Friedrich Storck                     Jahreszeiten

19. Jhdt.                                  Sonettenkranz

 

 

I.

 

Der Frühling naht! o wunderbares Walten.

Ein Jüngling, herrlich, kehrt der Lenz uns wieder,

Aus blauem Äther strahlt sein Blick hernieder,

Und alles muß sich hehr und neu entfalten.

 

In hohen Frühlingszaubers Allgewalten

Umwebt und trägt uns Majas Goldgefieder –

Am Bache tönen frohe Hirtenlieder

Und schweben holder Horen Luftgestalten.

 

Der Frühling naht! und tausend Hymnen schallen,

Die Blüten springen, Balsamdüfte wallen

Das Fest der Auferstehung zu bekunden.

 

Es weicht der Tod, des Winters Schrecken fliehet,

Ins Land hinein, ins Herz der Sieger ziehet:

Es grüßt der Lenz, von goldnem Glanz umwunden.

 

 

II.

 

Es grüßt der Lenz, von goldnem Glanz umwunden,

Von Nah und Fern tönt helles Festgeläute,

Und Alles preist die Auferstehung heute,

Und Alles hat der Ostern Heil empfunden.

 

Denn sieh’ des Todes Schrecken sind geschwunden,

Der grimme Winter ward des Siegers Beute,

Und wen des Frühlings Wonne sonst erfreute,

Dem schallen wieder frohe Lenzeskunden.

 

Und wo des Maien Majestät gewallet,

Da regt das All sich neubelebend wieder

Und Flur und Wald sind blütendicht umwunden;

 

Durch Berg und Thal der Schöpfung Preis erschallet,

Die Lerche jubelt Auferstehungslieder

Und Alles jauchzt, die Wunder zu bekunden.

 

 

III.

 

Und alles jauchzt, die Wunder zu bekunden

Der sel’gen Frühlingszeit im sonn’gen Scheine –

Doch nimmer winkt uns mehr die Zeit, die Eine,

Die gold’ne Zeit, auf ewig hingeschwunden.

 

Die goldne Zeit, vom ew’gen Lenz umwunden,

Wo Götter walleten im heil’gen Haine,

Wo nimmer Zwietracht, nirgend Totenbeine

Das Feld besät in tausend blut’gen Wunden.

 

Dieweil die Sünde hat den Tod gefordert,

Drum ward das erste Menschenpaar vertrieben

Dem Paradies, dem heiligsten Entfalten. –

 

Doch weil der Sühne reuig Opfer lodert

Ist uns die kurze Frühlingszeit geblieben,

Die Wunder, die dem Blick vorüberwallten,

 

 

IV.

 

Die Wunder, die dem Blick vorüberwallten,

Wie leben sie in immer neuem Leben –

Und was könnt’ mehr der Wunder Fülle geben

Als neue Liebe nach dem Schlaf, dem kalten.

 

O wie durchströmest du des Herzens Falten,

Du heil’ge Liebe in des Frühlings Weben,

Wie strahlest du in wonnevollem Streben

Ins trübe Herz in holden Lenzgestalten. –

 

Und wie der Frühling immer neu erblühet,

So uns der Liebe Fackel ewig glühet,

Schlug auch des Winters Grauen herbe Wunden.

 

Drum laßt den Lenz getrost vorüberschweben,

Sein Scheiden wird uns neue Wunder geben:

Denn sieh! schon nahn des Sommers sel’ge Stunden!

 

 

V.

 

Denn sieh! schon nahn des Sommers sel’ge Stunden!

Wir sehn die reichste Fülle uns umfließen

Und berg und Thal und Au und Wald und Wiesen

Bedeckt mit Segen, hat das Aug’ gefunden.

 

Der Sommer kam, nachdem der Lenz geschwunden;

Der blüh’nde Jüngling mußt’ zum Mann ersprießen,

Und naht, den goldnen Frieden zu genießen,

Als Friedensfürst, von goldnem Schein umwunden.

 

Er naht als König, hoch auf goldnem Throne,

Das blüh’nde Scepter ruht in seiner Rechten

Und heil’ger Schein entstömt des Mantels Falten;

 

Es winden Grazien ihm die Fürstenkrone –

Den Blütenkranz ins goldne Haar zu flechten,

Es mußt’ der Rose Pracht sich neu entfalten.

