Friedrich Schlegel                  An Camões

1772 – 1829

Wo Indiens Sonne trunknen Duft den Winden

Ausstreut, gedachtest du der hohen Kunden,

Wie Gama einst der Thetis sich verbunden,

Wolltest der Helden Haupt mit Ruhm umwinden.

 

O weh uns Armen, irdisch ewig Blinden!

Kaum war dein Bild dem wilden Meer entwunden,

Sahst du, von Alter, Sorge, Gram gebunden,

Den letzten König deines Volks verschwinden.

 

Wollust haucht in dem Liede, Seel entraubend,

Frohlockend kommt der Helden Schiff geflogen,

Tief unten braust ein Strom verborgner Klagen.

 

Sei Camões, denn mein Vorbild! Laß mich’s wagen,

Des deutschen Ruhms Urkunde aus den Wogen

Emporzuhalten, an die Rettung glaubend.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Farbensinnbild

1772 – 1829

Laß edlen Mut den weißen Alltag gründen,

Hoch Phantasie in Purpurflammen wehen,

Und Liebe wirst du bald im Zentrum sehen,

Wo grün die Feuersäulen sich entzünden;

 

Durch braune Locken wird sich Myrte winden,

Der Freund mit goldnen Früchten vor dir stehen,

Die Kinder dann in Blumen zu dir gehen,

Mit Ros’ und Lorbeer dich die Schwester binden.

 

Es war der alten Maler gute Sitte,

Des Bildes Sinn mit einem Strich zu sagen,

Der den Akkord der Farben drunter schriebe;

 

So mag auch dieses Lied es kühnlich wagen,

Zu deuten auf der Dichtung innre Mitte,

In Farben spielend um die süße Liebe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Die Verhältnisse

1772 – 1829

Rücksichten sind’s die unsern Blick berücken;

In Absicht jede Aussicht gleich erkalten,

Bis wir, eh wir uns umgesehn, veralten,

Und beugen dann, von Einsicht schwer, den Rücken.

 

Roh scheint’s, der Erde Blumen grade pflücken.

Wir möchten fein der Schonung Linie halten,

Der Liebe Leben künstlich klug verwalten,

Verständigung und mit Anstand uns erdrücken.

 

Wir sollen unbekannte Größen wählen,

Es sind zu wenig Gleichungen gegeben,

Drum hatt und hat’s ein sonderbar Bewendnis.

 

Denn, weil wir endlos rechnen, zweifeln, zählen,

Wird uns das klare, leichte, freie Leben

Ein einzig viel verschlungnes Mißverständnis.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Weise des Dichters

1772 – 1829

Wie tief im Waldesdunkel Winde rauschen,

Ihr Lied dazwischen Nachtigallen schlagen,

Der muntre Vogel singt in Frühlingstagen,

Daß wir dem fernen Ruf bezaubert lauschen;

 

So seht ihr hier jedwede Weise tauschen,

Betrachtung, linde Seufzer, tiefe Klagen,

Der Scherze Lust, der Liebe kühnes Wagen,

Und was den Seher göttlich mag berauschen.

 

Anklänge aus der Sehnsucht alten Reichen

Sind es, die bald sich spielend offenbaren,

Uns ihr Geheimnis bald im Ernst verkünden;

 

Sinnbilder, leise, des gefühlten Wahren,

Des nahen Frühlings stille Hoffnungszeichen,

Die schon in helle Flammen sich entzünden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  An Viele

1772 – 1829

Vergebens wollt ihr, daß mit eurem Sinne

Der Dichter eins und gleich sei, der verachtet,

Was trübe euren trägen Geist umnachtet,

Besorgt, wie das Verborgne er gewinne.

 

Der Dichter, der, wie fern die Zeit entrinne,

Vergangenheit als Gegenwart betrachtet

Und, während ihr nach Sterblichem nur trachtet,

Unsterblich, hier schon wird der Zukunft inne.

 

Als noch die Flammen strömten, Felsen klungen,

Die alte Riesenzeit der jungen Erde

Ist nah ihm gegenwärtig, gleich wie heute.

 

Und wieder grüßt und ruft von fern sein Werde

Den Frühling Gottes, daß er uns erneute,

Hat seine Ankunft froh schon jetzt besungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Der Dichter

1772 – 1829

Der schwarze Mantel will sich dichter falten,

Die freundlichen Gespräche sind verschollen;

Wo allen Wesen tief Gesang entquollen,

Da muß die stumme Einsamkeit nun walten.

