August Wilhelm Schlegel
Vorlesung über das Sonett
Von Petrarcas
wichtigsten und für seine Poesie bestimmenden Lebensumständen, von dem
Verhältnisse zu seinen Zeitgenossen, von dem Geist seiner Liebe, und endlich
der Sammlung seiner Gedichte aus einem Ganzen, einer wahrhaft romantischen
Composition, eines rhapsodisch-lyrischen Romans habe ich in voriger Stunde
gesprochen; es bleibt nun noch übrig, den Petrarca als Künstler näher zu
betrachten: von seinen Formen, dem Styl seiner Lyrik, und seiner ganzen
poetischen Individualität zu reden.
Es wird allgemein, und mit Recht, anerkannt, daß Petrarca die hauptsächlichen
Formen, deren er sich bedient, zur Vollendung gebracht, daß er im Sonett und
der Canzone unübertrefflich geblieben, nicht nur ungeachtet der unzähligen
Nachahmer, die er gehabt und von welchen er freylich keine Gefahr lief
verdunkelt zu werden, sondern wiewohl einige Meister bey diesen Dichtarten sich
einen andern Weg gebahnt wie er, wie z. B. Guarinis gediegenes und
majestätisches Sonett eine ganz andere Structur hat, als das des Petrarca, Tassos
Canzonen zum Teil weit leidenschaftlicher sind, überhaupt läßt sich sagen, daß
diese Formen bey den Spaniern und Portugiesen eine beträchlich andere Wendung
genommen; worin dies liegt, läßt sich freylich leichter fühlen als beschreiben.
Weil aber doch Petrarca ein so studirtes Vorbild gewesen und mehr als irgend
einer die romantische Lyrik bis auf die modernsten Ab- und Ausartungen bestimmt
hat, so scheint es am bequemsten, von seinem Beyspiel den Begriff derselben zu
abstrahiren. Es hat dies noch ein specielles Interesse für uns, weil sie der
deutschen Poesie bisher entweder ganz fremd gewesen oder doch nie Wurzeln auf
dem Boden unserer Sprache gefaßt, und neuerdings einige Dichter sie einzuführen
versucht haben, was von großer Wichtigkeit seyn kann. Denn die durch
Philosophie gesteigerte und so auch in die Poesie übergehende Selbstanschauung
des Geistes fordert ihren Ausdruck in der höchsten lyrischen Gattung, und die
bisher üblichen Formen standen in der mittleren Region. So die Nachbildung der
alten Elegie, womit es schon viel weiter gediehen als mit der der melischen
Sylbenmaße des Horaz, von denen jenes, daß sie nicht das höchste lyrische
Auszudrücken vermögen, ebenfalls gilt. In den gereimten Oden, Strophen tappten
wir vollends, seit die schlechten den Franzosen nachgemachten aus der Mode
gekommen, nach allen Seiten herum, es geschehen mancherley Mißgriffe und die
meisten Zusammensetzungen konnten sich nicht über den Charakter des populären
und für singbare Melodien bestimmten Liedes erheben.
Wie das rhythmische Princip in den epischen und den allgemeinen dramatischen
Sylbenmaßen der Alten gleichsam nur in der ersten Potenz zu erkennen ist, in
den lyrischen und besonders chorischen Strophen aber erst seine ganze Tiefe und
Energie entfaltet, so läßt sich auch aus den für andere Gattungen bestimmten
Versuchen der Neueren nur eine sehr untergeordnete Vorstellung von der
Wirksamkeit und Bedeutung des Reimes erlangen, und erst in den großen Formen
der romantischen Lyrik findet man ihn bis an die Gränze seines Gebiets geführt
und sein Geheimnis ganz ausgesprochen.
Ich will mit dem Sonett anfangen, und da diese Gattung vorzüglich bey
Unkundigen in Verdacht einer bloß capriciösen Willkühr ihrer Regeln gestanden,
ihre Notwendigkeit abzuleiten, und es so viel als möglich mathematisch zu
restauriren suchen.
