sohne.
Er soll aus Glut den Grund mir ziehn aufs Linnen,
Ihr sollt aufs Farbenprett in reinstem Tone
Die Farben mischen, und ich will beginnen.
III.
Wenn ich dies Tal durchzieh’ am Wanderstabe,
Seh’ ich drei alte Burgen rings in Stücken
Sich von den Höhn zum Grund herniederbücken,
Und ihr Bewohner krächzt darein, der Rabe.
Dann, daß ich noch an andrem Gram mich labe,
Steig’ ich auf eines niedern Hügels Rücken,
Und zwischen Bäumen, die sich traurig schmücken,
Steh’ ich an jüngern Trümmern, deinem Grabe.
O Doppelblick, der dem Gemüt verbittert
Alles, was lebt, da, was gelebt, das Beste
In Schutt und Graus liegt, dort und hier zersplittert:
Dort oben hoher Festen morsche Reste,
Hier tief, was jener Hoheit glich, verwittert,
Du, die du warst der Schönheit schönste Feste.
IV.
Tritt sanfter auf mit deinem Flügelschlage,
O Zephyr, denn du rührest heilige Räume;
Es flehen dich die Blätter dieser Bäume,
Nicht zu verwehen ihre leise Klage.
Senkt duftiger zu diesem Blumenhage,
Ihr Wolken, eures Vorhangs dunkle Säume,
Daß ungetröstet hier die Holde träume,
Die hier ich bettele so früh am Tage!
Sie will nicht wachen! Schlafen will sie. Wache
Für Sie denn unser Schmerz und unsre Tränen,
Und unser Segen schaukle ihre Wiege.
Glückselig, wen zu diesem Brautgemache
Mit leisem Arme niederzieht das Sehnen,
Das er bei Ihr, zwar Staub bei Staub nur, liege!
V.
Du, die wir nie mit unsern Klagen wecken,
Warum so früh ruhst du von deinem Gange?
War dir wohl vor des Mittags Schwülen bange?
Schuf wohl des fernen Abends Frost dir Schrecken?
Nein! Mutig hobst du deinen Schritt, den kecken,
In deiner Jugend vollstem Überschwange;
Dein Bild in ungeduldigem Hoffnungsdrange
Flog vorwärts nach des Lebens blum’gen Strecken.
Nicht wie ein zagend Kind, das grambeladen
Sich nach der Mutter heimsehnt in die Ferne,
Wardst du vom Wink der Mutter heimgeladen.
Ein strenger Vater rief, wo du noch gerne
Gegangen wärst, dich ab von deinen Pfaden,
Daß Kindessinn vor ihm sich beugen lerne.
VI.
Der Geist, wenn er im Mai vom Winterfroste
Die frische Blütenknospe sieht gepflücket,
Fühlt sich von einer dunklen Hand bedrücket,
Er fühlt, wie wenig ihr ein Leben koste.
Doch wenn er gar der Jugend feste Pfoste,
Von der Natur mit Lust und Kraft geschmücket,
Von ihr, der Schöpfrin, sorglos sieht zerstücket;
Kehrt in Anmut gar sich ab vom Troste.
Er schauert, daß auch Menschen sind wie Blüten;
Er möchte mit der übermächtigen schmollen,
Die so sich selbst zerstört in blindem Wüten.
Dann läßt er seine nicht’gen Tränen rollen,
Um, wie er kann, das Unrecht zu vergüten,
Und seufzt: du starbst, du hättest leben sollen!
VII.
Will denn kein Stern von Himmelszinnen fallen,
Zum Zeichen, daß Sie fiel, die Sternengleiche?
Willst erde du, da deine schönste Eiche
Entwurzelt sank, nicht seufzend wiederhallen?
Soll von des tauben Uhrwerks Rädern allen
Kein Rad denn stocken, brechen keine Speiche,
Daß alles fort im alten Kreislauf schleiche,
Nur sie allein nicht dürfte weiter wallen?
Ach nur ein Herz, nichts weiter, wird zerrieben;
Ein Leben nur, nichts weiter, wird zersplittert,
Sonst alles geht, wie vor, so nachher wieder:
Und keine Spur ist sonst von Ihr geblieben,
Als daß ein armes Espenblättchen zittert,
Als sei’s gerührt vom Odem meiner Lieder.
