Friedrich Rückert                   Aprilreiseblätter

1788-1866

 

I. 

 

Ein altes Heft, Aprilreis’ überschrieben,

Zieh’ ich hervor aus seinem Grab im Staube,

Mir so entfremdet, wenig fehlt, ich glaube,

Ein andrer habe diesen Spuk getrieben.

 

Doch nicht beiseite will ichs lassen schieben,

Und jedes Blatt spricht gleich gewelktem Laube:

Soviel vom Leben wird der Zeit zum Raube,

So wenig ist zuletzt Ertrag geblieben!

 

Nun, zeiget nur der Welt, zerstreute Blätter,

Welch einen Gang wir Schritt vor Schritt genommen

Durch Jugendunmut und Aprillenwetter.

 

Zum rechten Ziel sind wir noch nicht gekommen,

Doch blicken wir von Bahnen etwas glätter

Dankbar zurück, wie mühvoll wir geklommen.

 

 

 

II. -  Im Gebirge

 

Wohin, ach! sollen aus des Markts Gewühle

Sich eure Götter retten, wenn die Dichten

Des ew’gen Hains auch unterm Beil sich lichten,

Qualm des Gewerks auch dämpft die heil’ge Kühle?

 

Es seufzt der Fels, daß ihr sein Steingestühle

Zerbrecht, um eure Wände draus zu schichten;

Der freie Waldbach zürnt, daß er verpflichten

Sich muß, nutzbar zu treiben Rad und Mühle.

 

Die Echo klagt, daß statt der Heldenlieder,

In’s orgelnde Gebraus des Sturms gesungen,

Sie jetzt nur hört Geächzt des tauben Hammers.

 

Und selbst die Berge schütteln ihre Glieder

In Unmut, daß sie dazu sind gedungen,

Euch auszuspei’n die Goldschlack’ eures Jammers.

 

 

 

III. – Bei der Besteigung einer alten Burg

 

Die Locken triefen, und die Adern kochen,

Die Kniee wanken, und die Lungen keichen;

Und eh’ das Ziel der Höh’ die Füß’ erreichen,

Hat wohlbedacht sie mancher Dorn durchstochen.

 

Ist endlich dann die saure Bahn gebrochen,

So stehn wir droben in des Todes Reichen;

Burgtrümmer liegen rings, wie steinerne Leichen –

Such’, und du findest wohl auch wahre Knochen.

 

O Wanderer, so eilfertig zu traben,

Um, was du statt zu suchen, sollest scheuen,

Dich am Geripp’ der Zeiten zu erlaben!

 

Du mußt wohl recht mit Torheit statt des Neuen

Das Alte lieben, oder mußt du haben

Recht wenig Neues, das ein Herz kann freuen.

 

 

 

IV.  -  Die Burgen

 

Zu Trümmern sankt ihr unter Schicksalsstreichen,

Doch noch in Trümmern scheint ihr stolz zu stehen,

Verdammend von den Höh’n herabzusehen

Auf eine Welt, die nicht an euch kann reichen.

 

Ein enger Sinn baut Hütten, die ihm gleichen,

Im Tal, wo nicht der Freiheit Lüfte wehen;

Ihr seht sie bau’n seht wieder sie vergehen,

Und ihr steht droben, ewige Todeszeichen.

 

Niemand erkühnt sich, eure Riesenwälle

Mit des Besitztums Anspruch anzutasten,

Auf euren Schutt zu flicken seine Schwelle.

 

Ja kaum der Wandrer wagt auf euch zu rasten,

Gleich als entehr’ er alter Kraft Grabstelle

Durch seines Feiglingstrittes nichtige Lasten.

 

 

 

V.

 

Ich klag’! Ist einer, der mir kann antworten?

Ich klage, daß nichts ist, als nicht und nichtig,

Daß alles Leben ist wie Spreu gewichtig,

Und alles Sein voll Mark, gleich hohlen Worten.

 

Ich klage an die Blumen, die verdorrten,

Die Lüfte klag’ ich an, die leicht und flüchtig,

Den Felsen, der nicht steht auf Füßen tüchtig,

Die Erde, die auch wankt von ihren Orten.

 

Ich klage laut, daß eitel sind die Freuden,

Wollüste, Wünsche, Wonnen, Wohlgefallen,

In eigner Glut sich zehrend wie die Kerzen.