Das Sonett besteht in 14 Zeilen, welche durch Abschnitte des Sinnes in vier
Glieder, zwey von vier Zeilen, die vorangehen, und zwey von drey, die
nachfolgen (Quartetts und Terzetts). Die Verse werden von gleicher Länge
genommen (die verunglückten Versuche, das Gegenteil einzuführen, kommen nicht
in Betracht) und zwar wählt man die umfassendste und allgemeinste der gereimten
Versarten, welche in der Sprache üblich ist, z. B. bey den Franzosen den
Alexandriner und ehedem leider auch bey uns, bey den Italienern und Spaniern
den elfsylbigen Vers, bey den Engländern den fünffüßigen Jambus. Daß die Wahl
kürzerer, einseitig bestimmter Versarten dem Geiste der Gattung widerspreche,
werde ich nachher zeigen.
Die Anordnung der Reime ist nun diese, daß in den Quartetts zwei Reime viermal
wiederkehren, entweder alternirend, immer einmal ums andere, oder so daß sie
einander einfassen, welches letztere nach einem allerdings richtigen Gefühl
allgemein vorgezogen wurde, so daß jenes gegen die Masse nicht in Betracht
kommt, so wie auch ein paar minder symmetrische Anordnungen, die nur
Ausnahmsweise sich finden.
In den Terzetts ist die Reimstellung freyer, es können darin entweder zwey
Reime dreymal wiederkehren oder drey zweymal. Die Franzosen, welche die Regel
beobachten, immer männliche und weibliche Reime wechseln zu lassen, auch
niemals mehr als zwey verschiedene zusammenzustellen, sind deshalb genöthigt
gewesen, das Sonett in seiner letzten Hälfte zu alteriren, welchen ehemals die
Deutschen gefolgt. Die Italiener lassen meistens, wenn sie in den Terzetten nur
zwey Reime gebrauchen, diese alterniren, wenn drey, setzen sie selbige in
demselben Terzett unmittelbar nach einander, und wiederholen sie im zweyten
entweder in derselben oder einer veränderten Ordnung. Jenes als das einfachste,
wollen wir vorerst annehmen, und so würde das Schema des Sonetts, die
Wiederkehr der Reime durch Wiederholung eines Buchstabens bezeichnet, so
lauten:
ABBA / ABBA / CDE / CDE.
Daß das Sonett in seiner Concentration demnach einen Gipfel der Reim- und Verskunst
darbiete, ist bey sonstigen irrigen Ansichten doch die beständige Tradition
darüber gewesen, weswegen man es auch als ein Bravourstück angesehen, worin
sich der Virtuose zeigen könne. Daher der selbst in Sonetten öfter besungene
Spaß mit der Schwierigkeit des Sonetts, und die verschiedentlich eingeschärfte
Lehre, da das Verdienst der sogenannten Correctheit großentheils in die
überwundene Schwierigkeit gesetzt ward, das Sonett erfodre eine ganz besondre
exorbitante Correctheit, welche kaum alle 100 Jahre einmal zu erreichen
gelinge, weßwegen denn Boileau erklärt :
"Un sonnet sans défaut vaut
tout un long poême."
Noch Bürger spricht bey seiner versuchten Wiedereinführung des Sonetts ganz aus
diesem Tone, und schildert es fast nur als artige Spielerey, welche, um zu
gefallen, große Sauberkeit in der Behandlung erfodre. Man spürt denn auch in
der Kleinlichkeit seiner meisten Sonette diese Ansicht, die ich schon in meinem
Aufsatz über B. gerügt habe. Wenn es nichts weiter wäre, so hätten wir schon
viele Worte verschwendet. Die Meynung derer, welche behaupten, die Sonettform
lege dem Dichter einen unglücklichen Zwang auf, sie sei das Bett des
Prokrustes, nach dessen Maße der Gedanken verstümmelt oder gerenkt werden müße,
verdient keine Widerlegung, denn diese Einwendung paßt eigentlich ebenso gut
auf alle Versification, und man muß, um sie zu machen, ein Gedicht wie ein
Exercitium ansehen, das erst formlos in Prosa entworfen, und nachher schülermäßig
in Verse gezwungen wird. Solche Menschen haben freylich keinen Begriff, wie die
Form vielmehr Werkzeug, Organ für den Dichter ist, und gleich bei der
ersten Empfängniß eines Gedichtes, Gehalt und Form wie Seele und Leib
unzertrennlich ist.
