ZaunköniG                                  Der gefesselte Prometheus

* 1972

© beim Autor

Es wäre Zeit, die alte Rolle abzustreifen;

Prometheus’ alte Rolle eines Butlers,

Zeus’ Wasserträger oder Diener Atlas’.

Er will die göttlichen Bastionen schleifen!

 

Wer große Worte führt soll sich beweisen;

Sein Wort – und es begann ein Plan zu reifen...

Wie soll ein einzelner die Welt begreifen?

Hephaistos schlug dafür die Welt in Eisen.

 

Das war die Story. Doch sie wirkt noch weiter;

man werte die Geschichten von den Enden:

 

Manch einer sah ihn, war das Wetter heiter,

im Berghang, in schlecht zugänglichen Wänden.

 

Doch will man seine Fesseln lösen, schreit er:

Nein! – Sie gleitet mir sonst aus den Händen...“

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Heil!

* 1972                                                              (dem deutschen Gruß)

© beim Autor

Ein steiler Arm, die Hand mit harter Kante,

ein knappes „Heil!“: verruchtes Ritual.

Den Blick nach vorn, die Lippen schnal;

Heut sieht man, was uns diese „Heilung“ sandte.

 

Ein trotziges, dämonisches Fanal

aus Stolz, der in gekränkten Herzen brannte.

Das kleine Wort, das gute, wohlbekannte:

Nimm es beim Wort, versuch’ es dann nochmal.

 

Ist dir nun erst der rechte Sinn bekannt,

so wird der rechte Arm empor geführt.

Nein, nicht so steif. bleib locker! ganz entspannt...

 

Nun fließt’s. – Hast Du den Unterschied gespürt?

Dann hast du dich ermenscht, statt nur ermannt.

Heil dir, und jedem Heil, dem Heil gebührt.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Der neue Mensch

* 1972                                                              Jesaja an die Manager

© beim Autor

Auf den Fluren hört man es noch raunen:

„Ein neuer Markt gebiert auch neue Bosse.“

Auf jede Baisse folgt auch eine Hosse“

Es jubeln Sturm die großen vier Posaunen,

 

Ein Narrentanz mit Cyberborgs und Faunen

im Zweiundfünfzigwochen-Karneval.

Ihr traut Fortuna, Mammon oder Baal?

Doch, Freunde, es gibt noch viel mehr zu staunen:

 

Es geht um Wert- statt Umsatzsteigerung,

um Werte, die in sich bisher kein Mensch barg.

Ihr kennt sie nicht, Ihr würdet höher bieten.

 

Was er bewirkt: es wird ein Quantensprung.

Hört zu, er setzt euch eine neue Benchmark,

Der neue Mensch: Garant für mehr Renditen.

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Sonett elementar

* 1972

© beim Autor                                               Wenn ich an meiner Weltenformel feile,

(Was gibt Atomen, Steinen oder Sternen

Gewicht?) dann sehe ich in ganzen Kernen

mehr Schwerkraft als in Summe ihrer Teile,

 

denn in der Ruhe liegt die Kraft; die Eile

mit der sich die Photonen schnell entfernen

bleibt masselos. Was soll ich daraus lernen?

Ich zweifle, ketze, treibe meine Keile,

 

denk gradeaus, frei von der Leber weg.

Doch drängt mich eine Stimme aus dem Off

zur Ordnung; Regeln gelten selbst im Tanz,

 

und jeder Schritt folgt vorbestimmtem Zweck.

Was macht aus einem Thema großen Stoff?

Die Form erst gibt der Energie Substanz.

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Im Rhetorikseminar

* 1972

© beim Autor                                               Als guter Redner streue man gekonnt

ein Bonmot, oder auch ein Fachwort ein;

der neue Klang, der unverbrauchte Schein

weist über den Ereignishorizont,

 

denn Worte, Dinge, Bilder sind Geschwister,

die in guter Rede koalierien.

In neuen Schläuchen soll der Wein brillieren;

Jonglieren wir nun freier die Register

 

Dein Kritiker, den es nach Fehlern dürstet,

wird wortreich gegen seinen Strich gebürstet.

Ein Apercu läßt sich gut intrigieren:

 

Es zeigt genau, was du so blendend weißt.

Und wenn dann doch wer fragt, was das denn heißt?

