August Wilhelm Schlegel          Johannes in der Wüste

1767 -  1845

Ein starker Jüngling, kühn zur Tat und schnell,

Entreißt Johannes sich bewohnten Stätten.

Er liebt, in öde Klüfte sich zu betten,

Die Hüften gürtet ihm ein rauhes Fell.

 

Einfältig wird sein Sinn, sein Auge hell;

Nichts Niedres kann ihn an die Erde ketten;

Und sein Geschlecht vom Untergang zu retten,

Sucht er in sich der Gottheit Lebensquell.

 

Er sitzt am Felsen, dessen Born ihn tränket,

Da steigt vor seiner Seel empor ein Bild,

Das er mit sel’gem Staunen überdenket.

 

Es ist des Menschen Sohn, so groß als mild.

Der ernste Seher hält sein Haupt gesenket:

Ach, gegen dich, wie bin ich streng und wild!

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel          Die Brüder

1767 -  1845

Der große Pollux, als im Kampf zerschmettert

Kastor, der schöne, lag vor seinen Füßen,

Rief, sein unsterblich’ Leben zu beschließen,

Des Vaters Rechte, die aus Wolken wettert.

 

Zeus ordnet, daß sie, jener halb vergöttert,

Halb Schatte der, ihr wechselnd’ Los versüßen

O Wunderliebe, die mit holden Grüßen

Den Orkus aufhellt, den Olymp entgöttert!

 

Du Zwillingssohn des Himmels und der Erden,

O Mensch! So folge, was in dir unsterblich,

Den Sterblichen in Lust wie in Beschwerden.

 

Dir ist nur so der Stand der Götter erblich;

So wird dein Ew’ges sichtbar lieblich werden,

Dein Ird’sches rein, stark, würdig, unverderblich.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel          Unkunde

1767 -  1845

Wie endigt Heut’? Und was wird Morgen bringen?

Wer kann mir sagen, ob gestreute Saaten,

Heilsam an sich, mir nicht zum Gift geraten?

Was fremder Willkür mag an mir gelingen?

 

Vergebens zeugt Erfahrung von den Dingen

Und zeichnet sorgsam auf der Vorwelt Taten:

Selbst Weisheit weiß untrüglich nicht zu raten,

Wo Kräfte blindlings durcheinander ringen.

 

Den ew’gen Schlangenkreis, der uns umfahet,

Könnt überschauen nur des Schicksals Wächter;

Uns schwindet eines, wenn das andre nahet.

 

Die Zukunft steht als Sphinx in düstern Fernen

Und schlingt hinab so Menschen wie Geschlechter,

Eh ihre Rätsel sie zu lösen lernen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel          Anhänglichkeit

1767 -  1845

Oft will die seele ihre Flügel dehnen,

Gestärkt von der Betrachtung reiner Speise;

Ihr dünkt im engen wiederholten Gleise

Ihr Tun vergeblich und ihr Wissen Wähnen.

 

Sie fühlet tief ein unbezwinglich’ Sehnen

Nach höhern Welten, freierm Tatenkreise,

Und glaubt, am Schluß der Bahn, nach ird’schr Weise,

Roll erst der Vorhang auf zu lichtern Szenen.

 

Doch rührt der Tod den Leib ihr, daß sie scheide,

So schaudert sie und sieht zurück mit Zagen

Auf Erdenlust und sterbliche Gespielen.

 

Wie einst Proserpina, von Ennas Weide

In Plutos Arm entführt, kindlich im Klagen,

Um Blumen weinte, die dem Schoß entfielen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel          Ewige Jugend

1767 -  1845

Nicht bloß die Blume welkt, das Luftgewebe

Der Frühe reißt, entflieht des Lenzes Prangen,

Nicht bloß erbleichen junge Rosenwangen;

Dem Geist auch droht’s, daß er sich überlebe.

 

Wie kühn er erst auf freien Flügeln schwebe,

Dumpf gnügsam bleibt er bald am Boden hangen.

O, wißt ihr für sein grenzenlos’ Verlangen,

Weis’ oder Dichter, keinen Trank der Hebe?

 

Nichts wähn er sein; Besitztum ist ihm Schranke;

Ruh Tod; ein ew’ger Kampf der Freiheit Wesen.

Es kümmr ihn nie, was hinter ihm versunken.

 

Vernichtend, schaffend wechsle der Gedanke,

Das Reinste sei zum Flammengrab erlesen,

Wo ihn, verjüngend, treffe Gottes Funken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel          Auf den Dramenschreiber A. v. Kotzebue

1767 -  1845

Vom Idealen schwatzt man viel und Edeln,

Du aber weißt bei menschlichen Gebrechen,

Vergiften, Lügen, Rauben, Jungfernschwächen,

Das Edle noch durchs kleinste Loch zu fädeln.

 

Was sag ich erst vom edlen Geldvertrödeln?

Vom edlen Fluchen? Tabakspfeifenbrechen?

Ja deine Feinde selber müssen sprechen,

Daß edel auch bei dir die Hunde wedeln.

