Friedrich Rückert                   Sonette

1788-1866

 

I

 

Um loszugehn der Fesseln, die mich binden,

Muß ich noch inniger gebunden werden;

Nur wenn sie ganz bei mir Leib und Seel’ umwinden,

Kann Seel’ und Leib frei werden von Beschwerden.

 

Die Fesseln sind die reizenden Geberden,

Die ihre Macht mich lassen stets empfinden,

Die, ob der Abschied mich mit raschen Pferden

Von ihnen riß, doch niemals vor mir schwinden.

 

Die Fesseln sind die zauberischen Töne,

Die holden Hauche, die entflammten Blicke,

Und alles das, dem ich mich nie entwöhne;

 

Der süße Reiz, der mich in tausend Stricke

Gelegt hat, und zu dem ich stündlich stöhne,

Daß er stets fester fessle mein Geschicke.

 

 

 

II

 

Hörst du? o hör! es schlägt die zehnte Stunde,

Die zweite vor der stillenMitternacht,

Diejenige, die wir uns ausgemacht

Zur täglichen Erneurung unsrem Bunde.

 

Die Liebste selber sprach mit goldnem Munde:

„Auf diese Stund’, o Liebster, habe Acht;

Wann das Geschäft entschläft, die Lieb’ erwacht,

Dann geben wir uns von einander Kunde.

 

Daß eins Gemeinschaft mit dem andern pflege,

Soll eins zum andern kann im Geist ausfliegen.“ –

O schnell, Gedanke, deinen Flug genommen

 

Zu ihr! daß sie nicht, überm halben Wege

Entgegenkommend, sprech’, uns zu besiegen:

Seht ihr? ich bin euch doch zuvorgekommen.

 

 

 

III

 

Sie pflückt’ und gab mit freundlichem Gekose

Mir eine einsam trauernde, auf Reichen

Des Todes, wo der Gräber Kreuze bleichen,

Gewachs’ne Spätlings- Herbst-, nicht Maien-Rose.

 

Ich brach dagegen – wunderbare Lose! –

Ihr einen Strauß vom Busche fahler Eichen,

Wo Blätter, angerührt vom Frost, als Leichen

Welk niederhingen nach dem feuchten Moose.

 

Die Rose hat wie sterbend sich gesenket,

Der Strauß gerasselt wie vom Auferstehen,

Als wir die beiden gegenseits vertauschet.

 

Wir haben Todeszeichen uns geschenket;

Und nicht im Tode soll die Glut verwehen

Von dem Gefühl, das unsern Sinn berauschet.

 

 

IV

 

Die Binse pflück’ ich von des Baches Norden,

Und sie als Zauberherrscherstab bewegend,

Zeichn’ ich damit nach jeder Himmelsgegend

Mein Reich, nach Süden, Osten, Westen, Norden.

 

Vier Vögte gehn für mich, geschmückt mit Orden,

Lenz, Sommer, Herbst und Winter, Aufsicht pflegend,

Durch mein Gebiet, und Rechnung mir ablegend,

Wann jeder ist von mir entlassen worden.

 

Ich heiße auf- und abgehn Mond und Sonnen,

Ich laß’ ein Harem tanzen von Triaden,,

Streu’ ihnen in den Schoß Juwel’ und Perlen.

 

Doch eifersüchtig halt’ ich meine Wonnen

Für mich allein; wo mir die Nymphen baden

Sehn blöde Augen Tropfen Taus an Erlen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   30 Juni [1849]

1788-1866

 

Mein Volk, nun wieder mit dem Haupt im Staube,

Das du zum Himmel hoffend aufgerichtet;

Vom Richter über Kön'ge sei gerichtet,

Wer deine Ehre gab der Schmach zum Raube.

 

Beschützt nicht hat der Aar, dich hat, o Taube,

Zerfleischt der Geier; alles was gedichtet

Dein Glaub' an Adlerhochsinn, ist vernichtet,

Nur unvernichtet sei an dich dein Glaube!

 

Den Glauben schließ in deines Herzens Falten,

Wie über dich nun werfen mag die Netze

Die Lüg', um selbstlos nieder dich zu halten.

 

Den Glauben halt, ob man wie Wild dich hetze:

Ein Volk, in dir geeinigt, unzerspalten,

Bist du, und selber gibst du dir Gesetze.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   Auszug aus: Liebesfrühling – Erster Strauß X.