Was soll’s. Am besten gar nicht ignorieren.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Überreif

* 1972                                                              frei nach Rilke  VIEILLIR“

© beim Autor

Mancher Sommer schenkt sich übervoll,
daß man die Früchte nicht mehr pflücken mag.
Die ernte, die in meinen Körben schwoll,
in meiner Hand in saftig prallen Stücken lag,

war überreich, daß ich sie nur vergeude.
Es schwanken eure Zweige von der Last,
der süßen. Doch ich steige ohne Hast
hinunter. Seid gegrüßt, ihr, meine Freude.

Ich weiß nicht, Freunde, was euch dazu trieb.
Wohin mit dieser Pracht, bevor sie welkt
und fault. Ihr braucht mir keine Frucht mehr schenken!

Nur Blütenduft vielleicht, der zart zerstiebt,
daß sinnlos man in seinen Sinnen schwelgt,
so wie die Götter, ohne nachzudenken.

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Kitsch

* 1972                                                              (lange) nach einem Gespräch mit Sylvia Geist

© beim Autor                                              
Bienensummen übertönt das Schweigen
eines milden Himmels. Warmer Süd
streicht übers Feld. Goldgelb erblüht
der Raps, und bald zerspringen an den Zweigen

Kirsch- und Apfelknospen. Fast verfrüht,
doch hochwillkommen. Und die Zweige neigen
sich den Bienen zu, die emsig steigen,
wenn am Baum die süße Lockung glüht.

Mich hat noch etwas andres angetitscht,
als nur der Blütenstand von Raps und Kirsch,
der mir nun duftig mein Sonett verkitscht.

Dies ist kein edengleiches Blumenland;
Ich hatte ganz vergessen wo ich stand:
In brüchigem Asphalt, Morast und Girsch...

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Akt

* 1972

© beim Autor                                              Neulich in St. Paul war Vernisage.
Ich mache mir ja nichts aus dem Geschmier,
Ich war nur wegen der Kollegen hier,
Ich sag dir: Künstler sind so'ne Bagage.

Gleich vorne hängt ein Bild "die femme hommage"
das zeigt ganz weich, geschmeidig, wie ein Tier,
Da kommst du nie drauf... - na, ich sag es dir:
Die Schneiderstochter. Grade die! Kein Arsch,

und diese kleinen jungenhaften Tittchen.
In Kohle, Kreide, auch zwei Aquarelle.
Ich sag's ja: Jedem Tierchen sein Plessierchen...

Schamlos, nackig räkelt sich das Flittchen
badend, nymphomanisch an der Quelle!
und diesen Frevel zeigen noch die Kirchen...

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Die Wellen von Vigo

* 1972                                                              (frei, nach einem altspanischen Liederzyklus)

© beim Autor

Ihr Wellen, könnt ihr den Geliebten sehen,

ihr Wellen Vigos auf dem weiten Meer?

Ich wünsche mir so sehr den Freund hier her,

den Liebsten, nach dem alle Sinne flehen!

Dann, Mutter, werde ich nach Vigo gehen.

Alles was ihr über Liebe wißt,

mein Freund, bringt's mir wo unsre Küste ist;

Wir wollen in den Wellen untergehen!

Es tanzte eine wunderschöne Frau

an diesem Strand, die nie zuvor geliebt.

Geheiligt soll das Meer bei Vigo sein.

Erhebe dich aus diesem Himmelsblau

von Vigos Wellen, die dich so geliebt,

mein Mädchen, nun ist deine Liebe mein!

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Der Segen des Poeten

* 1972                                                              frei nach dem Französischen (I. R.-G.)

© beim Autor

Von alter Trübsal vollgesogen, war's genug.
Ich ging hinaus und hörte froh die Vögel singen,
als just ein Mensch, ein Greis, vorbeikommt, schütter, dringend
in die Erde schiebend seinen schweren Pflug.

- und meine Seele schäumt und strömt, wie ihm der Schweiß!
Mein Herz schlug wieder leicht. Ich rief ihm zu: "Dir spende
Gott Segen: Für die rauhen und zerfurchten Hände, -
Und auch den Füßen für die Arbeit, Für den Fleiß!“

Doch der entgegnet: „Segne lieber meine Scholle,
denn sie trägt, so Gott will, das nötige Getreide.
Da rede der Poet soviel und was er wolle.

Man tut’s! Was auch der Dichter, hochgeboren, glaubt;
Ihn tröstet manches leicht, was doch kaum Grund zur Freude,
pflückt irgendwelche Blumen und bekränzt sein Haupt.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Im Fenster

* 1972                                                              frei aus dem französischen nach Rilke

© beim Autor                                               "C'est pour t'avoir vue..."

