ZaunköniG                                  Medusa

© beim Autor                                             Drei Sonettenkränze

* 1972

 

 

 

 

Der Orakelspruch

1. Sonettenkranz

 

 

I.

 

Es naht in falschem Glanz ihr Schicksalstag.

Sie sah schon manchen Mann um sie hofieren,

noch keiner mochte sie interessieren;

ein Gott soll’s sein, so lautet der Vertrag.

 

Was sie verlangt ist viel; der Zinsbetrag

zu teuer. Alles wird sie bald verlieren.

Sie will ihr Glück um jeden Preis probieren,

zu wissen, was die Zukunft bringen mag:

 

„Die gleiche Frucht wächst aus dem selben Holz“.

Sie forderte ihr Schicksal ohne Not.

Sie nimmt ihr Los und steckt es weg, entrollts,

 

sie deutets nicht. – nicht jetzt. – Es heißt: Verderben.

Dem einen nur fügt sie sich in sein Werben;

von ihm empfängt sie Leben,  - und den Tod. 

 

 

II.

 

Von ihm empfängt sie Leben und den Tod:

Sie schuf sein Bild nach ihrem Ideal; -

nur äußerlich – jedoch von Mal zu Mal

trifft sie es besser, bis ein wahres Od

 

aus der geschickten Hand ersteht. Es loht

lebendig aus geschliffenem Opal,

und alles Vorgeschaffne wirkt banal

vor diesem Götter-Bildnis. Kieselrot

 

der Leib gebrannt, die Geste ausdrucksstark

und echt. Athene nahm sie in die Lehre,

und diese Schülerin verheißt Ertrag

 

für ihre Mühen. Fleisch und Bein und Mark

spürt man in den Figuren. Ach, der Hehre...

Es naht in falschem Glanz ihr Schicksalstag.

 

 

III.

 

Es naht in falschem Glanz ihr Schicksalstag.

So selbstverliebt in das, was sie erschaffen:

Der starke Arm, wie sich die Muskeln straffen,

in jeder Pose, die sie wünschen mag

 

mit Schild und Schwert, oder mit Weinkaraffen

leuchtend rot. Es ist kein Geldbetrag

genug für ihre Kunst. Ein Holzverschlag

wird ihr zum Tempel. Mit Athenes Waffen,

 

mit ihrem Stolz und ihrer schnellen Zunge

verteidigt sie ihr Tun vorm eitlen Markt,

wie sie sich selbst erwehrt, die Schöne, Junge

 

vor aufdringlichen Werbern. Dann erstarkt

sie wie Athene selbst beim Diskutieren.

Sie sah schon manchen Mann um sie hofieren.

 

 

IV.

 

Sie sah schon manchen Mann um sie hofieren,

doch braucht sie keinen Mann, sie zu ernähren.

Sie hört die Komplimente und die Mähren

goldner Zukunft. Sie kann nur verlieren

 

bei diesem Tausch;  - Man hört sie referieren

von Reinheit, Freiheit, Tugend: - „...doch die Schwären

irdischer Begierde sind die Zähren,

aus denen Leid und Leid sich generieren,

 

von einem Menschenalter auf das nächste.

Dies höchste Opfer sollst du Höchstem weihen,

statt es an ein Trugbild zu verlieren.

 

Ich kann dir deinen Unverstand verzeihen,

doch die selben Schwüre, die du schwörst, die brächste.“

Noch keiner mochte sie interessieren.

 

 

V.

 

Noch keiner mochte sie interessieren,

trat ihr gegenüber ohne Fehl.

Nein, nicht ein ungeschliffenes Juwel;

der Geltungssucht ne Maske, die Manieren,

 

die doppelzüngig jedes Wort parieren.

Sie macht aus ihrer Meinung keinen Hehl; -

Sie läßt nicht um sich schachern wie ’n Kamel.

Sie lassen sich vom Stolz leicht korrumpieren.

 

In stiller Stunde hat sie sich geschworen,

den Kreis von Fluch und Sünde zu durchbrechen.

Sie bleibt alleine, es sei denn der Tag

 

bricht an, vor allen anderen erkoren,

da Wahrheit, Schönheit, Tugend selber sprechen;

ein Gott soll ’s sein, so lautet der Vertrag.   

 

 

VI.

 

Ein Gott soll ’s sein, so lautet der Vertrag,

doch läßt der Retter lange auf sich warten.

Athene schmeichelt ihrer schönen zarten

Schülerin. Sie führt die Hand, und Schlag

 

für Schlag löst sie die Götter aus dem harten

Stein, der schlafend Jahrmillionen lag.