Also zur Sache. Die materiellste und unmittelbarste Wirkung des Reimes
ist die, Verse zu verbinden und zu trennen; jenes thut er mit den aufeinander
reimenden, dieses mit den nicht reimenden: ein Verhältniß, was bey den
rhythmischen Versarten durchaus nicht Statt findet. Sobald also der Reim die
Grundlage der Versification ausmacht, ist auch der erste Keim von dem da, was
das Sonett in höchster Kunstvollendung leistet, nämlich diese doppelte
Wirkungsart in vollständiger Entfaltung zu exemplifiziren. Bey der Künstlichkeit
der übrigen Provenzalischen Reim-Arten müßte man sich wundern, wenn das Sonett
nicht erfunden, und wie man mir versichert, giebt es auch in den orientalischen
Sprachen, wo der Reim herrscht, etwas ähnliches. Vielleicht findet man
dergleichen auch im Indischen.
Nach der doppelten Wirkungsart des Reimes, der verbindenden und der trennenden,
zerfällt das Sonett in zwey Hälften, deren jede einer davon gewidmet ist. Die
verbindende geht natürlich voran, weil die Energie nur durch den Gegensatz mit
jener recht gefühlt werden kann. Ferner kann der Reim sich nie seines Wesens
entäußern, welches doch ursprünglich im Paaren besteht, es muß also in jeder
Hälfte eine sich wiederholende Verdoppelung vorkommen, wodurch beyde wieder in
zwey gleichsam Ganzen auf einander reimende Hälften zerfallen. Somit wären
schon die vier Glieder des Sonetts ziemlich befriedigend abgeleitet.
Das einfachste Beyspiel, wie der Reim Verse paart, ist das Couplet; Dieses aber
ist nichts ausgezeichnetes, da es bei dem gemeinsten Gebrauch des Reimes schon
vorkommen muß, und alle Versverknüpfung durch ihn davon ausgeht. Der Reim
verknüpft aber nicht bloß unmittelbar nebeneinander stehende Zeilen, sondern
auch entfernte durch die gleiche Beziehung des Gleichlauts (Glosse: und zeigt
hierin schon eine weit bedeutendere Macht über Sinn und Gehör). Eine Stufe
höher steht also schon eine Strophe, wo ein Couplet von zwey andern verknüpften
Zeilen eingefaßt wird: ABBA. Und, um dies gleich zu bemerken, so liegt darin
mehr als in ABAB, weil hier die Trennung nicht so vollständig, und das
unmittelbare Paaren gar nicht darin vorkommt. Weßwegen, wie noch aus andern
nachher zu erwähnenden Gründen jene Anordnung für das Sonett vorzuziehen, wie
hingegen die letzte des Alternirens von einem ausgezeichneten Gebrauche für
epische und andere länger fortgehende Gedichte ist, z. B. in der Octave und
Terzine, wegen der Gleichförmigkeit wobey dennoch ermüdende Monotonie vermieden
ist.
