Johann Heinrich Voss

1751 - 1826

...Wenn es das Erstaunen und die Anbetung eines tiefsinnigen Kunstrichters erregte, daß in einer freudelosen, unpoetischen Zeit, wie die unsrige, unter dem traurigen Einflusse der Plejaden, ein Dichtergarten sich erschließen konnte: um wie viel höher muß jenes Erstaunen und jene Andacht gesteigert werden bey dem Anblicke dieses Kometen unter den Taschenbüchern, der in seiner excentrischen Bahn einen hochprangenden Schweif der flimmerndsten Endreimsonette nach sich zieht, von einer Farbenpracht, die jeden Sonnen- und Mond-Regenbogen weit überstrahlet! Die deutsche Poesie hat endlich ihren Culminationspunkt erreicht; das prosaische Leben liegt gebunden, und mag sich nimmer mehr aus der endlosen Finsterniss hervorarbeiten; wie wölbt sich der leuchtende Himmel über uns, und die Sternschnuppen schiessen herab im erfreulichen Wettspiel, und aus der formlosen Gallerte, in welche sie sich zersetzen, gehen kleine hüpfende Sänger hervor, und beleben die heilige Stille der gemüthvollen Nacht, in welcher allein, nach Herders schöner Bemerkung, das Erhabene sich gestalten kann, indem das Licht nur der Schönheit, der vergänglichen, fröhnt.

Die Dichter, welche hier als ächte und rechte Isispriester verschleyert auftreten, beurkunden ihre Weyhe in der bald mystischen, bald symbolisch-dithyrambischen Bewegung, in welcher sie sich, vom Tarantelstiche der Begeisterung erregt, innerhalb des wunderbaren poetischen Zodiakus drehen. Gleich der Pythia, wallt heiliger Nebel in phantastischen Gebilden um die Göttlich-ergriffenen, Melodieen weht ihr Odem, die sich ätherisch verkörpern; aber das profane Ohr vernimmt nur blökende Töne, während das Gemüth der Epopten die ganze verborgene Harmonie umfühlt, und darin die Bedeutung des höheren Lebens enträthselt sieht.

Die Entstehung dieses Taschenbuchs ist vom Herausgeber scheinbar scherzend erzählt; so wie auch mehrere der in demselben enthaltenen Gedichte eine solche Tendenz vorgeben: aber gerade darin erkennen wir den mächtig wallenden Geist, der im sinnigen Spiele der Formen das schöne Geheimniss der Verklärung des Vergänglichen birgt, und das Wesenlose in Licht und Farbe kleidet, wodurch sie unvergänglich werden mitten im Vergänglichen. Am meißten haben uns in dieser Hinsicht die indischen Sonette angesprochen, von welchen wir hier nur eins ausheben:

 

Der Wunderbaum

 

Das Höchste sinnender kunst und tiefer Gemüthlichkeit ist jedoch unseres Bedünkens in den beiden episch-lyrischen Dichtungen erreicht, welche, wiee zwey Sonnenblumen, in diesem Feuerlilienkranze prangen. Die Liebesgeschichte des Eiszapfs und der Frostblume (in dreymal neun Sonetten) ist vielleicht das zarteste, blumenstaubigste, das je von sterblichen Lippen erklungen ist, und wir können diesen Cyklus kühnlich als ein Symbol der Naturwissenschaft erklären; denn es läßt sich in dem wundervollen Gang dieser erotischen Entwickelung die ganze Bildungsgeschichte des Lebens nachweisen, von seinem kalten, starren Werden an in der Krystallisation bis zu seiner warmen Entkörperung oder Vergeistigung, und von da bis zum Zurückfluß in seinen ewigen Urborn. – Wie aber die Frostblume ein Bild ist höher gesteigerter, sich selbst läuternder Liebe: so erscheint in dem darauf folgenden Epos (Frosch und Kröte, in 12 Sonetten) der Gegensatz, die animalische Liebe nämlich, die nach Verkörperung strebt, und in dieser Verkörperung untergehen muß. Beide Gedichte können demnach betrachtet werden als ein Schlüssel zu den innersten Geheimnissen der Fleisch- und Geist-Werdung, oder als die beiden Pole, zwischen welchen das Leben als zwiefache Erscheinung sich bewegt, in seiner Thierähnlichkeit und in seiner Gottähnlichkeit, bis die Differenz zur Indifferenz wird, und die Trugerscheinungen von Tod und Geburt sich in der endlich erkämpften Herrschaft des Absoluten verklären.

Aus den ersten dieser beiden epischen Dichtungen stehe hier noch folgendes Sonett:

 

Eiszapfs Gemüth ist durch Eifersucht beunruhigt

 

Der Todtentanz