 

 

VI.

 

Es mußt der Rose Pracht sich neu entfalten,

Denn König Sommer zieht der Flur entgegen;

Auf blühn’dem Pfad, auf blumenreichen Wegen,

Nichts kann der Aehre glühend’ Schwellen halten.

 

Wie prangt die Flur in sonnig, wonn’gem Walten,

Wie preist das Feld des Himmels Erntesegen,

Wie labt den dürren Strauch der frische Regen,

Wie dankt die Welt dem großen Gott, dem alten.

 

Und Alles jauchzt in trauten Waldbezirken,

Auf duft’ger Flur, dem nimmerruhnden Wirken,

Und lobt und preist das wonnigste Entfalten. –

 

Und wo sich Zephir, Flora schelmisch necken,

Die Vöglein rufen süß aus den Verstecken:

O liebt euch innig, liebende Gestalten!

 

 

VII.

 

O liebt euch innig, liebende Gestalten!

So klang der Vöglein Lied aus grünem Baume

Als du und ich im schatt’gen Waldesraume

In sel’ger Lust der Liebe Pfade wallten.

 

O heil’ge Stunden, die der Liebe galten,

O holde Wirklichkeit im frommen Traume,

Wo wir an jenes Berges grünem Saume

Der Liebe süßes Zwiegespräch gehalten.

 

O welche Seligkeit wir da empfunden. –

Wie blieb mein Mund an deinen Lippen hangen,

Da ward dein süßes Jawort mir zu eigen. –

 

Und wieder schallt es uns aus grünen Zweigen:

O liebe fort, wer so sich hold umfangen,

In Lieb’ und Treue inniglich verbunden!

 

 

VIII.

 

In Lieb’ und Treue inniglich verbunden

Wir doch Ein Herz und eine Seele waren.

O, denkt ihr noch der Lust aus jenen Jahren?

O, denkt ihr Theuren, noch der sel’gen Stunden?

 

Wo wir der Freude schönsten Kranz gewunden,

Des Lebens Sommer tief und frisch erfahren,

Wo wir gestreift in frohen Jugendschaaren

Durch Wald und Feld so frei, so ungebunden.

 

Nun sind der Jugend Freuden längst geschwunden,

Verklungen ach, des Frühlings Jubelkunden,

Verwelkt die Rose auf des Sommers Wegen. –

 

Doch ob auch Lenz und Sommer ruh’los schwanden,

Hat tief mein Herz der Schöpfung Ruf verstanden:

Nach Sommers Freuden lacht des Herbstes Segen!

 

 

IX.,

 

Nach Sommers Freuden lacht des Herbstes Segen

Nicht wie auf Nacht der junge Morgen blühet

Und neuen Segen Eos Fackel sprühet

Aus fernem Osten leuchtend uns entgegen:

 

Nein! – wie nach heißen Tages Thun und Regen –

Wo wir von Sorg’ und Schaffen abgemühet –

Uns Hesperus mild lächelnd grüßt und glühet:

So strahlt des Herbstes Füll’ auf allen Wegen.

 

Und weit und breit, wohin die Blicke ragen,

Liegt uns der Schöpfung Psalter aufgeschlagen,

Muß die Natur ihr Segenshorn erschließen.

 

Und in der Abendsonne goldnem Strahle

Sehn wir ohn’ End’ vom Himmel her zu Thale

In hellen Strömen neue Wunder fließen.

 

 

X.

 

In hellen Strömen neue Wunder fließen!

Und Alles lacht, wohin das Auge schweifet!

Die bunte Frucht, sie ist für uns gereifet,

Wie einst für uns die bunten Blüten sprießen.

 

Kommt, laßt des Herbstes Segen uns genießen;

Die Äpfel pflücken, feuerroth gestreifet!

Nicht ruh’ die Hand, ob noch so viel sie greifet

Der süßen Frucht, die sich das Herz erkiesen.

 

Und dort, wo blaue Berge sich erheben,

O Zauberfüll’ – sehn wir herniederschweben

Den Traubengott zum fürstlichen Gelage; -

 

Als würd’ zur Wahrheit heut die graue Sage,

Als kläng’s zum Evoë! durch Flur und Hage:

Heil Noah! der den Nektar uns gegeben!