VIII.
Bringt her die Fackeln und das Grabgeräte,
Die Tücher bringt, und schmücket reich die Bahre!
Wie sie die Blüten ihrer Jungen Jahre
Sonst schmückte, schmückt Sie, als ob Sie es täte!
Den Brautkranz, den der düstre Schnitter mähte,
Ersetz’ ein Totenkranz im üppigen Haare;
Wie wir geführt Sie hätten zum Altare,
So führen wir Sie heut zur letzten Stätte.
Nicht das Gepräng, das nichtige, sei gescholten!
Die Tote schmücken wir, um kundzugeben,
Wie wir sie, wenn sie lebte, schmücken wollten.
Was ihr das Schicksal neidete am Leben,
Sei von der Liebe Ihr ins Grab vergolten,
Und neidenswert soll Sie gen Himmel schweben.
IX.
Du Rose, wenn du neidenswert willst sterben,
So laß frühmorgens pflücken dich vom Strauche,
Bevor sich an des Mittags Glutenhauche
Die duftigen Schimmer deiner Wang’ entfärben:
Und, Jungfrau, willst du süßen Tod erwerben,
So laß, eh’ an des Alters trübem Rauche
Erst deiner Schönheit Spiegel sich verbrauche,
Den glänzenden zertrümmern rasch in Scherben! –
O du, verklärt schon sonst, doch jetzt verklärter;
Mehr schmücken Kränze dir dein Bett von Moder,
Als jemals schmüchten eine Hochzeitskammer;
Daß Bräute seufzen: was ist neidenswerter,
Leben, wie du, von Lieb umhuldigt, oder
Sterben, wie du, vergöttert gar vom Jammer?
X.
Wann alte Herrscher sonst danieder fuhren
Vom Thron zum Grabe, stürzten nach die Sklaven,
Daß nicht der Königsmast zum Todeshafen
Einlaufen müßte mit einsamen Spuren.
Wann waltend auf des Kampfes ehrnen Fluren
Der Feldherr sinkt, wetteifern seine Braven,
Zugleich begraben von des Todes Laven
Zu sein mit ihm, zu dess’ Panier sie schwuren.
So sollt ihr heut’ in frohen Scharen stürzen,
Ihr Blumen, mit willfährigen Dienersinne,
Und nicht bereuen eures Lebens Kürzen;
Da sie heut’ sank von ihrer Schönheit Zinne;
Auf! ihre Gruft mit eurem Tod zu würzen,
Denn sie war Königin im Reich der Minne.
XI.
Du, der du sonst mit liebendem Behagen
Dich neigest unterm sanften Glanzgeflimme,
so schonend, daß du selbst die lüstre Imme
Abwehrtest, unsern zarten Kelch zu nagen!
Was hat verwandelt dich in diesen Tagen?
Was deine Liebe so verkehrt zum Grimme?
Daß dich nicht rühret unsres Sterbens Stimme,
Wenn du uns niedermähst zu ganzen Lagen?“
Ihr Blumen hört! der Tod hat eine Krone
Gepflückt, mit der ihr euch nicht dürft vergleichen;
Was wollt ihr noch, daß ich der euern schone?
Blüht minder schön, wenn ihr mich wollt erweichen!
Wenn ihr so schön blüht, brech’ ich euch zum Lohne;
Denn sie, die allerschönste, mußt erbleichen.
XII.
“Was, leichter West, sinnst du für schwere Sachen,
Daß du so ganz des Wehens hast vergessen?“
O fliehst du? dort im Kranze der Zypressen?
Schläft Eine schöner, als sie könnte wachen.
„O dies, mein West, laß dich nicht irre machen;
Laß du sie schlafen, weh’ du keck indessen.“
Wie? Sie zu wecken dürft ich mich vermessen?
„Ach, sorge nicht, daß Tote je erwachen.“
Und ist sie tot, die so lebendig scheinet?
So kommt, all’ ihr, wo ihr euch mögt verstecken,
Ihr Brüder, kommt, und seufzt mit mir vereinet.
Doch seufzen wollen wir auf fernen Strecken,
Nicht hier, wo sie so tot ist, daß man meinet,
Sie müße schlafen, und Geseufz sie wecken.