1788-1866

Dein Leben war mir schmucklos vorgekommen,

Ich glaubte mich berufen, es zu schmücken.

Erst schien der schöne Schmuck dich zu beglücken,

Dann kam mir’s vor, als mach er dich beklommen.

 

So sei der Schmuck dir wieder abgenommen:

Was soll er deinen zarten Busen drücken?

Und unbarmherzig will ich ihn zerstücken;

Dient er dir nicht, wozu soll er mir frommen?

 

Doch du erholst dich schon von deinem Zagen,

Du fühlst dich stark, den Himmel meiner Lieder

Nun auf den Atlas deiner Brust zu tragen.

 

Die Sonnen, die Plejaden zieh’ ich nieder,

Und schmiegen will sich auch mit Wohlbehagen

Der Mond als Spang’ um deine süßen Glieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   Der Himmel

1788-1866

Der Himmel ist, in Gottes Hand gehalten,

Ein großer Brief, von azurblauem Grunde,

Der seine Farbe hielt bis diese Stunde,

Und bis an der Welt Ende sie wird halten.

 

In diesem großen Briefe ist enthalten

Geheimnisvolle Schrift aus Gottes Munde;

Allein die Sonne ist darauf das runde

Glanzsiegel, das den Brief nicht läßt entfalten.

 

Wenn nun die Nacht das Siegel nimmt vom Briefe,

Dann liest das Auge dort in tausend Zügen

Nichts als nur Eine große Hieroglyphe:

 

Gott ist die Lieb’, und Liebe kann nicht lügen!

Nichts als dies Wort, doch das von solcher Tiefe,

Das kein Verstand kann der Auslegung gnügen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   Die Rosenknospe an den Knaben, der sie bricht

1788-1866

Wie ein Säugling an der Mutter Brust

Ruht’ ich in der Blättlein weicher Fülle,

Und das Knöpfchen träumte süß und stille

Von des Daseins unempfundner Lust.

 

Eben wagt’ ich, meiner halb bewußt,

Meinen ersten Blick aus dunkler Hülle,

Ach da war’s des bösen Glückes Wille,

Daß dein Finger brechen mich gemußt.

 

Zartes Knäblein, das mich zarte bricht,

konntest du ein Leben grausam brechen,

Das zum Leben kaum sich hat entfaltet?

 

Zartes Knäblein, geh’, ich wünsche nicht,

Daß mich das Geschicke möge rächen,

Das auch über Menschenleben waltet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   Die Welt

1788-1866

Die Welt ist eine Lilie, eine blaue,

Ein Inbegriff geheimnisvoller Dinge;

Ihr Brautkelch ist die Sonn’ um die im Ringe

Staubfäden-gleich Planeten stehn zur Traue.

 

In dieser Lilie weitem Wunderblaue

Hängt schwebend mit der sehnsuchtsmüden Schwinge

Des Menschen Geist gleich einem Schmetterlinge,

Und lechzet durstig nach des Kelches Taue.

 

Sieh! durch die Blume wehen Gottes Hauche;

Da neigen die Planeten sich zur Sonnen,

Wetteifernd, wer darin sich tiefer tauche.

 

Wie so das heilige Liebesspiel begonnen,

Füllt Duft die Blume wie mit Opferrauche;

Den trinkt der Schmetterling und stirbt in Wonnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                  

1788-1866

Ihr, denen, was mein Haus von stillem Glücke

Umfaßte, stand in meinen Liedern offen!

Theilnemend an so unscheinbaren Stoffen,

Die nicht vertragen, daß viel Kunst sie schmücke;

 

Nehmt eure Teilnahm` itzt auch nicht zurücke

Und laßt für Beifallslächeln Thränen hoffen,

Beim Schicksalsschlag, der so das Haus getroffen,

Daß alles Glas der Freude gieng in Stücke!

 

Vielleicht verschlöß` ich besser solche Klänge;

Und wahrlich nicht mit Lorbeer zu umweben

Denk` ich die Stirn durch klagende Gesänge.

 

Doch wenn ich sähe meine Lieben leben

In fremden Munde, dieses Schaugepränge

Könnt` ein`gen Trost für ihren Tod mir geben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   (Antwort auf den Glückwunsch zum 75. Geburtstag)

1788-1866

Ihr grüßt mich aus der nord’schen Metropole

Der freien Wissenschaft, der freien Kunst,

Dem Mittelpunkt, wo jetzt ein trüber Dunst

Umhüllt den ew’gen stern an Deutschlands Pole.