 

 

XI.

 

Heil Noah, der den Nektar uns gegeben!

Ihr Winzer, singet eurer Frucht zum Preise!

Stimmt an den Lobgesang in heller Weise,

Besingt das Fleisch, besingt das Blut der Reben.

 

Ihr Winzerinnen, naht als blüh’nde Heben,

Kredenzt den goldnen Wein dem trauten Kreise,

Reicht her der rothen Traube süße Speise

Und wehrt uns nicht den glüh’nden Kuß zu geben!

 

Auf Brüder! laßt uns singen, lieben, trinken,

Laßt uns des Lebens höchste Füll’ genießen,

Laßt jubelnd uns zum vollen Becher legen.

 

Und will der Herbst den Abschiedsgruß uns winken,

Getrost den Wein in unsre Kehlen gießen:

Des Winters Schlaf muß neue Wonne hegen. -

 

 

XII.

 

Des Winters Schlaf muß neue Wonne hegen,

Des Winters Ruh muß neue Lust gebären;

Der Zweige Grün wird herrlich wiederkehren,

Ob auch die Wälder rings sich schlummern legen.

 

Des Winters Ruh’, auch sie hat ihren Segen.

Wohl schlafen nun die Felder all, die leeren,

Vor grimmer Kälte muß die Decke wehren

So blendend weiß, die ruh’nde Flur zu pflegen.

 

Im Frühling strahlt die Blütenpracht, die holde;

Die Fluren, Sommers, stehn im Ährengolde;

Der Herbst läßt Frucht und edlen Wein uns fließen:

 

Dahin die Zeit im Schmuck der Blütendolde,

Heut läßt der Winter seine Frucht genießen,

Im tiefsten Frieden heil’ge Wünsche sprießen.

 

 

XIII.

 

Im tiefsten Winter heil’ge Wünsche sprießen

Aus frommen Herzen, die sich kindlich neigen,

Wenn heller Kerzenstrahl aus grünen Zweigen,

Aus hellen Augen Freudenstrahlen schießen.

 

Wenn um den lichten Weihnachtsbaum sich schließen –

Das Herz voll Wonne – froher Kinder Reigen,

Wenn Alle staunend stehn, in tiefem Schweigen,

Erwartungsvoll die Schätze zu genießen.

 

Wo unter Hosianna! heil’gen Psalmen

Und lichtverklärt, mit gold’nen Friedenspalmen

Im Traume Himmelsboten uns umschweben.

 

Wo Alt und Jung von jenem Stern erzählet,

Den sich die Weisen zum Geleit erwählet:

Emporzuwallen einst zum neuen Leben.

 

 

XIV.

 

Emporzuwallen einst zum neuen Leben

Ruht die Natur im tiefen Schlummer heuer,

Und weit und breit, so Königsschloß auls Scheuer,

Zeigt an mit weißem Haupt den Winter eben.

 

Doch wir ins traute Zimmer uns begeben

Und froh uns schaaren um das helle Feuer,

Erzählend alter Sagen Abenteuer,

Und trinkend froh den reinen Saft der Reben. –

 

Kommt Freunde, laßt im trauten Kreis euch nieder!

Mag draußen auch der grimme Winter schalten

Und schütteln seine eisbedeckten Glieder. –

 

Doch winken einst uns frohe Lenzgestalten,

Wir Alle jubeln wonnetrunken wieder:

Der Frühling naht, o wunderbares Walten!

 

 

XV.

 

Der Frühling naht! o wunderbares Walten!

Es grüßt der Lenz, von goldnem Glanz umwunden,

Und Alles jauchzt die Wunder zu bekunden,

Die Wunder, die dem Blick vorüberwallten.

 

Denn sieh! schon nahn des Sommers sel’ge Stunden;

Es muß der Rose Pracht sich neu entfalten:

O liebt euch innig, liebende Gestalten,

In Lieb’ und Treue inniglich verbunden!

 

Nach Sommers Freuden lacht des Herbstes Segen,

In hellen Strömen neue Wunder fließen –

Heil Noah! der den Nektar uns gegeben! –

 

Des Winters Schlaf muß neue Wonne hegen,

Im tiefsten Frieden heil’ge Wünsche sprießen

Emporzuwallen einst zu neuem Leben!