So wächst der Baustoff ihr von Tag zu Tag

noch mehr ans Herz, der Stein in allen Arten.

 

In einem Lächeln sieht sie meist nur Blendung,

erstickte Liebe, wie man Kätzchen säufte,

sie lebte, wartend auf den einen Tag.

 

Alles Schaffen strebt ihr nach Vollendung,

doch sieht nicht, was ihr Stolz für Schulden häufte.

Sie erwartet viel: der Zinsbetrag.

 

 

VII.

 

Sie erwartet viel. Der Zinsbetrag

ist unbezahlbar nach so langer Zeit.

Der Einzigartige litt Einsamkeit,

von jeher und so bis zum jüngsten Tag.

 

Ihr Schöpfertum nimmt sie ganz in Beschlag.

In ihrem Fach schafft sie Vollkommenheit.

Nur manchmal spricht sie mit dem Stein zu zweit

und fragt, was ihr die Mühe lohnen mag.

 

Ihr Blick streift noch einmal die Steingeschöpfe;

„Ans Leben glauben!“ hieß einst ihr Gebot.

Die Götter neigen, scheint’s, vor ihr die Köpfe,

 

und sie erkennt im Stein ihr eignes Frieren.

Sie war sich allem, was sich ihr erbot,

zu teuer. Alles wird sie bald verlieren.

 

 

VIII.

 

Zu teuer: Alles wird sie bald verlieren.

Sie lebte wie Athene, stolz und züchtig.

Sie ist nach Ruhm und großen Werken süchtig,

doch was sie auch erreicht, es provozieren

 

ihre Taten, neue Sehnsucht. Tüchtig,

strebsam geht sie vor, doch produzieren

die Hände nicht genug, sie zu kurieren.

Ihr Ziel war hoch, die Zeit jedoch so flüchtig.

 

Ein Kreis, wie der, dem sie entkommen wollte,

tat sich vor ihren Augen auf. Wer weiß,

wohin ihr Weg sie führt. Die Hände zieren

 

Risse, die sie ihrer Arbeit zollte.

Schon zweifelt sie an ihrem Schwure leis.

Sie will ihr Glück um jeden Preis probieren!

 

 

IX.

 

Sie will ihr Glück um jeden Preis probieren

und das Orakel heute noch befragen.

Ein dumpfes Etwas drückt ihr auf den Magen

beim Gedanken an die dichten Schlieren

 

Räucherwerks, und leise Zweifel nagen

schon an ihr. Was hat sie zu verlieren?

Athene selbst wird sie kompromittieren,

doch wofür soll sie sich noch länger plagen?

 

Doch alle Zweifel gibt sie letztlich hin;

der Abend glänzt ihr schwärzlich wie Onyx.

„Kein Glück entwächst dem Leben ohne Sinn!“

 

Was wär das Wesen des ersehnten Glücks?

„Es setzt voraus“, auch wenn sie hier erschrak,

„zu wissen, was die Zukunft bringen mag.“

 

  

X.

 

Zu wissen, was die Zukunft bringen mag;

wer will das nicht. Man deutet manchen Krakel

aus der Krähenspur. Es bleibt ein Makel

an der Sache: Frag und Wetterschlag

 

bricht dir das Herz. Wie giftige Tentakel

lockt das Wissen um den nächsten Tag.

Die Neugier weckt den bösen Geist: Nun sag:

Was wird aus mir: Ich frage dich, Orakel!

 

„Wenn du den Gegenzauber kennst, entfachne. –

Bevor das Wachs zu deiner Aura schmolz,

bezähm die Flamme, die verzehrt. Dein Stolz,

 

(wenn du den Spruch nicht glauben kannst, verlachne)

führt dich zum selben Ende wie Arachne.

Die gleiche Frucht wächst aus dem selben Holz.“

 

 

XI.

 

„Die gleiche Frucht wächst aus dem selben Holz“;

Arachne also, doch das Gleichnis hinkt.

Sie steht in keinem Wettstreit, vielmehr bringt

sie täglich ihr ein Opfer dar. Ihr Stolz

 

kommt von Athene selber, denn sie wollt’s,

erwählte sie, daß sie sich ihr verdingt.

Musik klingt, wenn vom Meißel Marmor springt

wie Eierschalen. – Nun, doch wer vergolt’s?

 

Was ihr gleich sakrosankt, blieb andern Schmuck,

um Reichtum und Geschmack zur Schau zu stellen.

So blieb es unverkäuflich. Denen bot

 

sie nur Geschirr zum Kauf und feinen Stuck.