 

Im Gegenüber dieser Häuserflucht,

- du lehntest sonnend auf der Fensterbank –

geschah es, daß ich meinen Abgrund trank

und meine ganze willenlose Sucht,

 

als du die Arme mir ins Dunkel breitest

ins Niemandsland der Möglichkeit versank.

Und keine Geste dir gedieh zum Dank,

die du so frei durch deine Zimmer schreitest.

 

Sag, Fernste, mir, warum ich nur gemieden

die so gewünschte, flüchtige Gebärde;

warum ich durch mein So-Sein abgeschieden

 

von jeder andern Seele dieser Erde.

Beschließt sich nur mein unstet fliehnder Frieden,

wenn ich zu Wind im leren Flußbett werde?

 

 

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Rose

* 1972

© beim Autor                                             

Zu leicht ergibt sich manche Braut dem Sinn,

der sich in kurzem Blütentraum verzehrt.

Der spät geborgne Schatz wird mehr geehrt,

als der nur zugefallene Gewinn.

 

So zeigt sich denn die Rose auch bewehrt;

und ist der erste Frühlingsblust dahin

hebt über alle sich die Herrscherin

als Edelste, Unnahbarste begehrt.

 

Doch bald werd ich der Königin in spé
und ihren Lockungen entgegenfliegen!
Versprach mir schon die Knospe das Bukett

ergibt sich mir die Rose, deren Glut
samt-seiden ihrem Dornenkranz entstiegen
erwartungsvoll in der Entfaltung ruht.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Veilchen

* 1972

© beim Autor                                               Am schwersten müssen sie sich morgens neigen,

bevor der erste Dämmergruß ergraut,
Wenn Kälte einer Nacht auf ihnen taut,
so karg geschirmt von unbelaubten Zweigen.

Doch wenn die Sonne erst nach ihnen schaut
und froher Finkenschlag durchbricht das Schweigen,
wird jedes seine schönste Seite zeigen,
und seht: Wie duftig auch die Erde blaut!

Geschwisterlich in ihrem weichen Nest
aus frischem Herzlaub stehn sie sich verbunden.
Die selbe Sonne wärmt sie durchs Geäst.

Dem Veilchen kürzt bald dichtes Laub den Lenz.
Es steht ihm nicht der Sinn nach Konkurrenz,
will nicht erobert werden, nur gefunden.

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Crysantheme

* 1972

© beim Autor

Im nahen Hain kommt bald das Laub zu Fall;
fast scheint's, daß jeder Halm dem Sommer winkt
und jeder Regenschauer kälter dringt
ins Erdreich. Rostig harren überall

die Gärten aus. Wenn nun der Sonnenball
nach reichem Sommer immer früher sinkt
und rings der Blütenflor von Schwermut trinkt,
hebst du dich, Chrysantheme, gelb und prall.

Die Wärme eines Jahres liegt darin.
In Nebel fallen manche Blüthenthrone,
doch du, die steigend in der Erde fußt

und spät noch blühst, wirst nie die Königin.
Dein leiser Stolz bedarf nicht dieser Krone,
die du gesammelt in dir selber ruhst.

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Mohn

* 1972

© beim Autor

Des Sommers Sache ist es nicht zu geizen;

Die Luft steht auf den Äckern still und flirrt.

Ein kurzer Schauer wird sofort pariert,

die erntereifen Felder aufzuheizen.

 

Gefiedert streut sich Klatschmohn ins Geviert;

Sie Sonne brennt und ihre Strahlen beizen

die Flur ringsum. Satt, goldgelb steht der Weizen

als ihm zur Fruchtzeit neue Blüte wird.

 

Die prallen Knospen springen und karmin

entblättert wolkig sich der Seidenbausch.

Für all die Wärme, die er sich geliehen

 

ergibt der wilde Mohn sich selbst zum Tausch;

Bald läßt er seine Blütenblätter ziehen.

Verkapselt reift des nächsten Jahres Rausch.

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Sommertag

* 1972                                                              (frei nach Rilke „Jour d´ Été“)

© beim Autor

Das Kalkputzhaus steht starr, die Jalousien

so dicht verschlossen wie nach einem Schrei,

der jäh den Zeitlauf anhält, und dabei

die Stunden einen Bogen um ihn ziehen.

