ZaunköniG                            Gesang aus der verlorenen Mitte

* 1972                                                   3. Sonettenkranz

 

Jemand reibt den Alltag wund,

teilt die Zeit und macht sie uhrbar.

Jemand kocht sein Süppchen gar.

Jemand schürt de Zeitenschwund.

 

Legenden an die Zimmerdecke,

rote Rosen in das Meer;

Bilder fallen aus der Mär,

die ich vor jemandem verstecke.

 

Jemand leugnet meine Klage.

Jemand horcht auf mein Gebet.

Jemand spricht in jeder Sage

 

davon daß es weitergeht:

Das Schicksal hält sich stets die Waage,

gleich, woher der Wind auch weht.

 

 

 

I.

 

Jemand reibt den Alltag wund

mit dem Rädchen seiner Uhr,

redet von der letzten Kur,

schreibt mir aus dem Dämmerschlund.

 

Nachts sind alle Fratzen bunt,

und die Blicke werden fahrig,

wird die Frage einmal haarig.

Jemand spricht von seinem Fund.

 

Hört, es klingeln schon die Kassen.

Für manche Menschen ist Sinn nur da,

läßt er sich in Zahlen fassen.

 

Sonst liest er nur Bild und Burda,

rechnet und er kanns nicht lassen,

teilt die Zeit und macht sie uhrbar.

 

 

 

II.

 

 

Teilt die Zeit und macht sie uhrbar,

archiviert die Zuversicht;

allein und nur vom Ruf der Pflicht

ist immerhin noch eine Spur da.

 

Was ein krankes Hirn gebar,

werde ich euch nicht bezeugen.

Vor der Zeit werd ich nicht beugen,

meinen Wunsch von einer Mar.

 

Besserung, die schuf er nicht;

Es riecht noch immer nach Gefahr,

verlangt noch immer Duverzicht.

 

Es riecht verbrannt am Hausaltar;

abends, nächtens ruft er dich.

Jemand kocht sein Süppchen gar.

 

 

III.

 

Jemand kocht sein Süppchen gar,

das niemandem so richtig schmeckt,

hat manchen Irrtum ausgeheckt,

der mir gut und heilig war.

 

Suchen wiruns ne Enklave

wo wir unsre Wunden lindern.

Jede Zeit frißt ihre Kinder;

wem sollen wir uns noch versklaven.

 

Fangen wir doch an zu leben,

statt zu sein und werden bunt.

Unsmit grünem Punkt bekleben,

 

in der Hoffnung auf den Fund,

wird uns keine Zukunft geben;

jemand schürt den Zeitenschwund

 

 

 

IV.

 

Jemand schürt den Zeitenschwund,

in der Herbstzeitwindenwiege.

In der Auen seichten Biege

liegt ein Märchen auf dem Grund.

 

Aus den dunklen Wolkenspalten

rolln die ersten Konsonanten

und die Wetterwaisen wandten

sich zu mir, doch sie erkalten.

 

Regen prasselt an die Scheibe.

Über mir die dunklen Flecke.

Kein Wetter sich daran zu reiben,

 

wenn ich meine Arme strecke,

mit dem Licht spiel undich schreibe

Legenden an die Zimmerdecke.

 

 

 

V.

 

Legenden an die Zimmerdecke.

Der Nachtplafond, die Weltattrappe –

Gedankenschritte, Wandeltreppe,

Traumgespinste in der Ecke...

 

Keine Namen, Haarespalter;

Fenster spiegeln fremde Länder,

goldne Lichter, Sterngewander,

Ewigkeit- das Ent-zeitalter.

 

Meine Fensterläden keuchten:

Von Osten stirbt der Himmel leer.

Anfangs nur ein Wetterleuchten,

 

warf ich ohne Wiederkehr,

als sie den letzten Stern verscheuchten,

rote Rosen in das Meer.

 

 

 

VI.

 

Rote Rosen in das Meer

und an jeden andern Ort.

Bevor das letzte Blatt verdorrt,

wein ich Wasser hinterher.

 

Kleiner Klang, doch wer verträgt

Vogelstimmen, klar wie Glas,

wo unter einer Handbreit Gras

noch jeder stein dein Namen trägt.

 

Zusehn, wie die Zeit verrinnt;

das Leben ist nicht immer fair,

doch endet alles, was beginnt.

 

Die Rosen sterben. Mehr & mehr

wird das Leben ausgedünnt und

Bilder fallen aus der Mär.

 

 

 

VII.

