Friedrich Rückert                   Maiengruß an die Neugenesene.

1788-1866                                                                Pfingsten 1812

 

I. Der Maienzweig spricht:

 

Als das Geschlecht der grünen Waldeskinder

Ratschlagte, wen es dir zum Maigruß sende;

Ward, wie danach wetteifernd aller Hände

Sich streckten, ich erklärt zum Überwinder:

 

Daß, weil mich als geweihten Kränzewinder

Das Pfingstfest führt in seines Tempels Wände,

Ich, wenn du’s gönnest, auch im Zimmer stände,

Das, dich umfangend, Tempel ist nicht minder.

 

So zweifle nun nicht länger, daß durchdrungen

Von dieses Tags Begeistrung, einst gewesne

Gesandten redeten in fremden Zungen;

 

Da ich, der zum Gesandten heut’ erlesne,

In jedem Blatt hab’ eine Zung’ errungen,

Die dich begrüßen will, o Neugenesne.

 

 

 

II. Die Blumen sprechen:

 

Gar oft mit Bitten riefen wir zum Lenze:

Solang’ schon haben wir zu blühn getrachtet;

Was hältst du denn so streng uns noch umnachtet?

Wann gibst du Sonnschein denn für unsre Kränze?

 

Er sprach: Ehr nicht, bis neu an Wohlsein glänze

Mein Lieblingskind, das jetzt in Krankheit schmachtet.

Was wär’s denn, wenn sie weinte, und ihr lachet?

Sie litte, und ihr hieltet Freudentänze? –

 

Da flehten wir mit unsern schönsten Klagen

Die Göttin der Gesundheit an: O rette!

Laß sie erblühn daß wir’s auch dürfen wagen!

 

Heil uns und dir! Sie nahm dir ab die Kette;

Nun wird der Lenz sich uns nicht mehr versagen;

Komm’, blüh’ nun, Schwester, mit uns um die Wette!

 

 

 

III. Die Flur spricht:

 

Nur März erst war’s, doch lockend bot er Strahlen

Mir schon und Blüten, deren ich mich freute,

April als Fieberschauer kam; zur Beute

Sank ihm mein Schmuck, ich sank in Todesqualen.

 

da trat mit der Genesung tauigen Schalen

Der Mai zu mir, der meine Blüt’ erneute,

Daß ich, die ich jüngst schön war, schöner heute

Nach Stürmen bin, die keinen Reiz mir stahlen.

 

Du, Flur wie ich! Blumenbeete deine Wangen!

Bist du nicht auch aus schönem März durch Schauer

Aprils hindurch zu schönerm Mai gegangen?

 

Und wieviel tödlicher dein Sturm und rauher

Als meiner war, so blühender sei dein Prangen:

Von dir besiegt zu sein bringt mir nicht Trauer.

 

 

 

IV. Amors Garten

 

Er, der vordem geherrscht in Paphos’ Hainen,

Hält jetzt umpflanzt, als ob er sonst nichts hüte,

Mit einem ganzen Garten eine Blüte,

In welcher alle Blüten sich vereinen.

 

Abholen wollte sie der Tod in einen,

Der (meint’ er) solcher Blume würd’ger blühte;

Amor, der gegen ihn umsonst sich mühte

Im heißen Kampf, siegt’ endlich noch durch Weinen.

 

Nun rat ich dir, o Amor, wohl! Vermähle

So Fleiß mit Kunst, und so den Garten rüste,

Daß künftighin dem Tod der Vorwand fehle;

 

Und daß die schöne Blum’ auch selbst nicht lüste,

Zu tauschen irgend gegen goldne Säle

Den Garten hier, der dann verarmen müßte.

 

 

 

V. Die Minnedienstigen

 

Sieh! wie, besorgt um dein neu werdend Leben,

Geschäftig rings sich regen Werkgesellen!

Die Bien’ häuft linden Seim dir in die Zellen,

Die Ameis’ edlen Weihrauch in die Gräben;

 

Das Kraut will dir heilsame Wurzeln geben,

Heilsame Tränke geben dir die Quellen,

Die Blüte eilt, dir bald als frucht zu schwellen,

Indessen läßt sie Düfte zu dir schweben,

 

Und zischen das Gewerk tönt das Geklinge

Der Nachtigall, als mahnende Frohnglocke,

Und gibt mit frohem schall der Arbeit Schwinge;

 

Damit kein Dienst von jenen säum’ und stocke,

Bis daß zuletzt der schönst’ ihr selbst gelinge,

Daß jubelnd sie zum neuen Tanz dich locke.