Doch sollt sie sich Athene bald vergällen.

Sie forderte ihr Schicksal ohne Not. 

 

 

XII.

 

Sie forderte ihr Schicksal ohne Not.

Sie sucht bestätigt, was sie selber weiß,

und einen Ausweg aus dem alten Kreis

des Lebens: Wachstum, Blüte, Sünde, Tod.

 

Sie opfert dem Orakel Salz und Brot.   

Das Heiligtum gleißt vor ihr hell und heiß;

zu viel der Schmerzen, Tränen, Blut und Schweiß;

das Edle und Vollkommne war Gebot.

 

Der Wahrheit Flamme ruft nach ihr und züngelt,

und es bekommt viel Antwort, wer viel fragt.

Ist’s Schicksal oder Glück? Wer weiß? und sollt’s

 

so sein, wie’s sich die Götter ausgeklüngelt;

gewinnen kann nur, wer auch etwas wagt.

Sie nimmt ihr Los, und steckt es weg, entrollt’s ... 

 

 

XIII.

 

Sie nimmt ihr Los und steckt es weg,  - entrollt’s

- Was soll’s. – Sie kennt die Sprüche zur Genüge.

Die Skepsis zeichnet sich in ihre Züge;

der Spruch gilt ihr als Angriff auf ihrn Stolz.

 

„Belehrung! – Glaube nicht, daß ich mich füge!“

Noch einen weist sie ab, wie je. Sie wollt’s

nicht. Was man ihr an Gunst erweist; sie schollt’s

als nichtig, eitel, Heuchelei und Lüge.

 

Sie schmäht die Denker wie die Helden. Sänger

will sie nicht und keine reichen Erben.

Den einen nur, den will sie enger

 

binden: Nur ein Gott soll sie berührn

Ihr Los sagt ihr, wohin die Wege führn.

Sie deutet ’s nicht. Nicht jetzt. Es heißt: Verderben.

       

 

XIV.

 

Sie deutet’s nicht. Nicht jetzt, es heißt: Verderben.

Ein Regenschauer und im hohen Süd

die Sonne; Wie das Wetter Funken sprüht!

Ein Held, Olympionike unter derben

 

Bauern. Auf der Stelle will sie sterben!

Ein Gott, der hier in voller Pracht erblüht

und sie durch seine Gegenwart durchglüht.

Ihr Werk gilt ihr nun nichts mehr: eitle Scherben.

 

Es ist der Eine, und er sprach sie an.

Im Auge wogt der weite Ozean...

Wie sich ringsum die Wolken golden färben!

 

Den alten hohen Werten folgen neue:

Ihre Keuschheit tauscht sie ein für Treue.

Dem einen nur fügt sie sich in sein Werben. 

 

 

XV.

 

Dem einen nur fügt sie sich in sein Werben,

jedoch ihr Glück bleibt kurz im Blumenfeld.

Sie ist das Mädchen, er der strahlnde Held,

stets auf dem Sprung, sich Ehre zu erwerben.

 

Sie will ihm so viel sagen, doch er hält

sie davon ab, spricht selber, reicht den herben

Kelch. Sie schweigt, und überlegt zu sterben.

Er spricht ihr von der großen weiten Welt.

 

Sie hält sich krampfhaft an dem Becher fest,

verstummt, und in ihr holprig, zitternd schlägt

ihr Herz: ein endlos fallend steinern Lot.

 

Ein Dolchstoß, daß er sie noch heut verläßt,

jetzt wo sich in ihr neues Leben regt.

Von ihm empfängt sie Leben, - und den Tod.

 

 

 

 

ZaunköniG                                  Poseidon an Pallas

© beim Autor                                             2. Sonettenkranz

* 1972

 

 

I.

 

Dein Ideal ist eine Kopfgeburt.

Sieh hin! Sieh ihre Augen, tränennassen

Wangen, und sieh diese steifen, blassen

Hände, in ihr Elend festgezurrt; -

 

Du hast sie, als sie schwach war, fallen lassen.

Du tust, als hätte sie geraubt, gehurt;

hat sie denn je bei deinem Wort gemurrt?

So lehrtest du sie, deine Tugend hassen.

 

Sieh hin! Sieht so dein Recht, dein Adel aus?

Laß einmal deine Tugendwächter schlafen.

Kennst du ihr Herz? Du kennst kaum ihr Gesicht.

 

Räch dich an mir; ich halt das leichter aus.

Du konntst sie nicht beschützen; warum strafen?

Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht!

 

 

II.

 

Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht,

so wenig, wie die Menschen dich verstehen.