XIII.
»Maililien, ihr schüttelt eure
Glocken
Wen wollet ihr zur Maien-Andacht laden?«
Sie, die von selbst sonst ging auf diesen Pfaden,
Soll, da sie säumt, jetzt unser Läuten locken.
»Maililien, laßt eu'r Geläute stocken;
Soeben stocket ihres Lebens Faden! «
Ach, sieh, der Tau, in welchem wir uns baden,
Gerinnt zu Reif, so sehr sind wir erschrocken.
»Mai-Lilien, da eure Lust zur Beute
Des Todes ward, was kann euch Trost erzeigen?«
Daß du uns gleich von hinnen nehmest heute
Und gebest ihre Grabstätt' uns zu eigen,
Daß dort sie einwieg' unser sanft Geläute;
Sprich, willst du? »ja!« Wir danken dir mit Neigen.
Ihr Gruß der Seele schlummernd
Leben regte?
Daß sie der Göttin Nacht
glich, wann sie legte
Ums Antlitz schweigend ihre dunkle
Locke?
Soll ich euch sagen, daß vom
Haupt zur Socke
Des Wohllauts Woge ihren Wuchs
bewegte?
Daß ihre Stirne Lilienbeete
hegte?
Daß ihre Wange ward zum
Rosenstocke?
Was hilfts, daß ich durch Höhn
und Tiefen schweife?
Daß ich an Sonnen meine Fackel
zünde?
Daß ich den Duft von allen
Blumen streife?
Nur tote Farben häuf ich.
Wer’s verstünde,
Hindurchzuschlingen so des
Lebens Schleife,
Daß draus ihr wahres Bild dem
Blick entstünde!
XV.
Sie, in des Wintereises Kern geboren,
Als keine Blum’ im Feld zu blühen wagte
Und, als der Frühling auf den Fluren tagte,
Vom Winterhauch des kalten Tods erfroren;
Bewies sie, daß von allen Blumenfloren
Sie gleich als eine Wunderblume ragte,
Die durch ihr Blühn und durch ihr Welken sagte:
Durch mich verkehret sich der Lauf der Horen!
Als sie zur Blüte sich entschloß, besonnte
Der Winter sich an ihrem Strahlendochte;
Der Lenz erblich, als sie zu fliehn begonnte.
Welch Herz war Winter gnug, daß es nicht kochte,
Wenn sie es glühen wollt’, und welches konnte
Noch Frühling sein, wenn sie ihm zürnen mochte?
XVI.
Sechzehnmal fuhr der Lenz von Himmelszinnen,
Um hier ein werdend Himmelsbild zu sehen,
Das himmlischer stets ward, und fühlte Wehen,
Wann wieder ihn der Herbst zwang zu entrinnen.
Die siebenzehnte Fahrt wollt er beginnen,
Da sah statt ihrer er ein Grabmal stehen;
Jetzt brauchte nicht der Herbst ihn heißen gehen,
Schon schleunig gnug trieb ihn sein Schmerz von hinnen;
Als ob er nie mehr Lust zu kehren habe!
Doch weiß ich, zwingen wird ihn schon sein Lieben,
Daß er auch künftig greift zum Wanderstabe,
Und kommt und geht mit wechselhaften Trieben,
So wie ich selbst, zu und von ihrem Grabe,
Von Sehnsucht hin, von Schmerz hinweg getrieben.
XVII.
Die Rose sprach zur Lilie: Dich verneigen
Mußt du vor mir, denn ich war die beglückte,
Der Jene, die des Himmels Aug’
entzückte,
Die Beete ihrer Wangen gab zu
eigen.
Die Lilie sprach: O Rose du
mußt schweigen!
Als dich der Tod von jenen
Wangen pflückte,
War ich’s die sie mit meinen
Blässen schmückte,
Und so ins Grab auch durft’
ich mit ihr steigen.
Der Dichter spricht: ihr
Schwestern, o versöhnt euch!
Was hadert ihr, und dienet,
zweigestaltig,
Doch nur zu Eines Lichtes
Schattenbildern?
