Gabriella Wollenhaupt Erinnerung
Erinnerung (1)
Das
Tal entflieht dem Tau der Nächte
Und frühe Vögel strecken ihr
Gefieder
Sie schütteln Federn hin und
wieder
Als ob die Sonn schon Wärme
brächte.
Ich
hör, wie sie die Schnäbel wetzen
Um fröhlich in den Tag zu
gleiten.
Mein Ohr hört sie sich
vorbereiten
Für einen Flug zu fernen
Plätzen,
Die mir auf ewig sind
versperrt.
Mein Leben ist so schrecklich
klein,
So bieder und so ohne großen
Wert.
Ich sehne mich nicht nach dem
Schein.
Will doch, dass mir nur Echtes
widerfährt:
Noch silbern glänzt das
welkende Gebein.
Erinnerung (2)
Noch silbern glänzt das
welkende Gebein.
Ich werfe meine Seele hin auf
blühende Oase.
Odor von Grünem steigt mir in
die Nase
Ich schau mich um - bin immer
noch allein.
Wo
kommt es her, und wohin will es gehen?
Das wehe Sehnen, das mein Herz
erfüllt.
Bin ganz verwirrt und dennoch
wohlig eingehüllt.
Es ist in mir. Ich kann die
Sonne sehen.
Sie
greift mit ihren schmalen Safranhänden
Nach jeder Kuhle, jedem Stück
der Pein
Und reißt es heftig von den
Wänden,
Die um
mich sind. Ich lass es zu und lass es rein
Das warme Licht. Es soll die
lange Nacht beenden.
Der neue Morgen fällt auf grau
melierten Stein.
Erinnerung (3)
Der neue Morgen fällt auf grau
melierten Stein,
Er hat kein Herz, das ich
erweichen kann.
Ich nehme meine Hand und taste
mich heran
Er bleibt so kalt - ich lass
es lieber sein.
Muss
anders an die dumpfe Seele kommen
Sie brechen aus dem bittren,
dunklen Großen
Nehm keinen Lorbeer, ich
versuch’s mit roten Rosen!
Ich weiß ja, dass ich mich nie
ernst genommen,
Mich nie gesehen hab, so wie
ich nun mal bin:
Ganz ohne Tand. Wollt immer
nur das Echte,
Reine, Klare - den freien,
ungeschönten Sinn.
Das
Tal wird hell. Ob Helle etwas brächte?
Der Stein erstrahlt, halt ich
ihn zu der Sonne hin!
Ich glaube jetzt an neu
geschaffne Mächte.
Erinnerung (4)
Ich glaube jetzt an neu
geschaffne Mächte.
Doch Wer sie schuf, das ist
mir noch nicht klar
Es muss wer sein, der über
allem Dunkel war.
Ich denk an mich und meine
langen Nächte.
In meiner Hand liegt stumm der
warme Brocken.
Der Stein verwandelt sich in
einen Mann.
Er reckt und streckt sich,
schaut mich an
Netzt seine vollen Lippen,
will mich locken.
Mein
Mund bleibt stumm. Sein Blick wird mild
Und Hände greifen voll an
meine zarte Stelle.
Ich atme tief in mich hinein
und werde wild.
In mir
bricht eine ungewusste, neue Quelle
Der Lust sich Bahn. Wird sie
von ihm gestillt?
Die knappen Winde schnappen
Helle.
Erinnerung (5)
Die knappen Winde schnappen
Helle.
Er ist in mir und hält mich
eng umfangen
Ich schreie auf vor brennendem
Verlangen,
Das nicht zu löschen ist in
dieser Schnelle.
Werd
atemlos. Und will mich ihm entwinden
Doch er will noch nicht von
mir lassen
Ich fahre fort, ihn zärtlich
anzufassen
Bring mich dazu, die Scham zu
überwinden.
Er
lächelt leis. Legt seinen Kopf an meine Flanke
Und sagt, er hätt noch nicht
genug genossen
Von mir. Ich taumel hoch, fühl
mich wie eine Kranke.
Die Sehnsucht ist noch lange
nicht verflossen.