Sie beten, ketzen, lieben, hassen, flehen,

und sehen dir beim Lügen ins Gesicht.

 

Sie glaubens leicht, wenn man etwas verspricht,

und höher als Vernunft gilt, was sie sehen.

Sie sehen unsre Gaben nicht als Lehen.

Die Wahrheit ist nichts Hohes. – Eher schlicht.

 

Ein Fehltritt; - doch bei andren wär er läßlich!

Laß sie mit dem Schicksal sich versöhnen.

Reichen dir nicht ihre Trauermale?

 

Deine Rache macht euch beide häßlich:

die Göttin, und die Priesterin des Schönen.

Ich red jetzt nicht zu dir als dein Rivale.

 

III.

 

Ich red’ jetzt nicht zu dir als dein Rivale:

Es ging dir doch nicht wirklich um die Sache.

Es schmerzt, daß ich es war; Entfache

deinen Gegenzauber! Der banale

 

Ausfallschritt nach einem Bacchanale,

Pallas, ist’s nicht wert. Nimms sportlich! Lache!

Wo blieb das kluge Maß in deiner Rache?

Ist dieses deine Weisheit? Die totale?

 

Sie ist für ihren Stolz gestraft genug;

ich weiß: grad dafür hattst du sie geschätzt,

und wer sich eine Schuld anhäuft, der zahle!

 

Jedoch sie zahlt ja! Hältst du es für klug,

daß du den Zins so maßlos angesetzt?

Verachte nicht das Schwache, Triviale. 

 

 

IV.

 

Verachte nicht das Schwache, Triviale,

denn Schwäche ist nicht Schuld. Sie ist Natur!

Dem Schwachen ist sie selbst genug Tortur.

Dir, Pallas, ist es leichter, darum prahle

 

nicht mit deiner Kunst, die Glück ist. Nur

dies Eine: Dämpfe deine radikale

Meinung von Medusa. Das Fatale

an ihr, wie auch an jeder Kreatur,

 

ist ihre Ungewißheit. Doch sie glaubte

an den göttlichen, an deinen Funken!

Nur sie war’s, die auf Erden für dich ficht.

 

Doch nun bist du’s, die ihr das Letzte raubte.

Sie ist in Schwarz und Bitternis versunken.

Es überwiegt so weit dein bißchen Licht. 

 

 

V.

 

Es überwiegt so weit dein bißchen Licht:

das Grauen! Deine Weisheit ist so kalt.

Medusa wurd an einem Tage alt.

Es ist zum Steinerweichen. Ihr Gesicht

 

nun so entstellt zu sehen, und schon bald

hält jeder Maulheld über sie Gericht.

Ist das der Lohn für Schweiß und Zeit, Verzicht?

Ihr Opfer, das doch dir alleine galt?

 

Du kennst nicht Dank, du kennst auch kein Verzeihen.

Viel schlimmer als der Feind ist der Verräter,

doch was sind dies, deine Ideale,

 

die dir diese Grausamkeit verleihen?

Auch du wirst es vielleicht begreifen, später:

So wichtig wie das Opfer ist die Schale.

 

 

VI.

 

So wichtig wie das Opfer ist die Schale,

jedoch nicht so, wie du es gern vernimmst,

indem du ihren Wert danach bestimmst,

was in ihr lag und liegt; edle Pokale

 

haben ihren Wert an sich. Bezahle

Material und Kunst, und gerne nimmst

du ihn. Nein, Pallas, leugne nicht, du glimmst

doch unter deiner Rüstung. Zeig dich! Strahle!

 

Und Brenne für die Dinge, die du liebst.

Du mußt die Liebe nicht erst lang begründen.

Verlangt denn irgendwer von dir Bericht?

 

Nimm freudig, aber zähl nicht, was du gibst.

Die gröbsten, sind die Unterlassungssünden.

So wichtig wie’s Gebet, ist der, der ’s spricht.

 

 

VII.

 

So wichtig wie’s Gebet ist der, der ’s spricht.

Du kannst dein Maß nicht immer höher schrauben.

Sieh, wie sie nach deiner Wahrheit klauben,

die du predigst, Pallas, aber nicht

 

den Blinden wirst zu helfen, nicht den Tauben.

Wer ist es, der für dich den Lorbeer flicht,

für etwas Ehre und noch mehr Verzicht?

Menschen sind es, und sie müssen glauben.

 

Wahrheit ist so leichthin ausgesprochen,

Wissen ist ein hochgestecktes Ziel,

doch zwiebelartig schält sich Schicht für Schicht

 

ihre Gewißheit aus. Noch ungebrochen

zelebrierst du dieses eitle Spiel, -

nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht.