 

Ich klage laut, daß eitel sind die Leiden,

Und daß das Eitelste vom Eitlen allen

Ist mein Anklagen eitler Lust und Schmerzen.

 

 

 

VI. – An einen Leinenweber

 

Beglückt bist du, der du mit stetem Fleiße

Von der zufriednen Spule still und eben

In deine Weberei wie in dein Leben

Stets gleiche Fäden wirkest, ruhig weiße;

 

Da täglich ich ein bunt Geweb zerreiße

Im Drang, es morgen bunter noch zu weben;

Dazu muß Hoffnung grüne Fäden geben,

Die Liebe gibt das Rot dazu, das heiße.

 

Dazwischen schlinget sich ein Schillerstreifen,

Die Poesie, bald wie ein Sonnenflitter,

Goldgelb, bald wie ein Ätherbild, ein blauer.

 

Doch wie die Fäden ineinander greifen,

Bricht doch, gedämpft durchs bunte Farbengitter,

Hervor der Grund der Webe, dunkle Trauer.

 

 

 

VII.

 

Beglückt die Pflanze, die im Spiel der Lüfte

Still in des Zeitlaufs fester Ordnung lebet,

An ihrem heimischen Boden ruhig klebet,

Und doch zum Himmel aufhaucht ihre Düfte.

 

Beglückt der Strom auch, der im Waldgeklüfte,

Von seiner Ufer sichrem Maß umwebet,

Im vorgeschriebnen Gleise vorwärts strebet

Und endlich geht zur Ruh’ in Meeresgrüfte.

 

Ach, daß allein der Mensch zu irrem Schweifen

Gebraucht des Fußes und des Geistes Flügel,

Um schrankenlos durch Zeit und Raum zu streifen.

 

Ach, daß nur er so früh’ zu Sporn und Bügel

Sich selbst wird und so spät erst lernt begreifen,

Daß er auch selbst sich werden muß zum Zügel.

 

 

 

VIII.

 

Ein Forscher der Natur, der Gras und Steine

Zu suchen ging im Lande der Huronen,

Ward dort gefragt von denen, die dort wohnen:

„Hast du daheim in deinem Land denn keine?“ –

 

O Wanderer, der du dein Glück und deine

Ruh’ so zu suchen gehst in fremden Zonen;

Mit gleicher Frage könnte man dir lohnen,

Und zwar mit bessrem Fuge noch, ich meine.

 

Denn wenn auch jener fremd’ Gestein und Kräuter

Mit zu sich nach Haus bringt etwa von den reisen,

Um seine trocknen Schätze zu bereichern;

 

Wirst du doch nie, ein gleichbeglückter Beuter,

Zufriedenheit, das Lebenskraut, erreisen,

Wenn nicht daheim es liegt in deinen Speichern.

 

 

 

IX. 

 

Mir träumt’, ich stünd’ auf einem Felseilande

Allein mit mir, und wie aus Nebelflore

Späht’ ich mit Augen, horcht’ ich mit dem Ohre

Hinüber fern nach einem festen Lande;

 

Und sähe, wie sie drüben an dem Strande

Einzäunten Gärten, bauten Häusertore,

Im Brautreihn gingen und im Leichenchore,

Und lebten, webten, all in ihrem Tande.

 

Ihr dumpfes Summen drang zu mir herüber,

Doch sahn sie mich nicht stehn in meiner Ferne,

Sie hatten keine Zeit zum Sehen über.

 

Auch zugerufen hätt’ ich ihnen gerne,

Doch drang mein Laut zu ihnen nicht hinüber,

Und einsam blickt’ ich auf zu meinem Sterne

 

 

 

X.

 

Daß ich nicht an Gesellschaft Mangel litte

Auf meinen Wegen, gab mir zum Geleite

Einst Gott Gesellen, die, wohin ich schreite,

Stets rastlos folgen jedem meiner Schritte.

 

Ob ich sie auch von mir zu weichen bitte,

Sie weichen dennoch nicht von meiner Seite;

Sie fliehn, wenn ich zu fliehen mich bereite,

Mir nach und halten stets mich in der Mitte.

 

Sie reden stets und lassen nichts mich hören,

Was sonst zu mir will reden, Zephyrs Scherzen,

Des Morgens Gruß, der Vögel Gang in Chören.

 

Und will ich ruhn, so ruhn sie mir am Herzen,

Um, so wie wach, auch schlafend mich zu stören,

Die ewigen Reisebegleiter, meine Schmerzen!