- In einer solchen vierzeiligen Strophe ABBA werden nun aber je zwey gepaarte
Verse von zwey andern getrennt. Das Verhältniß der trennenden und paarenden
Kraft wäre also gleich und sie reimen gleichsam aufeinander. Die letzte soll
aber das Übergewicht erhalten: wie steht dies einzurichten? Offenbar nicht
anders als durch neue Paarung. Würde es nun hinreichend sein, wenn eine zweyte
gleichförmig geordnete Strophe, aber mit andern Reimen, z. B. CDDC hinzugefügt
würde, wie es sonst in strophischen Gedichten geschieht? Keineswegs, denn so
würden zwar die beyden Quartetts durch die Reimstellung einander entsprechen,
und sich paaren; durch die Reime selbst aber würden sie absolut getrennt
werden. Es muß also eine gleich geordnete Strophe mit denselben Reimen
hinzukommen: ABBA / ABBA wodurch dann entsteht, daß acht Zeilen nur zwey
getrennte Massen befindlich sind, welche jede einen einzigen untheilbaren Vers
repräsentiren, die aber beyde aus vier Versen bestehen: also zwey Reime jeder
viermal wiederkehrend. Folglich steht nun das Paarende zum Trennenden im
Verhältniß des Doppelten zum Einfachen, und was wohl zu merken, da die dem
Reime als solchem wesentliche Grundzahl zwei ist, im Verhältniß des Quadrats zu
seiner Wurzel. Die ganze Zahl der Zeilen aber acht ist die dritte Potenz davon,
der Cubus. Man könnte immer noch zweifeln, warum es denn dabei stehen bleibe,
und wenn es bloß darauf ankomme, die paarende Kraft des Reimes zu zeigen, so
werde dies durch eine fortgesetzte Verdoppelung oder Potenzirung ja in
unbestimmbar höherem Grade erreicht werden können. Wäre dies, so gäbe es hier
gar kein letztes, und das Sonett als ein geschloßenes Ganze wäre dann auch
unmöglich. Ich behaupte aber, daß man nur häufen, eigentlich aber nichts
hinzusingen würde, denn das folgende Quartett würde immer nur vermittelst des
Gleichlautes auf das nächst vorhergehende bezogen werden, indem sich dieses
dadurch, daß es bestimmendes Reimprinzip für sein folgendes wird, schon von
seinem vorhergehenden losgerissen hat. Man ist zwar gewohnt, die harmonischen
Verhältniße in der Musik arithmetisch zu betrachten, hier dürfte aber aus
Gründen, welche zu entwickeln uns nöthigen würde, auf die innersten Gründe
zurückzugehen, die geometrische Constructions-Art die angemessene sein, und da
leuchtet denn ein, daß wie es in dem arithmetischen Mechanismus unzählige
Potenzen gebe, der geometrischen oder realen wesentlich nur drey sind, nämlich
die Dimensionen des Raumes. Nach der Form des Cubus lassen sich nun auch die
Quartetts sehr anschaulich construiren. Die zuerst gezogene Linie der Länge
bestimmt den ganzen Cubus und ist seine Grundanschauung, da sie nachher bloß
mit sich vervielfacht wird. Ebenso vernimmt das Ohr einzig mit den Reimen der
beyden ersten Zeilen etwas neues (Glosse: nachher ist alles Wiederkehr
derßelben Gleichlaute) und diese geben dem übrigen seine Bestimmung; mit den zwey
letzten Zeilen des ersten Quartetts kommt die Breite hinzu, das Quadrat wird
vollständig, und rückt nachher in dem zweyten Quartett nach beyden Dimensionen
in die Dicke oder Tiefe fort. So ist das Ganze wirklich der Cubus der
anfänglich hingestellten zwey, nämlich des anfangenden verschiedenen, nachher
aber immer wiederkehrenden Reimes. So wie die Quartetts nach dem Schema des
Quadrats, so lassen sich die Terzetts am bequemsten nach dem damit
contrastirenden (jedoch in derselben Sphäre) Triangels construiren.
Denn wie 2 die Grundzahl für die paarende Kraft des Reimes, so ist es 3 fürdie
trennende. Die Reihe der ungleichen Zahlen geht zwar bis auf 1 zurück, aber
Eins kann es nicht sein, weil, wie schon bemerkt worden, die Trennung nur im
Gegensatze mit der Paarung fühlbar wird. Man möchte denken, es wäre genug in
den ersten Abschnitt der letzten Hälfte des Sonetts zwey Verse mit
verschiedenen Reimen zusammenzustellen; und dann in dem zweyten Abschnitt die
entsprechenden folgen zu lassen. Allein dann entstünde nichts weiter als ein
Quartett, mit einem Abschnitt in der Mitte, welchen die oberen Quartetts nach
der Natur der Sache ebenfalls haben. Die Drey ist also unumgänglich, und es
findet dabei weiter keine Potenzirung statt, die ja vielmehr das Irrationale
der Grundzahl aufheben würde, sondern bloß die einfache Wiederholung, die
deswegen nöthig ist, damit keine reimlose folglich hier ganz über die Grenzen
hinausgehende Zeile übrig bleibe.
