ZaunköniG                            Den Schatten des Mondes im Schlepptau

* 1972                                                   7. Sonettenkranz

                                              

I

 

Versilbert mein Taglicht und Preis!

Ihr werdet mich doch nicht mehr ändern,

und durch mein Änderhaus schlendern,

bringt euch weder Ruhe, Beweis,

 

noch den Grund mich nun ganz zu verneinen.

Mein Haus ist nur, euch zu verwirren,

daß Augen und Ohren euch schwirren.

Und tritt es aus mit Hühnerbeinen,

 

dann seht ihr es ein: dieses Haus

ist kein Platz für zu leichte Gemüter;

es geht nicht mehr nur gradeaus.

 

Und vergeßt ihr das Teil übers Ganze,

dann sei euch ein Mahnmal und Hüter,

im Fenster der Rest einer Pflanze.

 

 

II

 

Im Fenster der Rest einer Pflanze,

fristet den eigenen Schatten

in einer durchforschten und glatten

Sicht auf das Große und Ganze.

 

Wer von euch deutet die Spuren?

Ihr haltet so viel auf Museen,

Amoniten und auf Scarabeen,

bewundert die alten Kulturen...

 

Aus Kreide und Lehm auferstanden:

Die Ahnung von anderem Leben,

geboren aus Sternen und Schaum

 

aus der Tiefsee, hier neu anzulanden.

Als Zeichen sei dir mitgegeben:

Ein Topf mit verblichenem Kreppsaum.

 

 

III

 

Ein Topf mit verblichenem Kreppsaum

erinnert mich an das Vergessen.

Lang vor der Moral kommt das Fressen;

Die Leute bemerken den Nepp kaum:

 

Verdächtige, große Versprechen,

den Mensch in den Himmel beordert,

Von vielen zu vieles gefordert,

auch mit einer Zunft zu brechen,

 

voll Sicherheit und voll Verheißung,

mit Glück per Gesetz oder eben

richtungslos treibende Leistung.

 

Sie träumen den weltweiten Webtraum

mit glasigen Augen und Leben,

den Schatten des Mondes im Schlepptau.

 

 

IV

 

Den Schatten des Mondes im Schlepptau,

bewahrt es als Nachtschwarzer Falter,

das Geheimnis von Odradeks Alter.

Die Zukunft nach altem Rezept bau’n

 

ist leichter, ist schneller und fälbe

das Licht aller Neonreklamen;

Woher alle Tugenden kamen;

Revolte ist immer die selbe:

 

Das Andere lockt auch die einen.

Gelingt die Erfindung von Glück für

nur einige, heißt’s oft für keinen.

 

Ein schneller Erfolg treibt aufs Ganze,

den Sturm auf die Niemehrzurücktür.

Heut bitt ich zum vorletzten Tanze.

 

 

V

 

Heut bitt ich zum vorletzten Tanze,

Versuch der Verheißung von Trost,

einer warben Gebärde, liebkost

von dem Blick in die Weite, dem Glanze,

 

dem Frost in der Landschaft, dem Reif,

der besticht, ganz aus Kälte geboren,

nach erster Berührung verloren,

bevor man sein Schicksal begreift.

 

Ich lache nur über die dummen

Versuche ihr Leben zu meistern,

die kargen, die feisten, die krummen,

 

doch bleiben auch mir nur Modelle.

Ich greife nach anderen Geistern;

ich zähle schon lang auf der Stelle.

 

 

VI

 

Ich zähle schon lang auf der Stelle.

Wie soll ich die Sehnsucht vertreiben?

Ich könnte mich schwindelig schreiben

in einer vergessnen Kapelle,

 

ich könnte mich völlig besessen

in Geist oder Gliedern verrenken,

in Vollrausch uind Masse ertränken;

Ich könnte wohl doch nie vergessen.

 

Es kommt bald die Zeit für das Schweigen.

Ich mach mir den Winter zu eigen,

wie Frostbärte an dünnen Zweigen

 

bar jeder Botschaft und Schuld,

immer wieder das gleiche zu zeigen.

Es blieb nur Gewohnheit vom Kult.

 

 

VII

 

Es blieb nur Gewohnheit vom Kult:

Zuviel Feuer und nichts zu verzehren,

keine Kraft, hohle Hand zu entbehren.

Es macht wenig Sinn mit Geduld

 

nur zu hoffen, es reicht, bleibt es friedlich,

und daß sich die Zeiten verkehren.

Das Warten kann alles verheeren,

genau wie die Eile und wie ich

 

den Faden auch führe und fädel,

er schneidet mir nur in die Kehle,

und fessel’ mit Geist meinen Schädel,

 

pulst unter der Decke Tumult,

denn ich trag eine brennende Seele.

Ich trage so schwer, wie ne Schuld.

 

 

VIII

 

Ich trage so schwer wie ne Schuld

meinen Schlaf durch die wachsende Nacht,

und ich hatte doch immer gedacht,

es kommt alles ins Lot mit Geduld,

 

doch es wuchert bei wechselndem Mondschein

mein Scherbenfeld nichtiger Tage

und Menschen, die Ziel einer Frage,

erstarren zu Salzen und Fronstein

 

mit Abstand und Sorge im Blick.