Ihr Fluren, auf! Mit tausend
Rosen krönt euch,
Mit tausend Lilien, um mir
tausendfaltig
Ihr Leben dort, hier ihren Tod
zu schildern.
XVIII.
Süß ist der Sonne Blick nur,
weil zu strahlen
Er scheint so hell, als einst
gestrahlt der Deine;
Süß ist der Lüfte Hauch nur,
weil ich meine,
Daß sie von dir den lauen Odem
stahlen;
Bäume, weil sie mit deiner
Schlankheit prahlen,
Quellen, weil sie dir gleichen
fast an Reine,
Schatten, weil Du, mein Licht,
einst hattest keine,
Blumen, weil Du sie hattest
ohne Zahlen.
Als süß kann Erde selbst und
Himmel gelten,
Nur, weil die Dir zum Grab
dient, wie ich wähne,
Nur, weil er Dir zum Haus
dient, wie ich glaube;
Und auch das Meer will ich
nicht bitter schelten,
Weil es kann scheinen eine
Perlenträne,
Vom Himmel selbst geweinet
Deinem Staube.
XIX.
Als ich zur dunklen Erde
niederschaute,
zu forschen, ob wohl dort sie
möge wohnen,
War mir’s, als ob in tausend
Blütenkronen
Sich dort ein ihrer würdig
Lustschloß baute.
Dann, als ich aufsah, wo der
Himmel blaute,
War’s wieder, als ob dort sie
müsse thronen,
Als ob ihr dort sich wöb’ aus
Sternenzonen
Ein Lichtzelt, funkelnd, daß
dem Blick es graute.
Drauf als ich blickt’ ins
eigne Herz hinunter,
War mir’s als ob auch es ihr
zum Palaste
Ständ’ ausgeschmückt, noch
strahlender und bunter.
Ja bald war’s, als ob einzig
hier sie raste,
Da Himmels und der Erde Glanz
all unter
Ging in dem Glanz, darein das
Herz sie faßte.
XX.
Als du dein Aug’ einst von der
Erde Auen
Zu dem des Himmels hieltst
empor gerichtet,
Und er das seine drüber hielt
gelichtet,
Um sonst auf nichts, als deins
herabzuschauen;
Mocht’ ich mich zu entscheiden
nicht getrauen,
Wess’ Glanz dem glanz des
andern sei verpflichtet;
Und blickte, weil ich gern auf
keins verzichtet,
Bald deinem schwarzen zu, bald
seinem blauen.
Jetzt, da du deins der Erde
hast enthoben,
Wird in der Wahl mich fürder
stören keines,
Daß ich nicht meines hübe
stets nach oben;
Da mit des Himmels Auge sich
nun deines
So hat verschmolzen und in
Licht verwoben,
Daß ich mit Freuden beid’
erblick als eines.
XXI.
Als du auf Erden lebend einst
gegangen,
War alle Schönheit so in dich
zerflossen,
Daß Stern’ und Blumen gar sich
nicht erschlossen,
Als nur in deinem Aug’, auf
deinen Wangen.
Jetzt, da du in des Todes
Hauch zergangen,
Zerstob die Schönheit, die du
hieltst umschlossen,
Daß Blumen wieder auf der
Wiese sprossen
Und Sterne wieder in den
Lüften hangen.
Wenn ich nach Blumen nun und
Sternen blicke,
Ist’s daß ich mich an dem
zerstreuten Schimmer,
Den Überbleibseln deines
Lichts, erquicke.
Doch, wie nun Liebeswahn sich
mühet immer,
Daß er den Glanz zum Bild von
dir verstricke;
Ein Bild, wie du warst, wird
der Abglanz nimmer.
XXII.
Ihr, die einst grüßend hat ihr
Blick durchflogen,
Und Leben euch leblosen
zugeblinket,
Davon euch die Erinnrung jetzt
noch schminket,
Ihr Berge, Wälder, Felder,
Wiesen, Wogen!
Und ihr, mit denen
Freundschaft sie gepflogen,
Fraun, denen sie gelacht,
genickt, gewinket,
Davon, wie Wolken, wenn die
Sonne sinket,
Ihr jetzt noch seid vom
Nachtglanz überflogen!