 

Es darf den großen Flug das Herz entfalten,

Und Phantasie nicht mehr der Täuschung zollen;

Was farbig prangt, muß bald ins Dunkel rollen,

Nur unsichtbares Licht kann nie veralten.

 

Willkommen, heil’ge Nacht, in deinen Schauern!

Es strahlt in dir des Lichtes Licht dem Frommen,

Führt ihn ins große All aus engen Mauern;

 

Er ist ins Innere der Natur gekommen

Und kann um ird’schen Glanz nun nicht mehr trauern,

Weil schon die Binde ihm vom Haupt genommen.

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Bündnis

1772 – 1829

Wo mehre bildend sich in Eins verbunden,

Gewinnt der Künstler seines Daseins Mitte,

Weiß nun, wohin er richten soll die Schritte,

Und sieht die Teile sich zum Ganzen runden.

 

In neuer Jugend wird die Kraft gesunden,

Die fort von Stuf’ und Stufe höher schritte,

Und wenn man noch so starke Schmerzen litte:

Die Bildung bleibt, es fliehen nur die Stunden.

 

Es darf der Mensch von Herzensgrund nur wollen,

Mit Mut sich schließen an die mut’gen Brüder,

Den festen Sinn vom Ziele nimmer wenden;

 

So muß ihm jeder Stoff Gestaltung zollen,

Die höchsten Würden steigen zu ihm nieder,

Er kann des Lebens Kunstwerk groß vollenden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Der Dichter

1772 – 1829

Was wünschen und was streben alle Sinnen? –

Sie möchten wieder in das All verschweben.

Was ist das höchste Ziel von allem Streben?

Es will der Mensch, wenn er verklärt von hinnen.

 

Drum wollt ihr, sel’gen Götter! Dank gewinnen

Von dem, der hohem Dienste sich ergeben,

In heiliger Natur nur lebt sein Leben,

So laßt ihn schnell in leichten Duft zerrinnen.

 

Es schwebt die Seele gern auf süßen Tönen,

Und lauschet sinnend, was es wohl verkünde,

Ob auch die Gottheit schon den Wunsch gewähre.

 

Sie wünscht sich im Gesang so zu verschönen,

Daß ihren Leib das Flammenspiel entzünde,

Sie selbst in leisen hauch sich bald verkläre.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Bildnisse

1772 – 1829

Erstes

 

Der Blume gleich, die sich zur Sonne wendet,

Erhebt das schöne Haupt, so sanft gebogen,

Von seidner Locken Heil’genglanz umflogen,

Das Auge, das zum Himmel Strahlen sendet.

 

Die edle Nase, die so sinnreich endet,

Der hohe Mund, der glatten Stirne Bogen,

Der Wange braun, von Röte angeflogen,

Sie scheinen ganz nur Harmonie vollendet.

 

wer sieht den Wurm an dieser Blume nagen?

Wer ahndet nahen Tod so schöner Hülle,

Die Schmerzen, die des Knaben Herz umwinden?

 

Zerrissen in der Harmonien Fülle,

Scheint mitleidsvoll der stille Geist zu sagen:

Das Schönste muß, erscheinend euch, verschwinden.

 

 

 

 

 

 

Zweites

 

Die hellen Blitze hätten uns geblendet

Des Auges, das kein Nebel noch betrogen,

Wenn Anmut selbst den Umriß nicht gezogen,

Und jedes Lächeln um den Mund verschwendet.

 

Dem Himmel scheint der Mienen Spiel entwendet,

Das, wie Musik enteilt, auf schnellen Wogen,

Dem ird’schen Blicke oft zu rasch entflogen,

Eh’ er dem Scherz die Freude nachgesendet.

 

Wer sieht den Mund nicht leise spottend fragen?

Wer wähnt, daß er dem Auge sich verhülle?

Wer möchte dieser Stirn nicht Kränze winden?

 

Ob sich nur Freude kindlich hier enthülle,

Ob zarte Geister neckend selbst sich plagen,

Darauf wird keiner wohl die Antwort finden.

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  An die Jungfrau

1772 – 1829

Die hohen Augen werden mich verzehren,

Maria, große Mutter, ach verschone!

Verbirg das lichte Haupt, die Strahlenkrone;

Wie soll ich sonst dem irren Wahnsinn wehren?

 

Du selber, Heil’ge, mußt mich Sanftmut lehren,

Daß schöner Tod, geweiht vom ew’gen Sohne,

Am Kreuz der Liebe meine Sehnsucht lohne.

Was ich beginne, muß die Glut vermehren.