 

 

VIII.

 

Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht,

denn dir ist niemand teuer oder lieb

um seinetwillen, der sich an dir rieb.

Alleine, wer nach deinem Munde spricht,

 

den Gleichgesinnten nur schenkst du dein Licht.

Der Mensch hat den Verstand, doch auch den Trieb,

doch dir geht’s immer nur um das Prinzip,

auch wenn die Mehrheit sicher dran zerbricht.

 

Es war nicht recht, den Rufmord anzuzetteln.

Schon schäumt die Schande auf in aller Munde,

wuchern die Gerüchte und Skandale.

 

Soll sie bei dir um Gnade für sich betteln,

für diese eine unbedachte Stunde?

Wir Götter selbst sind nicht nur Ideale.

 

 

IX.

 

Wir Götter selbst sind nicht nur Ideale,

ist denn dein Maßstab vollprozentig echt?

Nimm Perseus: Ist er weise? Klug? Gerecht?

Sein Blut bestimmt die Tat. Der schmale

 

Grat von Treue und Gemeinsinn: schlecht

begehbar. Übrig bleibt oftmals der schale

Nachgeschmack; es setzt sich der vitale

Eigennutz letztendlich durch. Verzecht

 

dein Anspruch, gutes Vorbild sein zu wollen.

Perseus schützt du wegen der Verwandtschaft

und du verzeihst ihm Grobheit und Ekstase.

 

Medusa aber wird es büßen sollen,

das was auch sonst kein Mensch von eigner Hand schafft.

Deiner Predigt, Pallas, fehlt Emphase.

 

 

X.

 

Deiner Predigt, Pallas, fehlt Emphase.

Deiner Lehre fehlt die Konsequenz.

Der eine kämpft um seine Existenz;

dem ist deine Vision ne Seifenblase,

 

für ’s nackte Leben ohne Evidenz.

Der andre trägt die wohlgeborne Nase

hoch, er blendet dich mit feiler Phrase

und sonnt sich groß in seiner Prominenz.

 

Was hast du dir für’n Helden ausgesucht,

in dem sich bitter Kraft und Haß vergor?

Er ist viel mehr wert, daß man ihn verflucht

 

als die Medusa, die sich dir verschwor.

Dein Spruch klingt heute höhnisch und verrucht:

„Es liegt an jedem selbst. Schwing dich empor!“

 

 

XI.

 

„Es liegt an jedem selbst. Schwing dich empor!“

Die Hoffnung für die Armen, doch den Reichen

wird manch Hindernis alleine weichen.

Verlassen, wer sich dir zum Gott erkor.

 

Es klingt den Menschen noch von dir im Ohr;

sprichst du von Sinn? Von Wahrheit? Oder Zeichen?

Du sprichst hier, Pallas, nicht von gleich zu gleichen.

„Es liegt an jedem selbst. Schwing dich empor!“

 

Deine Rede sinkt zur Metaphorik.

Der Olivenbaum war ein Triumpf,

doch als du deine Lehre abgeschnurt

 

sank deine stärkste Waffe, die Rhetorik.

Sie klingt den Menschen nurmehr hohl und stumpf.

Als Forderung ist dieses Wort absurd. 

 

 

XII.

 

Als Forderung ist dieses Wort absurd.

Das Schöne, Gute, Wahre und das Echte;

als ob’s die Menschheit jemals weiter brächte,

als ob die Taube nur von Frieden gurrt.

 

Du hast den Weg von Perseus selbst gespurt,

damit er deine Niederlage rächte.

Niederlage? Nein, Pallas, dich schwächte

keine Schwache, menschlicher Geburt.

 

Du hast dein eignes Laster offenbart;

das selbe, das du hochhieltst: deinen Stolz.

Dein Götteranspruch eine Seifenblase,

 

in die du dich mit Haupt und Herz vernarrt.

Die Wirklichkeit ist von ganz andrem Holz.

Was ist das Ergebnis solcher Phrase?

 

 

XIII.

 

Was ist das Ergebnis solcher Phrase?

Solln sich die Menschen nach den Göttern recken?

Deine Rüstung, Pallas, zeigt schon Flecken.

Vergiß die Nichtigkeiten, aber rase

 

wenn du Macht zeigst. Mische Gischt und Gase,

statt dich nur hinter Helden zu verstecken

die für dich den Feind daniederstrecken.

Sieh ihr in die Augen! Sieh’ das war sie!