O lasset jetzo mich, da meinen
Augen
Das Licht entrückt ist, das
mir sonst geschienen,
Es, so viel wie möglich, aus
den euren saugen;
Und zürnt nicht, blos als
Spiegel mir zu dienen
Des Widerscheins von ihr, für
die zu taugen
Auch nur zum Spiegel, schon
kann Neid verdienen.
XXIII.
Wär’ ich wie ihr, ihr
sommerlichen Schwalben,
Ich wandert’ aus von dieser
öden Heide;
Ich schwör’ es euch bei meines
Herzens Leide,
Ihr seht’s nur nicht, der
Herbst ist allenthalben.
Und ihr, die ihr noch leben
wollt, mit halben
Scheinleben, Birke, Buche,
Lind’ und Weide,
Ich rat’ es euch, laßt ab vom
grünen Kleide,
Und kleidet ohne Scheu euch
mit dem falben.
Fragt nicht, warum? fragt
nicht, was denn im Gange
Natur, die alte Mutter,
plötzlich störte,
Daß Herbst kommt in den
Frühling eingebrochen?
Nicht erst seit heut ist’s ja,
es ist seit lange;
Denn Sie, der all der Frühling
angehörte,
Schläft ihren Winterschlaf
schon sieben Wochen.
XXIV.
Ich weiß nicht, süße Blumen,
was ihr euern
Duft noch verschwendet hier an
irdscher Schwelle;
Da sie entflohn ist zu des
Himmels Helle,
Warum ihr nicht der Herrin
nach wollt steuern?
Und müsset ihr denn doch das
Spiel erneuern,
So weiß ich mindstens nicht,
wie andre Stelle
Der Erd’ ihr wählen möget, als
die Zelle,
Darin der letzte Rest sich
birgt der Teuern.
Ich sag euch, wenn ihr anders
schön wollt heißen,
Was schön sonst hieß auf
Erden, all entrann es
Mit ihr, und wohnt jetzt nur
in Edens Laube;
Und wenn ja etwas noch in
diesen Kreisen
Für schön will gelten, nirgend
anders kann es
Entsprießen, als aus ihres
Hügels Staube.
XXV.
Ein Recht um die zu klagen,
die gefallen,
Hast du, o Höh’ wo einst sie
stand wie tagend;
Ein Recht, o Hain du, der du
sie versagend
Dem Blick der Welt bargst in
den schatt’gen Hallen.
Ein Recht zu klagen hast du
recht vor allen,
O Garten, du, sonst ihren
Fußtritt tragend,
In tausend draus entsprungnen
Blumen sagend,
Daß nur ein Engel also könne
wallen.
Ein Recht zu klagen hat
jedwede Stätte,
Wo sie vordem gewandelt
jemals, oder
Wo sie in Zukunft je gewandelt
hätte.
Und nur ein Recht zu jauchzen
hat der Moder
Ein dunkler Raum, der seit er
ward ihr Bette,
Hell ward von soviel
Schönheit, wenn gleich toter.
XXVI.
Ich hörte sagen, Frühling sei
erschienen,
Da ging ich aus, zu suchen, wo
er wäre;
Da fand ich auf den Fluren
Blum’ und Ähre,
Allein den Frühling fand ich
nicht bei ihnen.
Es sangen Vögel und es summten
Bienen,
Allein sie sangen, summten
düstre Mähre;
Es rannen Quellen, doch die
wahren Zähre;
Es lachten Sonnen, doch mit
trüben Mienen.
Und von dem Lenz konnt’ ich
nicht Kund’ erlangen,
Bis daß ich ging an meinem
Wanderstabe
Dorthin, wohin ich lang nicht
war gegangen;
Da fand ich ihn, den Lenz; ein
schöner Knabe
Saß er, mit nassem Auge,
blassen Wangen,
Auf Deinem, als auf seiner
Mutter, Grabe.
XXVII.
Willst du als Engel schweben
auf zur blauen
Stadt Gottes, wo hochblickende
Propheten,
Patriarchen, Märtyrer,
Anachoreten,
Und all die heil’ge Schar,
sich Hütten bauen?
Willst du als Schatte wandeln
zu den Auen
Elysiums, wo hellenistische
Poeten,
Epheben, Thyrsosschwinger und
Athleten
All’ unter einem Lorbeer sind
zu schauen?