 

 

 

XI.

 

Mit Blicken wend’ ich mich nach Ost und Westen,

Nach Süd und Norden wend’ ich mich mit Grüßen,

An alle, die mich labten mit Genüssen,

An jeden, der mich lud zu frohen Festen!

 

Wer irgend mich gespeist von seinen Ästen,

Wer irgend mich getränkt aus seinen Flüssen,

Wer eine Ruhstatt bot den müden Füßen,

Und Trockenung dem Auge, dem genäßten!

 

Ein jeder Gruß, der mir ins Ohr geklungen,

Ein jeder Blick, der mir ans Herz geschlagen,

Ein jeder Druck der Hand, der mich durchdrungen,

 

Sei mir ein Führer, der, wenn ich will zagen,

Mich stärke, durch des Irrpfads Dämmerungen,

Still weiter meinen Pilgerstab zu tragen.

 

 

 

XII.

 

Dem Sperling beut des Strohdachs morsche Schaube

Ein Nest, ein Brautgemach dem buhlenden Schalke;

Der Schwalbeneinfalt dient ein roher Balke

Zu ihrer Notdurft, einem Pfühl von Staube.

 

In Steinesklüften siedelt sich die Taube,

Wo sie nicht wittern kann ihr Feind, der Falke;

Ja, selbst dem Kauz, im öden Mauerkalke

Wird ihm ein Bett, wo ungestört er schnaube.

 

Soll denn nur ich, ein heimatloser Flattrer,

Kein Flecklein finden rings, wo ich mag fliegen,

Um mich zu bergen vor des Sturmes Wüten?

 

Um ungeneckt vom Schwarm der lauten Schnattrer,

Wonicht im Nest der Liebe mich zu schmiegen,

Doch einsam meinen Unmut auszubrüten!

 

 

 

XIII.

 

Erschöpft von langen winterlichen Wegen,

Auf meines Lebens allertrübste Reise,

Kam ich hieher, in froher Hoffnung, leise

Mein Herz an eines Freundes Herz zu legen.

 

Da starrte mir das Freundesherz entgegen

Noch starrer, als vom starrsten Wintereise;

Da klang das Freundeswort in kalter Weise,

Noch kälter, als der kältste Winterregen.

 

Weh’ mir! Natur, worin soll ich mich wenden?

Wenn draußen du stehst mit den Winterschauern,

Und hier die Herzen mit den Winterfrösten?

 

Ich bitte dich, laß deinen Winter enden

Und werde Lenz! Mag Menschenfrost dann dauern;

An deiner Frühlingsbrust will ich mich trösten.

 

 

 

XIV.

 

Die Tannen splittern und die Föhren krachen,

Die Eichen rühren zitternd ihre Spitze;

Der Himmel gärt, und glutgeaugte Blitze

Durchspähn das Nachtgewölk’ wie feur’ge Drachen.

 

Der Donner regt mit seinen tausend Achen

Das Leben schütternd in dem tiefsten Sitze

Des Busens auf; tief wogt in dumpfer Hitze

Der Brust Vulkan, wie wird er Luft sich machen?

 

Was wird der Geist entsinnen Ungeheures?

Zu welcher Riesentat wird er sich heben?

Sich flügeln auf zu welchen Himmelstoren?

 

Weh’ mir! Zergangen ist der Sturm des Feuers

Matt in sich selbst; was hat sich denn ergeben?

Der große Berg hat ein Sonett geboren!

 

 

 

XV.

 

Wir stilles Volk in des Gebirges Kluft,

Tief schlummernd in der Mutter Schoß, Metalle;

Was habt ihr uns mit eurer gierigen Kralle

Herauf gezogen aus der dunklen Gruft?

 

Daß unsre Starrheit an des Himmels Luft,

Der uns verhaßten, euch zum Spiel zerfalle!

Ihr zwinget unsre Stummheit, daß sie schalle;

Der Schall ist Klage, die nach Heimat ruft,

 

Und unsre Heimat ist die ewige Nacht;

Ihr aber habt, zu unserm Weh’ beflissen,

Zu eurem Weh’ uns an das Licht gebracht.

 

Denn wie ihr uns der Finsternis entrissen,

So reißen wir nun selbst mit dunkler Macht

euch mit uns nieder zu den Finsternissen.

 

 

 

XVI.