 

Dieses Monster hast du selbst erschaffen:

Deine Wahrheit bröckelt an den Rändern.

Sieh dein Opfer, der das Blut gefror.

 

Schenk ihr ein Ende, du besitzt die Waffen.

Du kannst die Dinge, nicht die Regeln ändern.

So bringst du immer nur dich selbst hervor.

 

 

XIV.

 

So bringst du immer nur dich selbst hervor.

Du hast das Niedere in ihr bekriegt.

In ihr, sagst du, doch um so enger schmiegt

es sich an dich, Pallas, du armer Tor.

 

In diesem Kampf hast du dich selbst besiegt.

Vergiß, daß ich dir ehmals Rache schwor,

sieh dich nur vor den eignen Schwächen vor.

Du kannst nur geben, was auch in dir liegt.

 

Was gilt dein Glaube an den Fortschritt jetzt?

An Wissenschaft, Moral und Kunst? Hier galt’s!

Moral hilft nichts, wenn dir der Magen knurrt;

 

die alte Scharte ist heut ausgewetzt;

du siehst, auch deine Quelle trägt ihr Salz.

Dein Ideal ist eine Kopfgeburt.

 

 

XV.

 

Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht!

Ich red jetzt nicht zu dir als dein Rivale:

Verachte nicht das Schwache, Triviale.

Es überwiegt so weit, dein bißchen Licht.

 

So wichtig wie das Opfer, ist die Schale.

So wichtig wie’s Gebet ist der, der’s spricht.

Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht.

Wir Götter selbst, sind nicht nur Ideale.

 

Deiner Predigt, Pallas, fehlt Emphase.

„Es liegt an jedem selbst: Schwing dich empor!“

Als Forderung ist dieses Wort absurd.

 

Was ist das Ergebnis solcher Phrase?

So bringst du immer nur dich selbst hervor:

Dein Ideal ist eine Kopfgeburt!

 

 

 

 

   

ZaunköniG                                  Perseus

© beim Autor                                             3. Sonettenkranz

* 1972

 

 

I.

 

Ein Sieg hat bisher jedem Recht gegeben;

er wird der Welt ein helles Beispiel senden.

Man sieht’s ihm an: im Blick, im Griff, den Lenden,

nicht wie andre nur darin ergeben,

 

wie die Parzen ihm die Fäden weben.

Greif von deinem Glück mit vollen Händen;

in solchen Heldenmythen und -legenden

wird er tausendjährig weiterleben.

 

So zeigt er sich, so wurd er Held, und wer Zeus

so gefällt, dem wächst wohl Mut wie Perseus;

hell strahlend war sein Stern hoch aufgegangen.

 

Und was andre Sterbliche nicht schaffen,

das verleihn ihm gottgeliehne Waffen.

Was ist mit der Geschichte anzufangen?

 

 

II.

 

Was ist mit der Geschichte anzufangen?

Ein Held, ein Mythos und ein Trümmerhaufen:

Ist die Kampagne erst mal angelaufen,

auf das Geleis, auf das die Götter drangen,

 

dann glauben manche Recken auch, sie schwangen

sich aus eignen Kräften auf, verkaufen

und verraten sich die Menschen, laufen

doch am Gängelband. Und alle bangen

 

um ihren Platz in einer Ewigkeit,

den keiner kennt, den andere vergeben.

Man sucht nicht lang nach Legitimationen

 

Ein Sinn liegt schon allein in hohem Streben;

nur Größtes überdauert seine Zeit:

Ein Kampf um Gut und Böse. Sensationen!

 

 

III.

 

Ein Kampf um Gut und Böse, Sensationen,

Recht und Macht und Eifersüchteleien.

Was einst begann in kleinen Hakeleien

unter Göttern, pflanzt sich in Äonen

 

fort. Es sind nicht alle Liasonen

schicklich. Und Athenes Streitereien

mit Poseidon, leicht zu prophezeien,

bieten keinen Raum für Konzessionen.

 

Wenn die Helden erst ihr Herz versteinern,

zeigt sich das Große wie das Häßliche.

Beim Kämpfen mit Titanen und Gorgonen;

 

wem bleibt noch Zeit, die Sinne zu verfeinern.

Die Tat doch wächst ins Unermeßliche,

um Haß und Eitelkeiten, Obsessionen.

 

 

IV.

 

Um Haß und Eitelkeiten, Obsessionen

ging’s schon oft, - auch anderen. Da war

zum Beispiel einer, nun, es ist nicht klar

wie’s lief, doch spürt man seine Aggressionen

 

deutlich nach. Der Kampf sollt sich nicht lohnen.

