August Wilhelm
Schlegel hat in seinem
Aufsatz
ausführlich dargelegt warum ein Sonett die bekannten Eigenarten aufweißt, warum
sich der Dichter, will er die Einheit von Form und Inhalt erreichen sich dem
Joch beugen muß. Ganz so streng wie er sahen es nur wenige, aber im Grundsatz
war er wohl mit seinen Dichterkollegen einig, auch wenn inhaltlich nicht jedes
Sonett einen dialektischen , antithetischen
Aufbau hat. Nicht jeden Dichter aber muß man unter dieses Joch zwingen.
Die Schwierigkeit ein Sonett zu schreiben ist oftmals selbst Reiz genug, sich
mit der Form zu befassen. Und so nimmt es kein Wunder wenn der ein oder andere
Sonettomane noch ein, zwei Schritte weiter geht und das ohnehin komplexe
Regelwerk um zusätzliche Formelemente ergänzt. Solche Spielereien gehören
genauso zur Sonetttradition wie die geistlichen Sonette Gryphius’, die
Liebeslyrik Petrarkas
und Shakespeares,
oder politische Agitation von Rückert oder Freiligrath. Eine kleine Auswahl dieser Formspiele
soll in diesem Kabinett seinen Platz finden.
Neben dem bekannteren Sonettenkranz,
dem hier eine eigene Rubrik gewidmet ist, gibt es als älteren „Spieleklassiker“
noch die
Tenzone
Sie ist älter als der Kranz und gewissermaßen auch sein Vorläufer.
Die Tenzone ist ein Antwort-gedicht, oder auch ein längerer Dialog, wobei in
der strengsten Form die Reimwörter des Bezugsgedichtes wiederverwendet werden,
in abgeschwächten Varianten nur die Reimendungen, oder man greift nur die Schlußaussage
des Gedichtes auf. (letzteres passiert ja auch beim Sonettenkranz, nur daß der
sich kaum schließen würde, geschweige denn ein Meistersonett hervorbrächte,
wenn man sich auf die Antworten eines Co-Autoren einlassen müßte.)
Als
Beispiel ein Gedicht von Dante Alighieri und die Antworten von Guido Cavalcanti, Dante von Majano und Messer Cino da
Pistoja. Alle Übersetzungen stammen von Richard Zoozmann:
Das Erste Sonett aus
Dantes Neues Leben
Selber
habe ich mich an der Erweiterung des Sonettenkranzes versucht. Hintergrund war,
das ich nach Niederschrift eines ersten Kranzes das Gefühl hatte es sei noch nicht
alles zum Thema gesagt. Ich wollte aber keinen Zweiten Kranz daneben stellen
sonder den Zyklus als Einheit bewahren, und entwickelte so einen
Zwillingskranz
Ich
nahm also das Meistersonett aus dem ersten Sonettenkranz und begann damit einen
Zweiten, dessen Schlußzeilen aber kein eigenes Meistersonett ergeben sondern
sich zum Anfangssonett des ersten Kranzes zusammenfügen. Da somit zwei Sonette
eine Doppelfunktion erfüllen besteht dieser Zwillingskranz nur aus 28 statt 30
Sonetten:
Mit dem Sonettenkranz nicht mehr verwandt, aber mindestens ebenso
komplex sind die beiden folgenden Texte, die, auf Grund ihrer Form, im
Gegensatz zu klassischen Zyklen keine lineare Erzählende Struktur entwickeln,
sondern eher eine Gleichzeitigkeit der Ereignisse, oder Panoramen abbilden. Da
ist zum einen Raymond Queneau, der gleich
geschrieben hat.
Eine Anzahl, die zu lesen ein Menschenleben bei weitem nicht ausreicht. Sie
niederzuschreiben natürlich auch nicht. Die Lösung ist ein kombinatorischer
Trick, vergleichbar einem Kinderbuch in dem verschiedene Frisuren, Augen, Nasen
und Münder zu immer neuen Gesichtern zusammengesetzt werden können: Zunächst
sind es nämlich nur 10 Sonette, die allerdings die gleichen Reimendungen
aufweisen und, grammatikalisch die gleiche Struktur aufweisen. Wenn man diese
10 Sonette nun hintereinander legt, sie Zeile für Zeile in Lamellen schneidet,
so daß man die Zeilen auch einzeln umblättern kann ergeben sich die
unerschöpflichen Kombinationsmöglichkeiten von 10 hoch 14 Sonetten. Es gibt
übrigens eine deutsche Übersetzung von Ludwig Harig, erschienen bei Zweitausendeins.
