Friedrich Rückert                   Rosen auf das Grab einer edlen Frau

1788-1866

 

I.

 

Am Achtzehnten des Julius, dem Tage,

Wo prophezeiet war der Welt Zerstören;

Daß die Propheten nicht ihr Recht verlören,

Erscholl an diesem Tage Totenklage.

 

Wes ist der Sarg, mit dem zum Kirchhofshage

Die ganze Stadt in langen Trauerchören

Wallfahret, daß man wirklich sollte schwören,

Daß man hier eine Welt zu Grabe trage?

 

Es ist ein Weib, das erst gelebt im Stillen

Und kund jetzt giebt, wie Zucht und reine Sitte

Und alle Weibestugenden sie zieren.

 

Die Tränen, die auch fremden Aug endquillen,

Sie sagen laut, daß die, aus deren Mitte

Sie wird entnommen, eine Welt verlieren.

 

 

 

II.

 

Mit Recht gerühmt wird, was der alte Weise

Sprach, der, befragt einst, welche Frau ihm scheine

Die allerbeste? gab zur Antwort: Eine,

Von der man gar nicht hört, daß man sie preise.

 

So weilt’ ich selbst in dieser Mauern Kreise

Geraume Zeit, und Kunden hab ich keine

Gehört von dieser; auch ihr Nam’ alleine

Kam nie zu Ohren mir, nicht laut, noch leise.

 

Nicht wissen konnt’ ich, ob sie mochte leben;

Und jetzt erst, daß sie lebt’, und wie sie lebte,

Hab’ ich erfahren, da sie ist gestorben.

 

Nicht soll nach Ruhm das Weib im Leben streben:

Das lehret sie, die, ohne daß sie strebte

Nach Ruhm, den schönsten hat im Tod erworben.

 

 

 

III.

 

Gleich wie ein stolzer Strom mit lautem Schäumen

In weiten Ufern brausend sich ergießet,

Die Lande nährt und tränket, wo er fließet,

Doch oft auch tobt mit ausgerissnen Bäumen;

 

Dagegen still in ungekannten Räumen

Die klare Quelle sich ins Enge schließet,

Von welcher gleichwohl Segnungen genießet

Ein Völklein Blumen, die den Rand ihr säumen –

 

Der wilde Jäger hat sie nie erspüret,

Man hat nicht Kund’ im Land von ihr vernommen,

Bis sie auf einmal im Gebirg’ versieget:

 

Da höret man, daß es die Herzen rühret,

Euch schrein, ihr armen Hirschlein, durstbeklommen,

Die ihr zu trinken sonst zur Quelle stieget.

 

 

 

IV.

 

Gehöret hab ich, und ich kann es schauen

An dieser Tränenstürme lautem Tosen,

Daß wohl die Vater- und die Mutterlosen

Und die Gebrechlichen und Altergrauen

 

Sonst hatten eine Mutter an der Frauen,

Der sie zu Grab jetzt folgen – für Almosen,

Die sie von ihr empfingen, jetzund Rosen

Aufs Grab ihr streun und Tränen drüber tauen.

 

Ihr sollt euch trösten! Auf dem Sterbebette

Hat sie noch ihrer Armen nicht vergessen. –

Wir alle, die wir ihren Heimgang ehren,

 

Sind Arme, die empfahn an dieser Stätte

Almosen, deren Wert nicht zu ermessen,

Davon die Herzen lang’ noch können zehren.

 

 

 

V.

 

Der Anblick einer Seele, die in Frieden

Mit Gott, der Welt und sich, des Amtes pflegte

Mit treuer Hand, das Gott in ihre legte,

Und, als der Herr sie abrief von hienieden,

 

Ihm willig folgte, ruhig ernst entschieden;

Selbst noch, als sich um sie der Jammer regte

Der Ihren, mit dem Troste, den sie hegte

In ihrer Brust, sie alle sprach zufrieden;

 

Der Anblick, der uns herrlicher und reiner

Erkennen läßt, daß über seiner Hülle

Der freie Geist besteht, der wandellose;

 

Das ist die große, hier wie sonst an keiner

Grabstätte je in also reicher Fülle,

An dieser uns gespendete Almose

 

 

 

VI.

 

Als von des Todes wohlerkannter Hyder

Das Gift sie fühlte sich zum Herzen schleichen,

Verließ der Ring, des Lebensbundes Zeichen,

Vorahnend, ihrer Hand gewelkte Glieder;

 

Und viel in Wasser, wie in Tränen nieder!