 

Drum öffnen dir sich gern die Tränenschleusen.

Wer nicht an Menschheit glaubt, geh ins Theater,

Es seh dein Publikum und dich, und lern es.

 

Du machst zerbrochne Puppen uns zu Waisen,

Saugst Rührung über Mutter, Kind und Vater

Am Nasenzipfel eines Holofernes.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel          Dichtersinn

1767 -  1845

Obschon der Jünger ungehirnte Rotte

So frech entweiht des Sängers hohes Amt,

Obschon das Volk zu schlaffem Lob und Spotte

Manch halbverstandnes Götterlied verdammt:

 

Doch schwör ich Huldigung dem Musengotte,

So wahr ein Funk’ in mir vom Himmel stammt!

Oft hat er in der Aonidengrotte

Mit Wundersprüchen meinen Geist entflammt.

 

Ich will nicht Ruhm, ich will nicht Lorbeerkronen;

Wer nicht um ihretwillen Phoebus’ Kunst

Mit Liebe pflegt, erbuhlt nicht Phoebus’ Gunst.

 

Des Dichters Werk soll seinem Schöpfer lohnen.

Sein goldner Pfeil ereilet rasch das Ziel,

Und ihm genügt sein stilles Selbstgefühl.

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel          Meine Wahl

1767 -  1845

Geschäft und Sorge wohnt am dürren Strande

Und kann dem engen Kreislauf nicht entgehen;

Doch Phantasie lockt über ferne Seen

An sel’ge Inseln, wunderbare Lande.

 

Wie freudig lös ich meines Schiffleins Bande,

Was Ahndung spielet, nah enthüllt zu sehen!

Die Geister ungeborner Lieder wehen

Durch meiner Segel schwellende Gewande.

 

Verbrüderte Gefährten seh ich schweben:

Was schrenckte wohl, daß ich dahinten bliebe?

Es leuchten milde Sterne, droht kein Wetter.

 

So leit, o süße Poesie, mein Leben;

Du Jugend in der Jugend, Lieb’ in Liebe,

Natur in der Natur, Gottheit der Götter!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel          Der hl. Sebastian

1767 -  1845

Sebastian, römischen Geblüts ein Krieger,

Schwur zu den Fahnen, die unsterblich lohnen.

Den Märtyrern wies er die lichten Kronen,

Und mancher ward, von ihm ermutigt, Sieger.

 

Der Imperator hört’s ergrimmt. Betrüger!

So willst du mir und unsern Göttern lohnen?

Ergreifst ihn augenblicklich, Centurionen!

Als Wurfziel seiner eignen schar erlieg er.

 

Vom Pferd gerissen, aller Waffenzierde

Entkleidet, sieht er still dem Kampf entgegen,

An einem Baum mit Banden festgeschlungen.

 

Die Köcher leert nun grausame Begierde:

Doch so viele Pfeile hann die Brust nicht hegen,

Als von des Heilands Liebe sie durchdrungen.

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Narcissus

1767 -  1845

                                                               O Nymphe! sprach Narcissus zu der Quelle,

Du Spiegel! Bett des fern und nahen Lieben!

Du Tafel, wo sich Schönheit eingeschrieben,

Und meiner Wünsch’ unüberstiegne Schwelle!

 

Nicht töricht mehr umarmend deine Welle

Will ich die zarte Malerei dir trüben,

Laß mich in mich sie fassen, bei dir drüben,

Indem ich weinend dich gelinde schwelle.

 

Doch wenn ich nun mich ganz in dich ergossen:

Wer weiß, ob ich dies Bild in mir nicht misse,

Und wieder mich aus mir hinweg muß sehnen?

 

Er sagt’ es, und sein Leben war entflossen,

Doch neigt, nicht mehr Narcissus, die Narcisse

Den schwanken Stiel noch stets zum Bach der Tränen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Ave Maria

1767 -  1845

Die Jungfrau ruht, nur Demut ihr Geschmeide,

Im Abendschatten an der Hütte Tor.

Sie weiß nicht, daß sie Gott zur Braut erkor,

Doch stilles Sinnen ist ihr Seelenweide.

 

Da sieh! ein Jüngling tritt im lichten Kleide,

Den Palmenzweig in seiner Hand, hervor.

Voll süßen Schauers bebet sie empor,

Denn seine Stirn ist Morgenrot der Freude.

 

Gegrüßt, Maria! tönt sein holder Mund

Und tut das wundervolle Heil ihr kund,

Wie Kraft von oben her sie soll umwallen.

 

Und sie, die Arm auf ihre Brust gelegt,

Wo sich’s geheim und innig liebend regt,

Spricht: mir geschehe nach des Herrn Gefallen.

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Mater Dolorosa

1767 -  1845

Der Blutaltar, für Gottes Lamm bereitet,

Hat sein geweihtes Opfer schon empfangen;

Und reuevolle Brüder zu umfangen,

Hält Christ am Kreuz die Arme ausgebreitet.