 

Doch denkt ihr euch, daß hier ich mich erhole

An wolkenlosen Himmels heitrer Gunst,

Das zeigt mir nur, daß euch auch glüht die Brunst,

Die jedes deutsche Herz nun zehrt zur Kohle.

 

Mein Gegengruß dem märk’schen Sängerbunde

Am Rand der Spree! Haucht nur in Chorgesängen

Weg die Beklemmungen des Augenblickes;

 

Doch haltet euch bereit auf jede Stunde,

Daß uns mit mehr unmusikalischen Klängen

Der Fußtritt weck’ anschreitenden Geschickes.

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   (Zum 75. Geburtstag wurde im Goethehaus Frankfurt a. M.

1788-1866                                         eine Büste Rückerts aufgestellt.)

 

In Goethes Haus! – Wo anders unterm Brause

Des Weltverkehrs im Dampf von Eisenrossen,

Ziemt euch zu stiften, edle Kunstgenossen,

Der Künste Freistift als in Goethes Hause?

 

In Goethes Haus! Mir aus der stillen Klause,

Worin mein Leben halb im Traum verflossen,

Wie ist von eurer Liebesgunst erschlossen

Auch mir ein Ehrenplatz in Goethes Hause!

 

Nur Goethe sollt’ in Goethes Hause thronen,

Und wenn ihr sucht nach einem Nebenmanne,

So sei es jener, den er fand in Weimar.

 

Von beiden, die in unsres Ruhmes Kronen

Sich teilen, ist zu meilenweit die Spanne

Des Abstands bis zu weiland

                                              Freimund Reimar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   In Santa Maria Maggiore

1788-1866

Es war vor achtzehnhundert achtzehn Jahren
Bei der Geburt des Kindes eine kleine
Versammlung: Vater, Mutter, im Vereine
Mit wen'gen Hirten, die im Felde waren.


 Seit dieser Zeit hat's alle Welt erfahren,
Und weitverbreitet herrscht das Licht, das Eine;
Die Krippe ward zum Tempelbau von Steine,
Wo anzubeten kommen Völkerscharen.


 Es ist dadurch entstanden ein Gedränge,
Wo die Versammlung sich muß selber stören,
Die Andacht wird zerstreut vom Festgepränge.


 Und wie die Menschen singen laut in Chören,
So können sie die himmlischen Gesänge
Der Engel nicht so hell, wie dort, mehr hören.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   Sonett im Thale

1788-1866

Du stilles Thal, in deinem Schoß allein

Kann ich der wahren Himmelsruh’ genießen,

Und deine dichtgedrängten Büsche schließen

Mich mit mir selbst in ein Elysium ein.

 

Wie, überglänzt von sanftem Abendschein,

Hier deines Baches Flut durch bunte Wiesen,

Fühl’ ich mein Dasein still und heiter fließen,

Und keines Wunsches Woge mischt sich ein.

 

Hier lockt den ruhig eingewiegten Blick

Mir keiner blauen Berge Hoffnungsgipfel

Auf Sehnsuchtsflügeln in die Fernen hin;

 

Ihn hält die stille Gegenwart zurück,

Ich schaue ruhig in die nahen Wipfel

Und freue mich und fühle, daß ich bin.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Rückert                   Abschied des Sonettes

1788-1866

Sonett, mein Knabe, komm heran! wir wollen

Abrechnen, deine Dienstzeit ist verstrichen;

Treu spieltest du mit unveränderlichen

Bemühungen veränderliche Rollen:

 

Des Feindes Grollen und der Freundin Schmollen,

Den ritterlichen Kampf, und minniglichen,

Die Liebe die erblüht, und die erblichen,

Und was du sonst noch hast vollführen sollen.

 

Gern geb’ ich, willst du andern Herrn nun dienen,

Das Zeugnis dir: daß du bist wohl zu brauchen,

Und mit Verstand zu jedem Zweck zu lenken.

 

Wohl geh’ es dir, als wie bei mir, bei ihnen!

Und daß sie nie dir einen Fuß verstauchen,

Und nie die zarten Glieder dir verrenken!