Will
Lust doch löschen, die ich um mich ranke
Die kommt jetzt satt
hineingeschossen.
Erinnerung (6)
Die
kommt jetzt satt hineingeschossen
In meinen Leib, will mit dem
Kopfe ringen.
Ich sage nein und will kein
Opfer bringen,
Die Lust ist fort, schnell
weggeflossen.
Der Mann
noch da. Sein Fleisch noch weiter
Warm. Ich leg die Hand auf
seine Spitze
Spür ihn noch in mir mit der
jähen Hitze.
Will wieder rauf auf diese
süße Leiter.
Weiß nicht, wie ich es wagen sollte.
Sie sind so steil die
Liebessprossen
Selbst wenn ich sie erklimmen
wollte,
Wär mein Gesicht in Rot
gegossen.
Ich hör den ersten Sturm, der
rollte
Vom Berg herüber. Fest
entschlossen.
Erinnerung
(7)
Vom
Berg herüber. Fest entschlossen
Weht
jetzt der Staub. Vom Wind gelenkt,
Verklebt
die Augen mir - es brennt!
Solch
Schmerz hab ich noch nie genossen.
Bin
blind. Hab Angst. Weil ungeschützt.
Ich
kann nur ahnen, was um mich passiert
Spür
Hände. Lippen. Seh mich irritiert,
Doch
Furcht hat mir noch nie genützt.
Er
ist so süß und warm, der eine echte Mann.
Hab
Sorge, dass ich mich zu sehr verstelle,
Nicht
wirklich es mit Lust genießen kann.
Da
kommt sie schon, die wilde, starke Welle
Will
mich in einen Rausch versetzen. Dann
Zeigt
sich die Sonne über frischer Quelle.
Erinnerung (8)
Zeigt sich die Sonne über
frischer Quelle,
Vor ihr ein kleiner See mit
tiefem Grund.
Der Staub auf meiner Haut
macht wund.
Hab Angst, dass ich den Zauber
prelle.
Auch
er will baden und packt meinen Leib
Und drückt ihn unter klare,
kühle Spiegelei’n,
Mit Moos wäscht er mir meine
Poren rein
Ich schließ die Augen und sag
zitternd: „Bleib!“
Jetzt weiß er, dass ich ihn
nicht missen kann,
Trotz seiner Herrschsucht und
der Tyrannei
Mit der er mich so oft getan
in engen Bann.
Ich lass mich geh’n - doch es
ist einerlei.
Und heb den Kopf - und weiß es
dann:
Die Qual der vielen Tage ist
vorbei.
Erinnerung (9)
Die Qual der vielen Tage ist
vorbei.
Die Sünden enger Nächte
bleiben.
Aus meinem Hirn nicht zu vertreiben
Sind schale Stunden. Nicht
gern verzeih
Ich mir, dass ich von Mann zu
Mann gehetzt,
Und mir egal war, was die
Herzen fragen
Ich wollte doch nur Spaß und
keine Klagen.
Und hab dabei den Seelenschatz
verletzt.
Da
steht er nun, schaut lächelnd zu mir her
Die dunklen Augen schlagen
eine Brücke.
Ich trete auf sie, und sie
taumelt schwer.
Fühl mich gehalten. Sicher.
Und entzücke.
Die Brise bläst das Hirn von
Sorgen leer.
Die Luft lässt in mir keine
Lücke.
Erinnerung (10)
Die Luft lässt in mir keine
Lücke.
Er nimmt die Hände, fasst mich
unter.
Lacht, drückt mich ins Wasser
runter.
Will, dass ich mich mit Algen schmücke.
Die
Stirn trägt matten Muschelschimmer
Um meinen Hals hängt eine
grüne Kette
Ach, wenn ich doch ein Kleid
nur hätte
Aus Felsengold und
Perlenglimmer!
Ich
will ihn trinken, will mich laben
Hab weder Scham noch Angst
dabei
Will einfach meine Wollust
baden.
Und dabei ist mir wirklich
einerlei,
Dass Ängste sind noch nicht
begraben
Ich fühl mich leicht und sorgenfrei.
