ZaunköniG                           Die Nacht ist, Sieh! -

© beim Autor

* 1972

Noch keine Ahnung, Hoffen höchstens, was geschähe,

Wir trafen uns spontan, ’ne Kleinigkeit zu essen,

Empfing ich dich. Ein Gruß, ein Handschlag, unterdessen

wird der Blick geprüft, ob man sich recht verstehe.

 

Bestanden. Beide. Später ist all das vergessen.

„Die Nacht ist, Sieh!...“ –  wie ich mich um dich drehe –

Ein Schritt, ich ziehe dich, du drehst dich, wieviel Nähe

ist erlaubt, und ist uns beiden zugemessen?

 

Wir lassen uns im Tanz so ineinander treiben.

Du gibst dich mir geschmeidig, ob du selber lenkst;

Ich führ verführt, - Das werden wir nicht klären müssen.

 

Nur kurz dein Zögern; („Wird er länger bei mir bleiben?“)

Ich sag nur „Ja, ich will“ Und du: Als Antwort schenkst

du mir den Blick, der sagt: „Du darfst die Braut nun küssen!“

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Anton Wildgans

© beim Autor

* 1972                                                    Eng, fühlsam deine Verse zu mir sprachen;

Ein feines Tuch, aus Grau und Gold versponnen.

Die Sterne sind noch tausend ferne Sonnen,

Die Träume sind ein ungebund’ner Nachen,

 

mit dem die Seelen in das Blaue stachen.

Du hast noch Schläuche Wein vom Trest gewonnen,

Und „Sinn“ klingt noch wie „sinnlich“ und „versonnen“.

Mir war, daß wir vom selben Brote brachen,

 

das wie Erinnerung von Kuchenstreuseln

auf meiner Zunge süß und schwer zergeht.

Und wenn Zephyre durch die Zweige säuseln,

 

dann weiß ich, was von Versen fortbesteht:

Es bleibt nichts mehr, als nur ein Wellenkräuseln

- ein stummer Ton, der in der Nachtluft steht.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Nach einem Motiv von Dante

© beim Autor                                    

* 1972                                                    Ich saß am Weg, die Schwermut neben mir,

da kam die Liebe, schön wie die Najade.

Ich bat sie näher zu mir, „komm ich lade

dich zu mir ein; es fehlt dir nichts bei mir.“

 

Doch die Schöne sagt nur säuselnd: „Schade,

gern wär ich geblieben, doch dies Tier“,

sie deutet neben mich, „verleidet’s mir“.

Da kam die Wut: „Was soll die Maskerade;

 

Du bist die Liebe nicht, nicht ihre Schwester;

Wenn Du jetzt gehst, dann bleib für immer fort.“

Ich ließ so weiter meine Dinge treiben, -

 

Die Vögel bauten wieder ihre Nester,

da nahm die Schwermut sich einmal das Wort:

„Vergiß die Eitelkeit, -  ich werde bleiben...“

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Shakespeare 2003

© beim Autor

* 1972                                                    Ob dir der Sommertag vergleichbar sei?

Ich hatt’s verneint, doch heute glaubt’ ich’s gerne.

Ein jedes Jahr bringt einen neuen Mai,

doch unser Sommer liegt in weiter Ferne.

 

Ich schimpfte die Natur als wetterwendig,

da Stürme früh die Blütenkränze rauben.

Dich, mein Liebchen, hielt ich für beständig;

Was gäb’ ich drum, könnt’ ich es heut noch glauben.

 

Ich brachte dir das schönste meiner Lieder,

auf daß du allezeit unsterblich seist.

Kein Wort, kein Ton bringt diese Augen wieder:

Niemand ahnt dich, weiß nur wie du heißt.

 

Nur ich kenn dich, vom Zehe bis zum Scheitel;

Der Ruhm blieb mir allein. Mein Lied war eitel.

 

 

 

 

 

 

2004

 

 

 

 

ZaunköniG                          

© beim Autor

* 1972                                                    Ich hätte lieber etwas Einträgliches lernen

sollen, Ja, - Es ist die alte Litanei.

Die Welt ist ernst und praktisch, lehrt sie, nebenbei

muß sie die Kirschen noch entsaften und entkernen.

 

Sie lebt hier fest verwurzelt. Nichts weiß sie von Sternen

die mich locken, meinem andren Konterfei,

daß in mir etwas  anderes lebendig sei; -

Ein Nebenher nur aus Erinnern und Entfernen.

 

Die Frau, die einen Namen trägt, der klingt wie meiner,

die auch heut’ wie selbstverständlich für mich kocht,

so zäh-verbindlich Ungesprochenes, und keiner

 

will den Knoten, der ihn einschnürt, selbst durchschneiden,

lieb und leidig, ungelegen oft, wir beiden,

gegenseitig unverstanden, -  doch gemocht.