 

Bilder fallen aus der Mär:

Die verwunschnen Nebelwälder

traumumrankt. Die Welt ist wilder

manchmal – manchmal ist sie leer.

 

Gestern war noch Entzeitalter.

Blättern in vergilbten Alben

Mit den Feuerfarben falben

Blütenträume, bunte Falter...

 

Bilder fallen aus der Mär:

Die scharlachroten Buttenflecke.

Bilder fallen aus der Mär,

 

Bilder in der Schädeldecke.

Bilder fallen aus der Mär,

die ich vor jemandem verstecke.

 

 

 

VIII.

 

Die ich vor jemandem verstecke,

die Bilder findet niemand mehr.

Sie sind mein letztes Elixier,

bevor ich an mir selbst verrecke.

 

Was hilft schon all die Reklame,

wenn du die Haut der Dinge schönst,

dir die Ohren trocken fönst

und innen fault der letzte Same.

 

Ich weiß genau, was schlecht und gut,

doch bitt mich nichts, stell keine Frage;

ich hab für mich zu wenig Blut.

 

Vielleicht in einer andern Lage,

doch was beweist mir aller Mut:

Jemand leugnet meine Klage.

 

 

 

IX.

 

Jemand leugnet meine Klage.

Jemand lücgt von Glück und Lohn

Jemand straft die Wahrheit Hohn.

Jemand glaubt dir nur sehr vage.

 

Nimm den Aufruhr und die Stile,

und den Schmerz beim Rippenbogen.

Wie oft hast du dich belogen:

Heimat ist nicht nur Idylle

 

und vereist mir meine Züge.

Jemand sagt, daß er versteht.

Ich kenn die Sorte zur Genüge.

 

Jemand wartet und vergeht.

Jemand forscht nach einer Lüge,

Jemand horcht auf mein Gebet.

 

 

X.

 

Jemand horcht auf mein Gebet,

schreibt mir manchmal fremde Briefe,

steigt wie’n Schiffswrack aus der Tiefe,

sagt, daß alles fortbesteht.

 

Sie dem Somerwind zu schenken,

schneid ich Fratzen aus dem Eis,

der Vergänglichkeit Beweis.

Natürlich läßt sich vieles denken:

 

Zum Beispiel, daß wir morgen sterben,

doch ändert gar nichts an der Lage,

die Gardinen schwarz zu färben.

 

Jemand duldet keine Frage.

Jemand sammelt meine Scherben.

Jemand spricht in jeder Sage.

 

 

XI.

 

Jemand spricht in jeder Sage,

was die Gottesbilder taugen.

Leg mir deine Hand vor Augen;

wirf mich, wenn ich mich vertage,

 

wieder auf ein gutes Gleis.

Schneide nochmals, traute Herbe,

in den Bußstab eine Kerbe,

eines fremden Wort Geheiß.

 

Ich bin ein Stück wie sie geworden,

die verachtet, angefleht.

Phantasien überborden,

 

was in meinen Mitteln steht,

sprech ich meine Fluch gen Norden,

davon, daß es weitergeht.

 

 

 

XII.

 

Davon daß es weitergeht,

oder daß ein jedes endet,

wie man es auch dreht und wendet;

ob man fällt oder besteht.

 

Wer viel gewinnt, der noch mehr wagt,

mit wenigmanchmal schon zufrieden,

manchmal mit u wenig Frieden;

es ist alles schon gesagt.

 

Wer als nächstes um mich wirbt,

oder zägl ich nur die Tage,

bis mich Neid und Angst verdirbt;

 

wen ich durch die Zeiten trage,

wer mir in den Händen stirbt;

das Schicksal hält sich stets die Waage.

 

 

 

XIII.

 

Das Schicksal hält sich stets die Waage ;

Staub zu Staub & Stein zu Stein;

es kann kein zweiter Weg mehr sein,

kein neuer Zweig vom alten Schlage.

 

Stein an Stein & Staub zu Staub,

so breites sich die Wüste aus.

Zeig mir endlich ein Zuhaus,

Irgend etwas das ich glaub.

 

Ich brauche dich, mein Brot zu teilen;

sag mir wie es um mich steht.

Verführen wir uns zu verweilen;

 

auch wenn unsre Zeit mal geht,

es ist kein Grund, sich zu beeilen,

gleich, woher der Wind auch weht.

 

 

 

 

 

                                               Aus: „Bevor Du mich zum Alltag weckst“

                                                               erschienen in der Edition Elf

 

Sonette