 

So blicke wieder und dann laß mich sterben! -

Wie eilt’ ich schnell durch dieser Erde Schwächen!

Früh oder spät muß alles so verderben.

 

Aus Liebe einzig floß, was ich verschuldet;

In Liebe will das Herz, Madonna, brechen,

Des irre Liebe gnädig du geduldet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Abschied des sterbenden Sängers

1772 – 1829

In Liebe lebend streb’ und bilde Werke,

Verklär’ im Farbenglanz geliebte Leiden,

Und mal’ in Liedern, die kein Licht beneiden,

Des Feuers Schönheit, das dich ewig stärke.

 

Nun wisse, daß ich mich verschwinden merke.

Die Liebe will, ich soll vom Leben scheiden,

Der Freude Heimat mußt’ ich lange meiden,

Berauschend raubt Musik die letzte Stärke.

 

Mein einzig Leben war, den Tod verschönen.

Der andern tiefgefühlte Not beweinen,

War sterbend Lust dem trostberaubten Herzen.

 

Und weint dein Geist bei den zerrißnen Tönen,

So werd’ ich selber dir alsbald erscheinen

Mit leiser Stimme in den wilden Schmerzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Julius

1772 – 1829

O Lust, im Geist des Freundes sich vertiefen,

gleich ihm zu werden, ihn wie sich zu sehen,

Was er je sein kann, wissen wie geschehen,

Die Welten klar geschaut, die in ihm schliefen!

 

So viel Geheimes wir ans Licht auch riefen,

Und achten nichts den Schmerz der geist’gen Wehen,

Sein Erstes kann wohl nie der Geist verstehen,

Schaut da verstummt in unerforschte Tiefen.

 

So schlägt die zarte Liebe selbst sich Wunden,

Der Freund auch scheint von fern uns nur zu nahen,

Das Schönste dennoch arm dem vollen Triebe:

 

Doch gleicht dem ersten Blick, den wir uns sahen,

Der andre, als der höchste Freund gefunden,

Das Licht des Ein’gen neu verklärt die Liebe.

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Lorenzo

1772 – 1829

Mit schönen Kindern will wohl jeder scherzen.

Doch wollt ihr euren Scherz zu ernsthaft geben,

So wird die leichte Schönheit leicht entschweben,

Und ihr der guten Kinder Gunst verscherzen

 

Wünscht ihr der höchsten Freude süße Schmerzen,

So müßt ihr nie gesättigt strebend leben,

Die Gabe hingegeben neu erheben,

und kindlich tändeln mit den zarten Herzen.

 

Das Scherzen mit dem Scherz ist was sie suchen.

Man darf es ihnen wahrlich nicht verdenken;

Es hat der Ernst zu weit Besitz genommen.

 

Zwar soll der Mensch nur was er kann versuchen,

Doch sollten alle billig wir bedenken:

Aus einem Scherz ist aller Scherz gekommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                   Antwort

1772 – 1829

So ist der Rednerlippe spott entflossen,

daß wir unendlich am Geliebten hangen,

Den höchsten Rausch schon fühlen im Verlangen,

Der Lust nicht schnell entfliehn, wenn sie genossen?

 

Kennt ihr den hohen Ernst im Scherz verschlossen?

Versteht ihr das Erröten junger Wangen?

Oft muß die Frau an dessen Brust ja bangen,

Für den sie gern die Seele hingegossen.

 

Zerflossen ist der Geist im süßen Feuer,

Doch gleicht die reine Lust der weißen Lilie,

Scheut nicht den Blick der göttlichen Aurora;

 

Die Erde wird zum Garten der Familie,

In Liebe alles Leben schön und teuer,

Die kühnsten Freuden dann des Himmels Flora.

 

 

 

 

 

 

 

Friedrich Schlegel                  Calderon

1772 – 1829

Ein Zaubergarten liegt im Meeresgrunde;

Kein Garten, nein, aus künstlichen Krystallen

Ein Wunderschloß, wo blitzend von Metallen,

Die Bäumchen sprossen aus dem lichten Grunde;

 

Kein Meer, wo oben, seitwärts, in die Runde,

Farbige Flammenwogen uns umwallen,

Doch kühlend, duftend alle Sinne allen

Entrauben, süß umspielend jede Wunde.

 

Nicht Zaub’rer bloß von diesen Seligkeiten,

Bezaubert selbst wohnet, zum schönsten Lohne,

Im eignen Garten selig selbst der Meister;

 

Drum sollen alle Feen auch bereiten

Des Dichterhimmels diamantne Krone,

Dir, Calderon! du Sonnenstrahl der Geister.