Dort droben werden alle
Heiliginnen,
Dich Schwester grüßend, von
den Thronen steigen,
Dir deiner Unschuld lichte
Krone flechten.
Dort drüben werden alle
Königinnen
Der alten Schönheit sich der
neuen neigen,
Und Helena, die stolze, selbst
nicht rechten.
XXVIII.
Ich sehe dich! du fährest auf
dem Wagen
Des Himmels, stolzer seine
Deichseln schwenkend;
Ich sehe dich, den Kahn des
Mondes lenkend,
Daß Luftström’ ihre Wogen
sanfter schlagen.
Ich sehe dich, wo dich
Milchstraßen tragen,
Mit weißem Schaum des Kleides
Saum dir tränkend;
Ich seh’ dich, wie sich deinem
Fußtritt senkend
Der Schlange Häupter nicht zu
drohen wagen.
Dann seh’ ich dich, wie du der
goldnen Leier
Dich nahest, wie sich ihre
Saiten drängen,
Um tönender in deiner Hand zu
rauschen.
Du bist die Mus’, im
Himmelszelt ist Feier,
Und aus den Höhen triffst du
mich mit Klängen,
An deren Nachklang Hörer sich
berauschen.
XXIX.
„Ihr, die auf meiner süßen
Erd’ ich lasse,
Ihr süßesten Geschwister und
Gespielen,
Laßt gnug nun sein der Tränen,
die mir fielen,
Laßt trocknen mich eur
Angesicht, das nasse.“
„In Lieb’ einander nah’,
fernab vom Hasse,
Wallt fort in Eintracht nach
den ird’schen Zielen,
Und nicht beklagt euch, daß
ich von euch vielen
Allein schied, um zu ziehn auf
höhrer Straße.“
„Nein! freut euch, daß, wenn
aus dem Erdgewimmel
Ihr euren Blick nun über
Wolken hebet,
Ihr dort auch lächeln seht
bekannte Züge.“
„So wird zum voraus heimisch
euch der Himmel,
Und wenn ihr selbst vollendend
einst entschwindet,
Steh’ ich als Engel, lenkend
eure Flüge.“
XXX.
Gleich wie die Fürstin, die
emporgehoben
Zu hohem Thron aus niederm
Schäferstande,
Es ihrer Hoheit rechnet nicht zur
Schande,
Mit Segensblick herabzuschaun
von oben;
Doch, wie sie ringsum ihrer
Milde Proben
Teilt ungemessen über alle
Lande,
Bleibt stets der Hütt’, an die
sie süße Bande
Einst ketteten, das Beste
aufgehoben:
So du, die du vom waltenden
Geschicke
Zum Himmel, der als kön’gin
dich bezeuget,
Emporgerückt wardst aus der
Erde Hütten,
Mögst du, wenn du bestrahlst
mit Himmelsblicke
Die Erde rings, dies Tal, das
dich gezeuget,
Mit Glanz und Segen zwiefach
überschütten.
XXXI.
Ich sah! Sie stand im Ost: zur
Seite standen
Berggipfel ihr, gleich
harrendem Altare;
Tauperlen waren Kron’ in ihrem
Haare,
Und Morgennebel floß ihr zu
Gewanden.
Auf ihren Wangen, statt der
Schminke, fanden
Zwei Morgenröten sich, zwei
dunkelklare;
Ihr Blicken ward zu Morgensternenpaare,
Davor die Blick’ all andrer
Sterne schwanden.
Ein Glutmeer lag zu Füßen ihr;
sie tauchte
Drein mit der Opferschal’, und
ließ als Sonne
Den Glanzguß auf des
Berghaupts Altar glimmen.
Dann, wie sie mit dem Odem
erdwärts hauchte,
Erwachten tausend Kehlen dort
in Wonne,
Mit mir den Morgenhymnus
anzustimmen.
XXXII.
Ich sah! Sie lag auf Pfühl der
Abendröte,
Wandte des sanftgesunknen
Hauptes Schiefe
Zum letzten Mal mit
Sonnenblick zur Tiefe,
Als ob der Schöpfung sie den
Nachtgruß böte.
