1788-1866
I
Um loszugehn der Fesseln, die
mich binden,
Muß ich noch inniger gebunden
werden;
Nur wenn sie ganz bei mir Leib
und Seel’ umwinden,
Kann Seel’ und Leib frei werden
von Beschwerden.
Die Fesseln sind die reizenden
Geberden,
Die ihre Macht mich lassen
stets empfinden,
Die, ob der Abschied mich mit
raschen Pferden
Von ihnen riß, doch niemals
vor mir schwinden.
Die Fesseln sind die
zauberischen Töne,
Die holden Hauche, die
entflammten Blicke,
Und alles das, dem ich mich
nie entwöhne;
Der süße Reiz, der mich in
tausend Stricke
Gelegt hat, und zu dem ich
stündlich stöhne,
Daß er stets fester fessle
mein Geschicke.
II
Hörst du? o hör! es schlägt
die zehnte Stunde,
Die zweite vor der
stillenMitternacht,
Diejenige, die wir uns
ausgemacht
Zur täglichen Erneurung unsrem
Bunde.
Die Liebste selber sprach mit
goldnem Munde:
„Auf diese Stund’, o Liebster,
habe Acht;
Wann das Geschäft entschläft,
die Lieb’ erwacht,
Dann geben wir uns von
einander Kunde.
Daß eins Gemeinschaft mit dem
andern pflege,
Soll eins zum andern kann im
Geist ausfliegen.“ –
O schnell, Gedanke, deinen
Flug genommen
Zu ihr! daß sie nicht, überm
halben Wege
Entgegenkommend, sprech’, uns
zu besiegen:
Seht ihr? ich bin euch doch
zuvorgekommen.
III
Sie pflückt’ und gab mit
freundlichem Gekose
Mir eine einsam trauernde, auf
Reichen
Des Todes, wo der Gräber
Kreuze bleichen,
Gewachs’ne Spätlings- Herbst-,
nicht Maien-Rose.
Ich brach dagegen – wunderbare
Lose! –
Ihr einen Strauß vom Busche
fahler Eichen,
Wo Blätter, angerührt vom
Frost, als Leichen
Welk niederhingen nach dem
feuchten Moose.
Die Rose hat wie sterbend sich
gesenket,
Der Strauß gerasselt wie vom
Auferstehen,
Als wir die beiden gegenseits
vertauschet.
Wir haben Todeszeichen uns
geschenket;
Und nicht im Tode soll die
Glut verwehen
Von dem Gefühl, das unsern
Sinn berauschet.
IV
Die Binse pflück’ ich von des
Baches Norden,
Und sie als
Zauberherrscherstab bewegend,
Zeichn’ ich damit nach jeder
Himmelsgegend
Mein Reich, nach Süden, Osten,
Westen, Norden.
Vier Vögte gehn für mich,
geschmückt mit Orden,
Lenz, Sommer, Herbst und
Winter, Aufsicht pflegend,
Durch mein Gebiet, und
Rechnung mir ablegend,
Wann jeder ist von mir
entlassen worden.
Ich heiße auf- und abgehn Mond
und Sonnen,
Ich laß’ ein Harem tanzen von
Triaden,,
Streu’ ihnen in den Schoß
Juwel’ und Perlen.
Doch eifersüchtig halt’ ich
meine Wonnen
Für mich allein; wo mir die
Nymphen baden
Sehn blöde Augen Tropfen Taus
an Erlen.
1788-1866
Mein Volk, nun wieder mit dem
Haupt im Staube,
Das du zum Himmel hoffend
aufgerichtet;
Vom Richter über Kön'ge sei
gerichtet,
Wer deine Ehre gab der Schmach
zum Raube.
Beschützt nicht hat der Aar,
dich hat, o Taube,
Zerfleischt der Geier; alles
was gedichtet
Dein Glaub' an Adlerhochsinn,
ist vernichtet,
Nur unvernichtet sei an dich
dein Glaube!
Den Glauben schließ in deines
Herzens Falten,
Wie über dich nun werfen mag
die Netze
Die Lüg', um selbstlos nieder
dich zu halten.
Den Glauben halt, ob man wie
Wild dich hetze:
Ein Volk, in dir geeinigt,
unzerspalten,
Bist du, und selber gibst du
dir Gesetze.