 

Gleich wie ein Mann, der halb im Wachen träumet

Nicht rechte Kunde von der Tagszeit habend,

Aufschaut zum Himmel, und die Blicke labend

An einem Rot, das dort die Wolken säumet,

 

Nicht weiß, ob es ist Phöbus, welcher zäumet

Die Rosse, aus zu neuer Tagfahrt trabend,

Oder ob Phöbus, der die Roß’ am Abend

Entschirret und der Nacht den Rennplatz räumet;

 

So schau’ ich selbst empor, verwirrt im Dunkeln;

Am Himmel unsrer Dichtkunst seh’ ich Goethe,

Und frage zweifelnd, was es soll bedeuten,

 

Ob Abendrot, versunknen Tags Nachfunkeln,

Ob künftigen Tags Vorkünderin Morgenröte?

Mir ist, als hör ich Abendglocken läuten.

 

 

 

XVII.

 

Um Frühlingsanfang ist ein Baum gefallen,

Der unsrer Väter Kindheit schon umblühte,

Mit Goldfrucht unsrer Wieg’ entgegen glühte,

Und uns so lange ließ im Schatten wallen.

 

Des immergrünen Laubes Nachtigallen

Erschlossen klangvoll der Natur Gemüte,

Und her vom Wipfel schaut’ ein Aar und sprühte

Noch Weltverklärungsblitz’ aus morschen Krallen.

 

Schämt euch, die ihr am alten Stamm, ihr Knaben,

Das Moos gerupft, vor Männern, die in seiner

Bewundrung sich herangebildet haben!

 

Wo Goethe stand, galt größer nichts noch kleiner,

Er ging, nun zeigt wetteifernd eure Gaben!

Doch derer, die ich kenn’, ersetzt ihn keiner.

 

 

 

XVIII.  -  Die Bettenburg

 

Vom nagenden Jahrhundert unvernichtet,

Gehalten von der Vorzeit derbem Kitte,

Steht eine Burg in waldiger Hügel Mitte,

Die von vergangner Herrlichkeit berichtet.

 

Sie ist, aus kräftigem Gestein geschichtet,

Ein hohes Fußgestell, auf dessen Tritte

Ein Bild der Vorwelt steht voll edler Sitte

Als lebende Bildsäule aufgerichtet,

 

Der Ritter von der Burg! Kommt, laßt uns wallen,

Zu sehn den festen auf den festen Mauern,

Der erst lebendig macht die toten Hallen.

 

Mög’ er so lang, als seine Wälle, dauern,

Und, wenn einmal das edle Bild soll fallen,

Brech unter ihm das Postament mit Schauern.

 

 

XIX.

 

Die Sonne würde nicht den goldnen Karren

Anschirren, noch der Lenz den blumenreichen,

Wenn sie bedächten, daß, sie zu beschleichen,

Auf sie die Nacht, auf ihn der Herbst schon harren.

 

Und in des Menschen Busen würd’ erstarren

Des Strebens Lust, der Taten Kraft entweichen,

Erwög’ er, wie die dunkle Macht die Leichen

Der Lust, der Tat, stets lauert zu verscharren.

 

Die Hoffnung ist der ewige Betrüger,

Der den Arbeiter mit des Schweißes Lohne,

Und mit der Aussaat Ernte täuscht den Pflüger.

 

Und wenn sie heute vor des Ausgangs Hohne

Verstummen muß, so horchst du, um nichts klüger,

Gleich morgen wieder ihrem nichtigen Tone.

 

 

XX.

 

Nicht immer nach dem unbekannten Neuen !

am Alten, wohlvertrauten, laßt mich hangen,

Umfangend, was ich immer hab’ umfangen,

Erfreut von dem, was längst mich könnt’ erfreuen.

 

Nicht heut’ Gesammeltes in Wind verstreuen,

Um morgen neues Sammeln anzufangen;

Nicht dieses fliehn, um jenes zu erlangen,

Nicht suchen das, um jenes zu bereuen.

 

Auf einem Rasenteppich möcht’ ich sitzen,

Beschattet und beschirmt von einem Baume,

Sehn unverwandt nach eines Berges Spitzen,

 

Bespült, berauscht von eines Baches Schaume,

Und bis der Tod mich weckt mit seinen Blitzen,

Umhüllt von einem einzigen wachen Traume!

 

 

XXI.