 

Er sieht voll Huld, die ihn hinausbegleitet,

Der Treuen Schar in namenlosem Bangen:

Sie schaun auf ihn mit schmerzlichem Verlangen,

Was noch sein Wink für Tröstung ihnen deutet.

 

Der Mutter Antlitz blaßt in Todesschauer,

Die tränenlosen Augen sind verglommen,

Ihr stummer Mund vermag nicht mehr zu flehen.

 

Kein sterblich Weib erfuhr so tiefe Trauer.

Das prophezeit’ ihr einst das Wort der Frommen:

Es wird ein Schwert durch deine Seele gehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Auf eine Cleopatra von Guido

1767 -  1845                                        mit der Schlange am Busen

 

Wie schlank ihr Leib im Schlummer hingegossen

Auf Flaum sich wiegt, von keiner Hüll’ umfangen!

So goldnes Haar ist auf so schöne Wangen,

So zarten Hals, noch nie herabgeflossen.

 

Doch Todesnacht hat schon ihr Aug umschlossen,

Den Lippen ist der kühne Geist entgangen;

Sie selber gab den Stichen wilder Schlangen

Die Lilienblüten, die am Busen sprossen.

 

O Heldin, hätte dich ein Gott betrogen,

Und deinen Reiz dem Orkus doch entzogen!

Oft hat ja Liebe Götter umgestaltet.

 

Hielt nicht der Fürst, der mit dem Donner waltet,

Als Schlang’ Olympien in Liebesknoten?

Du hättest ihm der Wonne mehr geboten.

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Deutung

1767 -  1845

Was ist die Liebe? Lest es, zart geschrieben,

Im Laut des Worts: es ist ein innig Leben;

Und Leben ein im Leib gefesselt Streben,

Ein sinnlich Bild von ewig geistgen Trieben.

 

Der Mensch nur liebt: doch ist sein erstes Lieben

Der Lieblichkeit des Leibes hingegeben.

Will sich, als Leibes Gast, der Geist erheben,

So wird von Willkür die Begier vertrieben.

 

Doch unauflöslich Leib und Geist verweben

Ist das Geheimnis aller Lust und Liebe;

Leiblich und geistig wird sie Quell des Lebens.

 

Im Manne waltet die Gewalt des Strebens;

Des Weibes Füll umhüllet stille Triebe:

Wo Liebe lebt und labt, ist lieb das Leben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Licht und Liebe

1767 -  1845

Nicht bloß spielt aus des Sonnenstrahles Reine

Die ganze Farbenwelt; die glühnde Helle

Wird auch auf Erden hoher Farben Quelle,

Die sie hervorruft, gleich als Widerscheine.

 

Da brennen Blumen, regt durch goldne Haine

Sich des Gefieders tausendfärbge Welle,

Das Raubtier schleicht in buntgestreiftem Felle;

Und in der Tiefe funkeln edle Steine.

 

So reift der Liebe Glut und heiß Erröten,

Wie Sonnenkraft die irdischen Naturen,

Zum Farbenglanz der Phantasie Gebilde.

 

Ihr ebnen sich smaragdner die Gefilde,

Ihr wölbt der Himmel voller die Azuren,

Wo schöner zuckend auch die Blitze töten.

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        An Bürger

1767 -  1845

Süßer Sänger, willst du mir vertrauen,

Wo sie wohnt, die dein Gesang erhebt?

Wo sie wandelt, wo ihr Odem webt,

Muß Gedeihn und Lust die Flur bethauen.

 

Wie? Du winkst mir, da hinauf zu schauen,

Wo der Feuertanz der Sterne schwebt?

Die im Liede lieblich blüht und lebt,

Weilt sie schon auf Paradiesesauen?

 

Sänger, deine Müh’ wird doch belohnt.

Einsam klagst du nicht am Grabeshügel;

Jedem Klange gabst du Seraphsflügel.

 

Wo bei Laura deine Molly wohnt,

Hören beyde, zart wie Tauben girren

Durch die Amaranthuslaub’ ihn irren.

 

 

 

August Wilhelm Schlegel        Der Reiz der Unschuld

1767 -  1845

Die Jungfrau ist der Rose zu vergleichen,

Die aus der Hüll’ am Mutterstocke bricht.

Da, wo sie blüht, umzäumt von Schattensträuchen,

Naht sich kein Hirt, da weiden Herden nicht.

 

Ihr glänzt der Thau, ihr lacht Aurorens Licht,

Es scheint der Bach verbuhlt sie zu umschleichen.

Der Zephyr küßt ihr Purpurangesicht,

Um dann, mit Duft beladen, zu entweichen.

 

Kaum aber ist dem Stamm die Ros entpflückt,

Kaum hat die Jungfrau, was sie wie ihr Leben

Bewahren soll, die Unschuld hingegeben,

 

So ist der Reiz, der beyde sonst geschmückt,

Und jedes Herz zur Huldigung bewogen

Schnell, wie der Blitz, in alle Welt entflogen.