 

Die Messingziffern auf der Sonnenuhr

sind unkenntlich verwischt von einem Pfau

der schattenhaft changierend zwischen blau

und grün dort ruhn, mit seinem Rad die Spur

 

der Sonne überspannt. Ach - Rosen über Rosen;

Sie werden übervoll heut abend senken

ihr Blütenkleid... - Sieh hin, mein Kind: Die losen

 

gewelkten Blätter geben uns zu denken;

Nun fallen sie, noch immer zart und rot;

Des Lebens Rätsel löst dir hier ihr Tod.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Ebbe abends

* 1972

© beim Autor                                              Das Meer ebbt langsam ab und immer leiser

klingt wie von Ferne dumpfer Wellenschlag.
Und gleich dem Ozean senkt sich der Tag;
nur Möwen in den Marschen schreien heiser.

So dunkel neigt sich auch in mich die Nacht.
Der Sterne funkeln in der Ferne viele,
nur was mir greifbar ist: die seichten Priele
sind blos aus Sediment und Schlick gemacht.

Doch Ihr, die hoch die Küste überflogt!
Schreit laut hinaus, was in euch angestaut!
Der Ozean am Horizont verblutet

und flach der sieche Meeresbusen wogt,
bis er sich neuer Sehnsucht anvertraut,
die ihn im Sog des Mondes wieder flutet.

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Dark Lady

* 1972                                                              (frei nach Shakespeare)

© beim Autor                                              

Soll ich dich einem Sonnenbrand vergleichen?

Viel ärger sengt dein strenger Blick die Welt.
Sein Strahl kann das verborgne Herz erreichen,
wo von der Sonne nur die Haut abpellt.

Verdorrte Erde blüht bald wieder neu
und etwas Nebel schon die Sonne schwächt,
doch dein Fanal bleibt meinem Herzen treu,
Sei auch der Anlaß nichtig, sei's gerecht.

O mag sich jeder Mann vor dir behüten,
daß er nicht vor der Zeit an Liebe krankt.
Nein - Einer soll's dir irgendwann vergüten;
Mit gleicher Münze sei dein Werk gedankt.

Dein böser Blick speist sich aus Höllentiefe,
und nur zur Warnung schreib ich diese Briefe.

 

 

 

ZaunköniG                                  Fremdwörter

* 1972

© beim Autor

Die Jugend lispelt heute ihr 'TH'
Der deutsche Sprachgebrauch geht bald zur Neige.
Schon lange heißt's nicht hellbraun, sondern beige.
Wie spricht man heute eigentlich BH?

Mein Deutsch, mit Anglizismen fest leiert
klingt hipp, nicht mehr bloß neu, nicht mehr modern
und pro Saison die neuen Moden lodern,
wird jeder neue Slogan abgefeiert.

Die neue Zeit ist tot; es lebt New Age,
leiht allem neue Farbe oder 'Teint'.
Was wohl Herr Duden zum Gepansche meint?

Sind nicht die fremden Wörter eine Plage?
doch sie gewinnen immer mehr Terrain
und schon erobern sie den Musenhain.

 

 

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Pfennigbaum

* 1972

© beim Autor                                               Ein Rest vom zwanzigjährigen Bestehen:

Vorm Fenster steht ein dürrer Pfennigbaum;

Dem Glückwunsch bleicht sein rot gekreppter Saum,

die runde Zahl ist oberhalb zu sehen.

 

Er wird noch dieses Jahr zugrunde gehen,

verbrauchte trockne Luft erstickt den Raum.

Ich gehe. Von dort draußen sieht man kaum

ein Blatt, Im Luftzug die Gardinen wehen...

 

Ein wolkendichter Himmel ohne Sterne;

Mein Weg führt durch den tiefen Birkengrund.

Da tritt im warmen Kegel der Laterne

 

ein Funkeln aus dem dunklen Dämmerschlund.

Die Birkenblätter schimmern in der Ferne

so hoch, so kupfergold und pfennigrund.

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Die neue Schwester

* 1972                                                              frei Nach François Coppée

© beim Autor

Wenn nun auch alle um ihr junges Leben klagen,
ihr Gut, und um die Hoffnung, die in sie gesetzt,
kam sie ergeben in das Kloster, sucht hier jetzt
die Ruhe, die noch ausgeht von uralten Tagen.

Man sieht den Rosenkranz um ihren Rockschoß schlagen,
als sie den Wandrern Kräuter auseinandersetzt,
Die Namen, Pflege, und was gut vor Blähung schützt,
auch das Gewölbe, wo die edlen Weine lagern.

Und doch; ’ne Blume pflückte sie nach einer Zeit;
Ein Duft der weltliche Erinnerungen trägt,
und drängt, und trotzt der heiligen Gehorsamkeit.

Sie atmet tief den Duft der Blüte, viele Male,
bis sich zum Abend Frieden ins Gewissen legt,
ihr das Bewußtsein löschend, - eine Weihrauchschale.