Verbittrung drüber, - nicht, was ihm geschah,

nein, ganz im Gegenteil: Kein gutes Haar

läßt er an denen, die gefällig thronen

 

über dem Geschehn, wie unbeteiligt

plaudern vom einmaligen Erlebnis.

Wie sich die Ziele hoch und höher schwangen!

 

Wie man sich selbst und seine Taten heiligt!

Steif und häßlich sieht er auf’s Ergebnis,

steinig harte Blicke, kalte Wangen.

 

 

V.

 

Steinig harte Blicke, kalte Wangen;

am Ergebnis ist die Tat zu wiegen.

Da hat sich wer zu Größerem verstiegen,

die eigne Tugend zu hoch aufgehangen.

 

Voll Zuversicht, und mutig vorgegangen

kam er vor dem Postament zu liegen.

Was zwischen ihnen vorfiel, bleibt verschwiegen.

Und wie sie unsern Künstlern nie gelangen,

 

erstehn im Katastrophen-Panorama

Bilder. Noch ein Schritt, - Ein Stein erzählt Geschichten:

In jeder Fuge scheint sie anzufangen, -

 

jede Kante will die Tat vernichten:

So fügt sich sicher Strang für Strang zum Drama.

Man hat sich aneinander schwer vergangen.

 

 

VI.

 

Man hat sich aneinander schwer vergangen; -

man gibt einander Recht: Ein Gleichgesinnter

wiegt mehr als jedes Argument, und hinter

guter Absicht, Konsens und dem langen

 

Marsch hockt Angst, beizeiten abgefangen

sein zu können. – Früh genug faßt Winter

dir ins Blut, das stockt, und Kieselsinter

wächst, wo Lösung war. Dort angefangen,

 

wo ein Ziel geglaubt war, wächst nur Totes.

Fühlung wird ersehnt, - und Reaktionen,

jedoch am andern Ende deines Lotes

 

beißt dir wer den Faden ab. Stationen: -

Du erinnerst, all dir Angedrohtes;

viele nährten ihre Illusionen.

 

 

VII.

 

Viele nährten ihre Illusionen,

wurden oft und gern darin bestärkt,

am Rande sei dazu nur angemerkt,

wie gern wir selber unsern Träumen fronen.

 

Die sogenannten Zivilisationen

bauen nur auf solchen Träumen auf. Verbergt

nicht Ehrgeiz, Stolz und Mut. Ob’s jemand merkt

und anerkennt? Die Illuminationen

 

unsrer Helden sind die kleinen Lichter,

die sich um den Einzelkämpfer scharen.

Sie begründen Kult und Traditionen.

 

Die Gläubigen sind unsres Lebens Richter;

verehren einen, andren aber waren

hart und unverdaulich die Lektionen.

 

 

VIII.

 

Hart und unverdaulich die Lektionen,

eingelassen in Basalt und Quarzen;

wieviel angenehmer sind die Parzen,

die im Amt nicht strafen oder schonen.

 

Das Volk braucht Helden: Auswahl aus Millionen,

herausgehoben aus Vergessens schwarzen

Tüchern, weiht, beim Rauch von süßen Harzen,

aufbereitet für die Epigonen,

 

das Schicksal einem nur das große Los.

Zum Opfer ausersehn war die Meduse.

Andre wählen sie zu ihrer Muse,

 

doch, die neue Rolle, grausam, groß,

hat man ihr heldenfreundlich angehangen.

Viele glaubten, daß sie sie bezwangen.

 

 

IX.

 

Viele glaubten, daß sie sie bezwangen,

als Held gefeiert schon und aufgewiegelt,

daß man der Bestie Tür und Tor verriegelt:

Tötet sie! Daß sie sie niederrangen,

 

war beschlossen. Ewig sei versiegelt

ihr Blick, der schon so viele eingefangen.

Ihr Haupt, um das sich wilde Locken schlangen,

abgeschlagen, Doch -  ihr Auge spiegelt.

 

Da hat sich jedem Herz und Hand versteift,

und sie erstarrten, als ihr Blick sie streift;

sie sahn den Haß, der ihr entgegenschlägt.

 

Kein Wort mehr, irgendwas und –wen zu rächen;

nur wenn’s ein Windhauch ihm entgegenträgt,

hört er vielleicht ein kaltes Steinherz brechen.

 

 

X.

 

Hört er vielleicht ein kaltes Steinherz brechen?

Ne Marmorstatur, stolz die Brust geschwellt,

weist taub und blind hinauf zum Himmelszelt.