1788-1866
Dein Leben war mir schmucklos
vorgekommen,
Ich glaubte mich berufen, es
zu schmücken.
Erst schien der schöne Schmuck
dich zu beglücken,
Dann kam mir’s vor, als mach
er dich beklommen.
So sei der Schmuck dir wieder
abgenommen:
Was soll er deinen zarten
Busen drücken?
Und unbarmherzig will ich ihn
zerstücken;
Dient er dir nicht, wozu soll
er mir frommen?
Doch du erholst dich schon von
deinem Zagen,
Du fühlst dich stark, den
Himmel meiner Lieder
Nun auf den Atlas deiner Brust
zu tragen.
Die Sonnen, die Plejaden zieh’
ich nieder,
Und schmiegen will sich auch
mit Wohlbehagen
Der Mond als Spang’ um deine süßen Glieder.
1788-1866
Der Himmel ist, in Gottes Hand
gehalten,
Ein großer Brief, von azurblauem
Grunde,
Der seine Farbe hielt bis
diese Stunde,
Und bis an der Welt Ende sie
wird halten.
In diesem großen Briefe ist
enthalten
Geheimnisvolle Schrift aus
Gottes Munde;
Allein die Sonne ist darauf
das runde
Glanzsiegel, das den Brief
nicht läßt entfalten.
Wenn nun die Nacht das Siegel
nimmt vom Briefe,
Dann liest das Auge dort in
tausend Zügen
Nichts als nur Eine große
Hieroglyphe:
Gott ist die Lieb’, und Liebe
kann nicht lügen!
Nichts als dies Wort, doch das
von solcher Tiefe,
Das kein Verstand kann der
Auslegung gnügen.
1788-1866
Wie ein Säugling an der Mutter
Brust
Ruht’ ich in der Blättlein
weicher Fülle,
Und das Knöpfchen träumte süß
und stille
Von des Daseins unempfundner
Lust.
Eben wagt’ ich, meiner halb
bewußt,
Meinen ersten Blick aus
dunkler Hülle,
Ach da war’s des bösen Glückes
Wille,
Daß dein Finger brechen mich
gemußt.
Zartes Knäblein, das mich
zarte bricht,
konntest du ein Leben grausam
brechen,
Das zum Leben kaum sich hat
entfaltet?
Zartes Knäblein, geh’, ich
wünsche nicht,
Daß mich das Geschicke möge
rächen,
Das auch über Menschenleben
waltet.
1788-1866
Die Welt ist eine Lilie, eine
blaue,
Ein Inbegriff geheimnisvoller
Dinge;
Ihr Brautkelch ist die Sonn’
um die im Ringe
Staubfäden-gleich Planeten
stehn zur Traue.
In dieser Lilie weitem
Wunderblaue
Hängt schwebend mit der
sehnsuchtsmüden Schwinge
Des Menschen Geist gleich
einem Schmetterlinge,
Und lechzet durstig nach des
Kelches Taue.
Sieh! durch die Blume wehen
Gottes Hauche;
Da neigen die Planeten sich
zur Sonnen,
Wetteifernd, wer darin sich
tiefer tauche.
Wie so das heilige Liebesspiel
begonnen,
Füllt Duft die Blume wie mit
Opferrauche;
Den trinkt der Schmetterling
und stirbt in Wonnen.
1788-1866
Ihr, denen, was mein Haus von
stillem Glücke
Umfaßte, stand in meinen
Liedern offen!
Theilnemend an so
unscheinbaren Stoffen,
Die nicht vertragen, daß viel Kunst
sie schmücke;
Nehmt eure Teilnahm` itzt auch
nicht zurücke
Und laßt für Beifallslächeln
Thränen hoffen,
Beim Schicksalsschlag, der so
das Haus getroffen,
Daß alles Glas der Freude
gieng in Stücke!
Vielleicht verschlöß` ich
besser solche Klänge;
Und wahrlich nicht mit Lorbeer
zu umweben
Denk` ich die Stirn durch
klagende Gesänge.
Doch wenn ich sähe meine
Lieben leben
In fremden Munde, dieses
Schaugepränge
Könnt` ein`gen Trost für ihren
Tod mir geben.
