19. Jhdt. Sonettenkranz
I.
Der Frühling naht! o
wunderbares Walten.
Ein Jüngling, herrlich, kehrt
der Lenz uns wieder,
Aus blauem Äther strahlt sein
Blick hernieder,
Und alles muß sich hehr und
neu entfalten.
In hohen Frühlingszaubers
Allgewalten
Umwebt und trägt uns Majas
Goldgefieder –
Am Bache tönen frohe
Hirtenlieder
Und schweben holder Horen
Luftgestalten.
Der Frühling naht! und tausend
Hymnen schallen,
Die Blüten springen,
Balsamdüfte wallen
Das Fest der Auferstehung zu
bekunden.
Es weicht der Tod, des Winters
Schrecken fliehet,
Ins Land hinein, ins Herz der
Sieger ziehet:
Es grüßt der Lenz, von goldnem
Glanz umwunden.
II.
Es grüßt der Lenz, von goldnem
Glanz umwunden,
Von Nah und Fern tönt helles
Festgeläute,
Und Alles preist die
Auferstehung heute,
Und Alles hat der Ostern Heil
empfunden.
Denn sieh’ des Todes Schrecken
sind geschwunden,
Der grimme Winter ward des
Siegers Beute,
Und wen des Frühlings Wonne
sonst erfreute,
Dem schallen wieder frohe
Lenzeskunden.
Und wo des Maien Majestät
gewallet,
Da regt das All sich
neubelebend wieder
Und Flur und Wald sind
blütendicht umwunden;
Durch Berg und Thal der
Schöpfung Preis erschallet,
Die Lerche jubelt
Auferstehungslieder
Und Alles jauchzt, die Wunder
zu bekunden.
III.
Und alles jauchzt, die Wunder
zu bekunden
Der sel’gen Frühlingszeit im
sonn’gen Scheine –
Doch nimmer winkt uns mehr die
Zeit, die Eine,
Die gold’ne Zeit, auf ewig
hingeschwunden.
Die goldne Zeit, vom ew’gen
Lenz umwunden,
Wo Götter walleten im heil’gen
Haine,
Wo nimmer Zwietracht, nirgend
Totenbeine
Das Feld besät in tausend blut’gen
Wunden.
Dieweil die Sünde hat den Tod
gefordert,
Drum ward das erste
Menschenpaar vertrieben
Dem Paradies, dem heiligsten
Entfalten. –
Doch weil der Sühne reuig
Opfer lodert
Ist uns die kurze
Frühlingszeit geblieben,
Die Wunder, die dem Blick vorüberwallten,
IV.
Die Wunder, die dem Blick
vorüberwallten,
Wie leben sie in immer neuem
Leben –
Und was könnt’ mehr der Wunder
Fülle geben
Als neue Liebe nach dem
Schlaf, dem kalten.
O wie durchströmest du des
Herzens Falten,
Du heil’ge Liebe in des
Frühlings Weben,
Wie strahlest du in
wonnevollem Streben
Ins trübe Herz in holden
Lenzgestalten. –
Und wie der Frühling immer neu
erblühet,
So uns der Liebe Fackel ewig
glühet,
Schlug auch des Winters Grauen
herbe Wunden.
Drum laßt den Lenz getrost
vorüberschweben,
Sein Scheiden wird uns neue
Wunder geben:
Denn sieh! schon nahn des
Sommers sel’ge Stunden!
V.
Denn sieh! schon nahn des
Sommers sel’ge Stunden!
Wir sehn die reichste Fülle
uns umfließen
Und berg und Thal und Au und
Wald und Wiesen
Bedeckt mit Segen, hat das Aug’
gefunden.
Der Sommer kam, nachdem der
Lenz geschwunden;
Der blüh’nde Jüngling mußt’
zum Mann ersprießen,
Und naht, den goldnen Frieden
zu genießen,
Als Friedensfürst, von goldnem
Schein umwunden.
Er naht als König, hoch auf
goldnem Throne,
Das blüh’nde Scepter ruht in
seiner Rechten
Und heil’ger Schein entstömt
des Mantels Falten;
Es winden Grazien ihm die
Fürstenkrone –
Den Blütenkranz ins goldne
Haar zu flechten,
Es mußt’ der Rose Pracht sich
neu entfalten.