 

 

 

 

ZaunköniG                           Haiku

© beim Autor

* 1972                                                    Das Geheimnis ist nicht leicht zu lüpfen.

Im Vergleich zu einheimischen Formen,

die mit jahrhundertalt tradierten Normen

per Reim und Metrum ineinander knüpfen

 

Maß und Inhalt, und stabreimend hüpfen

die Semanzen durch den Text. Es spricht

noch ebenmäßig streng uns das Gedicht.

Die Haiku-Regel scheint uns zu entschlüpfen:

 

Das Haiku klingt daneben ungewohnt:

ganz reimlos, auch der Rhythmus scheint egal,

doch ist es mehr als bloß die Silbenzahl.

 

Nur um mal eines zu zitier’n: „Der Mond

mit Schleppe / silbrig auf dem feuchten Teer /

zwei Schneckenspuren“ – oder ungefähr...

 

 

 

 

ZaunköniG                           April

© beim Autor

* 1972                                                    Ein Guß aus blauem Himmel und ich presche

vorwärts, wie man um sein Leben läuft,

denn hinter meinem Rücken türmt und häuft

sich schwarz ein Amboß auf...- noch bis zur Esche. –

 

Ein Donnerkeil springt krachend in die Bresche,

Noch lauf’ ich, doch bin ich schon längst durchträuft

als sich der Guß im weichen Sand verläuft.

Ein Regenbogen – heute gibt es bunte Wäsche.

 

Schon ist’s vorbei, es bricht sich tausendfach

die Sonne auf dem Weg und Perlen säumen

lindes Blattwerk an den jungen Bäumen.

 

Der Regen dampft vom glitzernd nassen Dach,

Der Himmel schwelgt in lichten Farbenträumen

und grüßt mit letzten Spritzern: Hallo Wach!

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Die Arbeit am guten Gedicht

© beim Autor                                     für Manfred Drewitz

* 1972                                                    Antwort auf "ad lectores"

 

"Mit Kunst statt Handwerk sollst du sie verrichten;
Kein Krampf mit Metronom und Steputat"
Ach ja, das hochmoderne Lektorat
lehrt Unverständlichkeit und Formverzichten.

Man sei "Hauptsache anders" in Gedichten.
So alt wie falsch ist dieses Postulat.
"Der Vers sei frei, spontan, das klingt nach Tat!"
Vergiß es. - Für den Nachruhm sollst du dichten.

Der Reim ist alt; Nun sei er neu gewagt.
"Der Avantgarde gebührt der große Preis"?
Es läuft doch ewig nach der selben Masche:

Sonette war'n so oft schon tot gesagt. -
Vertrau dir so wie ich es tu, ich weiß
mir schon das Blau vom Himmel in der Tasche.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           R.W.’s Sonette

© beim Autor

* 1972                                                    Das Wort Sonette, heißt es, kommt von Klang.

Bei Schlegel wär’ er vielleicht angeeckt.

Der Endreim ist präzise, knapp, direkt,

doch männlich, führt er seinen Handlungsstrang

 

zum Punkt und ohne Zeilenüberhang,

von Vers zu Vers, nach seinem Stil korrekt.

Der Clou kommt in der Mitte, so man’s checkt.

Das Zauberwort: Der Phasenübergang,

 

Auch Sprungschicht, oder ganz profan: Der Knick,

Gibt dem Sonett, nach Robert, seine Form.

Nichts kommt gefällig, fügsam oder glatt.

 

Das Spiel, die Überraschung, ist der Trick,

wenn er die Regel reizt, die Norm,

und die Pointe sorgsam ausfeilt. – Cut!

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Angebots-Ökonomie

© beim Autor

* 1972                                                    „Wir können uns die Löhne nicht mehr leisten;

Die Grundtarife müssen wir erneuern,

die uns Investitionen nur verteuern.

Wir brauchen die Reform für die vergreisten

 

Sozialsysteme, Unternehmenssteuern. –

Wir sitzen doch im selben Boot; die meisten

woll’n doch bewahr’n, für was sie sich befleißten.

Wer heut zu teuer wird, den muß man feuern.“

 

Ich werd den Gürtel wieder enger schnallen.

Man tut’s, damit der Schornstein weiter raucht.

Uns gehts noch besser als den andren allen.

 

Wenn auch die Bank erneut den Dispo staucht:

Ich leiste mir auch weiter, was gefallen

findet, doch – in Zukunft nur gebraucht...

 

 

 

ZaunköniG                           Alte Liebe

© beim Autor

* 1972                                                    „Hallo, wie lang – ach, über’n Jahr ist’s her!

Ja, danke, es geht besser, ... na, es steht

nicht allzu schlecht ...  ach, wie die Zeit vergeht.

Ruf an; Du meldest dich ja gar nicht mehr!

 

Hast Du die neue Nummer? – Bitte sehr.