1788-1866
Ihr grüßt mich aus der
nord’schen Metropole
Der freien Wissenschaft, der
freien Kunst,
Dem Mittelpunkt, wo jetzt ein
trüber Dunst
Umhüllt den ew’gen stern an
Deutschlands Pole.
Doch denkt ihr euch, daß hier
ich mich erhole
An wolkenlosen Himmels heitrer
Gunst,
Das zeigt mir nur, daß euch
auch glüht die Brunst,
Die jedes deutsche Herz nun
zehrt zur Kohle.
Mein Gegengruß dem märk’schen
Sängerbunde
Am Rand der Spree! Haucht nur
in Chorgesängen
Weg die Beklemmungen des
Augenblickes;
Doch haltet euch bereit auf
jede Stunde,
Daß uns mit mehr
unmusikalischen Klängen
Der Fußtritt weck’
anschreitenden Geschickes.
1788-1866
eine Büste Rückerts aufgestellt.)
In Goethes
Haus! – Wo anders unterm Brause
Des
Weltverkehrs im Dampf von Eisenrossen,
Ziemt
euch zu stiften, edle Kunstgenossen,
Der Künste
Freistift als in Goethes Hause?
In
Goethes Haus! Mir aus der stillen Klause,
Worin
mein Leben halb im Traum verflossen,
Wie
ist von eurer Liebesgunst erschlossen
Auch
mir ein Ehrenplatz in Goethes Hause!
Nur
Goethe sollt’ in Goethes Hause thronen,
Und
wenn ihr sucht nach einem Nebenmanne,
So sei
es jener, den er fand in Weimar.
Von
beiden, die in unsres Ruhmes Kronen
Sich
teilen, ist zu meilenweit die Spanne
Des
Abstands bis zu weiland
Freimund Reimar.
1788-1866
Es war vor achtzehnhundert
achtzehn Jahren
Bei der
Geburt des Kindes eine kleine
Versammlung:
Vater, Mutter, im Vereine
Mit
wen'gen Hirten, die im Felde waren.
Seit
dieser Zeit hat's alle Welt erfahren,
Und
weitverbreitet herrscht das Licht, das Eine;
Die
Krippe ward zum Tempelbau von Steine,
Wo
anzubeten kommen Völkerscharen.
Es
ist dadurch entstanden ein Gedränge,
Wo die
Versammlung sich muß selber stören,
Die
Andacht wird zerstreut vom Festgepränge.
Und
wie die Menschen singen laut in Chören,
So
können sie die himmlischen Gesänge
Der
Engel nicht so hell, wie dort, mehr hören.
1788-1866
Du stilles Thal, in deinem
Schoß allein
Kann ich der wahren
Himmelsruh’ genießen,
Und deine dichtgedrängten
Büsche schließen
Mich mit mir selbst in ein
Elysium ein.
Wie, überglänzt von sanftem
Abendschein,
Hier deines Baches Flut durch
bunte Wiesen,
Fühl’ ich mein Dasein still
und heiter fließen,
Und keines Wunsches Woge
mischt sich ein.
Hier lockt den ruhig
eingewiegten Blick
Mir keiner blauen Berge
Hoffnungsgipfel
Auf Sehnsuchtsflügeln in die
Fernen hin;
Ihn hält die stille Gegenwart
zurück,
Ich schaue ruhig in die nahen
Wipfel
Und freue mich und fühle, daß
ich bin.
1788-1866
Sonett, mein Knabe, komm
heran! wir wollen
Abrechnen, deine Dienstzeit
ist verstrichen;
Treu spieltest du mit
unveränderlichen
Bemühungen veränderliche
Rollen:
Des Feindes Grollen und der
Freundin Schmollen,
Den ritterlichen Kampf, und
minniglichen,
Die Liebe die erblüht, und die
erblichen,
Und was du sonst noch hast
vollführen sollen.
Gern geb’ ich, willst du
andern Herrn nun dienen,
Das Zeugnis dir: daß du bist
wohl zu brauchen,
Und mit Verstand zu jedem
Zweck zu lenken.
Wohl geh’ es dir, als wie bei
mir, bei ihnen!
Und daß sie nie dir einen Fuß
verstauchen,
Und nie die zarten Glieder dir
verrenken!