1788-1866
von Allerheiligen bis Weihnachten 1817
I. Die Totenkapelle der
Kapuziner
Den Kapuzinern war ich
zugesprochen
In diesen
Allerseelenfestes-Tagen
Und sah daselbst tiefsinnige –
kann ich sagen –
Verzierungen von Leichnamen
und Knochen.
Im Tode nicht der Ordenskutt
entkrochen,
Die Mumien, sah ich stehn und
Kerzen tragen,
Davor die Lebenden auf Knieen
lagen,
Um einst auch so zu stehn in
Jahr und Wochen.
Die Wände waren rings geschmückt
mit Blumen,
Bald einzeln, bald in
Sträußen, Kränzen, Schnüren,
Und jede Blume war
Zusammensetzung
Von Knochenwerk. In diesen
Heiligtumen
Des Todes hat das
Schauderhafte rühren
Mich nur gekonnt, ohn’ Ekel
noch Verletzung
II. Ebendazu
Die nie mit ihren strengen
Ordensmienen
Sich auf des Lebens Blumen
durften richten;
So haben sie nun ihre
Knochenschichten
Gegeben, um zu Blumen selbst
zu dienen!
Und denen nie der Freude
Sonnen schienen,
Auf deren Licht sie mußten
dumpf verzichten;
Geworden sind, die Grabesnacht
zu lichten,
Zu Lampen Augenhöhl’ und
Schädel ihnen.
Die blassen Blumen reden
sanfte Trauer,
Wie Andacht schwärmerisch dem
Freudelosen
Trostreichen Schein der Blumen
abgewinnet.
Und jene Lampen sprühen ernste
Schauer,
Zu solchem Schmuck verblühn
die ird’schen Rosen,
Wie an des Lebens Docht das Öl
verrinnet.
III.
Herr! laß mich nicht im
fremden Lande sterben,
Wo keine Hand die Augen zu mir
drücket,
Und keine mir den Ort mit
Blumen schmücket,
Wo man mich hinwirft bei zerbrochnen
Scherben.
Einst wünscht’ ich eine Stätte
zu erwerben
An jenem Orte, der seitdem
entrücket
Dem Geist ward wie den Augen,
wo gepflücket
Vom Tod ich sah die schönste
Blum’ entfärben.
Das waren Wünsche, die ich tat
in Reimen,
Als ich, mit Blumenspielwerk
überhäufend
Ein Menschengrab, Abgötterei
getrieben.
Jetzt fühl’ ich still den
Ernst im Herzen keimen,
In nächt’ger Stund’, und flehe
Tränen träufend:
Herr! laß mich sterben heim
bei meinen Lieben!
IV. Tobias
eine Handzeichnung von Overbeck,
als Denkblatt für einen Heimreisenden
Der Vater mit gesenktem
Angesicht
Sitzt in der Halle; wozu
sollt’ er’s heben?
Die Mutter, nicht so blind wie
er ergeben,
Blickt in die Fern’ und sieht
den Sohn doch nicht.
Der Sohn, der bringt des
Vaters Augenlicht
Und seiner Mutter Trost, wo
weilt er eben?
Dort aus der Ferne sehn wir
her ihn streben,
Wie er, vorangeeilt, zum Engel
spricht:
Gesell’, laß uns die Schritte
rascher lenken!
Ich weiß, daß jeden Tag und
jede Stunde
Die Eltern zählen, bis ich bin
bei ihnen. –
Das spricht von dieses Blatts
einfachem Grunde;
Was konnte Zarteres die Kunst
erdenken,
Zum Denkblatt dir,
Heimreisender, zu dienen!
V. In der Farnesina
Die Geschichte von Amor und Psyche, entworfen von Raphael,
ausgemalt von seinen Schülern
Die zarte Braut, die Seele,
die, verlangend
Nach ihrem ihr entrissenen
Gemahle,
Dem Himmelsamor, tief im
dunklen Tale
Der Erde seufzt, verlassen,
zagend, bangend;
Dann, den beseligenden Ruf
empfangend,
Geleitet aufwärts zum
olympischen Saale,
Froh aufgenommen wird beim
Göttermahle,
Den Bräutigam, auf ewig nun,
umfangend:
Den Todesschmuck hat sich dein
Geist ersonnen,
O Raphael, und dann sich
heimgewendet,
Eh’ auf der Wand das Bild war
ausgeführet.
Doch solche Schüler waren dir
gewonnen,
Die haben, was du schufest, so
vollendet,
Daß man im Werke deinen Geist
noch spüret.
VI.
Auf Monte Mario bin ich heut
gestanden
Und habe dort, da ich im
warmen Glimmen
Der Abendlichter Romas Welt
sah schwimmen,
Gedacht, wie’s wintert jetzt
in deutschen Landen.
Da pflückt’ ich Eichlaub, das
mir kam zu Handen,
Als müßt’ ich es zu Sträußen
euch bestimmen;
Und wie für euch las ich beim
Niederklimmen
Am Hügel bunte Muscheln, die
sich fanden.
Dürr wird das Laub der
immergrünen Eichen,
Die Müschelchen zerbröckeln
sich zu Spreue,
Eh’ ich sie euch kann senden
oder reichen.
