Johann Christian                    Das deutsche Sonett

Friedrich Haug

1761 – 1829                                        Schon uns’re älteren Dichter wählten die Form des italischen Sonetts. Flemming schrieb mehrere Bücher in dieser für uns allzukünstlichen Dichtart. Besserer Geschmack verdrängte sie. Kaum versuchte Bürger in neuern Zeiten einige Kling-Gedichte, die gelungene Studien in dieser Gattung sind, und empfahl A. W. Schlegel’n, als einen Meister in Befolgung der Regeln, welche der Musengott, wie Boileau in seiner Poetik sagt, aus Bizzarrerie für das Sonett ausdachte; so wuchs das „imitatorum pecus“ zu manoeuvrierenden Bataillons an. Uns’re Sprache wußte sich zu rächen. Der größte Theil dieser gereimten Empfindeleien ist plump, hart, und übelklingend, oder harmonisch ans Ohr schlagend, aber leer. Liessen sich wohl unter hundert Sonetten drey bis vier auffinden, bey welchen, (Was Bürger von einem vollkomm’nen Sonette fordert), nach Auflösung der Reimzeilen in Prose doch keine Sylbe, kein Wort, kein Satz anders gestellt werden könnte, als dieß alles im Verse stand, und wo sogar die Reimwörter an ihrem Platz’ unentbehrlich scheinen? Ich zweifle.

- Mit der italischen Sprache, die ganz Melodie ist, in der es dem Prosaisten ordentlich schwer fallen muß, nicht zu reimen, mit dieser für Stegreif-Dichter geschaffenen Sprache darf sich die deutsche nicht messen. Ueberzeugt von dieser Wahrheit wollten daher einige den verschollenen Ton der Minnesinger neu herstellen, und z. B. sehre, Königinne, samt dergl. veralteten Flicksylben, wieder in Umlauf bringen. Vergebens! – Göthe sagt:

 

Sich in erneutem Kunstgebrauch zu üben,...

 

Das ist’s was ich meine. Das Sonett lähmt die Begeisterung, und die vierzehn vorgeschriebenen Reime sind heimliche Bouts rimés, welche der Poet sich eigensinnig vorschreibt. Das Sonett ist das Rad, worauf die Empfindung mit vierzehn Stößen abgethan, und nur zu oft der Herzstoß schon im dritten Reime gegeben wird. Mühsam überwundene Schwierigkeit rechtfertigt, und adelt solche Spielereien nicht; sonst müßten wir auch die vergessenen Gedichte in Becher oder Pyramidenform preisen. wenn ein Göthe mitunter leimen müßte, wer von den Nicht-Göthen wagt noch Kling-Gedichte?