VI.
Es mußt der Rose Pracht sich
neu entfalten,
Denn König Sommer zieht der
Flur entgegen;
Auf blühn’dem Pfad, auf
blumenreichen Wegen,
Nichts kann der Aehre glühend’
Schwellen halten.
Wie prangt die Flur in sonnig,
wonn’gem Walten,
Wie preist das Feld des
Himmels Erntesegen,
Wie labt den dürren Strauch
der frische Regen,
Wie dankt die Welt dem großen
Gott, dem alten.
Und Alles jauchzt in trauten
Waldbezirken,
Auf duft’ger Flur, dem
nimmerruhnden Wirken,
Und lobt und preist das
wonnigste Entfalten. –
Und wo sich Zephir, Flora
schelmisch necken,
Die Vöglein rufen süß aus den
Verstecken:
O liebt euch innig, liebende
Gestalten!
VII.
O liebt euch innig, liebende
Gestalten!
So klang der Vöglein Lied aus
grünem Baume
Als du und ich im schatt’gen
Waldesraume
In sel’ger Lust der Liebe
Pfade wallten.
O heil’ge Stunden, die der
Liebe galten,
O holde Wirklichkeit im
frommen Traume,
Wo wir an jenes Berges grünem
Saume
Der Liebe süßes Zwiegespräch
gehalten.
O welche Seligkeit wir da empfunden.
–
Wie blieb mein Mund an deinen
Lippen hangen,
Da ward dein süßes Jawort mir
zu eigen. –
Und wieder schallt es uns aus
grünen Zweigen:
O liebe fort, wer so sich hold
umfangen,
In Lieb’ und Treue inniglich
verbunden!
VIII.
In Lieb’ und Treue inniglich
verbunden
Wir doch Ein Herz und eine
Seele waren.
O, denkt ihr noch der Lust aus
jenen Jahren?
O, denkt ihr Theuren, noch der
sel’gen Stunden?
Wo wir der Freude schönsten
Kranz gewunden,
Des Lebens Sommer tief und
frisch erfahren,
Wo wir gestreift in frohen
Jugendschaaren
Durch Wald und Feld so frei,
so ungebunden.
Nun sind der Jugend Freuden
längst geschwunden,
Verklungen ach, des Frühlings
Jubelkunden,
Verwelkt die Rose auf des
Sommers Wegen. –
Doch ob auch Lenz und Sommer
ruh’los schwanden,
Hat tief mein Herz der
Schöpfung Ruf verstanden:
Nach Sommers Freuden lacht des
Herbstes Segen!
IX.,
Nach Sommers Freuden lacht des
Herbstes Segen
Nicht wie auf Nacht der junge
Morgen blühet
Und neuen Segen Eos Fackel
sprühet
Aus fernem Osten leuchtend uns
entgegen:
Nein! – wie nach heißen Tages
Thun und Regen –
Wo wir von Sorg’ und Schaffen
abgemühet –
Uns Hesperus mild lächelnd
grüßt und glühet:
So strahlt des Herbstes Füll’
auf allen Wegen.
Und weit und breit, wohin die
Blicke ragen,
Liegt uns der Schöpfung
Psalter aufgeschlagen,
Muß die Natur ihr Segenshorn
erschließen.
Und in der Abendsonne goldnem
Strahle
Sehn wir ohn’ End’ vom Himmel
her zu Thale
In hellen Strömen neue Wunder
fließen.
X.
In hellen Strömen neue Wunder
fließen!
Und Alles lacht, wohin das
Auge schweifet!
Die bunte Frucht, sie ist für
uns gereifet,
Wie einst für uns die bunten
Blüten sprießen.
Kommt, laßt des Herbstes Segen
uns genießen;
Die Äpfel pflücken, feuerroth
gestreifet!
Nicht ruh’ die Hand, ob noch
so viel sie greifet
Der süßen Frucht, die sich das
Herz erkiesen.
Und dort, wo blaue Berge sich
erheben,
O Zauberfüll’ – sehn wir
herniederschweben
Den Traubengott zum
fürstlichen Gelage; -
Als würd’ zur Wahrheit heut
die graue Sage,
Als kläng’s zum Evoë! durch
Flur und Hage:
Heil Noah! der den Nektar uns
gegeben!
XI.
