1771 - 1811
Während in den letztverflossenen Jahren eine Anzahl Dichter das Sonett bis zu den Sternen erhob, sahen andere mit Verachtung auf diese Dichtungsform herab, ohne jedoch, meines Wissens, ihr Verdammungsurtheil zu begründen. Denn die leeren Klingeleyen, die faden Süßigkeiten, die widerlichen Sprachverrenkungen, welche an manchen der neuesten, wahrscheinlich zu schnell aufgeschossenenen Sonette getadelt wurden, fielen ja der Form keineswegs zur Last, da diese Mängel nicht aus ihrem innern Wesen entsprangen. Die nicht glückliche Benennung Sonett (Klinggedicht) konnte manchen zu der Meynung verleiten, als ob diese Dichtungsart keine eigenthümliche Wesenheit hätte, sondern in einem bloßen Reimspiele bestünde; allein das Gegentheil wird jedem bei genauerer Erwägung deutlich werden.
Alle Kunst ringt nach vollständiger Darstellung der Natur. Diese,
unermeßlich im Großen und unerschöpflich im Kleinen, in ihrer Unermeßlichkeit
und Unerschöpflichkeit zu Anschauung, vollständig, d. h.. unter ihrer Einheit,
zu bringen, ist das Bestreben der Poesie. Mit den Telescopen der Epopeen und
Dramen gelangen wir durch den Ausblick in das Unermeßliche zur Ahnung, zu dem
Glauben an ein Universum. Das Sonett hingegen scheint uns in seinem, auch für
das ungeübte Ohr engbeschränkten, scharfbegräntzen Raum einzuladen, mittels
Versenkung in die unendliche Fülle, die Einheit des Universums zu suchen und zu
finden. Sein ernster, sanfter, gleicher Gang, seine Sparsamkeit des
Reimwechsels stimmt das Gemüth zur Erwartung und Feyerlichkeit, seine scharfe
Begränzung bewahrt es vor Zerstreuung, und die Harmonie des Ganzen hält es in
dem vorgezeichneten Zauberkreise fest.
Der Sonettendichter versenkt sich in sein eigenes Gemüth, weil es
keine tiefere Fülle gibt. Nur bedarf er, um nicht eintönig zu werden, eines
Reichtums an äußeren Anlässen, welcher die Fülle des Gemüths aufregt, und immer
neu erscheinen läßt. Der volle Zauber der Natur wirkte auf Laurens Sänger, aber er wirkte
wieder auf sie zurück, und verbreitete über alles den Goldglanz der Liebe.
Wenn in den kleinen Sonetten ein Unendliches, Unerschöpfliches
dargestellt wird, wollen wir sie als ein großes Kunstwerk betrachten. Jenen
aber, die gewohnt sind, Gedrucktes nach Klafftern zu messen, diene zum Troste,
daß der Sonettendichter, wenn er will, Sonett nach Sonett in Ewigkeit abrollen
kann, weil der Faden seiner Empfindung nie reißt.
Auch das soll uns nicht anekeln, wenn der Sonettendichter immer von
sich spricht. Ist nur seine Individualität rein menschlich, so spricht er zu
der Menschheit von der Menschheit.
Mag unsere Sprache doch an weiblichen Reimen arm und eintönig seyn.
Vielleicht wird sie hieran durch die Sonette reicher; unsere Sprache ist
bildsam. Das Schwere gelingt nur nach manchem vergeblichem Versuche. Dankbar
soll und wird das folgende Zeitalter dem gegenwärtigen für das Bestreben seyn,
an Melodien eines sanftern südlichen Himmels unsere Sprache zu gewöhnen, aus
der bisher die rauhe Alpenluft zu anhaltend wehte.