 

Gleich als ein Grabmal ist erbaut das Herze,

Und ein Andenken ruht darin begraben,

Doch Lieb’ und Tod, die beiden Himmelsknaben,

Darüber schwebend halten sie die Kerze.

 

Und auf des kalten Marmors ernster Schwärze

Steht eingeprägt in leuchtenden Buchstaben:

„Die Freude soll an mir kein Teil nicht haben,

„Geflohn sein will ich von des Lebens Scherze!“

 

Doch scherzend haben Halme sich erkühnet

Heranzusprießen, und, das Grab umfassend,

Es leise mit dem Leben ausgesühnet.

 

Das ernste Grab, das Spiel geschehen lassend,

Umzieht mit fremdem Schmucke sich, und grünet,

Außen mit Lust, innen mit Tode prassend.

 

 

 

XXII.

 

Ich ging von Schnee und Regensturm umwittert,

Bis wo ich kam im Tal zu einer Stelle,

Wo an dem Weg in einsamer Kapelle

Ein Muttergottesbild stand eingegittert.

 

Von Frost halb und von Andacht halb durchzittern,

Schirm suchend, trat ich in des Friedens Zelle;

Und sahe, bei des blassen Taglichts Helle,

Das Bild geschmückt mit Kränzen, die verwittert.

 

Ich neigte meine reifbehangnen Locken,

Da stob ihr Schneegeriesel auf die Kränze,

Und auf das Kind, das drunter lag im Schlafe.

 

da war’s, als ob, besprenget von den Flocken,

Der welke Kranz mit frischen Blüten glänze;

Ich sank aufs Knie und sprach ein gläubigs Ave.

 

 

 

XXIII. – Die Tanne

 

Jungfräulein mit den immergrünen Locken,

Die du den Winter schmückst mit frischem Glanze;

Wie jugendlich auf deinem dunkeln Kranze

Du trägst des hellen Schnees Blütenflocken!

 

In kecker Anmut stehst du unerschrocken,

Wenn dir der Nordwind naht mit Schild und Lanze,

Auffordernd dich zu wildem Wirbeltanze,

Bis ihm des Atems stürm’ge Züge stocken.

 

Wie lieblich auf den Höhen tanzt ihr beide,

Er, ungestümen Umschwungs Weisen summend,

Du frei dazwischen rauschend mit dem Kleide.

 

Wenn er genug hat, zieht er ab verstummend;

Du streckst dein flatternd Busentuch von Seide

Dann zierlich an mit Nadeln, dich vermummend.

 

 

 

XXIV. – Die Linde

 

Ich zubenannt mit sanftem Namen Linde,

Vom Tau des Himmels dreifach übergossen,

weiß wohl, warum vor allen Waldgenossen

So freudig stolz ich rauschen darf im Winde.

 

Denn sie, die andern alle, treibt der blinde

Trieb ihrer Säfte, daß sie blühn und sprossen:

Doch mir ist Selbstbewußtsein aufgeschlossnen,

Und eine Gottheit wohnt in meiner Rinde.

 

Von zweien Menschenherzen, welche Liebe

Im Schatten meiner Äste jüngst sich schwuren,

Ist mir zuteil geworden solche Gnade.

 

Vergeistigt ward mein Trieb von ihrem Triebe;

Und Hauche, die aus ihren Lippen fuhren,

Gestalteten in mir sich zur Dryade.

 

 

 

XXV. – Die Eiche

 

Baum meines Vaterlandes, Eiche, mächtige,

Du sonst den stattlichen Reichsapfel tragend,

Bis kläglich in der Zeiten Sturm verzagend,

Du, uns zur Schmach, Galläpfel trugest, schmächtige.

 

Das tat der Südwind, der verderbensträchtige;

Der, von dem Haupte dir die Krone schlagend,

Dich beugte, bis, mit ihm in Kampf sich wagend

Der Nordwind kam, Gott sandt’ ihn, der Allmächtige.

 

O Wunder, den Naturlauf so verkehrend,

Daß Südwind, der sonst Lenz bringt, Tod die brachte,

Und Frühlingshoffnung Nordwind, der sonst frieret.

 

Drum blick’, o Eiche, dich dem Süd abkehrend

Zum Norden, weil ich’s so noch möglich achte,

Daß neu einst dein Reichsapfel sich gebieret.