Doch was ich oft gefühlt, fühl
ich aufs neue:
Daß mich nichts Fremdes
freuet, wenn ein Zeichen
Ich euch dabei nicht gebe, daß
mich’s freue.
VII.
Ich weiß nicht, wie es kommt
an jedem Abend,
Wenn mit den Blicken Rom ich
überfliege,
Wo hinter Hügeln dort in
goldner Wiege
Die Sonne sinkt, sich hell in
Duft begrabend;
Wie bei dem Anblick zauberisch
und labend
Ich stets der süßen Täuschung
unterliege,
Als ob im Westen dort die
Heimat liege,
Da ich doch herkam sie im
Norden habend.
Am Abend enden sich des Tages
Kreise,
Gen Abend geht die Sonn’ im
aufgetanen
Schoße der Nacht zur Ruh’ von
ihrer Reise;
So denkt der Mensch auch
seines Lebens Bahnen.
In Ruh’ zu schließen; und so
muß mich leise
Stets West und Abend an die
Heimat mahnen.
VIII. Die Pifferari
Madonnenbilder stehn an
Straßenecken,
Wo sie die Andacht schmückt
mit mancher Schleife,
Mit goldnem Flitter, buntem
Pfauenschweife;
Nachts pflegt davor man Lampen
anzustecken.
Doch morgens kommen aus den
fernen Flecken
Zur Stadt herein Landsleute,
weiß vom Reife,
Mit ländlicher Musik, Schalmei
und Pfeife,
Das Kindlein auf der Mutter
Schoß zu wecken.
Uns städtische Schläfer weckt
das frühe Klingen,
Das jeden Morgen nun sich hebt
von neuen,
Vier Wochen vom Advente bis
Weihnachten.
Daß ihren Gruß noch jetzt die
Hirten bringen,
Es muß gewiß die Mutter so
noch freuen,
Wie sie in Bethlehem zuerst
ihn brachten.
IX. Weihnachten
Man sagt mir, daß die Nacht
wir heute feiern,
In der das Kind uns ist
geboren worden;
Ich hört’ auch längst der
Pifferari Orden
Frühmorgens mir es in die
Ohren leiern.
Weihnachten ist mit stillen
weißen Schleiern,
Gewebt aus Schnee, geschmückt
bei uns im Norden
Und hier, so grün ist’s an der
Tiber Borden,
Wie dort zum Feste mit den
bunten Eiern.
Die Glocken klingen festlich
wie zu Hause;
Doch anders, als sie dort den
Klang empfanden,
Empfinden hier ihn die
erstaunten Ohren.
Mir ist, als ob mit
hellbewegtem Brause
Sie immer läuteten: Christ ist
erstanden!
Statt, wie es sich gebührt:
Christ ist geboren!
X. Briefe zum Fest
Das Fest der lichten Mutter,
die zum Preise
Der Demut ward ersehn in
Finsternisse
Der Welt den Himmel zu
gebären; wisse,
Daß es ein Fest ist für
Familienkreise!
Drum machten sich Gesandten
auf die Reise,
Von jenen, deren Näh’ ich hier
vermisse;
Daß ich mit ihnen ohne
Hindernisse
Das Fest begehn kann auf
gewohnte Weise.
Die Zettel sind’s, die großen
und die kleinen,
Die Stellvertreter der
Familienglieder,
Selbst um mich still sich
bildend zur Familie.
Mit diesen will ich heut’ zum
Fest mich einen,
Da gestern mich zerstreuten
nur die Lieder
Von Sant maggiore’s
rauschender Vigilie.
XI. In Santa Maria Maggiore
Es war vor achtzehnhundert
achtzehn Jahren
Bei der Geburt des Kindes eine
kleine
Versammlung: Vater, Mutter, im
Vereine
Mit wen’gen Hirten, die im
Felde waren.
Seit dieser Zeit hat’s alle
Welt erfahren,
Und weitverbreitet herrscht
das Licht, das eine;
Die Krippe ward zum Tempelbau
von Steine,
Wo anzubeten kommen
Völkerscharen.
Es ist dadurch entstanden ein
Gedränge,
Wo die Versammlung sich muß
selber stören,
Die Andacht wird zerstreut vom
Festgepränge.
Und wie die Menschen singen
laut in Chören
So können sie die himmlischen
Gesänge
Der Engel nicht so hell, wie
dort, mehr hören.
XII. Ebendaselbst
Wenn die Versammlung dieses
Orts empfände
Ganz die Bedeutung dieser
Schöpfungsnacht,
In der zur Erde wird das Licht
gebracht,
Das löschen kann der Sünde
Flammenbrände,
Die Priester könnten falten
ihre Hände
So ruhig nicht, vor des
Entzückens Macht;
Nicht könnten mit der
aufgelegten Pracht
Kalt, unerschüttert, stehn des
Tempels Wände.
Doch wie die Form auch starr
gefroren sei,
Es bleibt ihr Zweck auch so
den Geist zu ehren,
Der, zwar von ihr gebunden,
doch ist frei.
das Ganze fordert Schranken,
doch es wehren
Die Schranken nicht dem
einzelnen, dabei
Sich selbst dem Schrankenlosen
zuzukehren.