1788-1866
I.
Am Achtzehnten des Julius, dem
Tage,
Wo prophezeiet war der Welt
Zerstören;
Daß die Propheten nicht ihr Recht
verlören,
Erscholl an diesem Tage
Totenklage.
Wes ist der Sarg, mit dem zum
Kirchhofshage
Die ganze Stadt in langen
Trauerchören
Wallfahret, daß man wirklich
sollte schwören,
Daß man hier eine Welt zu
Grabe trage?
Es ist ein Weib, das erst
gelebt im Stillen
Und kund jetzt giebt, wie
Zucht und reine Sitte
Und alle Weibestugenden sie
zieren.
Die Tränen, die auch fremden
Aug endquillen,
Sie sagen laut, daß die, aus
deren Mitte
Sie wird entnommen, eine Welt
verlieren.
II.
Mit Recht gerühmt wird, was
der alte Weise
Sprach, der, befragt einst,
welche Frau ihm scheine
Die allerbeste? gab zur
Antwort: Eine,
Von der man gar nicht hört,
daß man sie preise.
So weilt’ ich selbst in dieser
Mauern Kreise
Geraume Zeit, und Kunden hab
ich keine
Gehört von dieser; auch ihr
Nam’ alleine
Kam nie zu Ohren mir, nicht
laut, noch leise.
Nicht wissen konnt’ ich, ob
sie mochte leben;
Und jetzt erst, daß sie lebt’,
und wie sie lebte,
Hab’ ich erfahren, da sie ist
gestorben.
Nicht soll nach Ruhm das Weib im
Leben streben:
Das lehret sie, die, ohne daß
sie strebte
Nach Ruhm, den schönsten hat
im Tod erworben.
III.
Gleich wie ein stolzer Strom
mit lautem Schäumen
In weiten Ufern brausend sich
ergießet,
Die Lande nährt und tränket,
wo er fließet,
Doch oft auch tobt mit
ausgerissnen Bäumen;
Dagegen still in ungekannten
Räumen
Die klare Quelle sich ins Enge
schließet,
Von welcher gleichwohl
Segnungen genießet
Ein Völklein Blumen, die den
Rand ihr säumen –
Der wilde Jäger hat sie nie
erspüret,
Man hat nicht Kund’ im Land
von ihr vernommen,
Bis sie auf einmal im Gebirg’
versieget:
Da höret man, daß es die
Herzen rühret,
Euch schrein, ihr armen
Hirschlein, durstbeklommen,
Die ihr zu trinken sonst zur
Quelle stieget.
IV.
Gehöret hab ich, und ich kann
es schauen
An dieser Tränenstürme lautem
Tosen,
Daß wohl die Vater- und die
Mutterlosen
Und die Gebrechlichen und
Altergrauen
Sonst hatten eine Mutter an
der Frauen,
Der sie zu Grab jetzt folgen –
für Almosen,
Die sie von ihr empfingen,
jetzund Rosen
Aufs Grab ihr streun und
Tränen drüber tauen.
Ihr sollt euch trösten! Auf
dem Sterbebette
Hat sie noch ihrer Armen nicht
vergessen. –
Wir alle, die wir ihren
Heimgang ehren,
Sind Arme, die empfahn an
dieser Stätte
Almosen, deren Wert nicht zu
ermessen,
Davon die Herzen lang’ noch
können zehren.
V.
Der
Anblick einer Seele, die in Frieden
Mit
Gott, der Welt und sich, des Amtes pflegte
Mit
treuer Hand, das Gott in ihre legte,
Und,
als der Herr sie abrief von hienieden,
Ihm willig
folgte, ruhig ernst entschieden;
Selbst
noch, als sich um sie der Jammer regte
Der
Ihren, mit dem Troste, den sie hegte
In
ihrer Brust, sie alle sprach zufrieden;
Der
Anblick, der uns herrlicher und reiner
Erkennen
läßt, daß über seiner Hülle
Der freie
Geist besteht, der wandellose;
Das
ist die große, hier wie sonst an keiner
Grabstätte
je in also reicher Fülle,
An
dieser uns gespendete Almose
VI.
Als von des Todes
wohlerkannter Hyder
Das Gift sie fühlte sich zum
Herzen schleichen,
Verließ der Ring, des
Lebensbundes Zeichen,
Vorahnend, ihrer Hand gewelkte
Glieder;
Und viel in Wasser, wie in
Tränen nieder!
Ihn wollte drauf das Kind ihr
wieder reichen;
Da sprach die Mutter, lächelnd
beim Erbleichen:
Nicht mir! Dem Vater jetzt
gehört er wieder.