Nicht nur: Mit Torsi übersäet die Flächen,

 

die gekippt. Die Zeit weist allen ihre Schwächen.

Ein Stein ist sprachlos in die Welt gestellt.

Nur Kies, der aus den Augenwinkeln fällt,

betrügt ihn, tut, als wollt er zu ihm sprechen.

 

Ein andrer (Namen sind nicht überliefert)

hält sein Schwert ihr hin, wie eine Rose.

Sein Blick türkis, die Haut braun überschiefert;

 

Die Augen sagen gar nichts, doch geweitet

ist der ganze Mann in offner Pose. –

Sie bleiben stumm, da er es eh bestreitet.

 

 

XI.

 

Sie bleiben stumm, da er es eh bestreitet.

Er hat ne Wahrheit, die sich selber trägt,

doch was sich ihnen auf die Haut geprägt,

was Maße und Gewichte überschreitet,

 

was sich auf ihnen steinig niederschlägt,

das sah er nie. Als Triumphator schreitet

er vom Schlachtfeld, stolz, und nie entgleitet

ihm sein Denken oder Wollen, wägt

 

er anders, als mit eignem Maß. Nie bat

er für sich Beistand aus. Mit Mut und List

gewinnt er, und die Leute stehn daneben,

 

versteinern vor dem Angesicht der Tat.

Egal; er weiß, was gut und richtig ist –

gut, - Das heißt zunächst mal: Überleben!

 

 

XII.

 

Gut, das heißt zunächst mal: Überleben!

Mit Mut voran, die Feinde ausgemerzt!

(denn mutig meint er, spricht er von beherzt)

Den ihren solln die Götter alles geben.

 

Mancher Zeuge mag dem widerstreben,

doch das Kapitel ist schon längst geschwärzt.

Naiv; - den Einwand hat er leicht verschmerzt;

die sind mit Zwängen, wie von Stein umgeben.

 

Manch andrem wächst der Stein von innen her,

und sieht doch schön und so lebendig aus.

Man sieht den Helden fremden Lohn verzechen.

 

Er preist die Greueltat als groß und hehr,

und die Betrognen spenden noch Applaus.

Als Sieger kann er für sich selber sprechen.

 

 

XIII.

 

Als Sieger kann er für sich selber sprechen:

Er selbst diktiert der Nachwelt die Geschichte.

Man glaubt ihm, mangels anderer Berichte.

Kein graues Haar, kein Zweifel, keine Schwächen

 

bleiben stehn, und willst du dich erfrechen

andres zu behaupten, dann verzichte.

Keiner will es hören. Wer im Lichte

steht, verkauft sich leicht, und das Verbrechen

 

wird zur Heldentat glorifiziert.

Recht und Gesetz sind auch nur Konventionen.

Wessen Wort die Massenmeinung leitet,

 

hat zuletzt noch immer triumphiert.

Die eigene Moral gilt ’s zu betonen,

mit kühlem Kopf und bestens vorbereitet.

 

 

XIV.

 

Mit kühlem Kopf und bestens vorbereitet,

tritt er vor die Menge und erhebt

das Wort. Zwei Sätze und die Menge bebt.

Auch wenn die Stunde zum Erzähln verleitet;

 

die Nachricht hat sich längst im Volk verbreitet,

daß das Ungeheuer nicht mehr lebt.

Ein Schritt für ihn, der noch zu Höhrem strebt;

Ein Mann der Tat, der fest die Seinen leitet.

 

„Nun trinkt! Gebt mir den Kelch, ich scheu nicht Gift

noch Galle. Laßt mich die Trophäe heben“,

und lud den Herrscher sich zum Tribunal,

 

auf daß er den Tyrannen übertrifft;

„Ich nenne euch die gültige Moral:

Ein Sieg hat bisher jedem Recht gegeben!“

 

 

XV.

 

Was ist mit der Geschichte anzufangen?

Ein Kampf um Gut und Böse; Sensationen,

um Haß und Eitelkeiten, Obsessionen.

Steinig harte Blicke, kalte Wangen; -

 

man hat sich aneinander schwer vergangen.

Viele nährten ihre Illusionen,

hart und unverdaulich die Lektionen:

Viele glaubten, daß sie sie bezwangen.

 

Hört er vielleicht ein kaltes Steinherz brechen?

Sie bleiben stumm, da er es eh bestreitet.

Gut, das heißt zunächst mal: Überleben!

 

Als Sieger kann er für sich selber sprechen,

mit kühlem Kopf und bestens vorbereitet. –

Ein Sieg hat bisher jedem Recht gegeben!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sonette