Die gelindeste Form des Terzetts ist nun die von zwey in einander greifenden
Terzinen CDC/ DCD. Ich nenne sie die gelindeste, weil in jedem Terzett
nur ein Reim unbeantwortet gehört wird. Man könnte also meinen, das paarende
Prinzip habe hier ja dennoch die Oberhand, da zwey Reime in sechs Zeilen
dreymal wiederkehren. Allein man muß darauf achten, daß durch den Abschnitt die
beyden Terzetts zu Strophen werden, welches eigentlich den Begriff einer
befriedigend geschlossenen Reimpaarung mit sich führt; daß folglich die
überschüssige Zeile in jeder am stärksten auffällt und die beiden einfassenden
nur als nothwendige Zugabe erscheinen. Weit auffallender ist freylich die
Energie des trennenden Prinzips in der andern auch weit allgemeiner befolgten
Anordnung: CDE/ CDE oder auch im zweyten Terzett die Kettung auf die mannichfaltigen
möglichen Weisen verändert. Denn hier erhalten wir zwey dreyzeilige Strophen,
in deren jeder kein einziger Reim wiederhohlt ist; und da sonst Strophen
vermöge ihres Begriffs innerhalb reimen, außerhalb aber nicht, so ist es hier
gerade umgekehrt. Bey dem ersten Terzett muß es dem Ohre vorkommen, als wolle
das Gedicht reimlos werden, und erst mit der letzten Zeile wird alle Dissonanz
in Consonanz aufgelöst. Diese Form achte ich daher für strenger und größer, und
es finden durch die Stellung des Reimes im zweyten Terzett hierin noch
Gradationen statt; die wo Vers 1 und 6 mit einander reimen, grenzt fast an das
Herbe. Der Meister wird nach der Beschaffenheit des Gegenstandes zu variieren
wissen, nicht selten mag die erst erwähnte gelindere Form den Vorzug verdienen.
Die Notwendigkeit der 14 Zeilen des Sonetts, und daß es auch wieder nicht mehr
haben darf, ohne in einen unbedeutsamen Überfluß zu verfallen, so wie auch die
Eintheilung in seine vier Glieder, wäre somit ziemlich demonstrativ abgeleitet.
Soll dies aber in unsrer Einsicht nicht bloß eine mathematische Subtilität
bleiben, so müssen wir nun betrachten, wie es in der Poesie belebt wird, und
welcher tiefsinnige und glorreiche Gebrauch davon zu machen steht.
Die paarende und trennende Kraft des Reimes kann man auch als Gleichheit und
Entgegensetzung bezeichnen, und deswegen muß das Sonett auch im Gehalt wie in
der Form Symmetrie und Antithese in der höchsten Fülle und Gedrängtheit
vereinigen. Symmetrie ist erstlich zwischen den beiden Quartetts und dann
ebenfalls den Terzetts unter sich, die Hauptantithese zwischen den beiden
Hälften. Beides vervielfältigt sich aber wieder in der ersten Hälfte; denn bei
der Anordnung ABBA ist die zweite Hälfte eines Quartetts das umgekehrte der
ersten; und beide Quartette zusammen genommen steckt in der Mitte, nämlich den
zwei letzten Zeilen des ersten und den zwei ersten des zweiten Quartetts das
umgekehrte derselben AB / BAAB / BA. Ja wenn man sie sich im Kreise in sich
zurückkehrend denkt, wie man allerdings muß, weil der Reim Zeile 1 derselbe ist