Ein Amor, kniend neben ihr
erhöhte
Den Abendstern als Fackel,
wenn sie schliefe;
Und aufwärts klang, als ob sie
Schlummer triefe,
Aus Eichenhainen Pans
gedämpfte Flöte.
Der Wolkenpfühl, auf
Windesflügeln schaukelnd,
Sank tief und tiefer, bis er
war versunken,
Mit seiner Göttin in die Nacht
hinunter.
Noch einmal auf sprang Amors
Fackel gaukelnd,
Zersprühte dann in kleinrer
Sterne Funken;
Pans Flöt’ entschlief, und ich
allein blieb munter.
XXXIII.
Ich sah sie! Mitternacht war
ihre Braue,
Indes sich zwei, die sich
sonst nie erblicken,
Ein sterbend Spät-, ein
werdend Frührot, stricken
Mußten als Saum um ihr Gewand,
das blaue.
Durch Schleier blickte sie,
durch silbergraue;
Sternstunde droben war ein
jedes Blicken,
Und drunten war, die Blumen zu
erquicken,
Ein jeder Blick Tautropfen auf
der Aue.
Sie neigte sanft gen Osten
sich, und ihre
Hand hob aus seidnem Vorhang
einer Wolke
Den Mond hervor, ihn als ein
Füllhorn haltend.
Draus teilte sie an wandelnde
Zephyre
Träum’ aus und sandte sie dem
Erdenvolke,
Den schönsten Traum mir selber
vorbehaltend.
XXXIV.
Es träumte mir, ich steh’ als
eine Rebe
In eines Grabes Boden
eingesenket,
Die Wurzel sei dem Grunde
zugelenket,
Indes die Krone nach dem
Himmel strebe.
Und aus dem Grabe durch die Wurzel
hebe
Der Lebenssaft sich, der die
Rebe tränket,
Der, durch der Rebe Augen
ausgeschenket,
Zu festen Tränen werdend,
Trauben gebe.
Dann fliege aus vom Himmel
eine Taube,
Und von des tränenträchtigen
Weinstocks Stengel
Entpflücke sie die
beerenreiche Traube
Und trage sie hinauf, da wo
ein Engel
Sie lächelnd abnimmt, und in
Edens Laube
Die Tränen zählet aus dem Land
der Mängel.
XXXV.
O ständest du nur in
lebendigem Leibe,
Und ständest auch auf aller
Schönheit Zinnen;
Ich hoffe doch ein Lied noch
zu ersinnen,
Das deiner Schönheit vollen
Glanz umschreibe.
Doch nun du, nicht gleich
einem Erdenweibe,
Ein geistig Bild, dem Herzen
wohnest innen;
Wie könnt’ ich Ton so
geistigen gewinnen,
Daß er vom Geiste nicht
besiegt noch bleibe?
Wie hoch auch meines Sanges
Fittig ränge,
So kann er nie doch solche
höh’ erringen,
Daß nicht sich höher der
Gedanke schwänge.
Und wie sich hoch mag der
Gedanke schwingen,
Nie ist’s so hoch, daß Liebe
nicht mich dränge,
Dich höher, als Gedanken sind,
zu singen.
XXXVI.
Ich wünschte, daß du
reichlicher gemessen
Mir hättest einst dein
Lächeln, Grüßen, Blicken,
Daß ich mich hätte dürfen mehr
erquicken,
Und mehr mich jetzt erquickt’
Erinnrung dessen.
O nein! ich wünschte, daß du
ganz vergessen
Mich hättest, mir geschenkt
kein einzig Nicken
So würde des Verlustes Weh
umstricken
Mich minder nun, je minder ich
besessen.
Nein, dennoch wünscht’ ich,
daß du mehr begnaden
Mich hättest mögen mit den
süßen Gaben,
Obwohl sie jetzt mich so mit
Weh beladen.
Ja, wünschen möcht’ ich’s nur
um Stoff zu haben,
Noch mehr für dich in Tränen
mich zu baden,
Noch mehr für dich in Schmerz
mich zu begraben.
XXXVII.
O Witz, wie kannst du dessen
dich vermessen,
Noch jetzt zu treiben deine
witzigen Spiele?
Die Liebe ging, das Leben geht
zum Ziele,
Du aber spielst noch ziellos
wie vordessen.