 

 

 

XXVI. - An einen verlorenen Freund

 

Geh’ hin, Sonett, mein Kind, und sprich zu einem,

Der mein vergissest in der Stadt Zerstreuung:

Wenn deinem Herzen nicht gebricht Erfreuung,

So denke doch, daß sie gebreche meinem.

 

Noch einmal bringet meine Brust mit reinem

Verlangen dir des Freundesrufs Erneuung;

Folgst du ihm nicht, so nehm’ ich mit Bereuung

Den Ruf zurück und bring’ ihn fürder keinem.

 

Wenn du an irdischen Reizes Angelsternen,

An Sinnenzaubers falschen Sphärentönen

Vergessen kannst den Freund und sein Geschicke;

 

So kann ich zu vergessen dich auch lernen

Am Busen meiner himmlisch wahren Schönen,

von der ich hier das letzte Pfand dir schicke.

 

 

 

XXVII. -  Zu einem Geburtstag im tiefen Herbste.

 

Die Treu’ ist nur in menschlichem Gemüte,

Das Menschenherz nur hegt und hält Gefühle;

Vergebens hoffst du, daß Natur die Schwüle

Des Sommers dir bis in den Winter hüte.

 

Ich dachte, für solch hohe Huld und Güte

Muß eine Blume sprossen in der Kühle

Des Herbstes noch; umsonst; auf kaltem Phühle

Des Gartens fand ich auch nicht eine Blüte.

 

Nun, statt des Lenzes flatterhaften Rosen,

Anstatt des Sommers wandelbaren Nelken,

Pflück’ ich die Blume meiner Huldigungen.

 

O nimm sie hin! Laß Winterstürme tosen,

Laß allen Blütenschmuck des Jahres welken;

Die Blüten bleiben dir, die ewigjungen.

 

 

 

XXVIII. – Zu einem Geburtstags-Kranz aus Hagerosen

 

Im Evangelium dort, als die nicht kamen,

Die zum Gastmahl der Herr hatt’ eingeladen;

Schickt’ er die Diener aus auf allen Pfaden

Und ließ die Krüppel holen und die Lahmen.

 

So lud ich Gartenrosen, edle Damen;

Doch als nicht fertig wurden Ihro Gnaden,

Sich anzukleiden und in Tau zu baden,

Mußt ich die wilden holen statt der zahmen.

 

Die Hagerosen, flinke Bauerdirnchen,

Sie zeigten sich, sobald ich winkte, fertig,

Weil sie an sich nicht viel zu putzen hatten.

 

Sie brauchten gar kein Fädchen und kein Zwirnchen,

Und bilden doch ein Kränzchen gegenwärtig,

Um den Geburtstagswunsch dir abzustatten.

 

 

 

XXIX.

 

Der Nordwind rauscht, und herbstlich schrein die Dohlen,

Leisrieselnd ab fällt Blatt auf Blatt von Bäumen,

O Muse komm’, du kannst auf öden Räumen

Nicht mehr lustwandeln mit den zarten Sohlen.

 

Komm’, statt zu suchen Rosen und Violen,

Die nicht mehr blühn, laß uns von beiden träumen

Im stillen Zimmer, bei des Rebsafts Schäumen,

Der nicht gefriert, und bei des Herdes Kohlen.

 

Türm’ um mich ein Gebirg’ von Bücherschichten,

Daran der Sturm sich bricht von Schnee und Wetter,

Laß lauschen mich, versteckt mit dir, dahinter.

 

Du kannst, o Zaubrin, Blütenlauben dichten,

Du pflanzest Wälder ewiggrüner Blätter,

Du schaffest Frühling mir im tiefen Winter.

 

 

 

XXX. – Zu einem Bilderalmanach

 

Ihr Dämchen und ihr Herrchen, die gern haschen

Nach Büchern, aber nicht nach Folianten,

Die gar zu schwer, und auch nicht nach Quartanten,

Die unbequem sind denen, die nur naschen;

 

Ihr lieber greifend nach den leichten raschen,

Verbrämten, aufgestutzten, eleganten

Kunstsächelchen, die mit verzierten Kanten

So schön sich lassen schieben in die Taschen:

 

Die ihr am liebsten blätternd mit den Fingerchen

Aufsuchen möget glatte nette Küpferchen,

Amorchen, Nymphchen ohne Busentüchelchen;

 

O sehet her! die allerliebsten Dingerchen,

Die Springerchen, die Hüpferchen, die Schlüpferchen

Um Gottes Willen, kauft das artige Büchelchen.