mit der Zeile 8, so erfolgt diese ideelle Umkehrung zweimal:
B|B
A | A
¾¾¾¾¾¾
A | A
B|B
Bei den Terzetts findet dies nicht statt, hier sind nur zwey
Hauptmassen von Heterogeneität, die aber eben weil sie dies sind, auch nicht
vollkommen zu symmetrisiren brauchen. Da das Verhältniß der Zeilen vermittelst
des Reimes zu einander das Wesentliche ist, so würde es zweckwidrig seyn, die
Aufmerksamkeit davon ab auf andere Verhältnisse zu lenken, und deswegen ist die
Mischung längerer und kürzerer Zeilen verwerflich. Aus eben dem Grunde auch die
Abwechselung der männlichen und weiblichen Reime, welche ja schon eine
Verschiedenheit im Maße der Zeilen macht. Am vorzüglichsten ist der weibliche
Reim, als der vollständige, welcher den Gleichlaut der accentuirten Sylbe in
der nicht-accentuirten allmählich aushallen läßt. Den männlichen nennen die
Italiener sehr treffend rima tronca, den abgebrochenen. Der dreysilbige Reim
oder gleitende hat an den zwey nicht accentuierten Sylben, welche folgen, etwas
überflüssiges und neigt sich daher zum spielenden, davon kommt seine große
Wirkung in der scherzhaften Poesie. Da bei dem sehr beschränkten, ganz
geschlossenen Umfang des Sonetts erwartet werden kann, daß jede Stelle durch
das Vollkommenste in ihrer Art ausgefüllt werde, so verdient der durchgängige
weibliche Reim ohne Frage den Vorzug. Bei durchgängigem Gebrauch des männlichen
wird die Gleichheit zwar behauptet, allein es geschieht dem musikalischen
Element großer Abbruch. Im Burlesken kann es von gutem Nutzen seyn; die Spanier
haben auch dergleichen ernsthafte Sonette gemacht um durch die heftigen,
raschen Percussionen des männlichen Reimes etwas bizarres auszudrücken.
Was das Maß der Verse betrifft, so muß es aus dem oben erwähnten Grunde das
vollständigste seyn, jedoch so, daß der Vers nicht in zwey halbe zerfällt,
wovon dann der erste reimlos und der andere gereimt ist, wie es bei den
Alexandrinern eintrifft. Darum die Vorzüglichkeit des elfsylbigen Verses, weil
er sich immer ungleich bricht, und seine Einheit nie aufgelöst wird. Man darf
sich nicht wundern, daß bei den Franzosen die Sonette zeitig aus der Mode
gekommen, da die in ihrer Sprache für nöthig erachteten Alterationen der
ursprünglichen italienischen Form: ihre Alexandriner, ihr Wechsel der
männlichen und weiblichen Reime, und die Ausschließung jeder Zusammenstellung
von mehr als zwey verschiedenen, der Gattung schon den größten Theil ihres
Werthes und ihrer Bedeutung geraubt hatten. Kam nun vollends die unmusikalische
Freiheit des Enjambements dazu, so konnte es völlig überflüssig scheinen,
Sonette zu schreiben.
Man kann den Reim noch aus einem andern Gesichtspunkte betrachten als oben
geschehen. Jeder zum ersten Mal vorkommende ist nämlich eine angeregte
Erwartung, ein aufgegebenes Räthsel: Wie wird der Fortgang des Gedankens mit
dem Gleichlaut zusammentreffen? und der antwortende Reim ist hievon die Lösung.