Da fragen wohl die Mutter und
den Vater
Des Kindleins Augen, wie das
zu verstehen?
Verstanden aber hatt’ es wohl
der Gatte.
Das Wort zerbrach sein Herz,
und länger tat er
Nicht Widerstand dem heißen
Strom der Wehen,
Den er bisher in sich verschlossen
hatte.
VII.
In dieses Seins unsicherem
Geschicke
Muß man sich fertig halten
allerwegen,
Daß Gott der Herr, die
Rechnung abzulegen,
Uns rufen könn’ in jedem
Augenblicke.
Drum daß in Zeiten jeder recht
sich schicke,
Des anvertrauten Guts mit Fleiß
zu pflegen!
Damit dem Rechnungsabschluß er
entgegen
So könne schaun, wie sie, mit
heitrem Blicke.
Sie weiß ihr Haus in ihren
letzten Stunden
Bestellt, daß auch nicht vor
der Zukunft bangend
Sie sich läßt tragen über
seine Schwellen.
Gott, der im Kleinen sie
getreu befunden,
Wird jetzt, in seinen Himmeln
sie empfangend,
Zu größrem Amte droben sie
bestellen.
VIII.
Wir armen Lebenden, von Nacht
umschlossen,
Die wir im Finstern können
sehn nicht weiter,
Als auf des Todes nackte
Schiffbruchscheiter,
Womit des Lebens Aussicht
scheint geschlossen;
Indes in Mitte klagender
Genossen,
Den man beklagt, der müde
Lebensstreiter,
Drüber hinaus, wo alles hell
und heiter,
Die Blicke hebt, von ew’gem
Licht umflossen.
Der Mutter selbst mit unerzognen
Kindern,
Dem Tagewerke, das sie nicht
vollendet,
Ist die Beruhigung im Tod
geblieben.
Die irdische Verwirrung kann’s
nicht hindern,
Daß sie getrost den Blick zum
Himmel wendet,
In dessen Hand sie rückläßt
ihre Lieben.
IX.
Der Ackersmann streut auch die
goldnen Samen
Vertrauungsvoll zur Herbstzeit
in die Erde
Und kehret ruhig heim zu
seinem Herde
Vom Acker, wann des Winters
Stürme kamen;
Voll Zuversicht, daß, was in
Gottes Namen
Er dort gesät mit seines Arms
Beschwerde,
Der Segen Gottes nun auch
fördern werde
Zum Lenze, wann die Stürm’ ein
Ende nahmen.
So hat auch sie in ihrer
Kindlein Herzen
Die guten Samen reichlich
ausgestreuet,
Und kann vertraun auf die
gesunden Keime;
Drum ist sie heimgegangen ohne
Schmerzen
Und sieht dem schönen Wachstum
still erfreuet
Von droben zu aus ihrer ewigen
Heime.
X.
Drei Kindlein, die der Tod vor
ihr bestattet
Und aufgehoben in des Himmels
Schreine,
Sie riefen nieder aus dem
sel’gen Scheine,
Von Sehnsucht nach der Mutter
ganz ermattet:
Geschwister, die ihr stets die
Mutter hattet,
Nicht billig ist’s, daß ihr
sie habt alleine;
Wir wollen auch, daß sie jetzt
uns sich eine,
Da sie so lange war mit euch
gegattet.
Da ward den Kindlein droben
auf ihr Bitten
Gegeben in die Hand ein
Lilienstengel,
Und wurden nach der Mutter
ausgeschicket.
Drum hat die Mutter sanften
Tod erlitten,
Und sterbend rief sie aus: Es
ist ein Engel,
Eins meiner Kindlein hat mich
angeblicket.
XI.
Ihr Kindlein aber, die
zurückgeblieben,
Und jetzt für euch allein des
Lebens Flüge
Sollt wagen, ohne daß die
Schwing’ euch trüge
Der Mutter, die in Asch’ ihr
seht zerstieben.
Ihr sahet doch die Mutter euch
noch lieben,
Noch lehren, leiten, habet
noch zur Gnüge
Ins Herz euch prägen können
ihre Züge,
Daß sie dort ewig bleiben eingeschrieben.
Das jüngste nur, des
neugebornem Leben
Die Mutter selbst das ihre
opfern mußte,
Dem Glied das Haupt sich
opfern der Familie –
Ihm soll man drum der Mutter
Namen geben,
Daß auch der Mutter Geist ins
unbewußte
Sich senken müsse, weil es heißt
Emilie.