 

 

 

XXXI. – Mit einem Exemplar der Amaryllis, 1827

 

Den Kopf voll Poesie aus fremden Landen,

Das Herz voll Liebesträum’ aus andrer Zone,

Nachtwandelt’ ich den Tag des Lebens, ohne

Mich zu verstehn, und ach von wem verstanden?

 

Was meine Blick’ im engsten Kreise fanden,

Ergriff mein Trieb und bildet’ es zum Tone;

Aus Ginster flocht ich manche Palmenkrone,

Spinnwebe wob’ ich oft zu Zauberbanden.

 

In einem Tal, worin vom Weltgeräusche

Nur war des Waldstroms und der Mühle Rauschen,

War’s, wo ein Landgewächs ich aufblühn sah.

 

Wie wenig gnügt, daß, wer es will, sich täusche:

Marielies mußte mir den Namen tauschen

In Amaryllis formosissima.

 

 

 

XXXII. – April-Flocken

 

Weil ganz wie milder Mai an Laub und Blüte,

An Himmelsblau und Wehen linder Lüfte,

An Wechselspiel der Farben und der Düfte

Sich heuer zeigt Aprils besondre Güte;

 

So hat, daß seine Wut sich doch verwüte,

Die er durch Wiesental und Waldesklüfte

Nicht üben will, sein Grimm in andre Grüfte

Sich hergeflüchtet hier in mein Gemüte.

 

Und wirklich weiß er da sein Recht zu brauchen

Mit Rasen, Toben, Dräuen, wildem Schnauben,

Daß er nicht um Verkürzung hat zu klagen.

 

Ihr Auen, die in Sonnenglanz sich tauchen,

Ihr fühlet nicht, ihr hellen Maienlauben,

Wie ich für euch nun den April muß tragen.

 

 

 

XXXIII.

 

Wenn jeder Stund’ und jedem Augenblicke,

Wenn jedem Fleckchen auch und jeder Stelle,

Wo ich die Brust mit deiner Lieb’ erhelle,

Wo ich mit deinem Bild das herz erquicke,

 

Wo aus nach dir ich die Gedanken schicke,

Wo ich mit dir den Busen atmend schwelle,

Wo ich zu meinen Träumen dich geselle,

Wo ich in meine Lieder dich verstricke –

 

Wenn jedem Augenblick und jeder Stunde,

Wenn jedem Stellchen auch und jedem Örtchen

Gegeben wird, mit einem stillen Munde,

 

Verliehen ist, mit einem leisen Wörtchen,

Zu dir zu reden: wird von süßer Kunde

Dir nie und nirgends leer des Ohres Pförtchen.

 

 

 

XXXIV.

 

O sauget, meine Lieder, durstige Bienen,

Die trinken stets und trinken nie Genüge,

O sauget lange, tiefe volle Züge

Zum Abschied noch aus diesen Blumenmienen;

 

Damit, wann nun die herbe Stund’ erschienen,

Wo wir auf immer müssen unsre Flüge

von hinnen nehmen, wir gefüllte Krüge

Gewonnen haben Honiges aus ihnen.

 

Ja tragt zusammen alle Süßigkeiten

In duft’ge Zellenräume, diese Reime,

Zu einer Lindrung meinen eignen Schmerzen,

 

Zu einer Lab’ in fernen, öden Weiten;

Und laßt ein Teil auch hier von eurem Seime,

wenn hier ein Stachel bleibt in einem Herzen.

 

 

 

XXXV.

 

Hörst du? o hör’! es schlägt die zehnte Stunde,

Die zweite vor der stillen Mitternacht,

Diejenige, die wir uns ausgemacht

Zur täglichen Erneurung unserm Bunde.

 

Die Liebste selber sprach mit goldnem Munde:

„Auf diese Stund’, o Liebster, habe acht;

Wann das Geschäft entschläft, die lieb’ erwacht,

Dann geben wir uns voneinander Kunde.

 

Daß eins Gemeinschaft mit dem andern pflege,

Soll eins zum andern dann im Geist ausfliegen.“ –

O schnell, Gedanke, deinen Flug genommen

 

Zu ihr, daß sie nicht, überm halben Wege

Entgegenkommend, sprech’, uns zu besiegen:

Seht ihr? ich bin euch doch zuvorgekommen.