Ihn wollte drauf das Kind ihr wieder reichen;

Da sprach die Mutter, lächelnd beim Erbleichen:

Nicht mir! Dem Vater jetzt gehört er wieder.

 

Da fragen wohl die Mutter und den Vater

Des Kindleins Augen, wie das zu verstehen?

Verstanden aber hatt’ es wohl der Gatte.

 

Das Wort zerbrach sein Herz, und länger tat er

Nicht Widerstand dem heißen Strom der Wehen,

Den er bisher in sich verschlossen hatte.

 

 

 

VII.

 

In dieses Seins unsicherem Geschicke

Muß man sich fertig halten allerwegen,

Daß Gott der Herr, die Rechnung abzulegen,

Uns rufen könn’ in jedem Augenblicke.

 

Drum daß in Zeiten jeder recht sich schicke,

Des anvertrauten Guts mit Fleiß zu pflegen!

Damit dem Rechnungsabschluß er entgegen

So könne schaun, wie sie, mit heitrem Blicke.

 

Sie weiß ihr Haus in ihren letzten Stunden

Bestellt, daß auch nicht vor der Zukunft bangend

Sie sich läßt tragen über seine Schwellen.

 

Gott, der im Kleinen sie getreu befunden,

Wird jetzt, in seinen Himmeln sie empfangend,

Zu größrem Amte droben sie bestellen.

 

 

 

VIII.

 

Wir armen Lebenden, von Nacht umschlossen,

Die wir im Finstern können sehn nicht weiter,

Als auf des Todes nackte Schiffbruchscheiter,

Womit des Lebens Aussicht scheint geschlossen;

 

Indes in Mitte klagender Genossen,

Den man beklagt, der müde Lebensstreiter,

Drüber hinaus, wo alles hell und heiter,

Die Blicke hebt, von ew’gem Licht umflossen.

 

Der Mutter selbst mit unerzognen Kindern,

Dem Tagewerke, das sie nicht vollendet,

Ist die Beruhigung im Tod geblieben.

 

Die irdische Verwirrung kann’s nicht hindern,

Daß sie getrost den Blick zum Himmel wendet,

In dessen Hand sie rückläßt ihre Lieben.

 

 

 

IX.

 

Der Ackersmann streut auch die goldnen Samen

Vertrauungsvoll zur Herbstzeit in die Erde

Und kehret ruhig heim zu seinem Herde

Vom Acker, wann des Winters Stürme kamen;

 

Voll Zuversicht, daß, was in Gottes Namen

Er dort gesät mit seines Arms Beschwerde,

Der Segen Gottes nun auch fördern werde

Zum Lenze, wann die Stürm’ ein Ende nahmen.

 

So hat auch sie in ihrer Kindlein Herzen

Die guten Samen reichlich ausgestreuet,

Und kann vertraun auf die gesunden Keime;

 

Drum ist sie heimgegangen ohne Schmerzen

Und sieht dem schönen Wachstum still erfreuet

Von droben zu aus ihrer ewigen Heime.

 

 

 

X.

 

Drei Kindlein, die der Tod vor ihr bestattet

Und aufgehoben in des Himmels Schreine,

Sie riefen nieder aus dem sel’gen Scheine,

Von Sehnsucht nach der Mutter ganz ermattet:

 

Geschwister, die ihr stets die Mutter hattet,

Nicht billig ist’s, daß ihr sie habt alleine;

Wir wollen auch, daß sie jetzt uns sich eine,

Da sie so lange war mit euch gegattet.

 

Da ward den Kindlein droben auf ihr Bitten

Gegeben in die Hand ein Lilienstengel,

Und wurden nach der Mutter ausgeschicket.

 

Drum hat die Mutter sanften Tod erlitten,

Und sterbend rief sie aus: Es ist ein Engel,

Eins meiner Kindlein hat mich angeblicket.

 

 

 

XI.

 

Ihr Kindlein aber, die zurückgeblieben,

Und jetzt für euch allein des Lebens Flüge

Sollt wagen, ohne daß die Schwing’ euch trüge

Der Mutter, die in Asch’ ihr seht zerstieben.

 

Ihr sahet doch die Mutter euch noch lieben,

Noch lehren, leiten, habet noch zur Gnüge

Ins Herz euch prägen können ihre Züge,

Daß sie dort ewig bleiben eingeschrieben.

 

Das jüngste nur, des neugebornem Leben

Die Mutter selbst das ihre opfern mußte,

Dem Glied das Haupt sich opfern der Familie –

 

Ihm soll man drum der Mutter Namen geben,

Daß auch der Mutter Geist ins unbewußte

Sich senken müsse, weil es heißt Emilie.