Nein. Ich ruf an! – Wenn man es recht versteht ...

doch reden wir von Dir: O, mein Poet,

so traurig kenn’ ich dich ja gar nicht mehr...“

 

Und so im selben Tonfall weiterplaudernd:

„Nun sag doch was, und schau nicht mehr so leidend.

Wir konnten immer über alles sprechen -

 

Ich bin doch da!“ und endlich sag ich zaudernd:

„Nichts weiter,  – Du erinnerst mich nur schneidend

an manche Scherben älterer Versprechen.

 

 

ZaunköniG                           Gisela

© beim Autor

* 1972                                                    Sie wählt erst Rosen, nein – die sind gewöhnlich,

die fallen jedem sonst als erstes ein.

Er band ihr Sonnenbraut und Akelein.

Sie denkt: „Wie er dem Kranz aus Tausendschön glich,

 

so unaufdringlich, treu.“ Sie macht sich fein -

und zögert. – Schlichter wär persönlich.

Es braucht nicht viel, und er zeigt sich versöhnlich.

Nun fall’n ihr all die kleinen Sünden ein. –

 

Die Stimme zur Unhörbarkeit gedämpft,

die Hand versteift sich, die die Blumen hält,

als sie vor ihm um rechte Worte kämpft.

 

Sie weiß um die Vergebung und hebt wieder

den Blick, in dem ein warmes Lächeln spielt.

Bevor sie geht, legt sie die Blumen nieder.

 

 

 

ZaunköniG                           Die Fremde

© beim Autor

* 1972                                                    Sie liest von Zeit zu Zeit in ihrem Märchenbuch,

Sucht nach Vokabeln, die sie noch nicht kennt.

Der Grundstein ist gesetzt, das Fundament

Für dieses Leben, das sie ausgesucht.

 

Bald fährt sie in die Heimat, - auf Besuch; -

Viel höher scheint ihr dort das Firmament.

Die Flamme, die so doppelzüngig brennt;

Vertrautheit, ein befristeter Versuch.

 

In ihren Augen hütet sie den Glanz

Und denkt an ihre Schwester, klopft auf Holz;

Die wird noch Ärztin! später oder eher...

 

Heut kommt der Brief – geschafft! er reicht ihr ganz

Zur Freude – und so einer Art von Stolz –

Und Zuversicht: Das Glück rückt langsam näher.

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Verhüllt

© beim Autor                                     (zu einer Skulptur von Otto Flath)

* 1972

Verhalt dich ruhig, oder besser: geh!

Stör nicht den Betenden in seiner Andacht.

Sprich ihn nicht an. Mach kein Geräusch. Dann macht

die Leere ihn erst frei fürs Resümee:

 

Die Glaubensformel voll und leer wie je;

Die Stille birgt das wahre Wort. Er kann sacht,

wenn er in sich den ersten Funken anfacht

die Seligkeit erwerben: Die Idee.

 

Nun auf den einen Punkt hin konzentriert:

Sie geht ihn nichts mehr an, die Welt ringsum.

In ihn versunken, unbewegt und stumm

 

wächst wohlbehütet neue Saat heran.

Das Weltenchaos reift zum großen Plan,

auf eine klare Linie reduziert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                           Der Tempel

© beim Autor

* 1972                                                    Dort hockt er, vor den Stufen hingekauert.

Der alte Tempel ist ihm eingestürzt,

Die Säulen barsten und die Brüstung schürzt

nur Efeu, der den kalten Stein betrauert.

 

Sein Gott, auf eine klare Form verkürzt,

hat seinen letzten Sturm nicht überdauert

und in jeder Mauernische lauert

ihm die Flammenschrift. Ein Dämon würzt

 

die Luft mit Asche. Kalt und abgefeimt

versucht er sich vorm rauhen Wind zu schützen,

doch aus spiegelblanken Regenpfützen

 

leuchten heiter wilde Heckenrosen.

Schau hin: In zarten Blüten, weichen Moosen

scheint die Gottheit wieder auf und keimt.

 

 

 

ZaunköniG                           Fortschritt

© beim Autor

* 1972                                                    Was soll’s bedeuten, daß man aufrecht geht?

Was sind wir wirklich einem Tier voraus?

Wir kennen uns auf’s Trefflichste drin aus

uns zu erklär’n, warum die Welt sich dreht.

 

Wir haben Sprache und das Alphabet,

und kennen manchen Teil des Weltenbaus.

Wir streben in ein fernes All hinaus,

und glauben, daß man die Funktion versteht.

 

Doch jagt man weiterhin nach seinem Glück;

Es hat sich nichts geändert seit Stonehenge,

seit Mose, Gilgamesch und Sysiphus:

 

Es wirft uns immer wieder neu zurück.

Nach allem Fortschritt bleibt es, daß der Mensch

zuerst um die Bestimmung wissen muß.