Heil Noah, der den Nektar uns
gegeben!
Ihr Winzer, singet eurer
Frucht zum Preise!
Stimmt an den Lobgesang in
heller Weise,
Besingt das Fleisch, besingt
das Blut der Reben.
Ihr Winzerinnen, naht als blüh’nde
Heben,
Kredenzt den goldnen Wein dem
trauten Kreise,
Reicht her der rothen Traube
süße Speise
Und wehrt uns nicht den glüh’nden
Kuß zu geben!
Auf Brüder! laßt uns singen,
lieben, trinken,
Laßt uns des Lebens höchste
Füll’ genießen,
Laßt jubelnd uns zum vollen
Becher legen.
Und will der Herbst den
Abschiedsgruß uns winken,
Getrost den Wein in unsre
Kehlen gießen:
Des Winters Schlaf muß neue
Wonne hegen. -
XII.
Des Winters Schlaf muß neue
Wonne hegen,
Des Winters Ruh muß neue Lust
gebären;
Der Zweige Grün wird herrlich
wiederkehren,
Ob auch die Wälder rings sich
schlummern legen.
Des Winters Ruh’, auch sie hat
ihren Segen.
Wohl schlafen nun die Felder
all, die leeren,
Vor grimmer Kälte muß die
Decke wehren
So blendend weiß, die ruh’nde
Flur zu pflegen.
Im Frühling strahlt die
Blütenpracht, die holde;
Die Fluren, Sommers, stehn im
Ährengolde;
Der Herbst läßt Frucht und
edlen Wein uns fließen:
Dahin die Zeit im Schmuck der
Blütendolde,
Heut läßt der Winter seine
Frucht genießen,
Im tiefsten Frieden heil’ge
Wünsche sprießen.
XIII.
Im tiefsten Winter heil’ge
Wünsche sprießen
Aus frommen Herzen, die sich
kindlich neigen,
Wenn heller Kerzenstrahl aus
grünen Zweigen,
Aus hellen Augen
Freudenstrahlen schießen.
Wenn um den lichten
Weihnachtsbaum sich schließen –
Das Herz voll Wonne – froher Kinder
Reigen,
Wenn Alle staunend stehn, in
tiefem Schweigen,
Erwartungsvoll die Schätze zu
genießen.
Wo unter Hosianna! heil’gen
Psalmen
Und lichtverklärt, mit gold’nen
Friedenspalmen
Im Traume Himmelsboten uns
umschweben.
Wo Alt und Jung von jenem
Stern erzählet,
Den sich die Weisen zum Geleit
erwählet:
Emporzuwallen einst zum neuen
Leben.
XIV.
Emporzuwallen einst zum neuen
Leben
Ruht die Natur im tiefen
Schlummer heuer,
Und weit und breit, so
Königsschloß auls Scheuer,
Zeigt an mit weißem Haupt den
Winter eben.
Doch wir ins traute Zimmer uns
begeben
Und froh uns schaaren um das
helle Feuer,
Erzählend alter Sagen
Abenteuer,
Und trinkend froh den reinen
Saft der Reben. –
Kommt Freunde, laßt im trauten
Kreis euch nieder!
Mag draußen auch der grimme
Winter schalten
Und schütteln seine
eisbedeckten Glieder. –
Doch winken einst uns frohe
Lenzgestalten,
Wir Alle jubeln wonnetrunken
wieder:
Der Frühling naht, o
wunderbares Walten!
XV.
Der Frühling naht! o
wunderbares Walten!
Es grüßt der Lenz, von goldnem
Glanz umwunden,
Und Alles jauchzt die Wunder
zu bekunden,
Die Wunder, die dem Blick
vorüberwallten.
Denn sieh! schon nahn des
Sommers sel’ge Stunden;
Es muß der Rose Pracht sich
neu entfalten:
O liebt euch innig, liebende
Gestalten,
In Lieb’ und Treue inniglich
verbunden!
Nach Sommers Freuden lacht des
Herbstes Segen,
In hellen Strömen neue Wunder
fließen –
Heil Noah! der den Nektar uns
gegeben! –
Des Winters Schlaf muß neue
Wonne hegen,
Im tiefsten Frieden heil’ge
Wünsche sprießen
Emporzuwallen einst zu neuem
Leben!