Der
zweite Text ist wieder ein eigener den ich der Einfachheit halber als
Sonett2
charakterisieren
möchte. Der Text ist tatsächlich als Quadrat von 14x14 Verszeilen angelegt. Er
enthält also 14 Sonette vertikal und 14 Sonette horizontal. Da vierzehn Verszeilen
hintereinander auf keinen Monitor passen, ist er schlecht im Web darzustellen.
Behelfsweise habe ich jede Zeile mit Links unterlegt um die Leserichtung zu
wechseln. Klickt man also auf die 3. Zeile des 12. vertikalen Sonetts, gelangt
man zur 12. Zeile des 3. horizontalen Sonetts, (hier aber auch vertikal, d.h.
die Zeilen untereinander, gesetzt).
Soweit zu den multisonetten
Experimenten, doch auch das einzelne Sonett bietet genug Freiheiten , sich neue
Knobeleien auszudenken. Wir erinnern uns: Das Ideal beim Schreiben lautet, eine
Einheit von Inhalt und Form zu verwirklichen. Die Einheit ist natürlich a
priori gegeben, wenn über das Schreiben geschrieben wird. Schreibt man über
Sonette, drängt es sich geradezu auf, dafür auch die Sonett-Form zu wählen.
(oder eine Ballade übers Balladenschreiben). ganz
hat es
Gerhard Rühm umgesetzt, dessen Sonett mit den Zeilen Beginnt:
erste strophe erste zeile
erste strophe zweite zeile
erste strophe dritte zeile
...
Nun
gibt es aber etliche Sonette über Glossen, Balladen, Kanzonen etc., während mir
kein umgekehrtes Beispiel bekannt ist. Will man die besagte Einheit von Inhalt
und Form aber auch im Sonett über andere Gedichte wahren muß man
konsequenterweise Form- und Stil-Elemente des zu beschreibenden Gedicht-Typs
einfließen lassen. Wie sowas aussehen kann möchte ich am Beispiel eines
Haiku-Sonetts
demonstrieren:
oder
auch mit Limericks
Wer
sich berufen fühlt, kann es ja mit anderen Gedichtformen versuchen...
Parodistisch
wie Gerhard Rühm sind auch die meisten
Kurz-Sonette
gemeint.
Das klassische Versmaß ist zwar der fünfhebige Jambus, doch immer wieder wurden
auch 4- oder 6-hebige geschrieben, verfielen Dichter auf Anapäst oder
Alexandriner, wobei die längeren Versarten leichter zu schreiben sind, da sich
die Reimwörter, auf Grund flexibler Grammatik leichter plazieren lassen.
Umgekehrt läßt sich die Herausforderung ableiten möglichst kurze Sonette zu
schreiben. Hier zwei Beispiele:
Klingsonate von Johann Heinrich
Voß
ð Sonett (und nicht so) zur Butterschnitte
von Thomas Scholz
Ebenso verspielt sind die
Aufgabe der
Endreime zu einem vierfachen Sonett
daraus gemacht
hat:
In
England erfreut sich das Akrostichon noch heute großer Beliebtheit, was eine
Übersetzung nicht leichter macht. Aber auch für solche Probleme gibt es eine
Lösung, wie Robert Wohllebens Arbeit zeigt
Auch France Prešerens Sonettenkranz enthält im
Meistersonett ein Akrostichon.
Slowenisch:
„Primicovi Julji“ In der Übersetzung von Lili Novy wurde daraus:
„An Julia Primitz“ bei Klaus Detlef Olof „Dem
Bilde Julias“
Neben
dem Akrostichon, kann man natürlich jedes literarische Stilmittel benuten, vom
Binnenreim bis zur Alliteration, vom Wortspiel bis zum reichen Reim. Für jedes
Beispiele aufzuführen sprengte den Rahmen dieser Seite. Besonders schwierig,
und damit erwähnenswert ist aber eine besondere Form des reichen Reimes:
Der Schüttelreim
Zu einer
gewissen Meisterschaft hat es der Schüttelreimer Jürgen Rehm gebracht, der auf
seiner Seite gleich mehrere geschüttelte Sonette anbietet, inklusive einer
Shakespeare-Übersetzung!
Davor kann
man als Bastler nur seinen Hut ziehen, aber wer denkt, das sei nicht mehr zu
toppen, dem wird es ergehen wie mir. Bevor ich es gesehen habe hielt ich es für
unmöglich. Mag sein daß die englische Sprache für manche Belange besser
gerüstet ist, mag sein daß die Britten exzentrischer veranlagt sind, jedenfalls
fand ich in England die Krone aller Sonett-Logeleien. Kevin Hollenbeck (York)
verfaßte tatsächlich ein:
Ich denke dem
ist nichts mehr hinzuzufügen.