Nun kann man es als ziemlich allgemein durchgehendes Prinzip der lyrischen
Strophen sowohl in der rhythmischen als reimenden Verskunst ansehen, daß der
erste Theil der Strophe aufregend, der zweyte beruhigend ist. Dies ist auch aus
musikalischen Gründen sehr begreiflich. Denn woran wäre sonst der Schluß
erkennbar als an der vollständigen Auflösung des dissonirenden? Das Sonett ist
nun zwar insofern lyrischer Natur, daß es eine Strophe ausmacht, ja sogar die
Strophe der Strophen, die Strophe par excellence, in welcher alle
Haupt-Conjunctionen und Disjunctionen vereinigt. Aber eben deswegen soll die
metrische Form in einem und demselben Gedicht nicht wiederkehren wie sie es
doch bey andern Strophen thut, sondern das Sonett steht schlechterdings
geschlossen und unwiederhohlbar da. Denn ist es auch darin verschieden geartet,
daß die Anregung in der ersten Hälfte sehr gelinde und immer mit Befriedigung
gemischt ist, die stärksten Massen von beyden finden sich dagegen in der
letzten Hälfte. In den Quartetts bleibt kein Reim ohne seinen entsprechenden,
ja von der dritten Zeile an ist alles schon Antwort auf die Frage der ersten
beyden Zeilen, und höchstens nur gelinder erneuerte Frage. Im ersten Terzett
hingegen wird durch drey
unmittelbar folgende verschiedene Reime eine ungeheure Spannung erregt, und
diese dann im zweyten stufenweise und nur mit der letzten Zeile erst
befriedigend gelöst. Es ist, um das obige zu bestätigen, bemerkenswerth, daß
die letzte Hälfte des Sonetts wirklich der häufigste Anfang der großen
gereimten lyrischen Strophe in der Canzone ist. Diesem zu Folge ist es Regel,
daß das letzte Terzett wieder in sich concentrire, das vorhergehende Terzett
wird meistens zur Vorbereitung auf den mächtig entscheidenden Schluß verwandt
werden müssen, und die Quartetts enthalten die Exposition, oft in Aufzählung
des Gleichartigen, zuweilen auch in Darlegung der Gegensätze. Soll ich es durch
ein Gleichniß aus der Architectur deutlicher machen, so denke man sich einen
länglicht viereckigen Tempel, die zwey Seitenwände, welche ihn einschließen,
von der schlichtesten Bauart und ohne Verzierung sind die Quartetts; die
schmalere Hinterseite gleicht zwar auf gewisse Weise dem Fonton, ist aber doch
am wenigsten in der Erscheinung hervorzutreten bestimmt: diese würde dem ersten
Terzett entsprechen; die Vorderseite endlich krönt wie das letzte Terzett, es
schließt das Ganze, giebt dessen Bedeutung im
Auszuge, es zeigt an den stützenden Säulen und dem deckenden Giebel die
reichste architectonische Pracht, jedoch immer mit einfacher Würde.
Man sieht leicht ein, daß durch so feste Verhältnisse, eine so bestimmte
Gliederung das Sonett gewaltig aus den Regionen der schwebenden Empfindung in
das Gebiet des entschiedenen Gedankens gezogen wird. Dadurch ist es unstreitig
für manche Freunde des melodischen Hin- und Herwiegens in weichen Gefühlen,
welche eine solche Herrschaft des Gemüths über seine eigene es ganz erfüllende
Bewegung nicht begreifen, noch dulden mögen, abschreckend geworden. Das
Lyrische ist das Wasser der Poesie, man verstehe in dem Sinne, wie Pindar das
Wasser das vortrefflichste aller Dinge nennt: das allgemein flüssige, woraus
erst alle festere Gestaltung durch Concentration hervorgeht. Das Gemüth
erscheint in der lyrischen DarsteIlung wie ein sich ergießender Strom, dessen
Bewegung von den gelindesten Wellenschlägen bis zum schäumenden Waldbach, ja
bis zum tobenden Wassersturz anwachsen kann. Im Sonett hingegen ist aller
unbestimmte Fortgang abgeschnitten: es ist eine in sich zurückgekehrte,
vollständige und organisch articulirte Form. Deswegen steht es auf dem Übergang
vom lyrischen und didaktischen, daher erkläre man sichs, daß es zuweilen ganz
epigrammatisch wird, und werden darf: denn das Epigramm enthielt schon in
seiner antiken Form beyde Elemente in der einfachsten Mischung in sich. Auf der
andern Seite sieht man auch im Sonett den Typus der dramatischen Gattung
ausgedrückt: die drei Theile des Dramas Exposition, Fortgang und Katastrophe
scheiden sich ganz deutlich. Aus allem diesem erfolgt wiederum die große
Universalität der Gattung, z. E. daß es auch burleske Sonette geben kann,
gerade wie die Komödie mit unter den dramatischen Typus fällt.