Sieh! unser Schiff, gebaut aus
Grabzypressen,
Verstürmt auf unsrer Tränen
trübem Nile,
Droht fast zu brechen; du auf
morschem Kiele
Brichst aus in Scherz, den
Schiffbruch zu vergessen.
Ja, ginge alles, du gingst
nicht in Splitter,
Und wenn der letzte
Hoffnungsmast versünke,
Noch sinkend haschest du nach
einem Flitter.
Und wenn der Mund schon
Todesfluten trünke,
Ertrinkend riefest du, daß
dir, wie bitter
Es sei, das Meer ein süßer Schaumtrank
dünke.
XXXVIII.
Wie einst Apoll in seines
Himmels Saale
Die Schimmer ließ, die sich
ums Haupt ihm schmiegen,
Um sich in irdischer Liebe
Schoß zu wiegen,
Olymps vergessend in Peneios’
Tale;
So komm’ ich selbst auch wohl
zu manchem Male
Aus reinen Himmeln meiner
Lieb’ entstiegen,
Zur Erde, die mich vorlängst
sah entfliegen,
Auf daß ich wieder den Tribut
ihr zahle.
Dann laß ich, wie Apoll, den
Blick wohl streifen,
Um von den Reizen
schäferischer Szenen
Im Flug die kurze Labung zu
ergreifen.
Doch halten können sie mich
nicht, wie jenen,
Daß ich nicht kehrte schnell
vom ird’schen Schweifen
Zurück zu dir, o Himmlische,
mit Sehnen.
XXXIX.
Ich will nicht mehr nach
Blumenkelchen schielen,
Denn von den Blumen ward ich
hintergangen,
Denn unter ihnen lauern stille
Schlangen
Der Lüsternheit, die nach dem
Herzen zielen.
Ich will nicht mehr mit
Kranzgeflechten spielen,
Denn von den Kränzen ward ich
auch gefangen,
Denn sie umzingeln uns gleich
Kett’ und Spangen,
Zum Staub uns niederziehend, bis
wir fielen.
Ich will von Kelchen nur den
einen pflücken,
Der Wermut, um aus seinem
bittern Borne
Statt Rausch der Lust zu
trinken weise Reue.
Und nur mit einem Kranz will
ich mich schmücken,
Dem Kranz des Leides, daß aus
scharfem Dorne
Er um das Haupt mir blutige
Rosen streue.
XL.
Die Nichtigkeit der Lust hab’
ich erfahren,
Wie sie entflieht, und nichts
die Schwing’ ihr bindet;
Ach, daß ein Herz Bestand auch
selbst nicht findet
Im Schmerz, muß ich mit
Schmerzen jetzt gewahren.
Ich seh’ ein Bild mit
übersonnten Haaren,
Wie’s mir stets höher fliegt,
stets blasser schwindet,
Fühl’ in der Brust, wie mehr
und mehr sich lindet
Die Trauer, im Lauf von Monden
schon, statt Jahren.
Ihr Lieder, deren Tönen ein
ich hauchte
Empfindungen, die wahrhaft ich
empfunden,
O haltet fest die Glut, die
schnell verrauchte!
Laßt einst nachfühlen mich in
leeren Stunden,
Wie ich vordem in Weh’ und
Lust mich tauchte,
Ihr, süßer Lust, ach, süßen
Wehs Urkunden.
XLI. Nach vier Jahren in der Fremde
Sie haben wohl indes daheim
vergessen,
Was sie gewohnt sonst waren,
Blumengabe
Zu bringen, süße Blume, deinem
Grabe,
Seit ihrem Lauf der Jahre vier
durchmessen.
Und selber, ach, vergaß ich
hier indessen,
Was ich unmöglich einst
geachtet habe,
Daß andres je als Gram um dich
mich labe,
Vergaß den Gram, von toter
Lust besessen.
Da muß an dich mich dieser
Sommer mahnen,
Der, kalt und rauh, dem
gleicht, in dessen Schauern
Einst, zarte Blüte, du von
hinnen gingest.
Die Sehnsucht kehrt und sucht
die alten Bahnen
Aus diesem frostigen Land zu
jenem lauern,
Wo du nun längst mit Engeln
Tänze schlingest.