Erinnerung (11)
Ich fühl mich leicht und
sorgenfrei.
Doch plötzlich dunkelt tief
die Flut
Vom Grunde auf steigt
schwarzes Blut
Und Wind frischt auf. Sie ist
vorbei
Die unverhoffte Harmonie der
Lust.
Mein Kleid - kein Gold. Nur
graue Fetzen.
Mein Haar wie Dornen, die
verletzen.
Ich bin mir keiner Schuld
bewusst.
Ich öffne meine Lippen zum
Protest,
Doch kommt kein Laut, den ich
verrücke.
Ich halte mich an seinem
Blicke fest.
Doch seine Augen füllen sich
mit Tücke,
Und
sein Gelächter, das gibt mir den Rest
Hör nach dem Sirren einer
letzten Mücke.
Erinnerung (12)
Hör nach
dem Sirren einer letzten Mücke
Die flüchtet eilends zu den
grünen Matten.
Ich hinterher. Ich renne in
den Schatten
Des gutbestückten Walds und
pflücke
Mir
lange schmale Zweige, die sich biegen
Und bind zusammen sie zu einer
Gerte
Schlag auf den Boden, teste
ihre Härte
Will nicht verlieren, will nur
siegen.
Seh
ihn nicht mehr, er scheint gegangen
Ich atme durch, entspanne,
Angst vorbei.
Schau in den Himmel, der
verhangen
Von einem dunklen, zähen
Farbenbrei.
Ich fühl mich angstvoll, bin
gefangen.
Da! Plötzlich bricht mein
weher Schrei.
Erinnerung (13)
Da!
Plötzlich bricht mein weher Schrei
Hinein in Wald und
Wolkensuppe.
Er schüttelt mich wie eine
Puppe
Die großen Hände klammern fest
dabei.
Ach,
wäre er doch wieder grauer Stein!
Und läge stumm und kalt in
meiner Hand.
Ich denke nach und sammle den
Verstand,
nur er kann mir noch eine
Rettung sein.
Die
Bäume teilen sich und eine milde Glut
Dringt durch die Zweige,
bildet eine Brücke
aus meiner Angst und meinem
jähen Mut.
Ich
tauche weg, er lässt mich, und ich rücke
Zur Wärme hin. Er ist gelähmt
und krächzt vor Wut
Den leisen Morgen in zwei
schroffe Stücke.
Erinnerung (14)
Den
leisen Morgen in zwei schroffe Stücke
Hat er gehaun. Doch dadurch
hat sich die Natur
Von ihm gelöst. Er ist ein
Stein und keine Spur
Erinnert an die Lust, die
Liebe und die Lücke,
Die einfach nicht zu füllen
war mit Innigkeit.
Er liegt jetzt wieder in der
Kuhle meiner Hand
So stumm, so stark, so kühl
und abgewandt.
Ich heb den Kopf und atme, bin
bereit
Neu zu
beginnen, endlich zu begreifen
Das Spiel von Nah und Fern.
Wie Seelenmächte,
auch manchmal dunkle Seiten
streifen.
Ich trete auf die Lichtung und
spür’ echte,
Ganz neue Kraft tief in mir
reifen:
Das Tal entflieht dem Tau der
Nächte.
Erinnerung (Meistersonett-sonetto magistrale)
Das Tal entflieht dem Tau der
Nächte.
Noch silbern glänzt das
welkende Gebein.
Der neue Morgen fällt auf
graumelierten Stein
Ich glaube jetzt an neu
geschaffne Mächte.
Die knappen Winde schnappen
Helle.
Die kommt jetzt satt
hineingeschossen
Vom Berg herüber. Fest
entschlossen
Zeigt sich die Sonne über
frischer Quelle.
Die Qual der vielen Tage ist
vorbei.
Die kühle Luft lässt in mir
keine Lücke.
Ich fühl mich leicht und
sorgenfrei,
Hör nach dem Sirren einer
letzten Mücke.
Da! Plötzlich bricht mein
weher Schrei
Den leisen Morgen in zwei
schroffe Stücke.