Durch die gebundene Beschränkung wird das Sonett nun ganz besonders bestimmt,
ein Gipfel in der Concentration zu seyn. Das lyrische Gedicht ist zwar kurz
gegen epische und dramatische Compositionen gehalten, jedoch ist ihm keine Zahl
der Strophen vorgeschrieben. Das Sonett hat nur eine, oder wenn man will, zwey
sich entgegengesetzte, womit alles erschöpft ist und nichts weiter folgen kann.
Jeder Augenblick wird daher festlich und kostbar, und der Dichter muß ihn mit
dem bedeutsamsten, was nach Maßgabe des Gegenstandes in seiner Gewalt ist,
auszufüllen suchen. Daraus geht der Charakter gedrängter und nachdrücklicher
Fülle hervor. Bei dem Verhältnisse zwischen Empfindung und Gedanken findet zwar
eine gewisse Breite statt, aber der vielsagendste prägnanteste Ausdruck eines
tiefen Gefühls ruft schon von selbst den Tiefsinn hervor. Und so kann ein
Sonett nicht leicht zu tiefsinnig sein, wohl zu sinnreich, wenigstens zum
Nachtheil seiner Großheit. Indessen glaube man nicht, daß das Sinnreiche in
gehörigem Maße dem Gefühl widerspreche und den Leser kalt lasse. Ist das Gefühl
nicht bloß eine sinnliche Leidenschaft, sondern auf die höheren Anforderungen
des Gemüths gerichtet, so wird es auch mehr oder weniger mit den in unserer
Natur vermöge ihrer Duplicität liegenden Widersprüchen schwanger gehen, und
sobald es in Begriffe übersetzt wird, treten diese als Antithesen hervor. Es
kann daher gar wohl ein Sonett aus lauter Antithesen zusammengewebt seyn und
dennoch das wahrste Gefühl athmen. Nicht selten wird auch die Bedeutung des
Ganzen in eine enigmatische Sentenz am Schluß zusammengefaßt. Andermals macht
es einen erhabenen Eindruck, wenn aus dem sinnreichen Gewebe des übrigen der
Schluß mit einer großen Wahrheit oder einem einfachen Bilde herausgeht.
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Bürger hat
das Verdienst, das bei uns gänzlich vergeßene und nach lächerlichen
Vorurtheilen verachtete Sonett zuerst
wieder zu einigen Ehren gebracht zu haben. Indessen zeigt sowohl seine
Behandlung desselben, als was er in der Vorrede darüber sagt, daß er die
Gattung nicht aus der Betrachtung ihres wahren Wesens begriffen hatte. Alles
läuft bei ihm auf die Merkmale der Kleinheit, Niedlichkeit und Glätte hinaus,
durch welche Forderungen die antithetische Symetrie und unveränderliche
Architektonik des Sonettes durchaus nicht erklärbar wird. Er nennt es „eine
bequeme Form, allerlei poetischen Stoff von kleinerem Umfange, womit man sonst
nichts anzufangen weiß, auf eine sehr gefällige Art an den Mann zu bringen;
einen schicklichen Rahm um kleine Gemälde jeder Art; eine artige Einfassung zu
allerlei Bescherungen für Freunde und Freundinnen“; und ich befürchte, daß
diese lose, diminutive und also dem Obigen zufolge sonettähnliche Vorstellung
vom Sonett immer noch nicht ganz außer Umlauf gesetzt ist. Das Beispiel der
großen italiänischen und spanischen Meister belehrt uns, daß für das Sonett nichts
zu groß, stark und majestätisch sei, was sich nur irgend nach materiellen
Bedingungen des Raumes darein fügen will. Ja, es fordert seiner Natur nach die
möglichste Fülle und Gedrängtheit, und Bürgers Sonette scheinen mir nicht genug
gediegnen Gedankengehalt zu haben, um dem Nachdruck ihrer Form ganz zu
entsprechen. Auch die bei den meisten getroffene Wahl der fünffüßigen Trochäen
statt der elfsilbigen Verse oder sogenannten Jamben, worin er fleißige Nachfolge
gefunden, ist ein Fehlgriff; was jedoch nur aus der Theorie des Sonetts, auf
die ich hier nicht näher eingehen kann, sich einleuchtend darthun läßt.