Mein Schattentag bleibt blindes Loch

ohne Naht an ein Nach und Zurück.

 

Ich bleibe zunächst Bagatelle.

Ich wünsch’ und geleite nachts doch

nur ein Abziehbild über die Schwelle.

 

 

IX

 

Nur ein Abziehbild über die Schwelle

zu tragen, ein weiteres Mal,

ist ein leeres Behelfsritual.

Der Schattenflug einer Libelle

 

enthält nichts mehr von ihren Farben.

Ein Schatten verrät keine Wunder.

Die Herzkammer steht voller Plunder

aus Zeiten die zu langsam starben:

 

Vertrocknete Blumen wie schilfen,

die Tränenbraut mit der Eskorte

aus bleichen Vampiren und Elfen;

 

Ein Liebestraum aus der Retorte,

Versuche, die auch nichts mehr helfen.

Es blieben nur Laster und Worte.

 

 

X

 

Es blieben nur Laster und Worte,

Versuche die Zeilen zu glätten,

mit Wohlklang und Reimen, als hätten

sie Sinn, so als gäb’ es ne Sorte,

 

die heilt, durch Besprechen und Glaube,

oder durch Ohrenauflegen,

als könnten sie etwas bewegen,

doch dreh’n sie sich nur noch als Schraube

 

noch weiter in meine Gedanken.

Ich schreibe mit Dauer und Fleiß,

finde doch immer nur meine Schranken

 

geschlossen vor fehlendem Gleis,

schreibe weiter, noch ohne zu wanken;

Ich drehe mich ständig im Kreis.

 

 

XI

 

Ich drehe mich ständig im Kreis

meiner eignen Gedanken und find es

nicht schlimm, schließlich, des Labyrinthes

Plan heißt mir nicht weiter, ich weiß

 

nur zu gut, wie es einmal geboren.

So gilt es als nicht einzunehmen,

versteckt hinter Schatten und Schemen,

versiegelt mit Wechseldichtoren,

 

seit soundsovielen Kalendern

die Wege in endlosen Schleifen,

doch wie sich die Wege auch ändern,

 

wie neu sich die Landschaft beflorte

und neue Gebilde ihr reiften:

Ich kenn’ auswendig all jene Orte.

 

 

XII

 

Ich kenn auswendig all jene Orte,

die ich mir erschaffe und änder;

Ein Treppenwitz ohne Geländer.

Und wie ich die Wahrheiten horte,

 

sie passen doch nicht zueinander:

Mein Leben wird bunt, doch nicht ganz;

Bunte Blätter verwirr’n sich im Tanz:

Ein weitausgestrecktes Mäander

 

mit Landschaft und Mond, wolkenleer.

Erfunden, daß ich nur versäume,

sich Nebel ergießt molkenschwer,

 

doch frier ich in eigenem Schweiß

verlassen mich all meine Träume,

die mir einmal Glück und Geheiß.

 

 

XIII

 

Die mir einmal Glück und Geheiß,

die Momente verschwinden für immer.

Ein Fenster führt aus meinem Zimmer,

Ich habe so großen Verschleiß,

 

schon an Chancen auf lichte Momente,

so schal sind die Tage und fade,

ich summ’ meine Regenballade,

ich habe die falschen Talente.

 

Ein Schatten hockt vor jedem Erker,

verschluckt alle folgenden Stunden.

Ich helf’ mir mit Restlichtverstärker,

 

doch fehlt mir noch eine Eskorte,

bewacht meine Wege und Wunden

ein schlafender Alb vor der Pforte.

 

 

XIV

 

Ein schlafender Alb vor der Pforte,

hat mich schon lang vor mir verstanden.

Die Welt kommt mir langsam abhanden,

wenngleich mein Gedächtnis rumorte.

 

Solange die Sehnsucht ein Ziel hat,

die Feenbucht einen Bewohner,

ein Einhorn in jedem Dragoner,

findet sie nicht nur als Spiel statt.

 

Es gibt kein verbotenes Siegel,

Ich drehe die brennende Spindel

und schaue dir hinter den Spiegel

 

doch sehe nur Masken aus Eis

und mein trautes Legendengesindel

versilbert mir Taglicht und Preis.

 

 

XV

 

Im Fenster der Rest einer Pflanze:

Ein Topf mit verwaschenem Kreppsaum.

Den Schatten des Mondes im Schlepptau

heut, bitt ich zum vorletzten Tanze.

 

Ich zähle schon lang auf der Stelle,

es blieb nur Gewohnheit vom Kult.

Ich trage, so schwer wie ne Schuld,

nur ein Abziehbild über die Schwelle.

 

Es blieben nur Laster und Worte.

Ich drehe mich immer im Kreis,

kenne auswendig all jene Orte,

 

die mir einmal Glück und Geheiß.

Ein schlafender Alb vor der Pforte

versilbert mein Taglicht und Preis.

 

Sonette